Dreierlei Musikalisches

Dass es nicht immer die beste Idee ist, aus Sentimentalität Konzertkarten zu kaufen, bemerkte ich zuletzt am Gründonnerstag auf Kampnagel. Die Musik von Apparat war mir in den vergangenen Jahren mehrfach bei unterschiedlichen Anlässen begegnet, liegt aber inzwischen nicht mehr im Mittelpunkt meines Interesses. So erschien mir der Auftritt in der K6 wie ein kontinuierliches Dröhnen, ein nahezu übergangslose Aneinanderreihung von minimalen Variationen eines einzigen Sound- und Kompositionsthemas. Es mag auch mit meiner durch akute Urlaubsreife etwas abgestumpften Aufnahmefähigkeit an diesem Abend zu tun gehabt haben, aber das allein kann es nicht gewesen sein. Gut zu wissen – und hiermit abgehakt.

Der gestrige Lambchop-Auftritt hätte theoretisch in die gleiche Kategorie fallen können. Es ist doch schon ziemlich lange her, dass das Album „Is a Woman“ bei mir rauf- und runterlief. Bei Kurt Wagner und seiner 2019er Bandzusammensetzung funkte es nichtsdestotrotz, wenn mir auch die aktuelle Stimmverfremdungsmarotte des Frontmans nicht so sehr liegt. Ein besonderes Lob gebührt den Tonmeistern: Selbst schräg hinter und nahe der Bühne kam der zumeist leise und differenzierte Lambchop-Sound in all seinen Facetten gut an. Davon abgesehen schienen anders als beim ersten Elbphilharmonie-Konzert der Band im Februar 2017 die allermeisten Zuhörer zu wissen, wen sie da vor sich hatten. Gerade im Großen Saal trägt das sehr zum Gelingen eines Konzerts bei.

Nun zu etwas ganz anderem: meinem dritten „Blind Date“ im Kleinen Saal der Elbphilharmonie nämlich. Da hatte mich das Losglück in die erste Reihe mitten vor die Bühne gesetzt. Eigentlich nicht so mein Ding, das ist mir zu nah, ich sitze grundsätzlich lieber im Rang als im Parkett und überhaupt nicht so gern auf dem Präsentierteller. Bei „Beyond Thrace“ entpuppte sich der Platz allerdings als Glückstreffer. Das Quartett besteht aus Jean-Guihen Queyras (Cello), Sokratis Sinopoulos (Lyra) und Bijan und Keyvan Chémirani (Daf, Zarb), und während Queyras eine klassische Ausbildung genossen hat und sowohl mit großen Orchestern als auch in der Kammermusik zu Hause ist, sind Sinopoulos und die beiden Chémirani-Brüder der türkischen bzw. persischen Musiktradition zuzurechnen. Allen vieren ist jedoch gemein, dass sie herausragende Musiker sind.

Wer angesichts dieser Zusammensetzung mit einem typischen „West trifft Ost“-Act in der Art „westliche Musik auf orientalischen Instrumenten“ erwartet hat, wurde enttäuscht. Der Bogen spannte sich von Nordgriechenland und dem Balkan über die Türkei bis nach Armenien, Persien und Indien und die in dieses Programm eingebauten zeitgenössischen Cellosolostücke dienten dabei lediglich als ergänzende Brückenschläge. Dabei outete sich der Cellist Queyras als „der einzige Analphabet“ des Quartetts, da er anders als seine Mitstreiter zumindest streckenweise auf die Unterstützung durch Notenblätter angewiesen war.

Das Publikum war begeistert und ich war es auch. Obwohl ich zugegebenermaßen niemals aus eigener Motivation ein Ticket für diese Veranstaltung gekauft hätte. Auch für den Fall, dass ich mich wiederhole: Was für ein großartiges Format!

Vor ein paar Tagen startete der Vorverkauf für die Elbphilharmonie-Abos (Stand 30. 4. 2019: Es gibt fast überall noch Plätze!), die neben klassischen auch Angebote „für Einsteiger“, „für Abenteurer“ und „für Kenner“ enthält. Ich habe mich für eine der vier klassischen Reihen entschieden, aber wenn es ein „Blind Date“-Abo gäbe, ich wäre sofort dabei.

