Frühjahrsmüder Zwischenbericht

Hier ist schon wieder Rückstau und noch immer Sand im Getriebe. Ich diagnostiziere eine hartnäckig andauernde Störung im Betriebsablauf. Gegenmaßnahmen wurden ergriffen, zünden aber bisher nicht so recht. Und Geduld, vor allem die mit mir selbst, ist dummerweise nicht meine Stärke.

Derweil sind drei Konzertereignisse aus März und April nachzutragen.

März

Das vorletzte „Blind Date“ der Saison war wieder nur ein halbes: Das von mir hoch geschätzte vision string quartet hatte sich mit dem US-amerikanischen Komponisten (auch von Kammer- und Orchestermusik) und Singer-Songwriter Gabriel Kahane zusammengetan.

Gemeinsam gespielte Stücke wechselten sich mit Einzeldarbietungen ab, wobei das vision string quartet drei der vier Sätze des Streichquartetts F-Dur op. 35 von Maurice Ravel im Gesamtprogramm verteilte und außerdem den eigenen Titel „Copenhagen“ beisteuerte.

Ich bin gespannt, ob aus dieser dem Vernehmen nach recht spontan anberaumten Kollaboration Weiteres erwächst! Schön wäre es.

April

Weitgehend unüberzeugt vom letzten Auftritt von Teodor Currentzis und Utopia im Großen Saal der Elbphilharmonie zeigte sich Joachim Mischke im Hamburger Abendblatt und vermisste Dezenz, Empathie und Fingerspitzengefühl bei Currentzis‘ Interpretationen. Da gehe ich dieses Mal tatsächlich mit. „Überfrachtung“ ist das passenste Wort, welches mir zur Umschreibung des Gehörten eingefallen ist. Grundsätzlich nicht schlecht fand ich dagegen das räumliche Einbeziehen der beiden Solisten Alexandre Kantorow (beim Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83) von Johannes Brahms und Regula Mühlemann (bei der Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopran von Gustav Mahler). Beide saßen beziehungsweise standen nämlich nicht vor dem, sondern im Orchester. Ob das den Werken oder den Solisten zu- oder abträglich war, sei zwar dahingestellt. Ich habe die Vorgehensweise aber anders als Mischke nicht als Instrument der Machtausübung des Dirigenten wahrgenommen („… vielleicht aber auch eine autoritäre Geste, die zeigen sollte, wer das Sagen hat.“, „Auch sie wurde allerdings direkt vor Currentis‘ Zentralgestirn-Position beordert.“). Von solcherlei Faktoren gänzlich unbeeinflusst hörten wir als Solisten-Zugaben nochmals Brahms (Intermezzo Es-Dur op. 117/1) sowie Morgen! op. 27/4 von Richard Strauss. Und ich habe trotzdem beim Vorverkaufsstart für die neue Saison gestern wieder eine Karte erstanden für Currentzis und Utopia: Im November gibt es den „Ring ohne Worte“. Kann gut gehen, muss aber nicht – dabei sein möchte ich jedenfalls.

Den anschließenden Abend mit Ibrahim Maalouf hatte ich mir beschaulicher vorgestellt. Der wollte aber zusammen mit den „Trumpets of Michel-Ange“ und dem Elphi-Publikum eine Hochzeit feiern, entsprechende Animation als Bandleader und ausuferndes Storytelling inklusive.

Das biss sich zwar derbe mit meiner Tagesform, aber gewirkt hat es durchaus. Was für eine Stimmung – was für eine Rampensau! Und wie geschickt er die Werbung für sein Instrument, die T.O.M.A., in das Programm eingebaut hat! Schön fand ich auch die Wertschätzung gegenüber den Mitmusikern. Nicht nur der auch musikalisch oftmals herausgestellte Saxophonist war ja auch wirklich sensationell. Ich vermisste bei all dem Trubel allerdings den Trompeter Ibrahim Maalouf. Aber auch dafür bietet das Programm der neuen Elbphilharmonie-Saison eine zweite Chance: Bei „Kalthoum“ Ende Dezember werden es nur Maalouf und (ein? das?) Jazz Quartet sein.

Apropos Vorverkaufsstart: Ich habe wenig warten müssen und alles bekommen, was ich haben wollte. Entweder haben weniger Menschen Karten gekauft oder die Elbphilharmonie hat den Vorverkaufs-Ansturm tatsächlich in den Griff gekriegt.

In Concert: pure desmond in der Elbphilharmonie

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich dazu kam, dieses Ticket zu kaufen. Ein Newsletter ist mir vage im Gedächtnis, nicht einer der dafür üblichen Verdächtigen, war es eventuell der des mare-Verlags? Könnte so gewesen sein, denn der Auftritt von pure desmond im Kleinen Saal der Elbphilharmonie wurde präsentiert vom mare-Künstlerhaus.

pure desmond, das sind Lorenz Hargassner am Saxophon, Johann Weiß an der Gitarre, Christian Flohr am Bass und Sebastian Deufel am Schlagzeug. Nicht nur der Bandname ist Programm, auch die spezifische Songauswahl des Abends feierte unter dem Titel „Like a Dry Martini“ den 100. Geburtstag des Verfassers des Jazzwelthits „Take Five“, Paul Desmond.

Dabei blieb es nicht bei den insgesamt 15 präsentierten Songs (ohne Zugaben). In den Zwischenräumen erzählte Lorenz Hargassner Geschichten aus dem und über das Leben des 1924 als Paul Emil Breitenfeld geborenen Alt-Saxophonisten des Dave Brubeck Quartet.

Das war alles sehr unterhaltsam, aber auch ziemlich glatt. Mir fehlte ein bisschen die Reibung. Möglicherweise bin ich für einen ganzen Abend „Cool Jazz“ nicht gemacht. Vielleicht hat auch die Örtlichkeit eine Rolle gespielt. Der Kleine Elphi-Saal ist zwar intimer als der Große, aber Jazzclubatmosphäre kommt dort nicht auf.

pure desmond haben übrigens auch ein Album mit Coverversionen diverser Bond-Songs herausgebracht.

