(Jahres-/Konzert-)Rückblick 2019

Dieses Jahr hat die Liste mehr Mühe gekostet als sonst. Normalerweise pflege ich sie nämlich sehr gewissenhaft, aber irgendwann im September habe ich schlicht und einfach den Überblick verloren. Eigentlich auch kein Wunder, ist doch 2019 wieder so einiges zusammengekommen…

Die bemerkenswerten Premieren:

Neue Orte/Festivals:

Die Wiederholten:

Verpasst habe ich leider: Chilly Gonzales, Svavar Knútur, Mirga Gražinytė-Tyla mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra und Max Richter.

Das Highlight des Jahres? Knifflig. Sehr, sehr knifflig. Bei manchem fehlt schlicht die Vergleichbarkeit; eigentlich müsste ich Kategorien einführen, aber das wäre nun doch leicht übertrieben. Ich möchte Martin Kohlstedt und den GewandhausChor Leizpig hervorheben, außerdem das Abschlusskonzert des Reflektor Nils Frahm-Festivals, die Prom 44 und natürlich Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester mit Mahlers 9. Sinfonie.

Mein Veranstaltungsort des Jahres 2019 ist nach 2016 erneut die Royal Albert Hall. Die Freude darüber, nach zwei Jahren Abstinenz wieder in der Halle sitzen zu dürfen, war keineswegs eine rein musikalisch begründete. Ich bin fest entschlossen, sowohl dem Ort als auch insbesondere den BBC Proms die Treue zu halten, komme was wolle.

Die ersten beiden Konzerte des Jahres 2020 werden mich aber zunächst wieder in den Großen Saal der Elbphilharmonie führen.

Hat irgendwer schon „Wohnzimmer“ gesagt? Wär jedenfalls nicht ganz verkehrt.

In Concert: Das Kaiser Quartett auf Kampnagel

Das voraussichtlich letzte Konzert des Jahres 2019 fehlt noch! Es war mir ein ganz besonderes Vergnügen, denn nicht nur die vier Musiker auf der Bühne, auch ich erinnere mich noch lebhaft an den äußerst spärlich besuchten ersten Soloauftritt des Ensembles vor wenig mehr als drei Jahren im Golem. Für die Jüngeren unter uns: Das Golem war ein Club unweit des Hamburger Fischmarkts. Gibt’s mittlerweile nicht mehr.

Das Kaiser Quartett erfreut sich hingegen bester Gesundheit. Die K2 auf Kampnagel war restlos ausverkauft, die Tour läuft schon eine Weile, die Platte ist draußen und obwohl ich zugegebenermaßen ein wenig auf den ein oder anderen Gastauftritt spekuliert hatte, gebraucht hat es den nicht.

Was schrub ich seinerzeit? „Das war nicht nur musikalisch fein, sondern darüber hinaus auch sehr unterhaltsam, und vielleicht sage ich ja irgendwann: ‚Ich kannte sie schon, als sie noch in kleinen Clubs an der Elbe…'“.

Joah. Passt wohl.

In Concert: Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie

„Ganz unbedingt und ziemlich dringend“ wollte ich etwas über den Auftritt von Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie schreiben, so meine Einleitung zur letzten Meldung auf diesem Kanal. Und nun sitze ich hier und weiß nicht so recht, wie anfangen.

Wenn ich über Konzerte und Kulturerlebnisse schreibe, tue ich das nicht aus dem Blickwinkel einer Kulturjournalistin. Schon deshalb, weil ich keine bin. Es geht mir in erster Linie um das Konzerterlebnis und oft beschäftige ich mich mehr mit dem Drumherum als mit der musikalischen Darbietung an sich: Wie bin ich in dieses Konzert gekommen, was verbindet mich eventuell schon mit den Interpreten, den Komponisten oder den Musikstücken, wie empfinde ich den Raum, die Akustik, meinen Sitz- oder Stehplatz, wie geht es mir mit dem Publikum um mich herum und so weiter. Oft ziehe ich ein Fazit, meistens führt mich das eine Konzert zum nächsten und übernächsten. Überhaupt mag ich es, Verbindungen herzustellen, wo auf den ersten Blick vielleicht gar keine zu sehen oder zu hören sind.

Seit ich regelmäßig in Orchesterkonzerte gehe – also seit mittlerweile etwas mehr als sechs Jahren – versuche ich, quasi im Nebenprojekt, mit meinen laienhaften Mitteln die Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester zu ergründen.

Zum Vergleich: Was einen Stargeiger ausmacht, war für mich nicht sonderlich schwer herauszufinden. Wobei bei manchen Zeitgenossen das „Star“ deutlich vor dem „Geiger“ zu stehen scheint. Selbst im Kollektiv eines Streichquartetts gibt es einen, der die erste Geige spielt, und das ist zumeist eine andere Type als der, der an der zweiten sitzt.

