Drei Abende in der Elbphilharmonie

Ich habe drei Abende in der Elbphilharmonie und einen auf dem Reeperbahn Festival nachzutragen. Ich fange mit der Elbphilharmonie an.

Da hatte die Neugier gesiegt und mich zum Kauf eines Tickets für die „Harbour Front Sounds“-Veranstaltung zu Manfred Krug und seinen Tagebüchern im Kleinen Saal bewogen. Dort saßen Manfred Krugs zweitjüngste Tochter Fanny als lesend und singend Vortragende und Krista Maria Schädlich als langjährige Freundin Krugs und Herausgeberin der Tagebücher zusammen mit Olli Schulz, dem die Moderatorenaufgabe zugedacht war. Dankenswerterweise gelang es den Damen problemlos, sich gegenüber Herrn Schulz zu behaupten. Der schien leider immer wieder zu vergessen, dass er nicht die Hauptperson des Abends und als Alleinunterhalter geladen war. Ließ sich gar noch zu einem mehr als peinlichen „Zaubertrick“ hinreißen. Ich bin nicht sicher, ob ich das eher anstrengend oder eher unterhaltsam fand. Irgend etwas dazwischen vielleicht. Bedauerlicherweise war Frau Krug stimmlich etwas angeschlagen, nichtsdestotrotz mochte ich die Songs und ihre Art, diese und die Tagebuchauszüge vorzutragen, sehr. Das letzte Musikstück, eine deutschsprachige Fassung von „Baby, it’s cold outside“ im Duett mit ihrem Vater – die Technik macht’s möglich – hat mich richtiggehend angerührt. Und auch die wunderbare Klavierbegleitung durch Bene Aperdannier soll nicht unerwähnt bleiben.

Tatsächlich war die Veröffentlichung der Krug’schen Tagebücher komplett an mir vorbeigegangen. Durch die vorgetragenen Ausschnitte angefixt, lieh ich mir die beiden bisher erschienenen Bände aus der örtlichen Bücherhalle. Der erste Teil enttäuschte mich schnell: Manfred Krug präsentiert sich darin selbstverliebt, grumpy und vor allem sehr überzeugt davon, wie schlecht andere in ihren Jobs sind (vor allem: Regisseure und -innen, Drehbuchautor:innen, andere Schauspieler:innen, aber auch Werbetreibende und Handwerker:innen). Schauspielerinnen werden auf ihre „Tittchen“ reduziert und die Art und Weise, wie selbstverständlich dieser (alte, weiße) Mann davon ausgeht, dass Ehefrau und Geliebte ihm – am besten noch in trauter Eintracht – die Koexistenz beider Lebens- und Liebesformen gestatten, triggert mich aus sehr persönlichen Gründen außerordentlich. In den Einträgen nach dem Schlaganfall Krugs im Juni 1997 ändert sich der Ton allerdings merklich und die zeitgeschichtliche Komponente bleibt faszinierend. Als Jahrgang 1973 stöbere ich da nicht zuletzt in meiner eigenen Vergangenheit. Ich werde also wohl noch den zweiten Band lesen und zudem irgendwann auch die Lektüre von „Abgehauen“ nachholen. Zuerst freue mich aber auf Alan Rickmans „Madly, Deeply“. Ich bin mir sicher: An dessen Tagebuchaufzeichnungen werde ich weitaus größeres Vergnügen haben.

Die übrigen Veranstaltungen des diesjährigen Harbour Front Literaturfestivals, die mich interessiert hätten, fanden übrigens dummerweise allesamt in der Woche statt, in der ich studiumsbedingt in Berlin weilte, darunter die Aufzeichnung einer weiteren Folge des NDR-Literaturpodcasts eat.READ.sleep und eine Lesung mit „Mr. ESC“ Peter Urban. Das Festival läuft noch bis zum 28. Oktober 2023.

Das zweite nicht ganz ungetrübte Event war das Konzert von Elvis Costello und Steve Nieve. „Hunderte Fans verließen vorzeitig den Großen Saal“, schrieb am darauffolgenden Tag das Hamburger Abendblatt. Das ist zwar ein klein wenig übertrieben, aber der Besucherschwund war in der Tat nicht unbeträchtlich. Keine Ahnung, ob Mr. Costello sich nicht gut genug gehört hat oder vielleicht generell nicht mehr so gut hört, aber in manche seiner Songs ist der Mann weder vom Tempo noch vom Ton her hineingekommen. Im Sinne von hart an bis jenseits der Schmerzgrenze. Man fragt sich auch, wie ein Mensch mit derart langjähriger Bühnenerfahrung dermaßen ungeschickt im Umgang mit den diversen Mikrofonen auf der Bühne sein kann. Jedenfalls, den teils unterirdischen Sound hatte keinesfalls allein die Technik zu verantworten. Es gab aber auch die Stücke, bei denen alles passte. Für diese Perlen und die Einlagen jenseits der elektronischen Verstärkung hatte sich der Kartenkauf gelohnt. Und nicht zuletzt für Steve Nieve am Flügel.