Daraus hätte ich sehr gerne mehr gehört als „nur“ die Zugabe („No Time to Die“)! Vielleicht ergibt sich ja noch die Gelegenheit. Vorzugsweise an einem anderen Ort.

Auftakt mit Hemmnissen

Ich hatte ja gehofft, nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums mit Schwung ins neue Jahr starten zu können. Das hat leider nicht gut geklappt. Dazu tragen Faktoren bei, über die ich mich hier nicht auslassen kann und möchte. Aber es trägt auch die allgemeine Weltlage dazu bei. Nicht wenig sogar. Die unsäglichen Auswüchse des Wahlkampfs. Das Ignorieren, ja, das Diskreditieren hunderttausender Demonstrierender, die der immer offensichtlichere Rechtsruck erneut auf die Straße treibt (waren halt keine Bauernproteste, fehlten halt die Traktoren!). Parallel der Coup in den USA, der hierzulande noch immer nicht hinreichend als solcher erkannt und bezeichnet wird. Vor allem aber, dass vor all dem der unaufhaltsame weil unaufgehaltene Fortschritt der Klimakrise in der öffentlichen Wahrnehmung zu verblassen scheint. Das Thema mit dem denkbar größten Handlungsdruck? Wird zweit- bis drittrangig behandelt. Von Spitzenpolitikerinnen und -politikern ebenso wie von den Medien. Nicht wenige kündigen gar an, hinsichtlich der Klimaschutzmaßnahmen den Rückwärtsgang einlegen zu wollen. Insbesondere bei der Verkehrswende. Die wenigen Ausnahmen scheinen diese Regeln nur zu bestätigen.

Und da soll ich hier unbefangen über Jordi Savall, Julius Asal und das neueste „Blind Date“ in der Elbphilharmonie parlieren? Es fällt zunehmend schwer.

Jedenfalls war das aber der Auftakt meines Kulturjahres. Zuerst präsentierten Jordi Savall, das Orchester Le Concert des Nations, der Chor La Capella Nacional de Catalunya und die Solistinnen und Solisten Giulia Bolcato (Sopran), Elionor Martínez (Sopran), Lara Morger (Mezzosopran), David Fischer (Tenor) und Matthias Winckhler (Bass) Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendete Große Messe c-Moll KV 427. Vollendet wurde diese vom italienischen Komponisten Luca Guglielmi, der während des Konzerts auch an der Orgel saß. In der Einführung vor dem Konzert erklärten Savall und Guglielmi detailliert, wie und mit welchen Mitteln und Auszügen aus anderen Mozart-Werken die Lücken in der Messe gefüllt wurden. Das Ergebnis hat mich durchaus überzeugt. Nur an einer Stelle dachte ich: Ja, das ist Mozart oder zumindest mozartlike, aber irgendwie passt dieses Stück von der Stimmung her nicht zum Rest. Leider habe ich mir nicht gemerkt, welcher Teil das war. Es war aber auch nicht so wichtig. Mich hat schon seinerzeit bei Beethovens siebter Sinfonie vor allem fasziniert, wie anders die Interpretationen durch Le Concert des Nations klingen. So viel wärmer und intimer als die von Klangkörpern, in denen moderne anstatt Barockinstrumente verwendet werden. Auch bei Mozart funktioniert das sehr, sehr gut. Das absolute Highlight des Abends war aber La Capella Nacional de Catalunya. Ich glaube sofort, dass sämtliche Sängerinnen und Sänger auch die jeweils zur Stimmlage passenden Solorollen hätten singen können (auch das eine Information aus der Einführung). Und wie jung die alle waren! Was für eine großartige Energie auf der Bühne! Die Investition in die nicht eben günstige Karte in 13 F hat sich sehr gelohnt. Sehr gerne wieder.

Nicht ganz so überzeugt hat mich Julius Asal im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ein paar Tage später. Da war ich aber auch nicht so aufnahmefähig; es mag also überwiegend an mir gelegen haben.

Ich bekam immerhin mit, dass der junge Mann gut ist. Vor allem beim Brahms, genauer: der Sonate für Klavier Nr. 3 f-Moll op. 5 in der zweiten Konzerthälfte. Außerdem ist Asal sehr großzügig mit Zugaben. Sowas mag ich.

Beim ersten „Blind Date“ des Jahres war die Bühne bereits vor Konzertbeginn gut gefüllt, unter anderem mit weißen Leinwänden. Leichte Skepsis machte sich im Publikum breit. Was passiert da heute? Malen nach Noten? Performance statt Konzert? Als dann fünf Musikerinnen und Musiker die Bühne betraten und einer von ihnen kunstvoll eine Handpan zu spielen begann, dachte ich: Wow, der ist gut, beinahe so gut wie Manu Delago! Schnell stellte sich heraus: Es war Manu Delago höchstselbst. Ich hatte bloß vergessen, wie der Mann aussieht. Peinlich! Delago war indes nicht allein auf der Bühne, sondern hatte sich mit Mad About Lemon zusammengetan, einem tiroler Gesangstrio bestehend aus Anna Widauer, Mimi Schmid und Valerie Costa. Komplettiert wurde das Ensemble durch Clemens Rofner am Bass.

Hauptsächlich die drei Damen waren es, die die drei Leinwände auf der Bühne im Laufe des Auftritts mit Farbe und Leben füllten. Bald klärte sich auch auf, was es damit auf sich hatte: Individuelle Souvenirs für das Publikum sollten so entstehen, die am Ende der Vorstellung im Foyer ersteigert werden könnten. Außerdem habe man noch einen Vorrat von älteren Werken, die zu einem Festpreis angeboten würden. Eine schöne Idee, die vom Publikum auch rege aufgenommen wurde.

Das sei noch erwähnt: Durch die Songs auf „Snow From Yesterday“, dem gemeinsamen Album von Manu Delago und Mad About Lemon, zieht sich das Motiv Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen wie ein roter Faden. Sie handeln auch von der Klimakrise, womit sich der Kreis dieses Eintrags schließt.

