The Show must go online (12)

Während allerorten die ersten mehr oder weniger gelungenen Versuche starten, den Kulturbetrieb mit Publikumsbeteiligung wieder aufzunehmen, wird schon aufgrund der drastisch geringeren Platzkapazitäten das Online-Angebot dennoch nicht kleiner. Abgesehen davon zahlt es sich sehr wahrscheinlich aus, diesbezüglich am Ball zu bleiben. Denn die Infektionszahlen steigen wieder und wie sich die Lage im Herbst entwickeln wird, ist schwer vorherzusagen.

Aber noch ist Sommer und ein Spektakel, das im Hamburg untrennbar zu dieser Jahreszeit gehört, sind die Wasserlichtkonzerte in Planten un Blomen. Auch sie werden in diesem Jahr ins Netz verlegt.

Ich war ja auch schon im Haus der Orgelspieler (und fand es ziemlich spannend).

Gestern haben die Bayreuther Festspiele begonnen. In einer drastisch abgespeckten Version, aber immerhin. Geplant ist die Inszenierung der Werke Wagners als Gesamtkunstwerk mit coronakompatiblen Live-Darbietungen, Archivaufnahmen und Sondersendungen – online, bei BR-KLASSIK und bei 3sat. Zusammen mit dem Partner Deutsche Grammophon wurden zudem die virtuellen Festspiele ins Leben gerufen. Parallel zum ursprünglich geplanten Spielplan werden Archivaufnahmen gezeigt, die Ticketinhaber jeweils für 48 Stunden abrufen können. Kostenpunkt je Ticket: 4,90 Euro.

Nicht in erster Linie, aber auch online ist das vom Land Schleswig-Holstein ins Leben gerufene Kulturfestival Schleswig-Holstein präsent. Vom 13. bis 25. Juli 2020 war ein Kulturtruck unterwegs, ab 27. Juli 2020 startet das reguläre Programm. Bis Ende Oktober 2020 sind über 90 Veranstaltungen geplant. Bewerben können sich neben Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Musik, Theater, Tanz, bildende Kunst, Film, Literatur und Kleinkunst auch Veranstaltungslocations. Die Palette der bereits veröffentlichten Termine reicht vom Jazzabend in Dithmarschen über die Krimilesung in Kiel und den Poetry Slam in Wohlde bis hin zur Schlagernacht in Leck.

Währenddessen hat das Old Vic in London die zweite „In Camera“-Inszenierung angekündigt. Trotz der technisch bedingten Abzüge in der B-Note, die ich bei der Premiere vornehmen musste, konnte ich auch dieses Mal nicht widerstehen und habe eine Karte erstanden. Das Stück heißt „Three Kings“ und wurde eigens für die „In Camera“-Reihe geschrieben. In der einzigen und Hauptrolle: Andrew Scott. Ich habe mich für die Donnerstagsvorstellung entschieden, denn durch die nach 16 gezeigten Stücken (von denen ich 15 gesehen habe, und zwar jeweils am Premierentag) inzwischen leider beendete „National Theatre at home“-Reihe hat sich der Donnerstag bei mir mittlerweile als Theatertag verfestigt. Das Savoy hat zwar bei der Aufnahme des Spielbetriebs auch wieder „English Theatre on screen“-Vorstellungen ins Programm genommen. Aber bisher gab davon es nur eine und das Stück kannte ich schon.

It takes two to tango

Es hilft nichts, ich muss doch darüber schreiben.

Zuerst lese ich es im Newsletter des Schleswig-Holstein Musik Festivals: Wir machen wieder Livekonzerte! Freude, schöner Götterfunken usw. usf.! Äh, Moment: „Für jedes dieser Konzerte stehen 125 ‚Duo-Karten‘ zur Verfügung, die jeweils zum Einlass von zwei Personen eines Haushalts berechtigen“. Ich zähle die Personen meines Haushalts und komme exakt bis eins. Und nun?

