Extrablatt!

Für die, die es noch nicht mitbekommen haben: Igor Levit spielt heute Nachmittag ab 14 Uhr Erik Saties „Vexations“. Nicht in seinem Wohnzimmer, sondern im Berliner b-sharp Studio. Die Besonderheit: Das Stück dauert etwa 20 Stunden. Der Pianist will mit der Aufführung auf die Notlage von Künstlerinnen und Künstlern in der Corona-Pandemie aufmerksam machen. Zu sehen ist der Livestream unter anderem auf Levits Twitter– und Instagam-Kanal, aber auch bei The Gilmore und The New Yorker.

Kurz nach Erscheinen des letzten Beitrags wurde das Programm der diesjährigen BBC Proms angekündigt. Es wird in der Hauptsache aus der Sendung von (Radio-)Archivmaterial mit Zuhörerbeteiligung bestehen. Auf BBC Four und über den BBC iPlayer kommen ausgewählte Fernsehaufzeichnungen hinzu und ab dem 28. August 2020 soll es Livekonzerte in der Royal Albert Hall geben. Zum Termin der First Night wird online ein eigens kommissioniertes Mash-up aus Beethovens Sinfonien aufgeführt und zwar gemeinsam von allen BBC-Orchestern und -Chören, als „Grand Virtual Orchestra“. „Not the Proms as we know them, the Proms as we need them“, heißt es in der Pressemeldung. Für die Briten mag das funktionieren; Auswärtige ohne BBC-Lizenz werden dagegen wohl leider auf das Bild- und Onlinematerial verzichten müssen. (Irgendwas mit „Splendid Isolation“.)

Ganz anders das Konzept von TV Noir. Durch Ticketverkäufe im Rahmen der Reihe „Aus meinem Wohnzimmer“ waren über 55.000 Euro zusammengekommen. Woraufhin das Team beschloss: Die frei zugänglichen Livestreams auf YouTube und Facebook gehen weiter, kommen aber künftig in bester Bild- und Tonqualität aus dem TV Noir-Hauptquartier.

Mit den Corona-Folgen für Kulturschaffende, aber auch mit kreativen Wegen aus der Krise beschäftigt sich seit gestern übrigens auch ein neuer Podcast beim NDR: „Kultur trotz Corona“, eine Audio-Aufzeichnung im Stil einer Radiosendung, soll wöchentlich freitags um 9.00 Uhr erscheinen. Wer es klassischer mag: Das Format wird außerdem jeden Freitag um 18:30 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

The Show must go online (9)

Allen Lockerungen zum Trotze: Die Kontaktbeschränkungen wurden verlängert und die Kultur steht weiterhin mehrheitlich auf „Pause“. Dennoch hat diese Woche unter der Tagline „Vorfreude klang nie schöner“ der Vorverkauf zur nächsten Elphi-Spielzeit begonnen – der Tradition folgend zunächst mit einem Zusammenbruch des Online-Buchungssystems.

Deutlich unschöner ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Konzert- und Theaterkassen dieses Mal keine Kartenkontingente für Veranstaltungen der HamburgMusik gGmbH und der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette (ProArte) erhalten haben. Bei allem Verständnis für die nachvollziehbaren Gründe dieser Aktion – bessere Kontrolle des Kartenverkaufs beziehungsweise einer gegebenenfalls notwendigen Rückabwicklung, Einführung des „Bestelle jetzt, zahle erst dann, wenn sicher ist, dass das Konzert auch stattfindet“-Prinzips (zumindest bei der HamburgMusik gGmbH) – wird da ein Glied der kulturellen Nahrungskette im Stich gelassen, das zweifelsohne ebenfalls schwer unter den Folgen der Krise zu leiden hat. Mir tut es insbesondere für die Theaterkasse Schumacher leid, die mir mit ihrem Elphi-Sondernewsletter und dem dazugehörigen Service in der Vergangenheit mehrfach Zutritt zu eigentlich längst ausverkauften Veranstaltungen verschaffen konnte. Vollkommen legal, versteht sich. Ab jetzt und bis auf Weiteres keine Selbstverständlichkeit mehr.

So oder so, das Spielzeitprogramm ist Zukunftsmusik im Wortsinne. Mit hohem Unsicherheitsfaktor.

Zurück zum hier und jetzt.

Die #1to1concerts erwähnte ich bereits in Folge 7 dieser Reihe und hoffte schon damals auf Nachahmer. Und siehe da: Berlin, Dresden, Marbach und Erfurt haben sich mittlerweile angeschlossen und zwar mit der Staatskapelle Dresden, der Dresdner Philharmonie, dem Philharmonischen Orchester Erfurt und in Berlin mit einem Musikerteam aus verschiedenen Ensembles. Wann kommt Hamburg?

Wobei die Hamburger Orchester keineswegs untätig sind. So spielen Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters beispielsweise im Rahmen des Formats „Philharmoniker to go“ für Menschen in Senioren- und Pflegeeinrichtungen. Umsonst, draußen und selbstverständlich unter Einhaltung der Abstandsregeln.