(Jahres-/Konzert-)Rückblick 2024

Handlungsabschließendes „So“! Der Jahresrückblick steht an. Studiumsbedingt liegt ein weiteres Jahr mit angezogener Handbremse, aber nicht ohne Highlights hinter mir.

Die bemerkenswerten Premieren:

Neue Orte:

Die Wiederholten:

Verpasst habe ich leider Hatis Noit und The Notwist (Schon wieder! Zefix!).

Favoriten? Tja. Bei den Orten zeigt die neu entdeckte Klangmanufaktur großes Potenzial. Bei den Konzerten, ach, schwierig wieder mal. Die besten Erinnerungen habe ich an Asif Avidan und Belle & Sebastian auf dem Elbjazz, die Berliner Symphoniker, die beiden Auftritte von Teodor Currentzis und Utopia, das Duo Ruut, das Chineke! Orchestra und das Kaiser Quartett featuring Anna Depenbusch Anfang Dezember im Nachtasyl.

In der Domgasse
In der Domgasse
Glücksbringer for sale
Glücksbringer for sale
Im Sacher
Im Sacher

Aber die Stadt Wien bekommt als Gesamtkunstwerk einen Sonderpreis!

In Concert: „übelst unverstärkt“ mit Pekka Kuusisto und Mitgliedern des NDR EO

Mein letztes Konzerterlebnis des Jahres 2024 war Zugleich die Entdeckung einer mir bislang verborgen gebliebenen Serie: Unter dem Titel „übelst unverstärkt“ treten bereits seit 2022 in unregelmäßigen Abständen Künstlerinnen und Künstler auf, die um den jeweiligen Zeitpunkt auch mit Mitgliedern des NDR EO auf der Bühne (in der Regel der Elbphilharmonie) stehen. Die als „Konzert und Künstlergespräch“ beworbenen Veranstaltungen finden im Uebel & Gefährlich statt, dem Musikclub im Bunker Feldstraße, dauern rund eine Stunde und kosten erschwingliche 15 Euro Eintritt. Man darf vermuten, dass es sich um eines jener niedrigschwelligen Angebote handelt, mit denen junges, frisches Publikum an klassische und insbesondere Kammermusik herangeführt werden soll. Für vergangene Veranstaltungen kann ich zwar nicht sprechen, aber beim Auftritt des finnischen Violinisten Pekka Kuusisto ging diese Rechnung wohl nur zum Teil auf. Der Altersschnitt der Anwesenden war jedenfalls signifikant höher als vor Ort üblich. Die Moderation übernahm Katharina Kühl, Cellistin und Mitglied des NDR EO. Gegeben wurden zwei Stücke: „Fiddler Round“, eine Solo-Improvisation von und mit Pekka Kuusisto auf der elektrischen Geige (was, wie die Moderatorin treffend anmerkte, nicht ganz zum Titel der Reihe passte) und John Adams‘ „Shaker Loops“, eine Komposition aus dem Jahr 1978 für drei Violinen, eine Viola, zwei Celli und einem Kontrabass. Letzterer gespielt von Aaron Olguin, der dem Publikum als neues Mitglied des NDR EO vorgestellt wurde.

übelst unverstärkt
übelst unverstärkt

Mir hat das Format gut gefallen. Man lernt durch den Gesprächsteil nämlich nicht nur etwas über die aufgeführten Stücke, sondern auch über den Gast. Was hilfreich wäre: Wenn schon die Programmankündigungen auch ein paar Zeilen zur jeweiligen Person enthielten. Ansonsten verhält es sich von der Stimmung her leider nicht ganz so, wie der Beschreibungstext auf der Elphi-Webseite vermuten lässt („eine lange Bar, schummriges Licht, Sitzsäcke und ein entspanntes Publikum“): Wer sehr früh kommt, hat vielleicht eine Chance auf einen Sitzsack und wer mittelfrüh kommt, findet eventuell noch einen Sitzplatz mit einigermaßen gutem Blick. Nachteil der Location. Unbestrittener Vorteil ist hingegen der Bruch mit der Konzerthausatmosphäre. Am Beispiel: Ich erkannte im Publikum zwei Gesichter, von denen das eine, Esa-Pekka Salonen, gefühlt nicht in den Raum und das zweite, Heinz Strunk, nicht zum Programm passte. Sowas mag ich!

In Concert: Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in der Hauptkirche St. Michaelis

Irgendwann Anfang September machte mich Menschen aus dem Internet darauf aufmerksam, dass der Vorverkauf für die alljährliche Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach im Hamburger Michel gestartet sei. Das Stück gehörte zu jenen Werken klassischer Musik, die ich bis dahin nur bruchstückhaft kannte. So wie es mir auch mit diversen Operetten und (insbesondere Mozart-)Opern geht: Komplett gehört/gesehen habe ich die nie, aber jeder einzelne Hit daraus ist mir vertraut. Es verhält sich damit ein bisschen wie mit einer Fremdsprache, die man nicht oder nicht „richtig“ gelernt hat, von der man aber in Kommunikationsnotlagen oder beim Bestellen in Webshops ohne deutsche oder englische Sprachfassung überraschend weitreichende passive Kenntnisse abrufen kann (bei mir: Französisch).

Weihnachtsbaum vor der Hauptkirche St. Michaelis
Weihnachtsbaum vor der Hauptkirche St. Michaelis

Wie dem auch sei: Höchste Zeit, diese Bildungslücke zu schließen! Als Anfängerin buchte ich erst einmal nur die Kantaten I bis III. Das Weihnachtsoratorium, so lernte ich, wird nämlich üblicherweise in Teilen aufgeführt. Im Michel hatte man die Wahl zwischen drei Aufführungen der Kantaten I bis III (Teil I) und zwei Aufführungen der Kantaten IV bis VI (Teil II). Zweimal wurde das gesamte Werk gegeben. Zwischen den Teilen, die ca. 80 bis 90 Minuten dauerten, gab es eine Pause, in der Michelkantor Jörg Endebrock, der Chor St. Michaelis, das Orchester St. Michaelis – bestehend aus Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters und des NDR EO – sowie die Solistinnen und Solisten – Magdalene Harer (Sopran), Olivia Vermeulen (Alt), Mirko Ludwig (Tenor) und Konstantin Ingenpass (Bass) – durchschnaufen konnten und dem Publikum „Erfrischungen im Gemeindehaus“ gereicht wurden.

