(Jahres-/Konzert-)Rückblick 2017

2017 war aus verschiedenen Gründen ein ziemlich exzessives Konzert- bzw. Kulturjahr. Diesen Takt werde ich in den kommenden zwölf Monaten voraussichtlich nicht halten können. Wobei ja schon im Januar – aber das kommt dann; eins nach dem anderen. Zunächst der Rückblick! Besonders auffällig ist in diesem Jahr der stetig steigende Jazz- und Opernanteil. Ein Schelm, der da auf mein Geburtsdatum schielt: Noch gelingt es mir, bei einschlägigen Veranstaltungen den Schnitt zu senken. Was mich selten freut, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Die bemerkenswerten Premieren:

Neue Orte:

Die Wiederholten:

Ich sah außerdem vier Operninszenierungen in der Staatsoper Hamburg:

  • „Die Frau ohne Schatten“ von Andreas Kriegenburg,
  • „La Traviata“ von Johannes Erath,
  • „Lulu“ von Christoph Marthaler und
  • „Otello“ von Calixto Bieito.

Anders als in den letzten Jahren habe ich dieses Mal keinen ersten Platz zu vergeben. Ich erinnere viele schöne, intensive und kuriose Konzertmomente: Barbara Hannigans „Lulu“, ein Kaddish für Sir Jeffrey TateElgar in London, Martin Kohlstedt ohne Strom, die Rauchschwaden in der Kantine am Berghain oder Jarvis Cockers Krawatte, um nur einige zu nennen. Aber das Konzert des Jahres 2017, nein, dafür waren es vielleicht doch zu viele und vor allem zu viele verschiedene.

Was die Wahl des Veranstaltungsortes angeht, so kann es in diesem Jahr nur eine geben: die Elbphilharmonie natürlich. Unglaubliche fünfzehnmal habe ich im vergangenen Jahr mit einem Konzertticket in der Hand die Tube betreten, sechzehn Veranstaltungen waren es insgesamt. Und nein, es wird nicht langweilig. Dafür sorgt schon die Vielfalt der dort auftretenden Künstler. Fortsetzung folgt!

In Concert: Martin Kohlstedt in der Elbphilharmonie

Das Jahr 2017, das steht seit einer Weile schon fest, wird mir als überaus anstrengende Angelegenheit in Erinnerung bleiben, die gerade zum Ende hin einiges zu Wünschen übrig ließ. Die Details erspare ich den geneigten Lesern – die Wiederholungstäter unter euch werden eh mitbekommen haben, wo der Hase zurzeit (noch) im Pfeffer liegt.

Was die Erfüllung musikalischer Wünsche angeht, habe ich allerdings wenig Grund zur Klage. Eine entscheidende Rolle spielten dabei beinahe zwangsläufig die beiden Säle der Elbphilharmonie. Man muss im Prinzip als (Wahl-)Hamburgerin nirgendwo mehr hinfahren. Früher oder später kommen sie alle.

Zu meinen heimlicheren Hoffnungen gehörte es, dass Martin Kohlstedt bei seinem heutigen Auftritt im Großen Saal möglichst viel Zeit am Flügel verbringen würde. Bei den beiden Konzerten zuvor in der Astra Stube und im Volt hatte es schon aus Platzgründen „nur“ zu einem elektronischen Setup gereicht. Was mir zwar gut gefiel, aber, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich bin nun einmal hemmungslos pianozentriert. In anderen Worten: Das Rhodes kriegt mich, Elektronischeres ebenso, gerne auch alles in Kombination, abgedreht, ausufernd und -fransend, mit allem und scharf. Aber niemals so sehr wie jede akustische Variante. Wobei es auch für diese Regel eine (einzige) Ausnahme gibt. Dazu dann mehr im neuen Jahr.