Leistung oder Status eines Dirigenten einzuordnen, fällt mir dagegen ungleich schwerer. Da steht ein Mensch vorm Orchester und ich kann nur erahnen, wie es um das Verhältnis dieser beiden bestellt ist. Wie sind die Proben gelaufen? Mögen die Musiker den? Nehmen sie ihn ernst? Welche Rolle spielt die Tagesform? Ist das ein „Star“, der sich wahlweise wie eine Diva oder ein Despot gebärdet, wenn das Publikum es nicht sehen kann? Oder ist es jemand, dem es in zuerst um die Musik und erst danach um Person und Renommee geht?

Es gibt da den einen oder anderen Anhaltspunkt, aber es bleibt eine Mutmaßung. Ich beschränke mich in meiner Beurteilung zumeist darauf, ob mich die kollektive Darbietung mitgenommen hat und gehe höchstens noch auf besondere Eigenheiten des Dirigenten ein, die mir aufgefallen sind: Das Schulterzucken von Gustavo Dudamel, die Mimik von Sir Jeffrey Tate, wie Jun Märkl den Brahms tanzte, solche Dinge halt.

Und jetzt, nach Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester mit Mahlers 9. Sinfonie in der Elbphilharmonie, wünsche ich mir zum ersten Mal das Vokabular, das Handwerkszeug und das Hintergrundwissen eines ausgewachsenen Musikkritikers. Weil ich nicht weiß, wie ich dem, was ich da erlebt habe, gerecht werden soll. Ich habe nicht sehen können, was Orchester und Dirigent miteinander verbindet, aber ich habe es gehört, so deutlich, dass es beinahe greifbar schien, und der Raum, das Publikum und das ganze Drumherum hat bei diesem Konzerterlebnis zum allerersten Mal keine Rolle gespielt. Zum Ende des letzten Satzes habe ich Rotz und Wasser geheult – lautlos versteht sich, alles andere wäre nicht weniger als ein Sakrileg gewesen. Das hat mit „klassischer“ sinfonischer Musik bisher noch niemand geschafft.

Ein neues Level.

Danke für dieses Geschenk.

In Concert: Joshua Bell, Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Einerseits möchte ich ganz unbedingt und ziemlich dringend etwas über den vorgestrigen Auftritt von Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie schreiben. Ich kann andererseits aber keineswegs das Konzert von letzter Woche unterschlagen. Um Joshua Bell, Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester soll es also zunächst gehen, und um Ligeti, Sibelius und Weinberg.

Ich kannte „Atmosphères“ von György Ligeti bislang nur als Teil des Soundtracks von „2001: Odyssee im Weltraum“ und bin zudem davon ausgegangen, dass es ein elektronisches Musikstück ist. So kann man sich irren! Es war faszinierend, dem NDR Elbphilharmonie Orchester beim Erzeugen dieser Klänge zuzusehen, wozu sich mein Platz in 13 F dankenswerterweise ganz hervorragend eignete. Die Menschen um mich herum schienen dagegen eher befremdet. Offensichtlich handelte es sich mehrheitlich weder um Ligeti-Fans noch um Cineasten. Im Programmheft war zu lesen, dass das Publikum bei der Uraufführung des Stücks derart begeistert war, dass das Stück umgehend wiederholt werden musste. Womit hinreichend bewiesen sein sollte, dass die Publikumsschnittmenge zwischen den Donaueschinger Musiktagen und den Abokonzerten des NDR Elbphilharmonie Orchesters nicht eben riesig ist.

Zum zweiten Stück des Abends kam Joshua Bell auf die Bühne. Das Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47 von Jean Sibelius ist mir insbesondere durch eine Aufführung der Hamburger Symphoniker mit Sergey Khachatryan unter Sir Jeffrey Tate in sehr guter Erinnerung geblieben. Ich kann leider gar nicht sagen, ob mir Joshua Bells Vortrag schlagend besser gefallen hat, so sehr habe ich mich von seiner Bühnenpräsenz der Marke „Ich weiß, dass ich sehr, sehr (sehr!) gut bin, und jede/r darf es nicht nur hören, sondern auch sehen“ ablenken lassen. Sympathiepunkte hat ihm das bei mir jedenfalls nicht gebracht. Ich merke mir (quasi als Serviervorschlag): prinzipiell gerne wieder, aber künftig mit geschlossenen Augen zu genießen.

