Internationales Sommerfestival 2023 auf Kampnagel

Die diesjährige Ausbeute war eindeutig zu mager: Zu ganzen vier Veranstaltungen habe ich es während des Internationalen Sommerfestivals 2023 auf Kampnagel geschafft. Immerhin, drei davon verbuche ich als Highlights.

(La) Horde/Ballet national de Marseille: Age of Content

Das Eröffnungsstück  von (La)Horde und dem Ballet national de Marseille gehörte – für mich überraschenderweise – leider nicht dazu.

Zum einen verstand ich die Story nicht, zum anderen war das Werk schlicht gute 15 bis 20 Minuten zu lang. „Marry me in Bassiani“ hatte mir seinerzeit ganz gut gefallen, „Age of Content“ hat mich dagegen gar nicht überzeugt. Schade.

Walid Raad: Cotton Under My Feet – The Hamburg Chapter

Das war ein ziemlicher Ritt durch die Hamburger Kunsthalle, denn dort spann Walid Raad entlang von im Gebäude des historischen Gründungsbaus verstreuten Objekten aus Fiktion und Historie (s)eine Geschichte. Zunächst schienen es nur Fragmente zu sein, die da teils im atemberaubenden Tempo und in schnellen Wechseln vorgetragen wurden. Doch nach und nach verdichteten sich die Bruchstücke, einem Mosaik nicht unähnlich, zu einem großen, verwirrenden Ganzen – letztlich, so eine der Botschaften, hängt doch alles mit allem zusammen, wenn auch bisweilen auf recht absonderliche Art und Weise.

Das Tempo, zudem in englischer Sprache, mag nicht für jeden vor Ort ideal gewesen sein. Die allermeisten Gesichter – oder so kam es mir jedenfalls vor – spiegelten aber mein eigenes Empfinden wieder: aus anfänglicher Skepsis wuchs Faszination bis hin zur Begeisterung. „Cotton Under My Feet – The Hamburg Chapter“ ist übrigens noch bis einschließlich 12. November 2023 per Audioguide oder in weiteren weiteren Live-Terminen zu sehen, zu hören und zu erleben.

Nesterval: Die Namenlosen – Verfolgt in Hamburg

Unter Unterhaltung fällt „Die Namenlosen – Verfolgt in Hamburg“ nicht. In dem Stück, welches die Verfolgung Homosexueller während der Nazizeit in Hamburg  nachzeichnet, wird das Publikum nicht geschont. Man kann es Pech nennen oder auch Glück, dass ich von Anfang bis zum Ende durchgehend der unsympathischsten (und mutmaßlich auch mit weitem Abstand sadistischsten) Figur gefolgt bin. Auf diese Weise bekam ich das volle Programm geboten, inklusive einer drastischen Folterszene. Das war herausfordernd. Gelinde gesagt. Nicht umsonst wurde zu Beginn der Vorstellung auf die Möglichkeit verwiesen, sich jederzeit herausziehen zu können und ich habe nicht nur nach dieser einen Szene ernsthaft darüber nachdenken müssen. Dabei hatte ich nicht einmal alles gesehen. Theoretisch konnte man im ehemaligen Kakaospeicher Baakenhöft über 180 Szenen als Zuschauer in Begleitung und aus der Perspektive der Charaktere erleben. In drei Stunden Spielzeit schafft man davon aber nur einen Bruchteil. Aus meiner Sicht hat das mir schon aus „Sex & Drugs & Budd’n’brooks“ bekannte Format des begleiteten Szenenwechsels auch bei diesem schweren Thema gut funktioniert – vielleicht ein wenig zu gut, ich habe lange gebraucht, bis ich den Abend einigermaßen verarbeitet hatte. Anderen ging es anders, an einer Stelle fiel gar das Wort „Holocaust-Kitsch“. Zugegeben, das Schlussbild („Niemals vergessen“) war vielleicht ein klein wenig drüber, aber meinen Gesamteindruck konnte das nicht schmälern. Ich bleibe dabei: gerne jederzeit wieder Nesterval. Thema egal.

Graindelavoix: Rolling Stone

Das Konzert fand am letzten Festivaltag in Kooperation mit dem Elbphilharmonie Sommer im Großen Elphi-Saal statt.

Ein bisschen musste ich mich leider ärgern: Im ersten Teil des Konzerts wurde ein Film auf eine weiße Leinwand projiziert, die vermutlich nicht ganz zufällig einem Leintuch glich; geht es doch in der „Erdbebenmesse“ von Atoine Brumel um jenes Erdbeben, welches der vom Grab Jesu wegrollende Stein verursacht haben soll. Auch in dem gezeigten Dokumentarfilm von 1967 wurde diese Erzählung aufgegriffen. Allein, gesehen habe ich so gut wie nichts davon: Auf den Seitenplätzen hatte man die „Leinwand“ nämlich im Querschnitt vor der Nase. Das hätte ich gern vorher gewusst. Aber letztlich war ich wegen der Musik da, nicht wegen des Drumherums, und an dem musikalische Part gab es wenig zu kritisieren. Beeindruckend.

Zum Festival Avant-Garten kann ich mich nicht verhalten, ich war nämlich gar nicht dort (außer am Eröffnungstag). Das kommt davon, wenn man die Veranstaltungen in die gesamte Stadt verstreut! So schön, spannend und interessant das im Einzelfall ist: Das richtig echte Festival-Feeling kommt dadurch eindeutig zu kurz.

Ups and Downs

Ich war wandern und das war nötig.