Dass in der Elbphilharmonie zumindest das Vorhandensein eines Konzertflügels zu erwarten war – geschenkt. Allein, das Album zur Tour heißt „Strom“ und klingt im Unterschied zu den Vorgängern „Tag“ und „Nacht“ auch danach. So war von vorneherein klar, dass der Flügel nicht nur in Gesellschaft auftreten, sondern streckenweise auch klangverfremdet zum Einsatz kommen würde.

Es blieb daher, auf die mir bereits bekannten X-Faktoren zu hoffen: Raum, Zeit, Publikum(-sreaktion), Tagesform. Und tatsächlich geschah, was ich zwar nicht für unmöglich, aber doch für recht unwahrscheinlich gehalten hatte: Martin Kohlstedt zog zur vorletzten Zugabe alle Strippen und widmete sich ausschließlich dem Konzertflügel. Unverstärkt.

Ich habe keine Worte dafür. Auch nicht für den Abend insgesamt. Nur diese: Lieber Martin, ich bin sehr gespannt, wie die Geschichte weitergeht. In Hamburg und überhaupt.

Wir sehen uns.

In Concert: Barbara Hannigan und Ludwig in der Elbphilharmonie

Ich war ja diese Woche auch noch bei Barbara Hannigan und Ludwig in der Elbphilharmonie und komme einfach nicht dazu, darüber zu schreiben. Dabei war das so toll. Der Debussy, die „Verklärte Nacht“, die Lulu-Suite sowieso und erst recht der Gershwin.

Wer sich von Barbara Hannigan als Dirigentin ein genaueres Bild machen will, sollte sich unbedingt die Dokumentation „Premières répétitions“ anschauen, die bis zum 12. Januar 2018 in der arte-Mediathek abrufbar war.

Berliner Luft

Berlin und ich, wir hatten unsere Startschwierigkeiten miteinander. Der Schulausflug anno 1988 vermochte mich nicht zu überzeugen. Diese komische Insel West-Berlin, sie war mir wenig sympathisch. Heute bin ich froh, noch die Mauer stehen gesehen und beide Welten in West und Ost kennengelernt zu haben. Jedes Mal, wenn ich die Stadt seither besuchte, gefiel sie mir ein Stückchen besser und mittlerweile kann ich eine gewisse Sogwirkung nicht mehr leugnen. Wie praktisch, dass man von Hamburg aus in weniger als zwei Stunden dort sein kann! Vorausgesetzt, der Bahnverkehr läuft rund. Aber dazu später noch.

Abgesehen von der bereits erworbenen Konzertkarte für den Sonntagabend hatte ich im Vorfeld leider nur wenig Muße, den Zweitagesaufenthalt zu planen. Aber wozu gibt es schließlich Social Media! Die kleine Umfrage auf Twitter und Facebook ergab genügend Material für eine Kurzwoche. Zumal ich gleich bei der ersten Station, dem BookCrossing-MeetUp im Restaurant Auster, hängenblieb. Was tatsächlich nicht überall selbstverständlich ist: Berliner BookCrosser haben Lust auf Gäste von außerhalb. Sehr gern bei Gelegenheit wieder! Der nächste Programmpunkt ergab sich direkt aus dem Treffen und ich lernte so neben dem schönen, wenn auch leider völlig überfüllten Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt die ortsansässige Schmiede und das böhmische Dorf kennen.

Meine Unterkunft hatte ich fußläufig zur Kantine am Berghain ausgewählt, dem Veranstaltungsort des Albumrelease-Doppelkonzerts von Martyn Heyne und Andrea Belfi. Der Weg führte durch eine schmale Gasse und am Berghain vorbei und ich staunte nicht nur über die Bandbreite des Drogenarsenals, welches mir auf der kurzen Strecke angeboten wurde, sondern vor allem über den höflich-zurückhaltenden Umgangston dabei. Dit is Berlin, wa!