Nach der Pause kam schließlich die Sinfonie Nr. 3 op. 45 von Mieczysław Weinberg zur Aufführung. Weinberg war mir vor der laufenden Konzertsaison vollkommen unbekannt. Diese Bildungslücke kann ich inzwischen als geschlossen betrachten. Der Autor des erläuternden Beitrags im Programmheft schien seltsam zwiegespalten in seiner Bewertung des Werks, aber ich mochte die dritte Sinfonie. Sehr sogar.

Außerdem mag ich Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester sowieso! Hoffentlich gelingt es mir, ein Ticket zu ergattern, wenn diese Kombination das nächste Mal auf dem Spielplan steht. Das ist nämlich fortgesetzt schwierig. Ich weiß jetzt auch wieder, warum.


Wer sich selbst ein Bild machen will: Das komplette Konzert ist noch bis 11. März 2020 bei ARTE Concert als „Video on demand“ verfügbar.

Auswärtsspiel

Und wieder einmal war ich in München, in der Hauptsache zwar aus dienstlichen Gründen, aber meine tägliche Sollarbeitszeit beträgt 7,8 Stunden und schließlich sind da ja auch noch die Abende. Letztes Jahr lernte ich dank Nils Frahm den Gasteig kennen, in diesem Jahr führte mich die Eventrecherche zunächst in eines der Meisterkonzerte im Max-Joseph-Saal der Residenz München. Dargeboten wurde ein Programm mit Stücken von Vivaldi, Mozart, Strauß, Corelli und Tschaikowski und ich weiß nicht ganz genau warum, aber es hat mich so überhaupt gar nicht vom Hocker gerissen. Zwei Ausnahmen: Das mozärtliche Oboenkonzert in C-Dur (KV 314), was hauptsächlich an dem extrem großartigen Solooboisten Giovanni de Angeli lag und das Weihnachtskonzert von Corelli, dessen 3. Satz mich stets an die Patrick O’Brian-Adaption „Master and Commander: The Far Side of the World“ mit Russell Crowe und Paul Bettany erinnert – der Soundtrack enthält nämlich eine Kurzversion des Stücks.

Insgesamt verließ ich also ein wenig ernüchtert den bekronleuchterten Prunksaal, um anschließend auf dem Weg zur S-Bahn am Marienplatz auf Konnexion Balkon zu stoßen. Die Truppe bezeichnet sich wenig bescheiden als „The World’s Best Street Band“ und zugegeben, so ganz ist das nicht von der Hand zu weisen.

Tags drauf verschlug es mich in die Katakomben des Lindwurmhofs, in dem das Strom untergebracht ist. Dort versprachen Árstíðir ein „A Special Holiday Event“ und genau das war es auch: Ein phantastisches Konzert mit sehr gutem Sound, was bei den akustischen und A capella-Arrangements nicht weniger als spielentscheidend war. Dank der Vorbildung durch Svavar Knútur konnte ich die beiden Weihnachtslieder jenseits des bandeigenen Repertoires – „Jólin alls staðar“ und „Hin fyrstu jól“ – zumindest unfallfrei mitsummen. Am Text werde ich wohl noch etwas arbeiten müssen.

Freizeitstreß

Ich weiß nicht, ob es allen so geht, aber alle Jahre wieder in der Zeit von Oktober bis Dezember formiert sich in meinem Kalender diese eine Woche, in der man jeden Abend mindestens zweimal mit Konzerten oder anderen Kulturhighlights belegen könnte. Und da jedes Mal Unwiderstehlichkeiten dabei sind, entwickelt sich daraus regelmäßig eine Großkampfstrecke.

Dieser Tage ist es wieder so weit. Gewissermaßen als Vorbote spielte am Donnerstag vorvergangener Woche Francesco Tristano im kleinen Saal der Elbphilharmonie, am Montag folgte die National Theatre-Produktion von „A Mid Summer Night’s Dream“ im Savoy, am Mittwoch Ludovico Einaudi im Großen Saal und am Donnerstag das „Blind Date“ im Kleinen Saal wieder der Elbphilharmonie, gestern Abend standen Martin Kohlstedt und der Leipziger GewandhausChor in der Laeiszhalle auf der Bühne und morgen geht es nahtlos weiter mit meinem kleinen ungeraden Philharmoniker-Montagsabo. Dann ist dreieinhalb Wochen Konzertpause. Das aber auch nur, weil ich mein Max Richter-Ticket aus dienstreisetechnischen Gründen in gute Hände abgeben habe müssen.

Man verzeihe mir also, dass ich vorübergehend in den Schnelldurchlaufmodus umschalte.