Übrigens, Stichwort Hamburg, ich habe da eine Streamingreihe übersehen und gar keine kleine: die Corona-Konzerte des Hamburger Abendblatts nämlich. Das ist mir ein bisschen peinlich. Dankenswerterweise sind alle Folgen noch bei YouTube abrufbar.

Eine anderes Streamingangebot kam an dieser Stelle dagegen schon mehrfach zu Ehren: National Theatre at home. Das ist nicht ohne Grund die Initiative, für die ich bisher am fleißigsten gespendet habe. Die Summen, die da aus aller Welt jeweils zusammenkommen, sind teilweise ganz ordentlich, aber natürlich bei weitem nicht ausreichend, um den Laden dauerhaft über Wasser zu halten. In Großbritannien schießen inzwischen auch die ganz renommierten Institutionen rot, darunter Royal Albert Hall, National Theatre, Royal Shakespeare Company und Royal Opera House. Alles Häuser und Ensembles, die anders als vergleichbare Einrichtungen in Deutschland keine regelmäßigen Subventionen der öffentlichen Hand erhalten. Nicht nur angesichts des politischen Vollchaos, was momentan jenseits des Ärmelkanals tobt, wird das Unvorstellbare allmählich erschreckend wahrscheinlich: „If this goes on much longer, it’s hard to imagine any theatre surviving“.

Auch das Old Vic gehört zu den gefährdeten Stätten und reagiert mit einem eigenen Format namens „in Camera“. 1.000 Tickets zu Preisen zwischen £10 und £65 sollen je Vorstellung erhältlich sein. Das erste Stück der Reihe, „Lungs“ mit Claire Foy und Matt Smith, wird dazu in einer „Socially distanced“-Version vor leerem Saal aufgeführt.

Aus dem „Guardian“ habe ich noch eine Graphic Short Story von Mark Haddon („Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“) aufgepickt: „Social Distance“. Wahrscheinlich ist das da in der Geschichte gar kein Reh (oder Hirsch), sondern ein Patronus.

Eine Vermutung, die mich direkt zu J. K. Rowling bringt: Die „Harry  Potter“-Autorin veröffentlicht ab 26. Mai 2020 ihr neues Kinderbuch „The Ickabog“ kapitelweise im Internet, noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin im November. Parallel dazu läuft eine „Illustration Competition“ für Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren. Einige der ersten auf Twitter gezeigten Beiträge sehen vielversprechend aus!

The Show must go online (8)

Mir geht allmählich die Puste aus. Keine Sorge, nicht generell – wenn man von der situationsbedingt schwankenden Tagesform einmal absieht. Sehr wohl aber, was diese Serie angeht. Heute daher nur ein paar Kleinigkeiten.

Gestern fand „Keiner kommt – alle machen mit“ nicht statt. Ich erwähnte das Soli-Festival vor rund sieben Wochen im ersten Teil. Heute wurde die Spendensumme veröffentlicht:

Starkes Ergebnis. Schönster Tweet übrigens dazu von der HOCHBAHN: „Keiner kommt und wir bringen Euch auch nicht hin.“

Ich habe an dieser Stelle eine Livestream-Reihe unterschlagen, die nach über dreißig Episoden mittlerweile eingestellt wurde: Hope@Home bei ARTE Concert. Dafür gab es keinen besonderen Grund. Außer vielleicht, dass Daniel Hope meiner Werbung nicht bedurft hätte – die Wohnzimmerkonzerte waren ein durchschlagender Erfolg mit Zuschauern und -hörern rund um den Erdball. Im britischen Guardian erzählt Hope die Entstehungsgeschichte. Meine Lieblingsfolgen: Episode 20 mit Sir Simon Rattle und Magdalena Kožená und die finale Episode mit Max Richter und Joy Denalane. Alle Videos sind zur Zeit noch abrufbar.

Museen und Gedenkstätten dürfen mittlerweile wieder Besucher empfangen, auch in Hamburg. In einigen Bundesländern gilt das auch für Kinos und zumindest in Sachsen sollen ab dem 15. Mai 2020 auch Theater, Opern- und Konzerthäuser wieder öffnen können. Allerorten wird noch nach praktischen Lösungen gesucht, wie sich die geltenden Hygieneregeln umsetzen lassen. So lassen die Bamberger Symphoniker beispielsweise den Aerosolausstoß von Holz- und Blechblasinstrumenten untersuchen.

Wo ich übrigens komplett raus bin: Autokino/-konzerte/-diskos und dergleichen mehr. Nicht nur, weil ich kein Auto besitze und seit Jahren auch keines mehr gefahren bin. Die Vorstellung erscheint mir atmosphärisch schlicht unschön. Da sitze ich doch lieber allein vorm Fernseher. Für die Künstler mag sich das dagegen anders darstellen: Vor einer Reihe hupender Blechkisten zu spielen ist wahrscheinlich besser als gar kein (sichtbares) Publikum zu haben.