Neblig
Neblig
Selsley Common
Selsley Common
Jubilee Trees
Jubilee Trees
Dyram Park
Dyram Park
Weston voraus
Weston voraus
The Circle
The Circle
Sally Lunn's
Sally Lunn’s

Dann war ich bei den Hundreds auf Kampnagel und das war wunderschön.

Heute war ich in der Elbphilharmonie und habe die „ARCHE“ von Jörg Widmann nachgeholt, aufgeführt von Kent Nagano, den Philharmonikern, Iveta Apkalna an der Orgel, drei Chören und diversen Solisten. Das war eher ermüdend. Die „ARCHE“ wirkt wie eine Collage, hat von allem etwas und dabei von allem zu viel.

Symbolisch auch für den sonstigen Verlauf der letzten Wochen und Monate. Es ist alles ein wenig anstrengend.

In Concert: Martin Kohlstedt auf Kampnagel

Martin Kohlstedt auf Kampnagel – das wurde auch Zeit! Ich hatte schon befürchtet, dass es nicht mehr dazu kommt. Ist doch die Reihenfolge normalerweise eine andere: erst Kampnagel, dann Elbphilharmonie. Einen Auftritt in der Elbphilharmonie gab es schon, beinahe sechs Jahre ist das inzwischen her. Umso größer meine Freude über die Konzertankündigung, wenn sich auch die Wartezeit aufgrund der Verschiebung des Konzerts von März 2022 auf April 2023 reichlich lang zog.

Ich hatte mir gleich zu Anfang des Vorverkaufs einen Platz in der ersten Reihe gesichert. Das vermeide ich ansonsten einigermaßen konsequent, zumal die ersten Reihen nicht zwingend das beste Konzerterlebnis bieten. Beispielsweise in der Laeiszhalle; aufgrund der erhöhten Bühne ist die Nackenstarre dort quasi vorprogrammiert. Aber, wie heißt es so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Kampnagel ist ein sicherer Ort für mich und damit auch einer für Experimente.

Und so konnte ich Martin Kohlstedt aus nächster Nähe „beim Üben zuschauen“ (O-Ton). Mich beeindruckt diese Risikobereitschaft immer wieder neu: nur mit einem Armvoll musikalischer „Argumente“ vor das Publikum zu treten und sich von Tagesform und Resonanz des Raums leiten zu lassen. Ohne Rücksicht auf Verluste abzuheben und damit auch mal eine weniger elegante Landung zu riskieren. Gar abzubrechen, wenn es nicht funktioniert.

Ich gestehe, mir standen da zwei bis drei Geräte zu viel auf der Bühne. Bisweilen wurde es mir zu laut, zu komplex; hinter den vielen Stimmen konnte ich manches Gespräch nicht mehr verfolgen. Aber vielleicht repräsentierte gerade das die Tagesform. Denn alle Flüge und Flugversuche des Abends führten stets zurück zum Klavier. „Der Flügel hat heute gewonnen – ich beschwere mich nicht!“

Und die kleine Mashup-Andeutung bestehend aus Yann Tiersens „Comptine d’un autre été: L’Après-midi“ – Amélie lässt grüßen – und Phil Collins‘ „Another Day in Paradise“ verfolgt mich auch immer noch. (Ja, liebe Klavierschüler:innen eines gewissen Alters: exakt so fies, wie es sich liest!)

Ich fasse zusammen: Astra Stube, Volt, Elbphilharmonie (Großer Saal), Laeiszhalle (großer Saal), Knust (Lattenplatz), Kampnagel (K6). Wo wohl das nächste Kapitel geschrieben wird?

In Concert: Grandbrothers auf Kampnagel

Ich hatte mit viel mehr Déjà-vu gerechnet. Aber die Grandbrothers haben sich entwickelt seit dem Sommer 2015, als ich sie im Rahmen des MS ARTVILLE zum ersten und bis vorgestern einzigen Mal live sah. Das sind nicht mehr die Jungs von damals. Facettenreicher, ausgereifter und vor allem: souveräner sind sie geworden.

Das hat mir sehr gut gefallen. Auch aus symbolischen Gründen. Ich werte es als kleinen Ausgleich zum bislang nicht verbloggten Orchesterkaraoke mit den Jungen Symphonikern Hamburg, Matthias von Hartz und Jan Dvorak Anfang des Monats. Das war zwar auch ganz großartig, kam aber mit unerwartet starken emotionalen Nebeneffekten im Gepäck daher.

Orchesterkaraoke
Goodbye, Ruby Tuesday

Womit ich nicht gesagt haben will, dass es jetzt wieder fünf Jahre dauern soll, bis es wieder eines gibt auf Kampnagel. Ausdrücklich nicht!

Zurück zu den Grandbrothers, was mir nicht so gut gefallen hat: Der Sound in der K6 (das geht besser), das Zeitmanagement (Veranstaltungsbeginn von 8 auf 9 Uhr verschoben, dann aber erstmal Support, Start des eigentlichen Konzerts erst gegen 10 – warum? Musste denn niemand außer mir am nächsten Morgen arbeiten?!) und die Tatsache, dass mein Lieblingstrack „Naive Rider“ nicht auf der Setlist war. Ich prangere vor allem Letzteres an! Wobei andererseits: Entwicklung. So gesehen passte es schon.

Internationales Sommerfestival 2022 auf Kampnagel

Sommer, Sonne, August – Sommerfestivalzeit! Es war das erste „uneingeschränkte“ Sommerfestival seit 2019, ein Umstand, den keiner der Rednerinnen und Redner bei der Eröffnung zu erwähnen ausließ. „Uneingeschränkt“, das bedeutete konkret: keine Maskenpflicht, keine Beschränkung bei den Zuschauerzahlen und ein offener Avant-Garten.