Was mir außer den oben erwähnten Bruchstücken bereits bekannt war: Das Weihnachtsoratorium im Michel gehört für viele Ortsansässige zu dieser Art gesetzter Rituale, ohne die es nicht wirklich Weihnachten werden kann. Augenscheinlich fällt es aber auch für Teile der Zuhörerschaft in die Kategorie „sehen und gesehen werden“. Direkt vor mir auf der Südempore fand sich eine geradezu mustergültige Beispielfamilie zur Bestätigung dieser These, komplett mit einem von einer der Damen als Haarschleife genutzten Christian Dior-Tüchlein. Nun ja. Einen gewissen Unterhaltungswert hat es wenigstens.

Blick von der Süd- auf die Nordempore
Blick von der Süd- auf die Nordempore

Was ich vergessen hatte: Wie unbequem die Bänke auf der als Beobachtungs- und Hörplatz ansonsten perfekten Empore sind. Da ist diese eine Kante oben an der Lehne, die kleinere Menschen vermutlich störungsfrei genau im Nacken haben, bei mir Sitzriesin aber zu einer unfreiwillig geraden und vor allem unangelehnten Sitzhaltung führt. Dankenswerterweise war das Gebäude soweit temperiert, dass ich meine Jacke ausziehen und als Polster nutzen konnte.

Zur Aufführung selbst: Das war echt schön und das vierte Adventswochenende ist auch wirklich der perfekte Aufführungszeitpunkt! Ich bin nicht sicher, ob ich eine jährliche Einrichtung daraus mache, aber vorstellbar ist es durchaus. Da kann ich in Hamburg aus dem Vollen schöpfen: Herr Buddenbohm merkte unlängst an, dass es in keiner Stadt mehr Aufführungen des Werks gäbe als in Hamburg – er hatte es irgendwo gelesen und es wird wohl auch stimmen. Der Michel hat gegenüber allen Konkurrenzorten allerdings den unschlagbaren Vorteil, einen echten Bach im Keller zu haben, liegt doch in der Krypta Carl Philipp Emmanuel alias CPE Bach begraben, einer der Söhne Johann Sebastians.

Apropos Bach-Familie, anderthalb Sätze noch zum ARD-Fernsehfilm „BACH – ein Weihnachtswunder“ (2024), den ich mir am Tag vor dem Konzert als Einstimmung angeschaut hatte und der die (fiktive) Entstehungsgeschichte des Weihnachtsoratoriums zum Gegenstand hat: Das ist im Prinzip eine sehr schöne Idee gewesen, aber leider haben mir weder Devid Striesow als Johann Sebastian noch Verena Altenberger als Anna Magdalena Bach sonderlich gut gefallen. Zuviel Drama, zu wenig Musik!

Jahresendspurt

Wie, schon der 21. Dezember?! Da werde ich doch noch ein weiteres Mal in den Schnelldurchlauf-Modus umschalten müssen. Bevor der Jahreswechsel mich kalt erwischt.

Ende Oktober war ich bei Kruder & Dorfmeister im Großen Saal der Elbphilharmonie. In den 90ern, als die beiden Wiener ihre große Zeit hatten, hat mich zwar ganz andere Musik interessiert. Es war aber nicht mein erstes K&D-Livekonzert. Ich wusste also in etwa, was mich auf und vor der Bühne erwarten würde. „‚The K&D Sessions‘ live“ war trotzdem anders: Das gesamte Album aus dem Jahr 1998 wurde nämlich tatsächlich live gespielt, mit einer richtigen Band. Das war auch richtig klasse, einigen im Publikum jedoch nicht laut genug. Zum Zuhören waren die nicht gekommen. Überrascht hat mich das nicht.

Die Ohren spitzen musste man unbedingt bei Jay Schwartzs „Passacaglia – Music for Orchestra IX“, dem ersten Stück des Konzerts von Teodor Currentzis und Utopia am gleichen Ort ein paar Tage später. Dem Programmheft entnahm ich, dass das Werk auf dem Lied „Du bist die Ruh“ von Franz Schubert basiert. Ein in dem Text verarbeitetes Zitat bezeichnet Schwartz zudem als „Schubert unserer Zeit“. Gehört habe ich davon nichts. Es ist meine zweite Begegnung mit Schwartzs Werken und ich gestehe, ich fange nicht viel damit an. Da ist Mahlers fünfte Sinfonie, der zweite Programmpunkt des Abends, doch wesentlich zugänglicher. Deren vierter Satz, das Adagietto, ist einem breiteren Publikum durch die Visconti-Verfilmung der Thomas Mann-Novelle „Der Tod in Venedig“ bekannt geworden. Mein Lieblings-Satz ist es nicht – ich finde, der klingt irgendwie, ich weiß nicht, verwaschen? Abgesehen davon fehlte mir beim Zuhören die Ruhe, denn zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich mich hinsichtlich gewisser Bedürfnisse gewaltig im Timing verschätzt. Ich schaffte es gerade noch zum Ende des fulminanten fünften Satzes, um dann beim ersten Applaus zum Ausgang zu sprinten. Pro-Tipp: Sitzt man in 13 I, ist das nächste stille Örtchen nicht in der 13. Etage, sondern die hintere Treppe hoch in der 15. Etage. Mit Dank an die freundliche Platzanweiserin, die meine Not mit einem Blick erkannte und mir den kürzeren Weg wies. Zur Bach-Zugabe „Jesus bleibet meine Freude“, gespielt und gesungen (!) vom Orchester (sehr schön!), war ich dann auch schon wieder im Saal.