Martyn Heyne ist mir zum ersten Mal als Support von A Winged Victory for the Sullen Anfang 2015 in der Volksbühne aufgefallen. Im Mai 2016 sah ich ihn zusammen mit Nonkeen in der Laeiszhalle, was wiederum meine erste Begegnung mit Andrea Belfi war. Auf Nonkeen wäre ich ohne Nils Frahm nicht gekommen und da schließt sich der Kreis auch schon beinahe wieder. Wobei das Wort „Kreis“ es nicht ganz trifft. Der Begriff „Musik(er)stafette“ passt vielleicht besser.

Wie dem auch sei, eigentlich bin ich sonst nicht so der Gitarrenmensch. Aber Martyn Heyne schafft vielleicht eines Tages, dass ich einer werde.

Nicht erst bei „Curium“ bin ich streckenweise in Welten vorgedrungen, in die mich bisher nur gewisse Tastenmenschen befördern konnten. My kind of drug.

Nach kurzer Pause nahm uns Andrea Belfi mit auf eine perkussive Reise. Ich bin immer etwas skeptisch, wenn Musiker das Wort „Journey“ in den Mund nehmen, aber zu seinem Auftritt passte es perfekt.

Draußen erwartete mich Schneegestöber, das mein aus Musik, Örtlichkeit, Teilen des Publikums und Gesamtsituation geformtes Unwirklichkeitsgefühl noch verstärkte. Mag sein, dass dabei auch die Rauchschwaden im Vorraum der Kantine eine Rolle gespielt haben. Ich bin diesbezüglich herrlich unbewandert, aber da war ziemlich sicher der ein oder andere, hm, Tabakzusatz im Spiel. Dass die mehrere Zentimeter dicke Schneedecke der Nacht bis zum Morgen fast vollständig wieder verschwunden war, passte ins Bild.

Mein nächstes Ziel nach dem Frühstück war der Martin-Gropius-Bau, eines der immerhin recht zahlreichen Museen in Berlin, die auch an Montagen geöffnet haben. Die dort gezeigte Ausstellung „Old Food“ von Ed Atkins entpuppte sich dabei als überraschend musiklastig.

Nicht nur, dass „Extended Circular Music No. 2“ von Jürg Frey in der Installation eine zentrale Rolle spielt. Den CGI-Projektionen sind Kostüme aus dem Fundus der Berliner Oper gegenübergestellt, als Objets trouvés. Ich teile Atkins‘ morbide, auf einem der Wandtexte dezidiert ausformulierte Interpretation des Musikstücks nicht, was meine Faszination für das Gesamtkunstwerk aber nicht zu schmälern vermochte. Achtung, Spoiler: Altes Essen kommt dafür gar nicht vor, höchstens indirekt und im übertragenen Sinne.

Es blieb im Anschluss noch Zeit, einen kleinen Rundgang durch die parallel laufende Ausstellung über Wenzel Hablik zu machen. Da muss man nach Berlin fahren, um Näheres über einen in Itzehoe ansässig gewesenen und somit als norddeutscher Künstler geltenden Menschen zu erfahren! Mich beeindruckte neben einzelnen Objekten besonders die gezeigte gestalterische Vielfalt: Zu sehen waren unter anderem Gemälde, Radierungen, Architekturzeichnungen, Textil-, Möbel- und Innenraumdesign, Notgeldscheine sowie Skulpturen.

Die Sache mit dem ICE-Sprinter zwischen München und Berlin hat die Bahn bekanntermaßen noch nicht im Griff. Ein Umstand, den man vorerst auch bei Bahnreisen zwischen Hamburg und Berlin berücksichtigen sollte. Der ICE 800 hatte bereits rund drei Stunden vor der geplanten Abfahrt beachtliche 121 Minuten angesammelt, weswegen ich kurzfristig auf den aus Prag kommenden tschechischen EuroCity umbuchte. Das kann ich trotz der etwas längeren Fahrzeit jedem empfehlen – was für ein zauberhafter Zug! Allein der Speisewagen! Und WLAN gab es auch! In meinem Abteil saßen mehrheitlich ICE-Flüchtlinge, eine bunte Mischung aus rüstigen Rentner(inne)n, Berufs- und Freizeitfahrern, und ich kann mich nicht erinnern, je eine so unterhaltsame, fröhliche und somit kurzweilige Bahnfahrt hinter mich gebracht zu haben.