Mit einer Maskenpflicht hätte ich persönlich gut leben können; die Freiwilligenquote war trotz Corona-Sommerwelle bedauerlicherweise nicht sehr hoch.

Aber zum Programm!

Tagesprogramm
Tagesprogramm

Oona Doherty: Navy Blue

Als phantastischer und sehr berührender Einstieg entpuppte sich das Eröffnungsstück „Navy Blue“ von Oona Doherty.

Der von Doherty höchstselbst verfasste Text, der im hinteren Teil des Stücks zu Jamie xx und tänzerischer Performance vorgetragen wurde, hätte mich für sich genommen zwar nicht überzeugt. Als Soundtrack funktionierte er aber hervorragend.

Kid Koala: The Storyville Mosquito

Kid Koalas „Nufonia Must Fall“ hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich mich seit 2014 immer wieder und mit Begeisterung in die Sommerfestival-Programme stürze. Umso größer war meine Freude, als ich auf der diesjährigen Liste erneut ein detailverliebtes Puppenstück aus der Feder von Eric San vorfand.

Die Story von „The Storyville Mosquito“ ist schnell erzählt, da Nebensache: Mosquito kommt in die große Stadt, träumt von einem Durchbruch als Musiker, verliebt sich, wird von einem Widersacher gemobbt und enttäuscht, findet aber letztlich doch noch sein Glück. Es ist die überbordend kreative, liebevolle Umsetzung als live gespielter beziehungsweise aufgeführter Film, die die Hauptrolle spielt. Fast alle dazu erforderlichen Miniatursets waren für das Publikum während der Aufführung gut einsehbar, wodurch auch das Entstehen der „Special Effects“ transparent wurde. Dazu noch eine Handvoll Hamburg-Bezüge und – Eichhörnchen! Ich war wieder sehr verliebt.

Das anschließende Konzert in der kmh begann ebenfalls verheißungsvoll, wenn auch leicht verspätet. Allerdings empfand ich die Darbietungen von Kid Koalas Special Guest, der US-amerikanischen Musikerin Lealani, bei wiederholtem Antritt als zunehmend anstrengend. Schließlich fiel der Sauerstoffgehalt der zum Schneiden dicken Luft in der Halle unter mein kritisches Level und ich musste die Segel streichen. So verpasste ich leider die Übernahme des DJ-Pults durch Jacques Palminger. Josh Dolgin alias Socalled war bei dem als „Gipfeltreffen von drei Legenden des musikalischen Entertainments“ angekündigten Event erst gar nicht angetreten. Coronabedingt, wie ich später erfuhr.

Brandt Brauer Frick

Anders erging es mir beim Auftritt von Brandt Brauer Frick ein paar Tage später an gleicher Stelle.

Brandt Brauer Frick
Brandt Brauer Frick

Seit der ersten Begegnung 2014 im Boiler Room waren mir die drei Herren in guter Erinnerung geblieben. Vollkommen zu Recht. Das war klasse!

Socalled & Friends: TIME – The 4th Season feat. Miwazow

Im Gegensatz zu Falk bin ich der Meinung, dass das Musical um Bär, Tina und Co. mit der vierten Season gut und gerne abgeschlossen sein (und bleiben) darf. Wenn man die Story eines Puppenmusicals ohne den Abendzettel nicht mehr versteht, dann – spätestens! – sollte man es gut sein lassen. Andererseits: die Musik! Großartig, so wie jedes Mal („Na wie geiht di dat“-Ohrwurm summend ab).

Apropos, nebenbei konnte ich aus erster Hand in Erfahrung bringen, dass das unvermeidlicherweise unter den Socalled-„Friends“ befindliche Kaiser Quartett im Februar 2023 ein neues Album herausbringen und demnächst im Kleinen Saal der Elbphilharmonie auftreten wird.

But I’m awake

Die mit „Identity, Vulnerability and Empowerment“ untertitelte Fotoausstellung in der Vorhalle fand in Kooperation mit den Deichtorhallen und der Phototriennale statt.

But I'm awake
But I’m awake

Zu mir hat kein einziges der ausgestellten Bilder gesprochen. Mir fehlt da schlicht der Zugang.

Gus van Sant: Trouble

Ein Musical über Andy Warhol von einem bekannten Filmregisseur ohne jegliche Theatererfahrung – what could possibly go wrong?

Eine ganze Menge, wie sich herausstellte. Ich mochte zwar das Ensemble – für sich genommen entzückend in seiner Naivität -, den Soundtrack und die Ausstattung, aber damit ist ein dermaßen flaches Stück nicht zu retten. Wo war da der „Trouble“? Erschreckend eindimensional und das bei dem Stoff! Schade.

Cuqui Jerez: Magical and Elastic

Keine Handlung, sondern eine Dekonstruktion derselben mit Musicalfragmenten: So habe ich „Magical and Elastic“ verstanden. Ich fand es mindestens amüsant. Die Angelegenheit hatte nur leider absurde Längen und je eine Laber- und eine Kicherfraktion im Publikum waren dabei nicht hilfreich. Es ist lange her, dass ich so viele Leute mittendrin ein Stück habe verlassen sehen. Gefühlt noch knapp die Hälfte klatschte nach über zwei Stunden mit nahezu verzweifelter Hartnäckigkeit das Ende herbei. Das hätte toll sein können. Klassischer Fall von verschenkt.