Auch der dritte Abend wurde von manchen als problematisch bezeichnet: beispielsweise von Joachim Mischke, dem langjährigen Kulturredakteur und Musikkritiker beim bereits erwähnten Abendblatt, in einem Posting auf Facebook unmittelbar vor Konzertbeginn. „Currentzis dirigiert – ausgerechnet – Schostakowitsch 13, ‚Babi Jar’… Ein Stück, das auch den Antisemitismus in der Sowjetunion kritisiert. An das Massaker in der Ukraine erinnert dort ein Denkmal, und das wurde im März 2022 durch russischen Raketenbeschuss beschädigt. Und Currentzis schweigt nach wie vor zu so vielen Fragen, die seine Haltung zu Putin und dessen Angriffskrieg betreffen“, schreibt Mischke dort. Einerseits nachvollziehbar. Andererseits, wenn ich mir manche der Programmentscheidungen (und -änderungen!) der jüngsten Vergangenheit anschaue, die Teodor Currentzis zweifelsohne federführend gestaltet hat, fällt es mir nicht allzu schwer, darin eine kriegsablehnende Haltung zu erkennen. Und vielleicht muss man dem Mann zugestehen, in einem Dilemma zu stecken, das man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Aber ich gebe zu, als bekennender Fan ist es mir nicht möglich, objektiv zu sein.

Wie dem auch sei, musikalisch enttäuschte der Auftritt nicht. Neben Currentzis und dem SWR Symphonieorchester standen der Estnische Nationale Männerchor, Bratschist Antoine Tamestit und Bassist Alexander Vinogradov auf der Bühne. Marko Nikodijevićs Violakonzert berührte und die Interpretation der Schostakowitsch-Sinfonie überwältigte mich erwartungsgemäß. Die anschließende „Nach(t)musik“, bestehend aus der Overtüre über hebräische Themen c-Moll op. 34 von Sergei Prokofjew, Béla Kovács‘ „Sholem-Alekhem, rov Feidman!“ und einem Klezmer-Tanz des rumänischen Komponisten Șerban Nichifor, lebte von der unbändigen Spielfreude der Beteiligten, darunter auch Solist Tamestit. Wie bedauerlich, dass es Currentzis‘ letzte Saison als Chefdirigent des SWR SO ist. Ein Gastspiel in dieser Kombination gibt es noch in der Elphi, am 12. Dezember 2023. Noch gibt es Karten.

(Jahres-/Konzert-)Rückblick 2022

Ich hatte mehrfach angesetzt, es aber es bis Jahresende nicht hingebracht, über die beiden Dezemberkonzerte zu berichten. Aufgrund des fortgeschrittenen Datums bietet sich eine Verbindung mit dem Jahresrückblick 2022 an.

Das vorletzte Konzert war ein „Blind Date“ mit Klaus PaierAsja Valčić und Gerald Preinfalk, die ihr gemeinsames CD-Projekt „Fractal Beauty“ vorstellten.

Das kam durchweg gut an im vollständig ausverkauften Kleinen Saal der Elbphilharmonie und vielleicht hat sich Gerald Preinfalk inzwischen auch wieder beruhigt ob des Konzepts meiner Lieblings-Konzertreihe. „Und Sie wussten wirklich nicht, was Sie heute Abend erwartet?!“

Ausverkauft war auch das letzte Highlight des Jahres: Yulianna Avdeeva, Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester boten Sergej Prokofjews Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16, Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ und Maurice Ravels „Bólero“ dar. Im direkten „Bólero“-Vergleich haben Utopia und die Laeiszhalle klanglich einen knappen Sieg davongetragen. Unter optischen Aspekten gewinnt dagegen mit großem Abstand der Große Saal der Elbphilharmonie. Denn Teodor Currentzis dirigierte weite Teile des Stücks durch bloße Veränderungen in seiner Körperhaltung und auf dem Seitenplatz in 13 I kam ich in den vollen Genuss dieses durch und durch faszinierenden Schauspiels – anders kann man es nicht bezeichnen. Das Auge hört mit!

Yulianna Avdeevas Zugabe, die Nocturne cis-Moll op. posth. BI 49 von Frédéric Chopin, brachte mich zuvor für einen kurzen, aber dafür umso intensiveren Moment zurück in die kleine Laeiszhalle und zu meinem Konzert des Jahres 2015. Die als finale Zugabe konzipierte „Nach(t)musik“ bestand aus dem Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 67 von Dmitri Schostakowitsch, interpretiert von Yulianna Avdeeva, Mila Georgieva (Violine) und Frank-Michael Guthmann (Violoncello). Diese Programmwahl fand nicht bei allen im Saal uneingeschränkte Zustimmung – so beispielsweise bei dem Teil des zahlreich angetretenen Abopublikums nicht, der links neben mir bis unmittelbar vor Konzertbeginn telefonierte und mit Bäckereitüten knisterte. Mein besonderer Respekt gebührt der Dame, die es fertigbrachte, während „Le sacre du printemps“ einzuschlafen. Dass der Intendant gegen Ende der ersten Pause höchstpersönlich darum bat, das feedbackzwitschernde Hörgerät – irgendwo auf den richtig teuren Plätzen – möge doch bitte unter Kontrolle gebracht werden, fügte sich in dieses tendenziell unschöne Bild. Sehr dankbar bin ich dagegen den Herrschaften rechter Hand, die mich auf das Konzert des London Symphony Orchestra mit Barbara Hannigan und Veronika Eberle im März 2023 aufmerksam machten. Das war mir unerklärlicherweise durchs Raster gehüpft.

Was die musikalischen Erlebnisse insgesamt betrifft, ist vergleichsweise wenig passiert im frisch vergangenen Jahr. Weil an anderen Stellen so viel passierte. Zu neuen Konzertorten kam ich daher ebenso wenig wie zu Festivalbesuchen (vom Internationalen Sommerfestival abgesehen). Für eine kleine Liste reicht es dennoch.

Die bemerkenswerten Premieren:

Die Wiederholten:

Einen Jahres-Favoriten kann und möchte ich nicht nominieren, sondern lediglich feststellen: Weniger ist tatsächlich mehr. Auch eine Erkenntnis.