The Show must go online (7)

Elbphilharmonie und Laeiszhalle haben verlängert: Bis wenigstens 31. August 2020 wird es keine Konzerte geben. Damit fällt auch der diesjährige Elbphilharmonie Sommer flach. Keine Überraschung mehr – nichtsdestotrotz frustrierend. Die Programmvorstellung der Spielzeit 2020/21 sollte Mut und Hoffnung machen, so Intendant Christoph Lieben-Seutter. Fürs erste wohl nicht mehr als das, denn niemand weiß, ob und wie es ab September weitergehen kann. Was natürlich bei weitem nicht nur für diese beiden Spielstätten gilt…

Auch das New Bedford Whaling Museum musste umdisponieren: Der diesjährige „Moby-Dick Marathon“ findet online statt. Die ersten 14 Episoden stammen aus dem Archiv, ab Episode 15 lesen zufällig ausgewählte Freiwillige in ihren jeweiligen vier Wänden.

Ebenfalls ins Netz verlegt wurde das Berliner Theatertreffen, inklusive einer Grundsatzdebatte über Sinn und Unsinn des Streamens von Theaterproduktionen. Das Theatertreffen ist eine Veranstaltung, die mich unter normalen Umständen nicht sonderlich interessierte. Aber jetzt, wo ich es kann, zappe ich höchstwahrscheinlich mal rein – soweit mein Diskussionsbeitrag zum Thema „Stoppt das Streaming!“. Die sechs Stücke sind jeweils nur für 24 Stunden „on Demand“ verfügbar. Mit Ausnahme des Bochumer „Hamlet“, den es noch bis Ende Juli in der ZDF Mediathek im Rahmen der Reihe „Starke Stücke“ zu sehen gibt.

Ganz anderes Genre: Die (Corona-)Zeichnungen von Chaz Hutton sind sicher dem einen oder der anderen bekannt. Nein? Auch nicht diese? Ich mag ja auch den hier. Und ganz besonders den. Bislang fehlt die neue Kategorie im Shop. Mal sehen, wie lange noch.

Zur Musik.

Überwiegend eher nicht meine Baustelle, aber wem es gefällt: Die Telekom organisiert zusammen mit Rolling Stone, Musikexpress und Metall Hammer #DaheimDabei-Konzerte mit Künstlern wie Sasha, Doro, Rage, Nik West, Eric Fish und Gavin Rossdale, gestreamt auf der Plattform MagentaMusik 360. Dort ist übrigens noch immer das Geisterkonzert von James Blunt in der Elbphilharmonie abrufbar. Am 11. März war das, quasi zwei Minuten vor dem Lockdown, in der Woche, in der es endgültig Ernst wurde. „Kein Fan von @JamesBlunt, aber schwer beeindruckt davon, wie der Mann das gerade durchzieht vor leerem Haus. Vollprofi. Respekt“, twitterte ich an jenem Abend. Gilt noch.

Deutlich ein paar Nummern kleiner, dafür persönlicher: Bei den SofaConcerts kann man personalisierte Musikbotschaften und Live-Musik per Videochat buchen.

Noch viel persönlicher weil wahrhaftig live sind die 1:1 Concerts mit Mitgliedern des SWR Symphonieorchesters, des Staatsorchesters Stuttgart und der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Ein verständlicherweise regional stark begrenztes Angebot. Aber vielleicht finden sich ja Nachahmer.

Apropos wahrhaftige Livemusik, es soll in Hamburg Straßenzüge geben, in denen regelmäßig (semi-)professionelle Balkonkonzerte stattfinden. Nur liegt das mir bekannte Beispiel dummerweise in einer Wohngegend weit jenseits meiner Preisklasse. (Ja, ich bin neidisch!)

Einen habe ich noch (via Alex Ross): Katzenmusik im Wortsinne. Der zieht euch die Schuhe aus. Versprochen.

Hätte, hätte, Infektionskette

Eigentlich wär ich jetzt gerade nicht in Hamburg, sondern auf der Ostsee. Das übliche „Statt Postkarte“-Foto entfällt aus sattsam bekannten Gründen. Aber nicht ersatzlos! Ich biete ein 1A-Symbolbild aus dem nahegelegenen Stadtpark, die Bildunterschrift: „Vandalismus in Zeiten von Corona“. Adam und seine ähnlich verunstaltete Eva (Oskar Ulmer, 1933) wurden mittlerweile wieder gereinigt. Sie sind Kummer gewohnt: „Verzierungen“ kommen mehrfach im Jahr vor, werden aber normalerweise unterhalb der Gürtellinie platziert. Bei Eva gerne auch in Brusthöhe.

Wo ich schon dabei bin, kann ich auch schnell noch zwei neue Lieblings-Splitscreen-Performances und einen Klassiker beisteuern.

Da sind zum einen Manu Delago und Douglas Dare mit „Wherever you are“, aufgenommen im Rahmen des „Sea Change 2020„. Das komplette Festival wurde ins Netz verlegt und ich glaube beinahe, ich muss da nochmal stöbern.

Via Kiki. Vierunddreißig Jahre. Puh. Die Extended Version ist eine der wenigen von mir erworbenen Maxi-Singles aus dieser Zeit, die sich bis heute in meinem Besitz befinden.

Ja, ich weiß: uralt (2009)! Und gar nix mit Corona! Aber hebt zuverlässig die Laune und meine hat es gerade nötig.