Anfang November zog es mich zur Aufzeichnung einer „eat.READ.sleep“-Sonderfolge mit Daniel Kaiser und Katharina Mahrenholz im Rahmen des 17. Hamburger Krimifestivals auf Kampnagel. Das war mein drittes „eat.READ.sleep“-Live-Event und obwohl es beim Krimi-Spezial zu der ein oder anderen Holprigkeit kam (so zum Beispiel zu sich wiederholenden Fragen bei den Rätseln): Diese Veranstaltungen sind absolut empfehlenswert! Macht einfach Laune. Besonders habe ich den Fitzek-Verriss genossen. „Das Kalendermädchen“ erzielte hohe Werte auf der Rossmann-Skala. Ich hab da vielleicht nicht richtig aufgepasst, ist die eigentlich nach oben offen? Sollte sie wahrscheinlich besser sein. „Glückskekse und Abgründe“ kann man hier nachhören.

Tags darauf folgte eine Neuentdeckung (Mit freundlicher Unterstützung! Nochmals vielen Dank dafür!): die Klangmanufaktur in Borgfelde und deren Werkstattkonzertreihe „Kohärenzen“. Die Klangmanufaktur ist in erster Linie ist eine Werkstatt, in der Konzert­flügel von Steinway & Sons generalüberholt werden.

Sie bietet aber auch Flügel zur Miete, Proberäume und Seminare für Konzerttechnik an. Und eben Werkstattkonzerte. Da sitzt man sehr exklusiv buchstäblich mitten in der Klavierwerkstatt. Ein magischer Ort! Es wird aber keinesfalls nur Klaviermusik gegeben: An fraglichen Abend sahen und hörten wir eine Violin-Klasse von Professor Christoph Schickedanz und Niklas Liepe mit Flügelbegleitung (ein D-Flügel Baujahr 1971, Schwarz + Mahagoni seidenmatt geölt – sogar noch zu haben! Für 145.000 Euro!). Aufgeführt wurden Werke von Claude Debussy, George Antoine, Joseph Jongen und Karol Szymanowski. Das war phantastisch, da bin ich bestimmt jetzt öfters. Wer Karten für die „Kohärenzen“ haben möchte, muss sich allerdings jeweils sehr zeitig darum bemühen. Auch die Warteliste ist schnell ausgebucht. Der Eintritt ist kostenlos. Um Spenden wird gebeten und zwar ganz klassisch mittels eines Hutes, der nach dem Konzert herumgereicht wird.

Ende November war es dann endlich Zeit für die Rocket Men mit „Lost in Space“ im Planetarium Hamburg. A match made in heaven! Ich habe die Laser ein bisschen vermisst, aber wahrscheinlich war die Entscheidung richtig, sich zugunsten der Musik und der Künstler auf Visuals zu beschränken. Sehr gerne wieder so.

Anfang Dezember war ich spontan beim Kaiser Quartett im NACHASYL. Das ging schon gar nicht anders, denn auch das Konzert war recht spontan anberaumt worden. Das Kaiser Quartett wollte nämlich sein neues Mitglied präsentieren: Statt Adam Zolynski ist künftig Amanda Bailey an der Violine dabei. Da müsste übrigens nicht nur die offizielle Webseite des Quartetts dringend aktualisiert werden, auch der alte Spruch „4 Kings 1 Kaiser“ passt ja nun nicht mehr! Jedenfalls, Amanda Bailey spielte nicht nur, als gehörte sie schon immer dazu, sie sang auch, zum Beispiel den Song „Empire“. Eine sehr schöne Weiterentwicklung, ich bin Fan! Das neu formierte Ensemble hatte aber noch ein weiteres Ass im Ärmel: Mitten im Konzert trat Anna Depenbusch mit „Eisvogelfrau“ und „Alles auf Null“ auf die Bühne.

Dieser Coup hatte einen besonderen Hintergrund: Nächstes Jahr gehen alle fünf nämlich zusammen auf Tournee. Für das Konzert am 17. Juni 2025 in der Elbphilharmonie hatte ich bereits gleich bei Ankündigung eine Karte erstanden, denn das wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr, sehr großartig.

Das „Blind Date“ Mitte Dezember habe ich leider verpasst. So schnell wäre der ICE auch ohne medizinischen Notfall in Düsseldorf nicht gewesen, um mich von der Masterverleihung im Rheinland rechtzeitig nach Hamburg zurückzubefördern. Bedauerlicherweise bin ich die Karte im Vorfeld nicht mehr losgeworden. Das ist mir völlig unverständlich – „Blind Dates“ sind fast immer ausverkauft und fast immer super, da geht man doch hin, wenn man die Gelegenheit hat! Aber das „Orchesterkaraoke“ mit den Jungen Symphonikern Hamburg auf Kampnagel habe ich noch erwischt. Irgendwie ist mir da die Ankündigung durchgegangen (Wie? Warum?!), es wurde schon schwierig, noch einen guten Platz zu ergattern. Ich kann nur von der zweiten Show um 20:30 Uhr berichten, aber behaupte einfach mal: Das war ein sehr guter Jahrgang! Ich war besonders von dem Herrn angetan, der „Hallelujah“ von Leonard Cohen vortrug. Wow. Einen Abzug in der B-Note gebe ich dem Repertoire. Da darf gerne mal das ein oder andere ausgetauscht werden, vor allem in Teilen sehr schwer (mit-)singbare Stücke wie „Bad Guy“ von Billie Eilish und „Texas hold ‚em“ von Beyoncé.

Arbeitsplatz von Jan Wulf, der "lebenden Karaokemaschine"
Arbeitsplatz von Jan Wulf, der „lebenden Karaokemaschine“

Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Grundsätzlich ist Orchesterkaraoke ein ganz großer Spaß und verlässlich dazu geeignet, die Stimmung zu heben.

