Vermischtes oder Drei Konzerte im Sommer

Ich zäume das Pferd der Einfachheit halber von hinten auf und starte mit der Nachbetrachtung des Auftritts von Kai Schumacher im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Mir ist im Nachhinein sehr unerklärlich, warum mir der Name Kai Schumacher bis vor kurzem unbekannt war. Wo ist der Spotify-Algorithmus, wenn man ihn mal braucht?! Hier jedenfalls ein Totalausfall. So war es ein guter alter Newsletter, nämlich der von KD Palme, der mich auf Konzert und Künstler aufmerksam machte. Zeit, um mich vorher einzuhören, hatte ich allerdings nicht. „Aha, Tristano-kompatibel!“, schoss mir somit erst beim ersten Stück des Abends in den Kopf. Wenig später erfuhr das Publikum, dass „Tranceformer“, Schumachers just an jenem Tage erschienene Single-Auskopplung – sagt man das eigentlich noch so? – aus dem für Ende September angekündigten, gleichnamigen Album, ein Stück für zwei Klaviere ist (und deshalb nicht auf der Setlist stand). Und für das Album eingespielt wurde das Stück – mit? Richtig: Francesco Tristano.

Jedenfalls, das war gut. Gerne mehr! Nur schade, dass es nicht ausverkauft war.

Dieses Problem hatten Sigor Rós zuvor definitiv nicht. Ich habe lange nicht mehr so viele „Suche Karten“-Schilder vor dem Eingang gesehen wie bei dem gemeinsamen Auftritt mit dem London Contemporary Orchestra im Großen Elphi-Saal Mitte Juni. Völlig zu recht, das war eine Meisterperformance. Mit umwerfendem Sound. Wer Fan ist und das verpasst haben sollte, darf sich ärgern! Obwohl ich zugeben muss, dass die Veranstaltung ihre Längen hatte. Einige Stücke könnte man auch gut und gerne nahtlos aneinander reihen. Ein Klangteppich deluxe zwar, aber einer, der nicht nur bei mir zwischenzeitlich zu leichten Ermüdungserscheinungen führte.

Auf der anderen Seite kann ich mir nun gar nicht mehr vorstellen, wie man diese Musik überhaupt ohne Orchester aufführen kann.

Noch davor entpuppte sich das letzte „Blind Date“ der Saison 2022/23 als walisisch-irische Connection, bestehend aus Catrin Finch (Harfe) und Aoife Ní Bhriain (Violine und Hardanger Fiddle).

Das hat mir richtig gut gefallen. Es gibt eben einfach keine schlechten „Blind Date“-Konzerte. Punktum. Die nächsten Termine sind im Oktober, Dezember, Februar und Mai. Noch gibt es Karten!

In Concert: Martin Kohlstedt auf Kampnagel

Martin Kohlstedt auf Kampnagel – das wurde auch Zeit! Ich hatte schon befürchtet, dass es nicht mehr dazu kommt. Ist doch die Reihenfolge normalerweise eine andere: erst Kampnagel, dann Elbphilharmonie. Einen Auftritt in der Elbphilharmonie gab es schon, beinahe sechs Jahre ist das inzwischen her. Umso größer meine Freude über die Konzertankündigung, wenn sich auch die Wartezeit aufgrund der Verschiebung des Konzerts von März 2022 auf April 2023 reichlich lang zog.

Ich hatte mir gleich zu Anfang des Vorverkaufs einen Platz in der ersten Reihe gesichert. Das vermeide ich ansonsten einigermaßen konsequent, zumal die ersten Reihen nicht zwingend das beste Konzerterlebnis bieten. Beispielsweise in der Laeiszhalle; aufgrund der erhöhten Bühne ist die Nackenstarre dort quasi vorprogrammiert. Aber, wie heißt es so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Kampnagel ist ein sicherer Ort für mich und damit auch einer für Experimente.

Und so konnte ich Martin Kohlstedt aus nächster Nähe „beim Üben zuschauen“ (O-Ton). Mich beeindruckt diese Risikobereitschaft immer wieder neu: nur mit einem Armvoll musikalischer „Argumente“ vor das Publikum zu treten und sich von Tagesform und Resonanz des Raums leiten zu lassen. Ohne Rücksicht auf Verluste abzuheben und damit auch mal eine weniger elegante Landung zu riskieren. Gar abzubrechen, wenn es nicht funktioniert.