Berlin, das war schön! Ich komm demnächst öfter.

In Concert: Hundreds in der Elbphilharmonie

Ich hänge zurzeit ein wenig hinter den Ereignissen, was daran liegt, dass meine Schreib- bzw. Formulierkapazitäten im Moment durch ganz andere literarische Gattungen gebunden sind. Dinge wie Motivationsschreiben und Gehaltsargumentationen zum Beispiel. Viele von euch werden es wissen: So eine Jobsuche ist in mehrfacher Hinsicht eine (hochleistungs-)sportliche Angelegenheit. Selbst wenn man von sich behaupten kann, weder schriftlich noch verbal auf den Mund gefallen zu sein.

Nichtsdestotrotz sollen hier noch ein paar Zeilen zum Hundreds-Konzert am vergangenen Donnerstag erscheinen. Meine beiden ersten Hundreds-Konzerte habe ich im Gruenspan erlitten. Dass das Leid vielmehr auf den Austragungsort als auf die musikalische Darbietung selbst zurückzuführen war, dokumentiert dieser kleine Rant. Insofern erfüllte sich für mich durch den diesjährigen Auftritt der Geschwister im kleinen Saal der Elbphilharmonie ein langgehegter Traum: (Quasi-)akustische, betörende Songversionen in einem bestuhlten Konzertsaal mit fester Platzwahl, hingerissene, dabei mehrheitlich disziplinierte Zuhörer, ein großartiger Sound, dezente, die Raumstruktur perfekt ausnutzende Lichteffekte und wenn man der Toilettenplanung der Elbphilharmonie auch einiges vorwerfen kann, aber Klopapier habe ich dort bislang immer in ausreichender Menge vorgefunden.

Etwas undifferenzierter formuliert: Es war unfassbar schön. Danke, Hundreds.

In Concert: Bugge Wesseltoft in der Kulturkirche Altona

Bugge Wesseltoft war einer der ersten, die mich auf die Idee brachten, dass weniger deutlich mehr sein kann beim Klavierspiel. Seine ebenso leise wie sparsame, aber effektvolle Variation über „In Dulce Jubilo“ und „Det kimer nå til julefest“ auf der CD „Christmas with my friends“ führte mich zu „It’s snowing on my piano“; beide begleiten nun seit beinahe zehn Jahren meine Vorweihnachtszeit.

Genau zwanzig Jahre nach „It’s snowing on my piano“ hat Bugge Wesseltoft nun ein zweites Soloalbum aufgenommen: „Everybody loves angels“ führt die Idee fort, gewissermaßen als Ganzjahresversion. Gestern Abend waren Stücke aus beiden Alben in der Kulturkirche Altona zu hören und man hätte sich in Hamburg kaum einen geeigneteren Ort dafür ausdenken können.

Noch besser als der Michel vor drei Jahren und erst recht das Mehr! Theater am Großmarkt im letzten Jahr hätte die Kulturkirche Altona wohl auch zu Nils Landgren und seinen Freunden gepasst, aber das Projekt ist dafür leider inzwischen einige Nummern zu groß. Was mich wieder auf den Grundsatz „Weniger ist mehr“ zurückbringt.

Vermutlich ließe es sich statistisch belegen: je dunkler die Tage und länger die Nächte, desto größer die Soloklavieralbum-Hörwahrscheinlichkeit. Neben Bugge Wesseltofts Schneeflocken ist im Laufe der Jahre unter anderem Musik von Chilly Gonzales, Nils Frahm und Martin Kohlstedt hinzugekommen. Vor kurzem wurde ein Chilly Gonzales-Konzert in der Laeiszhalle angekündigt, Termin: 11. 12. 2018. Glücklicherweise werde ich auf die anderen beiden Herren nicht so lange warten müssen.