Als nächstes folgt die Elbphilharmonie mit „Sommer, Sonne, Konzertkino“. Buchbar sind die Ticketvarianten Wiesenfläche für 4 Besucher bzw. Strandkörbe oder Wiesenfläche für 2 Besucher – schönen Dank auch. Damit nicht genug: In-House-Konzerte können vorerst nur mit stark verringerter Besucherzahl angeboten werden. So weit, so verständlich. Der Corona-Saalplan des Großen Saals sieht bei 628 bestückbaren Plätzen allerdings gerade einmal 13 Einzelsitze vor, bei denen es sich weder um Rollstuhlbegleit- noch um unverkäufliche Dienst- und Direktionsplätze handelt. Im Kleinen Saal werden gar keine Einzelplätze angeboten. Euer Ernst?

Bei allem Verständnis dafür, dass man trotz der geltenden Beschränkungen möglichst viele Plätze besetzen will: Kulturfans treten nicht nur paarweise auf. Laut Statistikamt Nord werden 54,5% der Haushalte in Hamburg von nur einer Person bewohnt. Der Begriff „Minderheit“ ist in diesem Zusammenhang relativ.

Als Einpersonenhaushalt darf ich mir nun also aussuchen, ob ich doppelt löhnen oder auf das Abstandsgebot pfeifen soll. Beides für mich keine Option. Ich zahle aus Prinzip keine Einzelzimmerzuschläge, sondern trage mein Geld zu Unternehmen, die Alleinreisende nicht als Abweichung von der Norm verstehen. Da fange ich mit so etwas erst recht nicht bei Kulturveranstaltungen an – Corona hin, Hygiene her.

Was bleibt mir übrig? Da zu buchen, wo Einzelkämpfer erwünscht sind und nicht draufzahlen. Bei den Konzerten auf dem Lattenplatz des Knust zum Beispiel. Oder beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.

Ansonsten bin ich im Lichte der neuen Erkenntnis sehr gespannt, was mit meinem (bereits bezahlten) Elbphilharmonie-Abo passiert. Hatte ich übrigens erwähnt, dass ich immer noch auf Ticketrückerstattungen warte?

Theater, Theater: „Lungs“ im Old Vic

Ich bin in London! Im Theater! Also, quasi.

Immerhin, Claire Foy und Matt Smith stehen zu einem festgelegten Zeitpunkt gemeinsam und live auf der Bühne des Old Vic und mir ist es wundersamerweise gelungen, ein Ticket für die Premiere zu ergattern. „Lungs“ gefällt mir sehr gut und ich hätte wohl keine Gelegenheit bekommen, dieses Stück zu sehen, wäre es eine reguläre Vorstellung gewesen. Wohl nur in der „In Camera“-Version hat die „Socially distanced“-Inszenierung so gut funktionieren können: Auf Foy und Smith konzentriert sich je eine Kamera und alle Szenen, in denen sich die beiden eigentlich nahe bis sehr nahe hätten kommen müssen, werden als Splitscreen-Komposition zusammengeschnitten. Dazu ein erhöhtes Tempo und fertig ist die nahezu perfekte Illusion.

Für einen substantiellen Abzug in der B-Note sorgt jedoch das Werkzeug, nämlich die Übertragung per Zoom. Die Bildqualität kann man höchstens als mäßig bezeichnen, Bild und Ton sind zeitweise nicht synchron und diversen Facebook-Kommentaren zufolge haben nicht wenige Ticketinhaber mit erheblichen technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Alle Kameras und Mikros der Zuschauer sind verständlicherweise deaktiviert, bleiben es aber auch nach Ende des Stücks. Simuliert man im Vorlauf noch mit Gemurmel, Geklingel und Ansagen Theateratmosphäre, wird das Publikum unmittelbar nach dem Abspann kurzerhand aus dem Meeting geworfen. Die Euphorie verpufft. Der Applaus kann nirgendwohin. Die Illusion ist zerstört.

Es ist Freitag Abend und ich sitze nicht im Londoner Old Vic, sondern auf meinem Sofa in Barmbek. Ich werde nicht das Theater verlassen, zum Themseufer und über die Golden Jubilee Bridge zur Haltestelle Embankment schlendern, mit der Tube zu meinem Quartier fahren und am nächsten Tag die Entdeckung meiner Lieblingsstadt in einem anderen Viertel fortsetzen. Ich kann nicht einmal sicher sein, ob das Old Vic oder irgend eines der anderen Theater noch existiert, wenn ich das nächste Mal in London bin. Wann immer das sein wird.

Keine schöne Vorstellung.