Ich gestehe, mir standen da zwei bis drei Geräte zu viel auf der Bühne. Bisweilen wurde es mir zu laut, zu komplex; hinter den vielen Stimmen konnte ich manches Gespräch nicht mehr verfolgen. Aber vielleicht repräsentierte gerade das die Tagesform. Denn alle Flüge und Flugversuche des Abends führten stets zurück zum Klavier. „Der Flügel hat heute gewonnen – ich beschwere mich nicht!“

Und die kleine Mashup-Andeutung bestehend aus Yann Tiersens „Comptine d’un autre été: L’Après-midi“ – Amélie lässt grüßen – und Phil Collins‘ „Another Day in Paradise“ verfolgt mich auch immer noch. (Ja, liebe Klavierschüler:innen eines gewissen Alters: exakt so fies, wie es sich liest!)

Ich fasse zusammen: Astra Stube, Volt, Elbphilharmonie (Großer Saal), Laeiszhalle (großer Saal), Knust (Lattenplatz), Kampnagel (K6). Wo wohl das nächste Kapitel geschrieben wird?

In Concert: Grandbrothers auf Kampnagel

Ich hatte mit viel mehr Déjà-vu gerechnet. Aber die Grandbrothers haben sich entwickelt seit dem Sommer 2015, als ich sie im Rahmen des MS ARTVILLE zum ersten und bis vorgestern einzigen Mal live sah. Das sind nicht mehr die Jungs von damals. Facettenreicher, ausgereifter und vor allem: souveräner sind sie geworden.

Das hat mir sehr gut gefallen. Auch aus symbolischen Gründen. Ich werte es als kleinen Ausgleich zum bislang nicht verbloggten Orchesterkaraoke mit den Jungen Symphonikern Hamburg, Matthias von Hartz und Jan Dvorak Anfang des Monats. Das war zwar auch ganz großartig, kam aber mit unerwartet starken emotionalen Nebeneffekten im Gepäck daher.

Orchesterkaraoke
Goodbye, Ruby Tuesday

Womit ich nicht gesagt haben will, dass es jetzt wieder fünf Jahre dauern soll, bis es wieder eines gibt auf Kampnagel. Ausdrücklich nicht!

Zurück zu den Grandbrothers, was mir nicht so gut gefallen hat: Der Sound in der K6 (das geht besser), das Zeitmanagement (Veranstaltungsbeginn von 8 auf 9 Uhr verschoben, dann aber erstmal Support, Start des eigentlichen Konzerts erst gegen 10 – warum? Musste denn niemand außer mir am nächsten Morgen arbeiten?!) und die Tatsache, dass mein Lieblingstrack „Naive Rider“ nicht auf der Setlist war. Ich prangere vor allem Letzteres an! Wobei andererseits: Entwicklung. So gesehen passte es schon.

In Concert: Nils Frahm in der Elbphilharmonie

Es wird einfach nicht alt. Auch nicht die Stücke, die ich inzwischen schon so lange und in so vielen Versionen kenne und liebe. Ganz besonders die nicht.

Und das Timing, ach, wie immer: makellos. In jeglicher Hinsicht.

Als instrumentale Randnotiz sei erwähnt, dass das heute Abend meine zweite Begegnung mit einer Glasharfe war – die ist erwartungsgemäß bei Nils Frahm buchstäblich in sehr guten Händen – und ich den Flügel nicht vermisst habe. Außer bei „Hammers“. Das ist einfach ein Flügelstück, da bin ich ausnahmsweise konservativ.

Ostern in der Elbphilharmonie

Ursprünglich hatten ganz andere Stücke auf dem Programm der beiden Konzerttermine von Teodor Currentzis und musicAeterna in der Elbphilharmonie gestanden. Dann aber kam der Ukraine-Krieg und der musicAeterna-Chor konnte nicht aus Russland einreisen.

Was zur Folge hatte, dass am Karfreitag statt Schnittkes „Konzert für Chor“ eine Zusammenstellung aus langsamen Sätzen und Werken verschiedener Komponisten unter der Überschrift „Slow Music“ dargeboten wurde. Die Mehrzahl der Stücke stammte aus Klavierkonzerten, weswegen Alexandre Kantorow als Solist in der Mitte des Orchesters Platz nahm. Mit Blick auf die Liste steckte ich mir sicherheitshalber ein Taschentuch in den Ärmel. Ein weiser Entschluss, es wurde schon beim Mozart sehr knapp und beim Barber noch etwas knapper. Endgültig abgeräumt hat mich schließlich der Schostakowitsch. Ich hatte das Andante aus dem Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 F-Dur op. 102 komplett verdrängt. Völlig unverständlich eigentlich. „So ein Programm kann man nur einmal spielen“, meinte einer der Musiker, mit dem ich nach dem Konzert an der Ampel zur U-Bahn-Haltestelle noch flüchtig ins Gespräch kam. „So ein Programm kann man auch nur einmal hören“, pflichtete ich ihm bei.