Boy Division im Migrantpolitan
Boy Division im Migrantpolitan
Solicasino
Solicasino
Solicasino
Solicasino

Wie schon im letzten Jahr waren JASCHA&FRANZ wieder für die Gestaltung des Avant-Garten verantwortlich.

Bubbles!
Bubbles!

Letztes Jahr war ich nicht begeistert. In diesem Jahr fand ich den Garten:

Sehr O.K.
Sehr O.K.

Wenn auch ein wenig verwaist an manchen Abenden. Außer, wenn die Kopfhörer-Party „RADIO ATOPIA“ von JAJAJA auf dem Terminplan stand. Nur gab es leider nicht genügend Kopfhörer. Ich bin bei jedem einzelnen Versuch leer aus- und schließlich nicht mehr hingegangen. Aber irgendwas ist immer und diese Marginalie ist irgendwo zwischen „Abzug in der B-Note“ und „Jammern auf hohem Niveau“ abzulegen.

Sommerfestival, my love!

Im Rückstand

Ich wage es kaum zu erwähnen, aber ich bin schon wieder im Rückstand. Die Schreiberei kommt einfach nicht in Gang und flüssig ist auch etwas anderes. Aber eine Kurzfassung der letzten drei Kulturereignisse muss wenigstens sein!

Den Anfang macht das erste „Blind Date“ der Saison, welches sich als ein Auftritt des GrauSchumacher Piano Duos entpuppte. Gegeben wurden ausnahmslos Musikstücke, die für vier Hände komponiert beziehungsweise arrangiert wurden, teils an einem, teils an zwei Flügeln. Die Instrumente wurden erst kurz vor dem Konzert auf die Bühne gerollt, sodass sich auch noch bei Betreten des Kleinen Saals der Elbphilharmonie keinerlei Anhaltspunkt für das Folgende ergab – Spannung bis buchstäblich zur letzten Minute. Mir haben die Stücke von Ravel („Rapsodie espagnole“), Messiaen (eine Auswahl aus „Visions de l’Amen“) und Debussy („Nuages“ und „Fêtes“ aus „Nocturnes“, für Klavier arrangiert, wiederum von Maurice Ravel) ausnehmend gut gefallen. Nur der Schubert dazwischen wollte nicht recht dazu passen.

Gefallen haben mir auch die Erläuterungen zu den einzelnen Stücken. Allerdings hätten die beiden Künstler dabei bedenken sollen, dass das „Blind Date“-Publikum in der Regel ziemlich bunt und nicht zwingend formal musikalisch vorgebildet ist. Ich habe mindestens zwei Konzertbesucherinnen beobachtet, die augenscheinlich eher abgeschreckt als angesteckt waren.

Zu „The Nose“ von Jessica Nupen kam ich zufällig. Da war eine Karte übrig, das nimmt man doch gern mit! Beschrieben war die Veranstaltung in der K6 auf Kampnagel als hybride Filminstallation, weswegen ich zunächst etwas enttäuscht war, dass neben einigen Musikern nur eine einzige darstellende Person tatsächlich auf der Bühne zu sehen war (und das auch nur sehr sporadisch). Der Clou des gezeigten und live musikalisch begleiteten Films war die Projektion desselben auf vier Bühnenbildelemente, die in immer neue Konstellationen bewegt wurden.

Weitere Erhellung brachte das Künstlergespräch mit Jessica Nupen nach der Aufführung. Wenn man um die Umstände der Produktion und die zeitliche Abfolge bis zur tags zuvor stattgefundenen Uraufführung weiß, begreift man die Darstellung als ein reines Wunder. Hut ab vor so viel Kreativität, Energie, Flexibilität und Nervenstärke! Vielleicht findet sich ja doch noch ein Opernhaus, das sich dieser Inszenierung annimmt. Im Gespräch erwähnte Nupen übrigens auch das Ringen mit Josh Dolgin aka Socalled um Libretto und Musik für „The Nose“, genauer: um die Überwindung der Diskrepanz zwischen einem weißen, jiddischen, kanadischen Musiker und der schwarzen, südafrikanischen Nase in Nupens Choreographie. Für mich hatte sich diese Diskrepanz nicht nur nicht aufgelöst, ich empfand sie auch als unschlüssig und störend. Was aber an meiner grundsätzlichen Wertschätzung der künstlerischen Leistung nichts ändert.

Und dann war da noch Anne-Sophie Mutter und ihr Stipendiaten-Ensemble Mutter’s Virtuosi. Mutter stand schon lange auf meiner „muss ich unbedingt live gesehen/gehört haben“-Liste. Ich hatte sogar schon eine Karte für ein Konzert zusammen mit Martha Argerich in der Laeiszhalle ergattert, aber, ach, die Pandemie. Ohne den ebenfalls pandemiebedingt gestaffelten Vorverkauf von ProArte wäre es mir aber vermutlich auch nicht gelungen, ein erschwingliches Ticket für das Konzert am 1. November im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erstehen. Zumal dieses noch im 3G-Modus stattfand, also mit weniger buchbaren Plätzen, dafür aber viel Beinfreiheit und einer deutlich verringerten Störgeräuschkulisse. Letzteres war für den Genuss der Darbietungen von Mutter und ihren Virtuosi zweifelsohne von Vorteil.

Das Vivaldi-Concerto, die „Gran Candeza“ von Unsuk Chin und der Mozart, das war alles schon ziemlich erstklassig. Aber dann, nach der Pause, kamen die „Vier Jahreszeiten“.