Ich schließe den Schnelldurchlauf mit einem weihnachtlichen Konzertabend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ab: Unter der Überschrift „Nordic Christmas“ präsentierten Helene Blum (Gesang, Violine) und Harald Haugaard (Violine) mit Lena Jonsson (Violine), Kristine Elise Pedersen (Cello), Mattias Pérez (Gitarre) und Sune Rahbek (Schlagzeug) alte und moderne weihnachtliche Folkmusik aus dem Norden. Der Herkunft der überwiegenden Anzahl der oben genannten Künstlerinnen und Künstler geschuldet mit ausgewiesen dänischem Schwerpunkt. Musikalisch war das zwar top, aber von der Präsentation her mehr als nur ein bisschen drüber. Dazu passte auch das Programmblättchen: „Die Welt braucht Hoffnung. Hoffnung treibt alles an. Musik ist Hoffnung. Weihnachten ist Hoffnung. Gemeinschaft ist Hoffnung. Sich um das Licht und die Musik im Konzertsaal zu versammeln, während sich die Dunkelheit der Winternacht über das Land legt, zeigt uns, dass wir nicht allein sind und dass wir Hoffnung wollen.“. Naja. War schön, wird aber wohl keine regelmäßige Einrichtung. Was es theoretisch werden könnte, denn „Nordic Christmas“ ist eine Reihe, die im kommenden Jahr bereits in die 19. Auflage geht. Mit dem 18. Dezember 2025 steht der nächste Termin in der Elphi schon fest.

So! Jetzt kommen voraussichtlich noch zwei Nachträge und dann ist mein Konzert- und Kulturjahr 2024 Geschichte. Ob ich künftig wieder schaffen werde, regelmäßig und zeitnah darüber zu berichten?

Vienna Calling

Ich bin vorher schon zwei- oder dreimal in Wien gewesen, das letzte Mal vor über zwanzig Jahren. Wie die vorherigen Male war es damals eine Reise mit übersichtlichem Budget. Da fand ich Wien schon super. Wenn man aber ein etwas höheres Budget zur Verfügung hat und mitnehmen kann, wonach einem der Sinn steht, ist Wien noch viel superer. Denn günstig ist die österreichische Hauptstadt nicht. Zumindest nicht, wenn man im oder nahe des 1. Bezirks wohnen, Top-Sehenswürdigkeiten mitnehmen und in die Oper, ins Konzert und auch mal nett Essen gehen will. Dieses Mal wollte und konnte ich das alles – was für ein Luxus!

Die Reise bestand aus zwei Abschnitten: einer Studienfahrt und einem privaten Teil, wenn auch mit teils fließenden Übergängen. Zur Studienfahrt gehörten unter anderem Termine beim Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der FH Campus Wien, der OSZE und dem Bundesministerium für Landesverteidigung. Ein Mittagessen im und eine Führung durch das österreichische Parlament standen ebenfalls auf dem Programm.

Pallas-Athene-Brunnen
Pallas-Athene-Brunnen
Kunst im Parlament
Kunst im Parlament

Das historische Gebäude an der Ringstraße wurde 2018 bis 2022 umfassend saniert. Mit der Sanierung war eine weitgehende Öffnung des Hauses verbunden. Seither gibt es neben Führungen ein noch umfassenderes Angebot zur Demokratiebildung, einen Ausstellungs- und Erlebnisbereich („Demokratikum“) und einen Parlamentsshop; das Volk kann in der Parlamentsgastronomie essen und in der Parlamentsbibliothek lernen und arbeiten. Man darf im Rahmen einer Führung sogar in den Sälen des National- und des Bundesrates auf den Stühlen Platz nehmen (ich weiß jetzt, wie ein österreichischer Vizekanzler sitzt). Nur die Bestuhlung des historischen Sitzungssaals bleibt abgesperrt, um die ebenfalls historische Möblierung zu schützen. Er wird überhaupt auch nur bei besonderen Anlässen verwendet, zum Beispiel, wenn die Bundesversammlung zusammentritt.

Historischer Sitzungssaal
Historischer Sitzungssaal

Mich hat das Gebäude, vor allem aber die Offenheit des Gebäudes tief beeindruckt. Ja, ich weiß, den Reichstag in Berlin kann man auch besuchen, ich war selbst mehrfach dort. Aber ein offenes Haus im österreichischen Sinne ist der Bundestag nicht.

Was unbestritten zum Flair der Stadt gehört und in jedem Reiseführer Erwähnung findet ist die berühmte Wiener Kaffeehauskultur. So richtig konnte ich mich damit bisher nicht anfreunden. Ich bin an sich keine Kaffeehaussitzerin; ich kaufe meinen Kuchen gerne „to go“ und fläze mich damit aufs Sofa.

FENSTER CAFE
FENSTER CAFE

In Wien könnte ich mir das Kaffeehaussitzen aber glatt angewöhnen. Diese ganz spezielle Atmosphäre des In-Gesellschaft-in-Ruhe-gelassen-werdens hat schon ihren Reiz. Ich testete unter anderem das Café Museum, das Café Leopold Hawelka und das Café Prückel und obwohl ich im Museum den wahrscheinlich besten Apfelstrudel meines bisherigen Lebens genießen durfte, hat das Prückel mein Herz erobert. Im Keller gibt es sogar ein Theater!

Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster im Prückel
Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster im Prückel

Wo war ich noch? In der Österreichischen Nationalbibliothek natürlich. Neben dem ganz normalen Bibliotheksbetrieb gehören zu dieser fünf verschiedene Museen sowie das Haus der Geschichte Österreichs. Ich entschied mich für das Globenmuseum im Palais Mollard und den barocken Prunksaal. Beides sehr empfehlenswert.

Globenmuseum
Globenmuseum
Prunksaal
Prunksaal

Falls ich künftig in die Verlegenheit kommen sollte, den Begriff „barockes Gesamtkunstwerk“ erklären zu müssen, werde ich einfach immer auf dieses Bauwerk verweisen. Wahnsinn! Nur die Sonderausstellung hat mir nicht gefallen. Beziehungsweise, dass es dort überhaupt Sonderausstellungen gibt. Der Star ist doch der Saal, da wirkten die Exponate irgendwie störend.