In Concert: Rufus Wainwright auf Kampnagel

Mein Besuch des gestrigen Auftritts von Rufus Wainwright in der K6 fällt fraglos unter „mal sehen, was andere Leute so hören“. Aufgefallen war mir der Mann zwar erstmals und durchaus nachdrücklich durch die Aufnahme einer Coverversion von Leonard Cohens „Hallelujah“, verblieb dann aber jahrelang im Hintergrund meines Bewusstseins. Bis zu dem Konzert in der Elbphilharmonie im Sommer 2017, das wohl ziemlich spektakulär gewesen sein muss. Spektakulär genug jedenfalls, um meine Neugier zu wecken.

Sagen wir so: meine Musik war das gestern mehrheitlich nicht, aber man sollte diese Stimme wirklich einmal live gehört haben. Konsequenterweise gefielen mir die Songs mit viel Stimme und wenig Band am besten, unbestrittener Höhepunkt (auch nach Applausometer): „Both sides now“ von Joni Mitchell.

Davon abgesehen war es sehr unterhaltsam, zur Abwechslung mal eine Vollblut-Diva auf der Bühne zu erleben. So jemanden mit „Musical Director“, der nicht nur musikalisch keine Götter neben sich duldet und folglich seiner gut geölten Backgroundband nicht einmal ein paar Solomomente gönnt, der mit Glitter und Federkleid verzierte Bühnenkostüme zur Schau trägt, sich Instrumente und Accessoires von bis zu zwei Hiwis gleichzeitig reichen und abnehmen lässt und der neben der Band, der Crew, dem Licht und dem Ton auch seinem „Costume designer“ dankt. That’s entertainment, too. Faszinierend!

In Concert: 4 Wheel Drive in der Laeiszhalle

Eigentlich hatte ich das Ticket in erster Linie deshalb gekauft, um Michael Wollny zu sehen und zu hören. Aber bei 4 Wheel Drive spielen neben Wollny noch Lars Danielsson (Bass, Cello), Wolfgang Haffner (Schlagzeug) und vor allem Nils Landgren (Posaune, Gesang). Letzterer übernahm auch die Moderation und zumindest nach außen die Führung des All-Star Ensembles und selbst wer das so gar nicht gebucht hatte, widerstehen kann man diesem schwedischen Charmeur kaum. Jedenfalls ich konnte es nicht.

Dabei geholfen hat wohl auch, dass das Programm mit „She’s always a woman“ begann. Ich kann nicht mal sagen, dass mir das 4WD-Cover meines allerliebsten Billy Joel-Songs besonders gut gefällt. Insbesondere des Gesangs wegen, denn Nils Landgren singt mit einer Stimme, die definitiv unter Geschmackssache fällt. Und dennoch oder vielleicht gerade deswegen: Sie hatten mich.

Gleichwohl waren nicht alle Arrangements des gleichnamigen Albums dazu geschaffen, das volle (Jazz-)Potenzial des hochkarätig besetzten Quartetts auszuschöpfen. Geklappt hat das noch am besten bei „Polygon“ von Michael Wollny, „Lobito“ von Wolfgang Haffner und der furiosen 7/8-Version von „Lady Madonna“. Gewissermaßen als Ausgleich erwachten dafür andere, vermeintlich erschöpfend durchgenudelte Popstücke zu völlig neuem Leben, „That’s all“ von Genesis beispielsweise, oder „Another day in Paradise“ von Phil Collins.

Alles in allem also ein lohnenswerter Abend, den ich allerdings aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf meinem Lieblings- sondern einem Ausweichplatz in Loge 1 des zweiten Rangs rechts verbrachte. Die Vogelperspektive noch hinter der Boxenreihe und über der Bühne hatte sich seinerzeit schon bei Ludovico Einaudi bewährt. Nur funktionierte bei 4 Wheel Drive der Bühnensound leider nicht ganz so gut: Das Schlagzeug dominierte und sowohl Lars Danielssons Bass bzw. Cello als auch Nils Landgrens nicht eben kräftige Stimme gingen streckenweise unter. Einerseits verständlich, dass für einen solchen Akt einigermaßen gesalzene Tarife aufgerufen werden. Wenn dann auch noch Siggi Loch und Karsten Jahnke höchstpersönlich im Publikum sitzen! Andererseits bedenklich bis ärgerlich, denn ich hatte zwar mit dem Ticket am oberen Rande meiner (Preis-)Schmerzgrenze noch einen freien Blick (Erfahrungswert aus dem Chilly Gonzales-Konzert), während eine Reihe hinter mir Menschen stolze 35 Euro für einen Hörplatz gezahlt hatten. Ich meine schon, das sich solches etwas stärker im Preis bemerkbar machen dürfte. Zumal offenbar nicht bei allen Buchungswegen das Etikett „sichtbehindert“ auch mitgeliefert wird.