Eigentlich möchte ich die „Quattro Stagioni“ nun nie mehr anders hören als in der Interpretation von Anne-Sophie Mutter und mit kleinem Streichensemble (das Cembalo natürlich nicht zu vergessen – Knut Johannessen!). Uneigentlich auch nicht. Ebenso hin- wie mitreißend und keine Sekunde lang abgedroschen. Bei einem überbekannten, inflationär oft gespieltem Stück ist das nicht nur keine Kleinigkeit, sondern schlicht eine Meisterleistung. An sich erwartet man nicht weniger von einer Ausnahmegeigerin, aber eine solche Erwartung derart grandios erfüllt zu sehen, ist meiner Erfahrung nach alles andere als selbstverständlich.

Was kommt als nächstes, wie geht es weiter? Die Corona-Inzidenzen steigen und steigen und immer mehr Veranstalter stellen auf das 2G-Modell um. Im November werde ich wohl dennoch noch zwei Konzerte im 3G-Modus erleben. Das hoffe ich zumindest sehr. Weil, wegen Mirga Gražinytė-Tyla und Teodor Currentzis!

Internationales Sommerfestival 2021 auf Kampnagel

Es ist nicht so, wie es aussieht: Ich bin mittlerweile fast schon wieder voll drin im kulturellen Leben. Nur das Schreiben darüber ist bisher nicht recht in Gang gekommen. Bevor es an die nächsten Termine geht, will ich an dieser Stelle aber wenigstens einen kleinen Rückblick auf das Internationale Sommerfestival nachtragen.

Nach der äußerst gelungenen Ausführung im letzten Pandemiesommer fühlte sich die diesjährige Ausgabe schon beinahe routiniert an. Für Veranstaltungen unterm Dach galt das 3G-Prinzip (gewissenhaft kontrolliert!), die Hallen waren im Schachbrettmuster besetzt und es gab genügend Einzelplätze. Zumindest bei frühzeitiger Buchung.

LIGNA: Die Gespenster des Konsumismus

Am Anfang meiner Auswahl stand die Performance von LIGNA im ehemaligen Kaufhof an der Mönckebergstraße.

Die Gespenster des Konsumismus

Ich gebe zu, beim Kartenkauf war eine gehörige Portion Neugier auf den Gebäudezustand im Spiel. Viel gab es allerdings nicht zu sehen und bewegen konnte man sich auch nur im Untergeschoss. Dafür gab es Einblicke in einige Räume hinter den Kulissen der Verkaufsfläche. Per Kopfhörer wurden die Besucher grüppchenweise durch einen teilweise eigens aufgebauten Parcours geführt, der verschiedene Stationen und Ereignisse der Hausgeschichte symbolisierte.

Die Gespenster des Konsumismus

Die Gespenster des Konsumismus

Dabei war es für das eigene Erleben mitentscheidend, ob auch die anderen Mitglieder der jeweiligen Kleinstgruppe den Regieanweisungen Folge leisteten. Wo das nicht geschah, verpuffte der Ansatz zur geführten Interaktion.

Die Gespenster des Konsumismus

So ganz haben mich Konzept und Ausführung nicht überzeugt. Das mag aber auch an den Assoziationen gelegen haben, die mich beim Erkunden der stillgelegten Ladenfläche heimsuchten und ablenkten. Man nehme dies als Triggerwarnung: Wer die Abwicklung eines Ladengeschäfts am eigenen Leib erfahren musste, wird beim Betreten einer vergleichbaren Immobilie unter Umständen mit unschönen Erinnerungen konfrontiert.

Christoph Marthaler: Das Weinen (Das Wähnen)

Sprachspielereien, eine detailverliebte Kulisse und Musik: Mehr braucht es manchmal nicht für einen perfekten Theaterabend. Vorausgesetzt natürlich, die Inszenierung dieser Kombination ist stimmig. Bei „Das Weinen (Das Wähnen)“ ist sie es.

Wer ein inhaltlich zusammenhängendes Stück erwartete, wurde zwar enttäuscht. Aber die Texte von Dieter Roth mit der Klammer des Apothekenszenarios zusammenzufassen, ist schon eine ziemlich geniale Idee. Nur hätte man vielleicht etwas kürzen können. Es wurde mir bei aller Faszination gegen Ende ein wenig lang.

Beim Schlussapplaus habe ich übrigens den Wasserspender vermisst.

Feist: Multitudes

Da war ich gespannt: ein Konzert ohne Saalplanbuchung in der K6? Unter Pandemiebedingungen? Die Auflösung des Rätsels: Die Zuschauer wurden in einen Stuhl- beziehungsweise Papphockerkreis um Feist und ihre beiden Mitstreiter platziert, und zwar dort, wo normalerweise die Bühne ist. Der eigentliche Zuschauerraum blieb leer; er wurde lediglich für den Knalleffekt am Ende des Konzerts eingesetzt und diente anschließend als Ausgang.

Auf diese Weise hatten gerade einmal 200 Personen pro Konzerttermin Platz in der Arena. Eine frühe Buchung hatte mir die zweite Reihe beschert, allerdings sah ich Leslie Feist während der Hälfte des Konzerts nur von hinten. Was andererseits wegen der außerordentlich intimen Konzertatmosphäre absolut zu vernachlässigen war. Ich war mächtig geflasht und bestimmt nicht allein mit meiner Überwältigung.