Francesco Tristanos Debut in der Elbphilharmonie bestand aus der Präsentation seines aktuellen Albums „Tokyo Stories“. Anders als die „Piano Circle Songs“, die ich 2017 in der Royal Festival Hall hörte, sind die „Tokyo Stories“ mehrheitlich nicht Piano solo, sondern Piano plus Rhythmisch-Elektronisches besetzt, wobei letzteres mehr oder weniger vom Band (= Computer) lief. Man könnte sagen: Tristano spielte live auf dem Konzertflügel gegen sein elektronisches Ich. Das muss man so überzeugend wie geschehen auch erst einmal hinlegen. Symptomatisch nannte das zum Eintritt gereichte Infoblättchen – ich möchte es nicht Programm nennen, aber immerhin, es gab eines – den Track „Electric Mirror“ und ja, der ist definitiv symptomatisch für die Musik des Francesco Tristano, wenn auch nicht unbedingt für die „Tokyo Stories“. Das ist viel eher „The Third Bridge of Nakameguro“; es ist wohl kein Zufall, dass der Song auch für den Albumtrailer ausgewählt wurde.

Ich mochte die „Tokyo Stories“, die hektischen wie die kontemplativen, und es dauerte es eine Weile und mehrere vertiefende Durchgänge bei Spotify, bis ich herausfand, was mich an ihnen stört: Es sind die Sounds. Vermutlich passen sie ganz hervorragend zur beschriebenen Stadt, das kann ich mir sehr gut vorstellen, sogar ohne jemals dort gewesen zu sein. Aber sie passen nicht ganz in mein Ohr. Wobei, zugegeben, als Nils Frahm-Aficionado bin ich diesbezüglich extrem verwöhnt. Oder voreingenommen, je nach Blickwinkel.

Übrigens ist das Konzert Teil von ProArte X, wurde von Mischa Kreiskott (NDR Kultur Neo) anmoderiert und falls diese Reihe weiterlaufen sollte, werde ich mich wohl um ein Abo bemühen müssen.

Die Veranstaltung mit Ludovico Einaudi ein paar Tage später fiel gleich ein paar Nummern größer aus: Nicht nur, dass es ein Zusatzkonzert gab, beide Termine waren restlos ausverkauft und an beiden Abenden standen deshalb je eine gute Handvoll hoffnungsvoller Ticketsuchender frierend vorm Eingang. Die meisten waren mit klassischen Papier- bzw. Pappschildern bewaffnet, aber ich sah auch jemanden, der ein Tablet nutzte. Gar nicht so dumm, weil hintergrundbeleuchtet! Eine besondere Stimmung war das im Großen Saal: Das Publikum bestand mehrheitlich aus andächtig lauschenden Einaudi-Verehrern, darunter viele Elphi-Erstis und nicht wenige davon in Abendgarderobe. Das gelegentlich vernehmbare Hustenbonbonpapierknistern und die mindestens zwei aus Hosentaschen oder von Sitzen polternd abgestürzten Mobiltelefone finde ich unter solchen Umständen verzeihlich, denn da saßen keine gelangweilten Elbphilharmonie-Touristen, sondern Konzertsaalneulinge und doch, diesen Unterschied kann man hören und spüren. Apropos, wir können alle miteinander froh sein, dass die Sitze im Großen Saal nahezu geräuschlos hochklappen und auch die Türen im Flüstermodus bedienbar sind. Das ist in der Laeiszhalle leider ganz anders und entsprechend wirkt es sich auf die Nebengeräuschkulisse aus. Insbesondere, wenn es sich um ein Konzert mit mehrheitlich unkundigem Publikum und niedrigem Lautstärkepegel handelt, in das Zuspätkommer zu allem Übel dann auch noch unerklärlicherweise mitten im Stück eingelassen werden.

Aber zurück zu Ludovico Einaudi. Musikalisch gesehen bewege ich mich inzwischen in anderen Gewässern, aber vieles von dem, was mir heute selbstverständlich ist, hat mit ihm seinen Anfang genommen. Das habe ich nicht vergessen und ich kann es auch immer noch hören. Nichtsdestotrotz werde ich dieses Kapitel wohl mit dem Abend in der Elbphilharmonie abschließen.

Was keinesfalls für die Reihe „Blind Date“ im Kleinen Saal gilt! Nur ein paar Notenständer waren zu sehen, bevor die Überraschungsgäste des Abends vor dem Publikum erschienen. Pünktlich um kurz nach halb acht traten nicht weniger als acht Posaunisten aus der Tür und begannen ihren Auftritt höchst  effektvoll mit der „Olympic Fanfare“ von John Williams. Trombone Unit Hannover nennen sich die Musiker, die hauptamtlich in Orchestern wie den Bamberger und Hamburger Symphonikern, dem SWR Symphonieorchester, dem Orchester der Staatsoper Hannover, der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken oder dem Berliner Konzerthausorchester unterwegs sind.