Zum Thema Reisebudget sei erwähnt, dass der reguläre Eintritt in das Kunsthistorische Museum stolze 21 (in Worten: einundzwanzig) Euro kostet. Dafür kann man aber auch überall hin. Zumindest theoretisch, denn Richtung Gastronomie bildete sich bald eine beeindruckende Schlange und ohne reservierten Timeslot waren die Chancen auf einen Blick in die Rembrandt-Sonderausstellung äußerst gering. Weil diese Option ausgebucht war, schloss ich mich spontan einer Führung an. Dafür musste ich zwar noch einmal zehn Euro auf den Tisch legen. Dafür kam ich aber mit der Gruppe an der Schlange vorbei in die Ausstellung und in den Genuss kompetenter Erläuterungen. Davon bin ich bei bildender Kunst nämlich abhängig, wenn es mir jenseits des bloßen Konsums darum geht, zu verstehen und einzuordnen. Hat sich gelohnt in diesem Fall.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn (Selbstportrait)
Rembrandt Harmenszoon van Rijn (Selbstportrait)

Vorher hatte ich noch Gelegenheit, mich in der Kunstkammer umzusehen. Die Kunstkammer Wien beherbergt historische Sammlungen adeliger und königlicher Persönlichkeiten und gilt als Wiege des heutigen Museums. Es fällt schwer, unter den vielen spektakulären Objekten einen Favoriten zu küren, aber mir ist es gelungen!

In der Kunstkammer
In der Kunstkammer

Das ist ein Automat in Form einer Galeone von Hans Schlottheim, datiert auf das Jahr 1585. Hier kann man das gute Stück in Aktion erleben:

Fehlen noch die beiden musikalischen Höhepunkte der Reise. Ins Haus des Musikvereins trieb mich hauptsächlich, dass ich gerne einmal ein Konzert im Goldenen Saal besuchen wollte. Das ist der Saal, in dem die Wiener Philharmoniker das alljährlich in zig Länder übertragene Neujahrskonzert spielen. Die Philharmoniker passten leider nicht ins Programm, aber dafür das ORF RSO Wien unter der enthusiastischen Leitung von Maxime Pascal und mit Truls Mørk als Solist am Violoncello.

Musikverein Wien
Das ORF RSO Wien mit Maxime Pascal beim Musikverein Wien

Gegeben wurden Werke von Arnold Schönberg, Henri Dutilleux und Claude Debussy sowie eine Solistenzugabe von Benjamin Britten. Das hat mir ausnehmend gut gefallen. Schade, dass das Konzert nicht ausverkauft war. Richtig gut ist, dass man in den vorderen Parkett-Logenplätzen auf Höhe des Bühne sitzt. Man hat dadurch noch mehr als in anderen Häusern das Gefühl, Teil des Orchesters zu sein. Der Platz war auch gar nicht so teuer – ok, schon teuer, aber nicht absurd teuer.

Ganz andere Preise werden dagegen in der Wiener Staatsoper aufgerufen. Schon die Führungen schlagen mit 15 Euro zu Buche. Dafür sind sie generalstabsmäßig organisiert und in mindestens fünf Sprachen verfügbar. Wenn man eine Aufführung besucht und nicht nur hören, sondern auch etwas sehen möchte, sollte man am Eintrittspreis dennoch nicht sparen. Günstige Tickets gibt es auch – ich habe auf solchen Plätzen schon gesessen – aber dann ist es halt mehr Hörspiel als Oper.

Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

Diesen Blick von der Mittelloge habe ich aber auch nur bei der Führung dokumentieren können.

Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper

Die Aufführung – Giuseppe Verdis „Macbeth“ in der 2020er Inszenierung von Barrie Kosky – habe ich aus einer Perspektive ein Stockwerk höher und etwas seitlicher gesehen. Dabei führte das Hauspersonal ein strenges Regiment, unter anderem mit sehr klaren Ansagen bezüglich Handynutzung und Geräuschvermeidung. Das hat entscheidend zu einem weitgehend ungetrübten Operngenuss beigetragen und fand daher meine volle Unterstützung. Gerald Finley und Anastasia Bartoli als Macbeth und Lady Macbeth haben mich nicht nur gesanglich, sondern vor allem darstellerisch überzeugt. Ich mochte die düstere Inszenierung mit dem sehr reduzierten Bühnenbild, nur die merkwürdige Nude-Kostümierung des (Bewegungs-)Chors hat mir nicht zugesagt. Zum Raum: Was für eine phänomenale Akustik! Und was für ein geniales Über- beziehungsweise Untertitelsystem! An jedem Platz, auch den Stehplätzen, gab es kleine Displays, auf denen es Informationen zum Programm in zwei und Untertitel in acht Sprachen zu lesen gab. Gesehen hat man dabei nur den eigenen Bildschirm und wenn man gewollt hätte, hätte man das Teil auch einfach eingeklappt und ungenutzt lassen können. Großartig. Wann gibt es das in Hamburg?

Lipizzanerhengst
An der Spanischen Hofreitschule

Aus dieser Wien-Reise hätte ich gut und gerne eine mehrteilige Rückschau schnitzen können, ähnlich wie ich es mit meinen Besuchen in London getan habe. Aus Zeitgründen verzichte ich dieses Mal darauf. Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen und mehr Muße für die Nachbereitung im Anschluss.

Auswärts-Doppelpack

Zugegeben, dieses Blog ist streckenweise sehr elphi-lastig. Es ist fast ein bisschen zu einfach, seit die Elbphilharmonie vor mittlerweile fast sieben Jahren (?!?) in den Regelbetrieb gegangen ist: Man muss nirgendwo mehr hin, weil alle dort auftreten wollen! Wobei das natürlich nur für gewisse Genres gilt und vor allem für ein gewisses Level. Kleinere Kreise werden woanders gezogen. Manchmal auch weit außerhalb meiner üblichen Pfade. So auch an einem Freitag und dem darauffolgenden Samstag Ende September.