Rufus & Martha Wainwright: Mother

Trinkbefehl

Ja, doch, das war schon schön. Einen Abzug in der B-Note verteile für die Anmoderationen von Martha Wainwright. Singen kann sie besser als reden. Wobei das ebenso für Bruder Rufus gilt. Am besten hat mir das Stück gefallen, für das noch ein weiterer Mitstreiter mit auf die Bühne kam (leider habe ich mir weder den Namen des Sängers noch den Songtitel gemerkt. Blöd.). Und: Ein Extra-Sternchen dem Pianisten!

Dave Longstreth/Dirty Projectors, stargaze: (Song of the) Earth (in) Crisis

Die Extra-Sternchen für den darauffolgenden Abend vergebe ich an stargaze (quasi gesetzt) und Felicia Douglass. Anders als Komponist David Longstreth hatte Douglass ihren Vokalpart nämlich voll im Griff. Longstreth dagegen hätte besser daran getan, den seinen an einen ähnlich kompetenten Sänger abzugeben. Ich meine, wenn man ein melodisch wie harmonisch anspruchsvolles Werk nicht nur verfasst, sondern auch selbst an dessen Aufführung prominent beteiligt ist, sollte man den eigenen Beitrag vollumfänglich beherrschen. Zumindest für meine Ohren fiel das Gehörte jedenfalls nicht mehr unter „eigenwillig interpretiert“.

Die vorab präsentierten Songs der Dirty Projectors-EP „Earth Crisis“ waren für meinen Geschmack zu fragmentiert, um sie überhaupt als Songs bezeichnen zu können. Das Hauptwerk des Abends selbst, also „Song of the Earth in Crisis“, hat mir dagegen gut gefallen. Nur den Vergleich mit Mahler hätte man weglassen sollen. Über dem steht dermaßen dick und doppelt unterstrichen „zum Scheitern verurteilt“, das hat das Longstreth-Stück nicht verdient.

Nesterval/Queereeoké: Sex & Drugs & Budd’n’brooks

Das dritte Festival-Highlight (nach Marthaler und Feist) und meine erste Präsenzerfahrung mit Nesterval! Eventuell hätte ich nur vorher noch mein zugegebenermaßen lückenhaftes Wissen über die Familiengeschichte der Buddenbrooks aufpolieren sollen. So wäre es mir vermutlich leichter gefallen, verschiedene Charaktere zuzuordnen. Denn zum Kernpersonal des Romans gesellten sich in der „Sex & Drugs“-Version diverse Varianten, was das Geschehen bisweilen unübersichtlich gestaltete. Während des Abends war es zudem nicht möglich, alle Erzählstränge mitzuerleben. Ebenso wie bei LIGNA im ehemaligen Kaufhof wurden auch im Uebel & Gefährlich, der überaus treffend gewählten Spielstätte, die Anwesenden immer wieder in kleine Gruppen aufgeteilt, um an verschiedenen Stellen des großen Saals, in sanitären Einrichtungen, in Raucher- und Hinterzimmern einzelnen Szenen beizuwohnen. Für das ganze Bild hätte man wohl zwei oder drei Vorstellungen besuchen müssen.

Ein bisschen unklar blieb beim abschließenden Austausch an der Theke, ob und wie weit Zuschauerinteraktion eingeplant und erwünscht war. Das war bei „Der Willy-Brandt-Test“ und „Goodbye Kreisky“ (beides über Zoom) eindeutig der Fall gewesen. Bei „Sex & Drugs & Budd’n’brooks“ blieb dafür nicht viel Raum. Einigen Teilnehmern mag es wiederum zu immersiv gewesen sein. Aus einer reichlich expliziten Szene des Nachtrags erinnere ich beispielsweise einen extrem unangenehm berührten Herrn und seine mindestens peinlich berührte Begleiterin. Grundsätzlich nachvollziehbar für mich – ansonsten bin ich diejenige, die den größtmöglichen Bogen um Nacktheit um der Nacktheit willen auf der Bühne macht. Aber wenn ein Stück „Sex & Drugs“ im Titel trägt, muss man sich nicht wundern, wenn beides vorkommt – wenn auch „nur“ jeweils in der Theaterversion – und was „immersiv“ bedeutet, lernt man allerspätestens dann.

Die nächste Nesterval-Eskalationsstufe ist wohl der Besuch einer Vorstellung in Wien. Gar nicht mal so unwahrscheinlich, ich mag die Stadt, und der letzte Besuch ist so lange her, da habe ich noch in Bonn gewohnt. Eine halbe Ewigkeit also.

Thom Luz: Lieder ohne Worte

„Girl from the Fog Machine Factory“ mochte ich sehr, entsprechend große Erwartungen hatte ich folglich an „Lieder ohne Worte“.

Ganz erfüllt wurden die zwar nicht, aber auch die Rekonstruktion eines Autounfalls mit Wildschaden in den Bergen hatte seine magischen Momente. Die Extra-Sternchen gehen an den Einsatz von Musik und deren Ausführung sowie an Samuel Streiff. Ich erkenne da ein Muster!

THIS IS THE END OF...

Was mir nicht gefallen hat: der von JASCHA&FRANZ gestaltete Avant-Garten. Er wirkte auf mich irgendwie zugestellt und verbaut. Ich mochte die Bauten nicht und das Kirmes-Konzept hat bei mir gar nicht gezündet. Zwei Pluspunkte möchte ich dennoch erwähnen: das Bemühen um größtmögliche Barrierefreiheit und die Waldbühne. Die war wirklich hübsch! Leider habe ich wegen ungünstiger Terminplanung und des streckenweise garstigen Wetters wenig davon gesehen.

Neue Chance im nächsten Jahr.

Internationales Sommerfestival 2020 auf Kampnagel

Übers Sommerfestival wollte ich ja noch schreiben.

