In Concert: Teodor Currentzis und musicAeterna in der Elbphilharmonie

Ja, ich weiß. Kontakte einschränken und so. Aber ich wusste auch, dass dieser Auftritt von musicAeterna unter der Leitung von Teodor Currentzis gestern Abend in der Elbphilharmonie sehr wahrscheinlich dazu beitragen würde, mich über die nächsten aller Voraussicht nach livekultur- und kontaktarmen Wochen zu bringen. Also klar bei Schnelltest, Maske auf und hin.

Das Konzert war ursprünglich als 3G-Veranstaltung konzipiert und nachträglich auf 2G umgestellt worden. Im Ergebnis bedeutete das eine reduzierte Besucherzahl in Kombination mit ordentlichen 2G-Kontrollen und vielen freiwilligen Maskenträgern. Fühlt sich schon noch einigermaßen sicher an. Inzidenzen hin, neue Variante her.

Davon abgesehen behielt ich Recht mit meiner Vermutung: Es war ein mitreißender, ein grandioser Abend. Eine derartige Dynamikbandbreite habe ich in einem unverstärkten Konzert auch noch nicht erlebt. Von sehr zart bis extrem laut – und ich meine wirklich extrem, im Sinne von: die Bühne vollgepackt mit Musikern und Instrumenten und alles raus, was geht! Fast ein wenig zu viel des Guten, es erschlug einen doch ziemlich auf den Plätzen nahe beim Orchester. Dynamisch war auch die Präsentation, nämlich überwiegend stehend. Auch ein eher ungewöhnliches Bild. Da ließ sich problemlos verschmerzen, dass Schostakowitschs vierte Sinfonie in ihrer Gesamtheit nicht unbedingt zu meinen Lieblingsstücken zählt.

Nachhaltig beeindruckt hat mich auch die Uraufführung von „parting of the waters into heavens and seas“ des serbischen Komponisten Marko Nikodijević. Der übrigens anwesend und augenscheinlich sehr angetan war von Ort und Art der Darbietung. So etwas hebt zuverlässig die Laune.

Ansonsten steht dieser Tage zum wiederholten Male die Frage im Raum: wie lange noch? Es ist schon arg deprimierend, alles zusammen.

In Concert: Mirga Gražinytė-Tyla und das City of Birmingham Symphony Orchestra in der Elbphilharmonie

Das ist ja immer so eine Sache mit konzertant aufgeführten Opern. Eher schwierig, so finde ich, wenn man das Stück nicht schon kennt. Dazu kommt die besondere Herausforderung der Akustik des Großen Saals der Elbphilharmonie, in der viele Sänger:innen es schwer haben, sich gegenüber einem Orchester Gehör zu verschaffen. Schon aus diesem Grunde hatte ich mich für einen Platz vor der Bühne entschlossen, nicht dahinter, auch nicht daneben. Meiner Erfahrung zufolge denken die meisten Sänger:innen nicht Sportarena, sondern Schuhkarton. Das Problem dabei: Wo sie nicht hinsingen, sind sie kaum hörbar. Es gibt löbliche Ausnahmen, Barbara Hannigan beispielsweise, die aber die Regel bestätigen. Bis heute.

Es passt halt rein räumlich auch nicht immer. Mit dem Orchester und dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor war die Bühne bereits gut gefüllt. Da blieb nur wenig Platz für die Solisten. Wenn man dann – der Atmosphäre wegen – noch wenigstens ein bisschen Szenerie mit einschließen will, schränkt das den Spielraum zusätzlich ein.

So blieben mir Libretto und Story zwar weitgehend ein Rätsel, aber musikalisch ist „Das schlaue Füchslein“ definitiv innerhalb meines Beuteschemas. Ich vergebe außerdem ein Extra-Sternchen für die szenische Umsetzung unter den eingeschränkten Bedingungen. Unter den Darsteller:innen besonders gut gefallen haben mir Elena Tsallagova als Füchsin, William Thomas als Dachs, Pfarrer und Harašta, der Frosch (Ben Fletcher), die Grille (Joshua Webb) und der Heuschreck (Christopher Bergs).