Ich würde mich nun nicht gerade als blechbläseraffin bezeichnen, aber dieses Ensemble hat mich überzeugt. Meinen beiden Lieblingsstücken aus dem präsentierten Programm: die Improvisation über gregorianische Gesänge von Hildegard von Bingen und „Osteoblast“ von Derek Bourgeois.

Bleibt zum vorläufigen Schluss der gestrige Auftritt von Martin Kohlstedt und dem GewandhausChor in der Laeiszhalle, zu dem mir bis zur Stunde immer noch kein angemessener Wortbeitrag eingefallen ist, der über den Satz „Was für ein Geschenk!“ hinausgeht.

Aber vielleicht kommt das ja noch. Dann hole ich es nach.

Chorstafette

Da ist dieses eine Mitglied des Hamburger Mendelssohnchors, eine ehemalige Kollegin, die mir seit Jahren hartnäckig immer wieder per Postkarte Informationen zu dessen Konzertprogramm weiterleitet. Bis vor kurzem leider ohne Erfolg. Peinlich genug, sind mir doch insgesamt drei Chormitglieder – darunter ein weiterer ehemaliger Kollege – und die Chorleiterin persönlich bekannt. Aber in diesem Jahr passte es endlich einmal; von den drei zur Auswahl stehenden Terminen allerdings nur der in der Paul-Gerhardt-Kirche. Wesentlich näher wäre die Kreuzkirche Alt-Barmbek gewesen, und zwar nicht nur für mich, sondern auch für das Mitglied des Chors St. Johannis, welches mir vor Ort in Altona unverhofft über den Weg lief – wir wohnen nämlich beide in Barmbek Nord und kennen uns über einen Herrn, der beinahe mein Kollege geworden wäre.

Durch diese Begegnung kam ich in den Genuss eines weiteren Chorkonzerts, das gestern in St. Johannis-Harvestehude stattfand. Dort traf ich zufällig das eingangs erwähnte Mitglied des Mendelssohnchors, das spontan eine mir ebenfalls bekannte Freundin begleitete, die wiederum, man wird es mir kaum glauben, eine Karte für den Platz neben mir auf der Empore hatte.

Heute Morgen schließlich war das nämliche Mitglied des Mendelssohnchors meine Begleitung beim 1. Morgen Musik-Konzert „Fensterkreuz“ der Hamburger Symphoniker unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Die Karten hatte ich ausnahmsweise nicht gekauft, sondern vor einigen Wochen über den Symphoniker-Newsletter gewonnen. Das Programm war außergewöhnlich – und außergewöhnlich chormusiklastig. Zu hören war die Europa Chor Akademie Görlitz, unter deren Gründer und Leiter Joshard Daus ich vor etlichen Jahren als kleinstes Licht im Chor des Lippstädter Musikvereins die „Schöpfung“ singen durfte.

Hattrick komplett, Kreis geschlossen. Fürs Erste zumindest.

Oh, und musikalisch? Die ganze Bandbreite. In Altona „Eine Winterreise zwischen Romantik und Pop“, in Harvestehude Duke Ellingtons „Sacred Concert“ (mit Big Band, einer sensationellen Steptanzeinlage und der noch sensationelleren Solistin Rita Maria) und zuletzt in der Laeiszhalle „Perlen der Chormusik“ von Mozart, Tschaikowsky, Szymanowski und Strawinsky, kontrastreich kombiniert mit Sufi-Gesang von Aïcha Redouane und dem Ensemble Al-Adwâr. Einige Konzertbesucher hatten hör- und sichtbar Schwierigkeiten mit den ungewohnteren Klängen des Programms, wobei die Grenze für manche offenbar gleich hinter den Mozartstücken lag. Innerlich seufzend erinnerte ich mich an ähnliche Reaktionen aus vergangenen Symphoniker-Konzerten. Da ist noch Luft nach oben – beim Publikum, wohlgemerkt, nicht etwa beim Orchester oder seinem Chefdirigenten. Das gilt, wie ich seit heute weiß, nicht nur für die von vorzugsweise durch Abonnenten belegten Plätze der Preisklassen 2 und 3 im 1. Rang, sondern auch für die Beletage im Parkett.

Wie dem auch sei, so viel Chormusik wie in den letzten Wochen habe ich seit Jahren nicht gehört. Und dabei gleich einiges gelernt, z. B. dass es von so unterschiedlichen Komponisten wie Duke Ellington und Peter I. Tschaikowsky Kirchenmusikwerke gibt. Schlagt mich, aber das war mir neu!