Sommerfestival 2020

Das war zuallererst furchtbar aufregend, weil (für mich) sowohl die erste „Groß“- als auch die erste Live-Kulturveranstaltung in geschlossenen Räumen unter Corona-Bedingungen und dementsprechend von gemischten Gefühlen begleitet. Ein Festival in der Pandemie – kann das wirklich funktionieren?

Um es kurz zu machen: Es funktionierte ganz hervorragend. Die Piazza und der erweiterte Avant-Garten boten viel Platz und Programm unter freiem Himmel mit ausreichend Ausweichmöglichkeiten, die Besuchersteuerung klappte und soweit ich das beobachten konnte, ging auch das Hygienekonzept für die Hallen auf. Ich habe mich nur in einer Situation (ver)unsicher(t) gefühlt, was nicht am Veranstalter lag (dazu später). Ein dickes Lob an das Kampnagel-Team!

Kim Noble: Lullaby for Scavengers

Zum Einstieg hatte ich mir Kim Nobles „Work in Progress“ in der K2 ausgesucht. Innerhalb von Minuten wurde mir klar, dass ich unter einem „traurigen und feinsinnigen Comedy-Abend“ etwas vollkommen anderes verstehe als die Verfasser des Programmtextes. „Traurig“ stimmte, „feinsinnig“ immerhin noch phasenweise, aber wer „Comedy“ erwartet hatte, konnte nur enttäuscht werden. Ebenso, wer sich durch András Siebolds Teaser „für alle Menschen, die sich für Sex mit Eichhörnchen interessieren, ist das das Stück der Stunde“ motivieren ließ. Zentrale Themen des Programms waren Einsamkeit, Tod und Vergänglichkeit. Bei seiner ganz eigenen Art der Vermittlung sparte Noble nicht an Ekelfaktoren, Verstörungen und Absurditäten und schreckte auch nicht davor zurück, Filmaufnahmen seines augenscheinlich todkranken und dementen Vaters zu verwenden. Eigentlich überhaupt nicht mein Geschmack. Nichtsdestotrotz hat es mich berührt und im Nachgang noch lange beschäftigt.

Sebastian Quack & Team, Imagine the City: BOTBOOT Launch

Als hätte es noch eine Bestätigung gebraucht: Ich bin keine Gamerin und werde in diesem Leben wohl auch keine mehr. Die Idee hinter BOTBOOT ist toll, zugegeben, aber die Umsetzung fand ich halbgar und teilweise verwirrend. Der mittelmäßig vorbereitet bis chaotisch wirkende Launch auf der Waldbühne des Avant-Garten trug vermutlich dazu bei, aber auch so hat mir fürs Weiter- oder gar Durchspielen Motivation und Geduld gefehlt.

Carsten „Erobique“ Meyer

Ein Improvisator vor dem Herrn. Großer Spaß auf der Kanal-Bühne. Eines von insgesamt drei Festival-Highlights.

Nesterval: Der Willy Brandt-Test

Das zweite Festival-Highlight und ein perfektes Beispiel dafür, dass das Verlegen ins Netz beziehungsweise nach Zoom nicht zwingend eine Einschränkung bedeuten muss. Unter normalen Umständen hätte es wohl keine Teilnehmer aus verschiedenen Städten in einer Session gegeben und auch keine Hybrid-Situation vor Ort in Hamburg: Zwei Schauspieler in Containern dort, der Rest des Teams in diversen Heimbüros. Mit Kreativität und entsprechendem Aufwand geht so viel mehr als eine bloße Frontalbespielung – das darf gerne bleiben, auch nach COVID-19. Was den Inhalt betrifft, wie sieht es da aus, ist spoilern mittlerweile erlaubt? Na, ich machs mal lieber nicht. Nur soviel: Man ist als Tester:in und Teil des Publikums deutlich involvierter, als man noch bis kurz vor Schluss denkt. Ich habe einmal online auf dem heimischen Sofa teilgenommen und danach die Abschlussdiskussion einer zweite Runde auf Kampnagel am Bildschirm verfolgt. In dieser Reihenfolge, also nach der aktiven Ersterfahrung, war das passive Zuschauen ein besonderes Fest. Kurzum: Sehr gerne wieder Nesterval!

Gob Squad: Show me a good time

Eine Niete ist ja auch immer dabei. Dieses Jahr war es „Show me a good time“. Ich hatte mich für die Live-Version in der K2 entschieden, was sich als kapitaler Fehler herausstellte. Das lag in erster Linie an Bastian Trost in der Rolle des Moderators, dem nach zahlreichen Belanglosigkeiten allen Ernstes nichts Besseres einfiel, als mit dem trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnis per Stand heute immer noch unkalkulierbaren Restrisiko der Hallensituation zu kokettieren. Hat geklappt bei mir, herzlichen Glückwunsch! Aber auch die übrigen Charaktere des Szenarios überzeugten wenig, sie wirkten ebenso aufgesetzt wie planlos. Mit einer Ausnahme: Simon Will. Seine Reise hätte ich gern noch weiterverfolgt, allerdings nicht um den Preis, mich mit Sharon Smiths Pseudo-Wicca-Ritualen und dem dräuenden Einsetzen der Menstruation von Wie-hieß-sie-noch-gleich auseinandersetzen zu müssen. Ich nutzte die Pause zur Flucht.