Meine Hauptmotivation jedoch war, das CBSO und Mirga Gražinytė-Tyla im dritten Anlauf endlich einmal live zu erleben. Und das lohnt sich uneingeschränkt.

Ein klein wenig bedauert habe ich, nicht etwas mehr Geld ausgegeben zu haben für einen Platz näher am Geschehen. Ich merke es mir fürs nächste Mal.

In Concert: François Leleux und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in der Elbphilharmonie

Hui, was für ein Wirbelwind! „Der Dirigent und Oboist François Leleux ist bekannt für seine unbändige Energie und Leidenschaft“, so das Programmheft zum 3. Philharmonischen Konzert. Das kann wohl jeder bestätigen, der bei einem der beiden Konzerttermine anwesend war. Jeder Zentimeter des Dirigentenpodests wurde ausgenutzt. Leleux‘ Körpersprache ist dabei derart plakativ, dass es bei jedem anderen übertrieben bis unfreiwillig komisch gewirkt hätte. Aber ihm nimmt man das ab.

Und dann noch das Oboenkonzert. Noch mehr Energie, und diese buchstäbliche Spielfreude. Mitreißend!*)

Als Zugabe folgte die Champagner-Arie aus „Don Giovanni“ – „weil die Luft hier drin so trocken ist“. Zwischendrin habe ich mich gefragt, ob François Leleux wohl schon einmal bei den BBC Proms aufgetreten ist. Irgendetwas sagt mir, dass die Prommers ihn lieben würden. Ich hatte direkt Bilder im Kopf…

Jedenfalls war das vorgestern Abend eine rundum gelungene Veranstaltung. Umso mehr, als dass beim Einlass inzwischen nicht nur die Ausweise mit kontrolliert, sondern digitale Impfnachweise per Scan verifiziert werden. Und niemand mokiert sich, wenn man trotz 2G die Maske aufbehält. So – und nur so! – wird ein Schuh draus. Eins rauf mit Mappe, Elbphilharmonie und Philharmoniker-Publikum!


*) Nicht meine bevorzugte Wortwahl, aber „ansteckend“ ist dieser Tage wieder so ungünstig konnotiert.

Im Rückstand

Ich wage es kaum zu erwähnen, aber ich bin schon wieder im Rückstand. Die Schreiberei kommt einfach nicht in Gang und flüssig ist auch etwas anderes. Aber eine Kurzfassung der letzten drei Kulturereignisse muss wenigstens sein!

Den Anfang macht das erste „Blind Date“ der Saison, welches sich als ein Auftritt des GrauSchumacher Piano Duos entpuppte. Gegeben wurden ausnahmslos Musikstücke, die für vier Hände komponiert beziehungsweise arrangiert wurden, teils an einem, teils an zwei Flügeln. Die Instrumente wurden erst kurz vor dem Konzert auf die Bühne gerollt, sodass sich auch noch bei Betreten des Kleinen Saals der Elbphilharmonie keinerlei Anhaltspunkt für das Folgende ergab – Spannung bis buchstäblich zur letzten Minute. Mir haben die Stücke von Ravel („Rapsodie espagnole“), Messiaen (eine Auswahl aus „Visions de l’Amen“) und Debussy („Nuages“ und „Fêtes“ aus „Nocturnes“, für Klavier arrangiert, wiederum von Maurice Ravel) ausnehmend gut gefallen. Nur der Schubert dazwischen wollte nicht recht dazu passen.

Gefallen haben mir auch die Erläuterungen zu den einzelnen Stücken. Allerdings hätten die beiden Künstler dabei bedenken sollen, dass das „Blind Date“-Publikum in der Regel ziemlich bunt und nicht zwingend formal musikalisch vorgebildet ist. Ich habe mindestens zwei Konzertbesucherinnen beobachtet, die augenscheinlich eher abgeschreckt als angesteckt waren.