Die Überschrift über dem Karsamstag lautete „Trauerklage“. Folgerichtig die Stückauswahl: „Metamorphosen“ von Richard Strauss und Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“ statt Beethovens Neunter mit der „Ode an die Freude“. Das hätte ein weiterer ganz und gar umwerfender Abend werden können, aber leider spielte das Publikum nicht mit. Tags zuvor hatte Intendant Christoph Lieben-Seutter höchstselbst noch ausdrücklich und in zwei Sprachen vor Beginn des Konzerts darum gebeten, dass bitte nicht geklatscht werden möge; nicht am Anfang, nicht zwischendrin und auch nicht zum Schluss. Fast hätte es geklappt. Immerhin verhallten die zaghaften Klatscher der wenigen Unverbesserlichen nach Abgang von Solist, Orchester und Dirigent recht schnell wieder.

Dass Teodor Currentzis auch keinen Applaus zwischen den Sätzen der „Pathétique“ dulden wollte, war seiner Körpersprache nach der Reaktion des Publikums auf den ersten Satz überdeutlich zu entnehmen. Da musste man schon außerordentlich ignorant sein, um das nicht zu kapieren. Allein, der Weinberg kannte keine Gnade und unterbrach folgerichtig zu allem Übel noch die Schweigeminute nach Ende des letzten Satzes. Ich habe mich selten so fremdschämen müssen in der Elbphilharmonie.

Woran es gelegen hat? Möglicherweise daran, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Konzertbesucher die Unterhaltung suchte. Das Besondere zu Ostern, ein Konzert in der Elbphilharmonie eben, vielleicht auch als Krönung eines Hamburg-Aufenthalts über die Feiertage. Dazu passte weder die Karfreitagsmeditation noch die Trauerklage am Karsamstag. Die Programmänderungen wurden zwei Wochen vor den jeweiligen Terminen bekannt gegeben. Man hätte die Tickets sogar zurückgeben können. Einige der dennoch Anwesenden hätten gut daran getan.

 

In Concert: Joep Beving in der Elbphilharmonie

Dass Joep Beving über zwei Meter groß ist, vergisst man ganz schnell, wenn er sich ans Klavier setzt. Die zarten Töne, die er dort produziert, wollen nicht recht zum zotteligen Erscheinungsbild passen.

Ich habe das Konzert am vergangenen Samstag sehr genossen. Zumeist mit geschlossenen Augen, wobei die Herausforderung darin bestand, die Unruhe- und Ungeduldsgeräusche der umgebenden Anwesenden auszublenden. Der nahezu vollbesetzte Kleine Saal der Elbphilharmonie wirkte zu groß für diese Art Auftritt, so einsam auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum. Man wünschte es sich intimer und heimeliger, mit weniger Konzertsaalatmosphäre und weniger Publikum. So wie im Nachtasyl, um ein Beispiel zu nennen.

Unabhängig davon mag es jene gegeben haben, denen das Programm zu leise, zu zurückhaltend und ingesamt vielleicht auch zu eintönig war. Mir war es gerade recht so.

In Concert: Michael Wollny in der Elbphilharmonie

Ich möchte nichts gegen 2G-Veranstaltungen gesagt haben, grundsätzlich bitte unbedingt mehr davon! Aber erst zwei Tage vor dem Termin darüber zu informieren, ist doch ein wenig knapp, liebe Freunde von Eventim. Vor allem, wenn es prinzipiell schon Wochen vorher abzusehen ist. Mental hatte ich mich nämlich erst zu Anfang November auf ein erstes 2G-Konzert in der Elbphilharmonie vorbereitet.

Wer sich definitiv nicht ausreichend vorbereitet hatte: Das Einlassteam am Fuße des Großen Saals. Plötzlich musste, anders als bisher bei 3G, neben dem 2G-Nachweis ein Ausweisdokument vorgezeigt werden, und natürlich das Ticket. Man kombiniere dies mit nahezu voller Besetzung, einer uninformierten und überforderten Security und praktisch keiner Besucherführung bis unmittelbar vorm Einlassbereich und fertig ist das Chaos. Ich glaube nicht nur, dass das besser geht: Ich weiß es. Kampnagel, Laeiszhalle und das Schauspielhaus machen es vor, zwar bisher nur mit 3G, aber die Einlasskonzepte dort gehen zweifelsohne in die richtige Richtung.