Das verschaffte mir Zeit und Gelegenheit, um mich den Dauerbespielungen innerhalb des Avant-Garten-Programms und der Ausstellung in der Vorhalle zu widmen:

Das Peng! Kollektiv: Klingelstreich beim Kapitalismus

Über Verlauf und Ergebnisse der Aktion konnte (und kann) man sich zwar besser im Netz informieren als an der vor Ort installierten Telefonzelle, aber ich verteile einen Sonderpluspunkt für die schöne Präsentationsidee! Apropos, weiß die Jugend von heute überhaupt noch, was ein (Telefon-)Klingelstreich ist oder muss man das schon erklären? Ich fürchte ja letzteres…

JAJAJA: Radio Atopia

Hat mich nicht überzeugt, was aber auch am DJ des Abends gelegen haben kann. Technisch betrachtet hätte man auf alle Fälle an Sound und Lautstärke noch arbeiten können: Für meine Ohren wars zu dumpf-dröhnend. Und viel zu laut.

Marlene Monteiro Freitas: Cattivo

Das dritte Festival-Highlight!

Cattivo

Cattivo

Faszinierend, was man alles mit Notenständern ausdrücken kann.

Cattivo

Cattivo

Über die dritte Festival-Woche kann ich nichts berichten, da war ich an der Nordsee unterwegs. Natürlich hätte ich gerne mindestens noch Chilly Gonzales in der K2 gesehen, aber irgendwie kamen wir auch in diesem Jahr wieder nicht zusammen. Davon abgesehen hätte zwischen mir und dem Konzerterlebnis ja auch noch die zugunsten von Medical Volunteers International e. V. veranstaltete Ticket-Lotterie gestanden, denn Platz gab es nur für zweimal 100 Personen. Eine reichlich unsichere Bank.

Aber was hilfts. Neuer Versuch im nächsten Jahr!

It takes two to tango

Es hilft nichts, ich muss doch darüber schreiben.

Zuerst lese ich es im Newsletter des Schleswig-Holstein Musik Festivals: Wir machen wieder Livekonzerte! Freude, schöner Götterfunken usw. usf.! Äh, Moment: „Für jedes dieser Konzerte stehen 125 ‚Duo-Karten‘ zur Verfügung, die jeweils zum Einlass von zwei Personen eines Haushalts berechtigen“. Ich zähle die Personen meines Haushalts und komme exakt bis eins. Und nun?

Als nächstes folgt die Elbphilharmonie mit „Sommer, Sonne, Konzertkino“. Buchbar sind die Ticketvarianten Wiesenfläche für 4 Besucher bzw. Strandkörbe oder Wiesenfläche für 2 Besucher – schönen Dank auch. Damit nicht genug: In-House-Konzerte können vorerst nur mit stark verringerter Besucherzahl angeboten werden. So weit, so verständlich. Der Corona-Saalplan des Großen Saals sieht bei 628 bestückbaren Plätzen allerdings gerade einmal 13 Einzelsitze vor, bei denen es sich weder um Rollstuhlbegleit- noch um unverkäufliche Dienst- und Direktionsplätze handelt. Im Kleinen Saal werden gar keine Einzelplätze angeboten. Euer Ernst?

Bei allem Verständnis dafür, dass man trotz der geltenden Beschränkungen möglichst viele Plätze besetzen will: Kulturfans treten nicht nur paarweise auf. Laut Statistikamt Nord werden 54,5% der Haushalte in Hamburg von nur einer Person bewohnt. Der Begriff „Minderheit“ ist in diesem Zusammenhang relativ.

Als Einpersonenhaushalt darf ich mir nun also aussuchen, ob ich doppelt löhnen oder auf das Abstandsgebot pfeifen soll. Beides für mich keine Option. Ich zahle aus Prinzip keine Einzelzimmerzuschläge, sondern trage mein Geld zu Unternehmen, die Alleinreisende nicht als Abweichung von der Norm verstehen. Da fange ich mit so etwas erst recht nicht bei Kulturveranstaltungen an – Corona hin, Hygiene her.

Was bleibt mir übrig? Da zu buchen, wo Einzelkämpfer erwünscht sind und nicht draufzahlen. Bei den Konzerten auf dem Lattenplatz des Knust zum Beispiel. Oder beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel.

Ansonsten bin ich im Lichte der neuen Erkenntnis sehr gespannt, was mit meinem (bereits bezahlten) Elbphilharmonie-Abo passiert. Hatte ich übrigens erwähnt, dass ich immer noch auf Ticketrückerstattungen warte?

In Concert: Das Kaiser Quartett auf Kampnagel

Das voraussichtlich letzte Konzert des Jahres 2019 fehlt noch! Es war mir ein ganz besonderes Vergnügen, denn nicht nur die vier Musiker auf der Bühne, auch ich erinnere mich noch lebhaft an den äußerst spärlich besuchten ersten Soloauftritt des Ensembles vor wenig mehr als drei Jahren im Golem. Für die Jüngeren unter uns: Das Golem war ein Club unweit des Hamburger Fischmarkts. Gibt’s mittlerweile nicht mehr.

Das Kaiser Quartett erfreut sich hingegen bester Gesundheit. Die K2 auf Kampnagel war restlos ausverkauft, die Tour läuft schon eine Weile, die Platte ist draußen und obwohl ich zugegebenermaßen ein wenig auf den ein oder anderen Gastauftritt spekuliert hatte, gebraucht hat es den nicht.

Was schrub ich seinerzeit? „Das war nicht nur musikalisch fein, sondern darüber hinaus auch sehr unterhaltsam, und vielleicht sage ich ja irgendwann: ‚Ich kannte sie schon, als sie noch in kleinen Clubs an der Elbe…'“.

Joah. Passt wohl.