Das nächste Konzert ist wieder mit Klavier und Elektronik und ich weiß schon, welcher der üblichen Verdächtigen aus der örtlichen Neigungsgruppe neben mir sitzen wird. Langweilig wird es deshalb bestimmt nicht. Und wer weiß, vielleicht sitzt auf dem Platz auf der anderen Seite neben oder hinter mir der Beginn der nächsten Stafette durchs Hamburger Musikdorf.

In Concert: Lambert in der Laeiszhalle

Ich bin schon wieder zwei Konzerte im Rückstand – ehrlich gerechnet sind es sogar drei Konzerte, zwei Lesungen und eine le voyage abstrait. Nicht alles davon wird Eingang ins Susammelsurium finden, aber zum Lambert-Konzert der vergangenen Woche im kleinen Saal der Laeiszhalle möchte ich doch schnell noch ein paar Sätze verlieren.

Das neue Album „True“ wurde bei Erscheinen nicht nur von einer Mockumentary flankiert, sondern auch damit beworben, dass Lambert sich in diesem zurück zu seinen Wurzeln als Solopianist bewegt. Im kleinen Saal der Laeiszhalle traten nichtsdestotrotz drei Musiker auf; neben dem Flügel waren Schlagzeug-, Synthesizer- und Gitarrenklänge zu hören. Das hatte bisweilen eine Jazztrio-Attitude, die mir sehr, sehr gut gefallen hat. Insbesondere bei „Vienna“.

Dabei klingt das auf „True“ konservierte „Vienna“ eher noch wie die Basis der Liveversion und genau so habe ich es ja eigentlich auch am liebsten. Uneigentlich wünsche ich mir bei Gelegenheit ein Livealbum. Geht da was, Lambert?

London (Part IV): Tag 5 & 6

Es folgt der letzte Teil meiner diesjährigen London-Nachlese. Was zuvor geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Am Vormittag des vorletzten Tags steht zunächst eine Backstage-Führung im Barbican Centre auf dem Programm. Bisher kenne ich von diesem nur die Hall, das Foyer und die Barbican Kitchen, aber das Centre beherbergt neben einem Kino, einem Ausstellungsbereich, einer Bibliothek und zahlreichen weiteren Räumlichkeiten auch noch das ursprünglich eigens für die Royal Shakespeare Company erbaute Barbican Theatre, wo am Abend die letzte Vorstellung des laufenden Gastspiels gegeben wird. Auf dem Programm steht „Jesus Christ Superstar“ und ich bin zwar alles andere als ein Musical-Fan, aber ein Besuch des Barbican gehört für mich zu jedem Londonaufenthalt dazu, seit ich dort im Juli 2016 zum ersten Mal ein Konzert erleben durfte. So lerne ich nun das Barbican Theatre zumindest aus der rückwärtigen Perspektive kennen, und auch wenn ich mich über ein mangelndes Angebot in Hamburg wirklich nicht beklagen kann, so beneide ich die Londoner dennoch um diesen ganz besonderen Kulturhotspot.

Gleich zu Anfang der Führung werden wir in eine bauliche Kuriosität eingeweiht: Um vom Künstlereingang direkt zum Schnürboden („Fly Tower“) zu gelangen, kann man durch einen Vorraum des Männerklos abkürzen. Die Dame, die uns herumführt, nennt das eine „Narnia Experience“ und ich fühle mich an die Tür 7 3/4 der Royal Albert Hall erinnert. Während der gut einstündigen Runde mit den weiteren Stationen Green Room, Prompter, Bühnenbereich und Zuschauerraum dürfen leider keine Fotos gemacht werden, der copyrightgeschützten Kulissen und der Mitarbeiter wegen, die um uns herum die abendliche Aufführung vorbereiten. Unsere Führerin erzählt uns einiges über die Geschichte des Centre im allgemeinen und des Theatre im Besonderen, wir lernen, warum es – ähnlich wie auf einem Schiff – verpönt ist, im Backstagebereich zu pfeifen und dass die namentliche Erwähnung eines gewissen schottischen Stücks hinter der Bühne ebenso Unglück verheißt wie ein Green Room, der tatsächlich grün gestrichene Wände hat.

Der hoch aufragende „Fly Tower“, so erfahren wir noch nebenbei, passte seinerzeit nicht ins architektonische Konzept, weswegen er durch einen Aufsatz kaschiert wurde. Dieser Aufsatz beherbergt das Conservatory, welches normalerweise nur an wenigen (Sonn-)Tagen im Jahr öffentlich zugänglich ist, heute aber ausnahmsweise geöffnet hat.

Conservatory

Chilis & Peppers

Conservatory

Yellow

An geräumigen Dachgärten ist in London zwar wahrlich kein Mangel, aber das Barbican Conservatory sticht unter diesen zum einen durch seine schiere Größe und zum anderen dadurch hervor, dass die dschungelartige Landschaft mit dem brutalistischen Beton des Gesamtensembles eine überraschend schlüssige Allianz eingeht.