Konzert No. 1 fand in der Deichdiele zu Wilhelmsburg statt, eine kleine, verrauchte, aber sehr sympathische Spielstätte. Es spielten MetzgerButcher, die ihren Sound als „Electro-Indie-Post-Punk-Rock“ bezeichnen. Das hätte mich nun nicht zwingend gelockt, aber der eine Metzger ist ein ehemaliger Kollege, der andere Butcher sein gar nicht mal so kleiner Bruder und es macht mir einfach Spaß, den beiden beim Musikmachen zuzusehen. Die Songs machen auch Spaß, wobei die Texte durchaus zum Nachdenken anregen beziehungsweise anregen sollten. So nimmt „Pferd“ Vladimir Putin aufs Korn, „Was glaubst Du?“ beschäftigt sich mit Corona-Leugnern und das kurze, aber knackige „Halt Abstand“ erklärt sich quasi von selbst.

Da die Band-Mitglieder bekennende FCSP-Anhänger sind und es diesbezüglich in meinen Social Media-Timelines gewisse Überschneidungen gibt, die gelegentlich bis ins echte Leben schwappen, habe ich mich nicht nur mit den Jungs bestens unterhalten dürfen und musste auch den Rückweg nicht mehr mit Bus und Bahn bestreiten. Denn das funktioniert zwar grundsätzlich, aber es zieht sich doch etwas von dort, wo ich wohne.

Noch weiter zog es mich allerdings am nächsten Abend hinaus: zum theater itzehoe. Das ist ein wirklich nettes, multifunktionales Gebäude, augenscheinlich zu Zeiten nicht ganz so knapper Kassen gebaut. Aber bis man erst einmal dort ist! Strafverschärfend wirkte sich aus, dass wir in der Regionalbahn mit einer Horde HSV-Fans konfrontiert waren. Nicht so angenehm. Aber was macht man nicht alles für einen isländischen Troubadour!

Von Svavar Knútur habe ich an dieser Stelle schon ein paar Mal berichtet. Und weil wir nicht konnten, als Svavar zuletzt in Hamburg war – Berg, Prophet; ihr kennt das. Svavar schafft es immer noch und immer wieder, mich zu überraschen. Zum Beispiel war mir bis zu jenem Abend nicht bekannt, dass er, bevor er zum Singer-Songwriter und eben Troubadour wurde, ein Fischer gewesen ist. Was ich jetzt auch weiß: Wie wunderbar seine Stimme zur französischen Sprache passt. Davon hätte ich ja gerne ein ganzes Album! Sound und Stimmung waren auch toll beim Konzert No. 2 in Itzehoe. Nur mussten wir bedauerlicherweise schon vor der mutmaßlich noch gegebenen Zugabe aus dem Saal fliehen, der nicht eben üppig getakteten Bahnverbindungen wegen. Ich hoffe auf eine bessere Raum-/Zeitplanung beim nächsten Mal.

In Concert: „Opening Night“ – Alan Gilbert und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, zu einem der beiden „Opening Night“-Termine Mitte September in die Elbphilharmonie zu gehen. Aber im August fluteten plötzlich Werbeanzeigen für die Saisonauftakt-Veranstaltung des NDR EO meine Social Media-Kanäle. Schließlich wurde mir per Newsletter ein 30%iger Rabatt angeboten; ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte.

Offenbar hatte man Mühe, mit dem angekündigten Programm den Großen Saal gleich zweimal zu füllen. So mancher Interessent hat sich da möglicherweise von dem Etikett „Schönberg“ abschrecken lassen. Wofür ich großes Verständnis habe, ist dieser Name doch untrennbar mit der Zwölftontechnik verbunden. Die zählt zweifelsohne zu dem, was man im englischsprachigen Raum als „acquired taste“ bezeichnet. Allerdings wurden die Gurre-Lieder aufgeführt, ein Oratorium, das einigen als letzter Höhepunkt der Spätromantik gilt. Also alles sehr tonal und überdies schon durch die monumentale Besetzung beeindruckend: Alan Gilbert dirigierte fünf Gesangssolisten – Simon O’Neill, Christina Nilsson, Jamie Barton, Michael Nagy, Michael Schade -, einen Sprecher – niemand geringeren als Thomas Quasthoff -, drei Chöre – NDR Vokalensemble, MDR-Rundfunkchor, Rundfunkchor Berlin – und eben das NDR EO.

Ich hatte mir einen Platz ausgesucht, von dem man normalerweise sowohl gut sehen als auch gut hören kann. Letzteres hat leider nicht ganz geklappt, denn einige Solo-Sänger waren so platziert, dass sie mit dem Rücken zu mir standen und sangen. Nicht optimal. Ansonsten war es definitiv ein Erlebnis, obwohl das Oratorium als solches nicht zu meiner Lieblingsgattung gehört. Das konnten auch die Gurre-Lieder nicht ändern. Mein persönlicher Höhepunkt: Jamie Barton als Waldtaube (ab 48:34). Die Dame hat eh schon einen Stein bei mir im Brett seit ihrem Auftritt bei der „Last Night of the Proms 2019″.

Apropos „Last Night of the Proms“: Die Ausgabe 2024 fand gleich am nächsten Tag statt. Beide Teile wurden auf 3Sat und wahlweise in der Originalfassung übertragen. Vorbei die Tage, an denen nur der zweite, von BBC ONE übertragene Teil – der mit den Gassenhauern – im deutschen TV gezeigt wurde und man den (in der Regel grauslichen) deutschen Kommentar nicht abschalten konnte! Vorbei aber vielleicht bald auch die Tage von 3Sat. Wir werden sehen. Dieses Jahr habe ich die „Last Night“ jedenfalls noch in vollen Zügen und im Originalton genießen können und zwar ohne einen, ähem, halblegalen Workaround bemühen zu müssen. Es wäre schön, wenn das so bliebe.