15 Minuten vor Konzertbeginn
15 Minuten vor Konzertbeginn

Fazit: Wer dieser Tage eine 2G-Veranstaltung in der Elbphilharmonie besuchen und vorher entweder ein Getränk zu sich nehmen oder schnell noch eines wegbringen will, sollte etwas mehr Zeit als üblich einplanen. Besser 45-60 Minuten vorher vor Ort sein statt 20-30. Um und bei.

Ich schaffte es im Treppensprint bis vier Minuten vor Anfang des Konzerts an meinen Platz in 13 I (mit Klo!). Bei Etage 15 oder 16 wäre es arg knapp geworden. Und dann erst einmal tief durchatmen und akklimatisieren. Direkt links, rechts, vor und hinter mir: überall Menschen! Und keine Maskenpflicht mehr! Schon toll, aber auch ziemlich gewöhnungsbedürftig nach all der Zeit. Offenbar auch für Michael Wollny, der ein paar Takte länger als üblich benötigte, um in seinen Flow zu kommen und während des Abends mehrfach betonte, wie sehr er sich darüber freue, vor so vielen Menschen in der Elbphilharmonie spielen zu dürfen.

Meine Rechnung bezüglich des Sitzplatzes ging auf: Von meinem Platz aus konnte ich von schräg hinten auf die Tastatur des Flügels schauen und Wollnys Hände entweder direkt oder gespiegelt sehen. Auch die eigenwillige Beinarbeit war gut zu erkennen. Die Pole Position in der ersten Reihe beim Konzert im Mojo Club vor einigen Jahren konnte das zwar nicht toppen, aber es passte schon sehr gut.

Und musikalisch? Ein eigenes Level. Die ausschweifende Langstrecke ist dabei nicht unbedingt mein Favorit, aber die Perlen darin… „Father Lucifer“, beispielsweise, im Original von Tori Amos, wie lange habe ich das nicht mehr gehört. Und so überhaupt ja noch nie. Nichts gegen das Trio oder gegen 4 Wheel Drive. Oder gegen die diversen Kollaborationen, beispielsweise die Zusammenarbeit mit Konstantin Gropper alias Get Well Soon, das war super. Aber Michael Wollny solo, das ist vom anderen Stern. Hätte ich sehr gerne sehr viel öfter.

Resozialisierung

Ja, also. Hm. Test, Test, eins zwo. Wie ging das noch mit dem Schreiben?

Jedenfalls, ich habe keine Ausrede mehr. Es gibt endlich wieder Input, live, in Farbe und vor allem offline. Seit Mitte Juli war ich schon auf drei Konzerten. Genauer:

Auf das erste Draußenkonzert hatte ich mich schon zwischen den Impfungen getraut. Alles andere verschob ich auf „ab Erreichen des vollständigen Impfschutzes“. Ersten Beobachtungen nach war das keine ganz dumme Idee. Die sogenannten 3G-Nachweise („gechiptimpft/genesen/getestet“) werden nämlich mancherorts eher lässig kontrolliert. Folglich ist das einzig belastbare Plus an Sicherheit, welches man zurzeit haben kann, sich selbst geimpft zu wissen. So ganz grundsätzlich. Epidemiologisch betrachtet eh, aber psychologisch mindestens ebenso wertvoll. Für euch getestet.

Next Stop: Das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel. Ab dann wieder im gewohnten Format. Falls ich es noch kann. Drei vier!

The Show must go online (13)

Ich fürchte beinahe, es ist ein passender Zeitpunkt, um wieder einzusteigen in meine kleine Serie. Zum Beispiel hätte ich morgen Abend eigentlich in der Laeiszhalle sitzen wollen, um Jordi Savall und seinem Orchester Le Concert des Nations zu lauschen. Beethoven sollte es geben. Leider wurden einige Orchestermusiker positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Absage also. Wird wohl nicht die Letzte dieser Art bleiben.

Die Frankfurter Buchmesse ist dieses Jahr digital. Das dürfte den meisten Leser:innen des Susammelsuriums bereits bekannt sein. Viele der präsentierten Inhalte werden nicht nur live gestreamt, sondern sind nachträglich noch in diversen Mediatheken abrufbar. Zum Beispiel die Präsentation von Chilly Gonzales‚ Buchdebut „ENYA – A Treatise on Unguilty Pleasures“ (auf ARTE Concert).

Und wenn man einmal dabei ist, kann man sich auch gleich die Doku „Shut up and play the piano“ anschauen. Auch bei ARTE.