Conservatory

Please do not touch the plants

Conservatory

Conservatory

Conservatory

Den Nachmittag verbringe ich mit einem Ausflug zum tief im Osten der Stadt beheimateten The Who Shop, dem unvermeidlichen Besuch des Borough Market – neue Lieblingssorte von Whirld: Maple Fudge! – und einem Spaziergang entlang des Themseufers auf der Bankside bis hinunter zum Southbank Centre, vor dessen Toren praktischerweise gerade ein großer Bücherflohmarkt stattfindet.

Seite an Seite
Seite an Seite

Abends kann ich bei der Prom 48 zwei mir bislang nicht bekannte Rituale beobachten: Nach den „Three Pieces For Strings“ von Constantin Silvestri wird ein Flügel auf die Bühne gerollt und als die Bühnenarbeiter den Deckel öffnen, schallt es aus der Arena „Heave!“, was in der Gallery mit „Ho!“ beantwortet wird. Wenig später belohnen beide Fraktionen das Anschlagen des Kammertons a durch den ersten Geiger des BBCSO mit frenetischem Jubel. Beim anschließenden Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 16 von Sergei Prokofjew und der Zugabe, dem „Adagio“ aus Mozarts Klaviersonate Nr. 12, lerne ich den Pianisten Seong-Jin Cho kennen und schätzen. Das Publikum scheint ebenso angetan und auch die Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27 von Sergei Rachmaninow nach der Pause findet großen Anklang. Cristian Măcelaru, der Dirigient des Abends, ist Proms-Debütant und hat mit Sicherheit nicht zum letzten Mal auf dieser Bühne gestanden.

V&A
V&A

Den Vormittag des letzten Tages nutze ich zu einem Kurzbesuch des Victoria and Albert Museums. Es reicht gerade noch zur „Designing the V&A“-Tour, die mir einige neue Einblicke in Geschichte und Architektur des Hauses verschafft, da ist es auch schon wieder Zeit zum Aufbruch. Wie immer verlasse ich die Stadt mit dem Gefühl, eben erst richtig angekommen zu sein.

London (Part IV): Tag 4

Es folgt Teil vier meiner diesjährigen London-Nachlese. Was zuvor geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Ich beginne mein Tagesprogramm mit einem Besuch bei Stanfords. Auf meiner To Do-Liste landete dieses Vorhaben aufgrund eines Guardian-Artikels aus dem Januar 2019, der anlässlich des Umzugs der Londoner Niederlassung nach 118 Jahren am gleichen Standort erschien. Im Mercer Walk scheint man indes noch nicht so recht heimisch geworden zu sein: Das Kellergeschoss wirkt allzu sehr wie ein zur Ladenfläche ausgebautes Lager. „Neuen Fußboden verlegen, Beleuchtungskonzept überdenken“, schießt mir spontan durch den Kopf. Aber dann konzentriere ich mich auf das Sortiment und bin schwer beeindruckt. Ich blättere lange in den Mappen mit den Nachdrucken historischer Karten, kann mich aber schlicht nicht entscheiden und verlasse den Laden, ohne etwas zu kaufen.

Vom Mercer Walk sind es nur ein paar Schritte bis zum Covent Garden Market. Dort halte ich mich nicht lange auf; es scheint sich nicht viel verändert zu haben seit meinem letzten Besuch und die bereits um diese Tageszeit einströmenden Menschenmassen nerven mich. Dennoch bleibe ich am Stand von Stu MacKay Fine Art hängen und bin kurzzeitig versucht, eine Illustration aus seiner „UK Invasion Series“ zu erwerben. Besonders gut gefallen mir „Phone Hacked“, „Time Machine“ und „The Invisible Man“. Ich beherrsche mich, laufe um den Platz und betrete den Eingangsbereich des London Transport Museum.

Irgendwann gehe ich bestimmt auch mal in die Ausstellung, aber heute halten mich das schöne Wetter und der Andrang am Ticketschalter ab. Ich belasse es beim Stöbern im angeschlossenen Shop und werde dort schließlich schwach. Das Moquettekissen mit dem „Barman“-Motiv ist ein eher ungewöhnliches Souvenir, zugegeben, aber gerade das macht es für mich unwiderstehlich. Abgesehen davon, dass ich als passionierte ÖPNV-Nutzerin nahezu alle Wege innerhalb der Stadt per Tube zurücklege.