Zu „The Nose“ von Jessica Nupen kam ich zufällig. Da war eine Karte übrig, das nimmt man doch gern mit! Beschrieben war die Veranstaltung in der K6 auf Kampnagel als hybride Filminstallation, weswegen ich zunächst etwas enttäuscht war, dass neben einigen Musikern nur eine einzige darstellende Person tatsächlich auf der Bühne zu sehen war (und das auch nur sehr sporadisch). Der Clou des gezeigten und live musikalisch begleiteten Films war die Projektion desselben auf vier Bühnenbildelemente, die in immer neue Konstellationen bewegt wurden.

Weitere Erhellung brachte das Künstlergespräch mit Jessica Nupen nach der Aufführung. Wenn man um die Umstände der Produktion und die zeitliche Abfolge bis zur tags zuvor stattgefundenen Uraufführung weiß, begreift man die Darstellung als ein reines Wunder. Hut ab vor so viel Kreativität, Energie, Flexibilität und Nervenstärke! Vielleicht findet sich ja doch noch ein Opernhaus, das sich dieser Inszenierung annimmt. Im Gespräch erwähnte Nupen übrigens auch das Ringen mit Josh Dolgin aka Socalled um Libretto und Musik für „The Nose“, genauer: um die Überwindung der Diskrepanz zwischen einem weißen, jiddischen, kanadischen Musiker und der schwarzen, südafrikanischen Nase in Nupens Choreographie. Für mich hatte sich diese Diskrepanz nicht nur nicht aufgelöst, ich empfand sie auch als unschlüssig und störend. Was aber an meiner grundsätzlichen Wertschätzung der künstlerischen Leistung nichts ändert.

Und dann war da noch Anne-Sophie Mutter und ihr Stipendiaten-Ensemble Mutter’s Virtuosi. Mutter stand schon lange auf meiner „muss ich unbedingt live gesehen/gehört haben“-Liste. Ich hatte sogar schon eine Karte für ein Konzert zusammen mit Martha Argerich in der Laeiszhalle ergattert, aber, ach, die Pandemie. Ohne den ebenfalls pandemiebedingt gestaffelten Vorverkauf von ProArte wäre es mir aber vermutlich auch nicht gelungen, ein erschwingliches Ticket für das Konzert am 1. November im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erstehen. Zumal dieses noch im 3G-Modus stattfand, also mit weniger buchbaren Plätzen, dafür aber viel Beinfreiheit und einer deutlich verringerten Störgeräuschkulisse. Letzteres war für den Genuss der Darbietungen von Mutter und ihren Virtuosi zweifelsohne von Vorteil.

Das Vivaldi-Concerto, die „Gran Candeza“ von Unsuk Chin und der Mozart, das war alles schon ziemlich erstklassig. Aber dann, nach der Pause, kamen die „Vier Jahreszeiten“.

Eigentlich möchte ich die „Quattro Stagioni“ nun nie mehr anders hören als in der Interpretation von Anne-Sophie Mutter und mit kleinem Streichensemble (das Cembalo natürlich nicht zu vergessen – Knut Johannessen!). Uneigentlich auch nicht. Ebenso hin- wie mitreißend und keine Sekunde lang abgedroschen. Bei einem überbekannten, inflationär oft gespieltem Stück ist das nicht nur keine Kleinigkeit, sondern schlicht eine Meisterleistung. An sich erwartet man nicht weniger von einer Ausnahmegeigerin, aber eine solche Erwartung derart grandios erfüllt zu sehen, ist meiner Erfahrung nach alles andere als selbstverständlich.

Was kommt als nächstes, wie geht es weiter? Die Corona-Inzidenzen steigen und steigen und immer mehr Veranstalter stellen auf das 2G-Modell um. Im November werde ich wohl dennoch noch zwei Konzerte im 3G-Modus erleben. Das hoffe ich zumindest sehr. Weil, wegen Mirga Gražinytė-Tyla und Teodor Currentzis!