Anschließend schlendere ich über Trafalgar und Leiceister Square bis zum Piccadilly Circus. Bei Waterstones Piccadilly verbringe ich eine geschlagene Stunde, dann bin ich bei Fortnum & Mason zum Lunch verabredet. Danach muss ich wenigstens noch auf einen Blick rüber zu Hatchards. Aus einer Laune heraus beschließe ich, von hier aus zum Themseufer zu laufen. Ich nehme den Weg über Whitehall und an 10 Downing Street vorbei. Der Prime Minister weilt in Frankreich, und so gibt es außer einer Handvoll Dauerdemonstranten und einem Pulk Touristen nicht viel zu sehen. Die Gegend um den Palace of Westminister gleicht einer gigantischen Baustelle, es ist laut, heiß und ungemütlich. Ich lege eine Pause in den Whitehall Gardens ein, bevor ich zu meiner Unterkunft zurückkehre.

Schon im Vorfeld des Nils Frahm-Konzerts am Abend im Printworks hatte ich umfangreiche Hinweise und Verhaltensregeln per E-Mail erhalten. Besonders eindrücklich wurde vor Taschendieben gewarnt, weswegen ich mit sehr leichtem Gepäck, nämlich nur meinem Personalausweis, ein wenig Bargeld und meiner Oyster Card anreise. Keine gute Idee, denn Speis und Trank gibt es vor Ort nur gegen Plastikgeld. Überhaupt ist London auf dem besten Weg, bargeldlos zu werden: Nahezu überall ist Kartenzahlung möglich, Straßenmusiker werben damit, dass man auch „contactless“ spenden könne (ab £2) und selbst die Prommers, die nach den Konzerten an den Türen der Albert Hall Spenden für den guten Zweck sammeln, haben ihrem Sprechchor ein „P.S.: You can use your card at door 6!“ hinzugefügt.

Die Veranstaltung, so scheint es mir, ist ein wenig überorganisiert. Schon vom Bahnhof Canary Wharf aus weisen Schilder und Ordner den Weg, vor Ort Absperrungen, eine offenbar eigens aufgestellte Bedarfsampel, noch mehr Schilder, Security, Leibesvisitation, Taschendurchsuchung; es wird ein Aufwand betrieben, als handele es sich um ein mehrtägiges Festival mit zigtausenden Besuchern. Tatsächlich ist die große, ca. 3.000 Besucher fassende Main Hall bis zum Beginn des Hauptacts gut gefüllt. Ich habe einen Platz in einer Nische im vorderen rechten Teil ergattert, aus der ich mich bis Konzertende nicht wieder hinaustraue. Der Nachteil eines handelsüblichen Hallenkonzerts – normalerweise meide ich solche Situationen.

Nils Frahm beginnt sein Set mit leisen Tönen und schnell wird klar, dass einige der Anwesenden mit anderen Erwartungen gekommen sind: Ein Lauttelefonierer direkt vor mir erntet zunächst kollektives Augenrollen, wird dann aber nach kurzer Schonfrist energisch weg gemobbt („What are you here for?!“). Die Steigerung lässt dann aber nicht lange auf sich warten. Ich kannte „All Melody“ bisher nur als Konzertsaal-Veranstaltung und erfahre nun, dass es auch eine Clubversion gibt, die entschieden dynamischer daherkommt. Und nicht nur das: Keine Orgelpfeife schnarrt im Hintergrund, keine knochentrockene Raumakustik und kein Echo zerstört die Beats; der Sound ist glasklar und satt. Mir geht auf, dass das, was da vorne auf der Bühne passiert, für Räume wie diesen und nicht für den Konzertsaal gemacht ist. Nils Frahm redet wenig, improvisiert dafür umso mehr und hält nach wenigen Minuten das inzwischen mehrheitlich aufgepeitschte Publikum derart in der Hand, dass man bei „My friend the forest“, „The Dane“ und „Familiar“ beinahe die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören kann. Ich bin hingerissen und habe längst vergessen, dass mir der Magen knurrt und ich auf dem Trockenen sitze.

Es ist Freitagnacht, dennoch endet der Auftritt nach 1 1/2 Stunden pünktlich um 23 Uhr – offenbar eine Veranstaltervorgabe. Wieder werden wir wie eine Herde vom Gelände geschleust und auf einem kleinen Umweg zum Bahnhof gelotst, um Lärmbelästigung für Anwohner zu vermeiden. Alles im Prinzip nicht schlecht gedacht, aber ein wenig bevormundet fühle ich mich doch.

Zurück im Beit Quadrangle überlege ich noch kurz, mir gewissermaßen nachträglich im Innenhofpub noch ein Bier zu gönnen. Ich bin aber inzwischen derart müde, dass ich den Gedanken rasch wieder verwerfe und mich direkt ins Bett verfrachte.