In Concert: Joshua Bell, Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Einerseits möchte ich ganz unbedingt und ziemlich dringend etwas über den vorgestrigen Auftritt von Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie schreiben. Ich kann andererseits aber keineswegs das Konzert von letzter Woche unterschlagen. Um Joshua Bell, Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester soll es also zunächst gehen, und um Ligeti, Sibelius und Weinberg.

Ich kannte „Atmosphères“ von György Ligeti bislang nur als Teil des Soundtracks von „2001: Odyssee im Weltraum“ und bin zudem davon ausgegangen, dass es ein elektronisches Musikstück ist. So kann man sich irren! Es war faszinierend, dem NDR Elbphilharmonie Orchester beim Erzeugen dieser Klänge zuzusehen, wozu sich mein Platz in 13 F dankenswerterweise ganz hervorragend eignete. Die Menschen um mich herum schienen dagegen eher befremdet. Offensichtlich handelte es sich mehrheitlich weder um Ligeti-Fans noch um Cineasten. Im Programmheft war zu lesen, dass das Publikum bei der Uraufführung des Stücks derart begeistert war, dass das Stück umgehend wiederholt werden musste. Womit hinreichend bewiesen sein sollte, dass die Publikumsschnittmenge zwischen den Donaueschinger Musiktagen und den Abokonzerten des NDR Elbphilharmonie Orchesters nicht eben riesig ist.

Zum zweiten Stück des Abends kam Joshua Bell auf die Bühne. Das Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47 von Jean Sibelius ist mir insbesondere durch eine Aufführung der Hamburger Symphoniker mit Sergey Khachatryan unter Sir Jeffrey Tate in sehr guter Erinnerung geblieben. Ich kann leider gar nicht sagen, ob mir Joshua Bells Vortrag schlagend besser gefallen hat, so sehr habe ich mich von seiner Bühnenpräsenz der Marke „Ich weiß, dass ich sehr, sehr (sehr!) gut bin, und jede/r darf es nicht nur hören, sondern auch sehen“ ablenken lassen. Sympathiepunkte hat ihm das bei mir jedenfalls nicht gebracht. Ich merke mir (quasi als Serviervorschlag): prinzipiell gerne wieder, aber künftig mit geschlossenen Augen zu genießen.

Nach der Pause kam schließlich die Sinfonie Nr. 3 op. 45 von Mieczysław Weinberg zur Aufführung. Weinberg war mir vor der laufenden Konzertsaison vollkommen unbekannt. Diese Bildungslücke kann ich inzwischen als geschlossen betrachten. Der Autor des erläuternden Beitrags im Programmheft schien seltsam zwiegespalten in seiner Bewertung des Werks, aber ich mochte die dritte Sinfonie. Sehr sogar.

Außerdem mag ich Krzysztof Urbański und das NDR Elbphilharmonie Orchester sowieso! Hoffentlich gelingt es mir, ein Ticket zu ergattern, wenn diese Kombination das nächste Mal auf dem Spielplan steht. Das ist nämlich fortgesetzt schwierig. Ich weiß jetzt auch wieder, warum.


Wer sich selbst ein Bild machen will: Das komplette Konzert ist noch bis 11. März 2020 bei ARTE Concert als „Video on demand“ verfügbar.

In Concert: Pierre-Laurent Aimard in der Elbphilharmonie

Eines muss man dem Elbphilharmonie-Marketing lassen: Es kümmert sich um seine Stammgäste und man bemüht sich zumindest darum, anspruchsvolle Programmpunkte und wertschätzende Zuhörer zusammenzubringen. So erhielt ich beispielsweise nur wenige Tage nach dem Konzert von Pierre-Laurent Aimard im Oktober 2018 eine Empfehlung per E-Mail:

Wenn Sie genauso begeistert waren, haben wir hier eine gute Nachricht für Sie: Am 2. Mai 2019 ist der Ausnahmepianist erneut im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erleben. Bei seinem Auftritt widmet er sich einem weiteren Klassiker der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts: György Ligetis fantastischen Klavieretüden. … Wir freuen uns sehr, wenn Sie uns bei dieser musikalischen Entdeckungsreise mit Neugier und offenen Ohren begleiten.

Dieser Aufforderung bin ich gerne gefolgt, obwohl ich in diesem Leben wohl kein Ligeti-Fan mehr werde. Auch Aimards Vortrag konnte daran nichts ändern.

Warum ich trotzdem maßlos fasziniert war und jederzeit wieder ein Ticket kaufen würde? Virtuosität um ihrer selbst willen interessiert mich nicht, aber Pierre-Laurent Aimard vermag auch noch solchen Passagen Ausdruck zu verleihen, bei denen das Ohr des Laien die Anweisung „wildes Eindreschen auf die Klaviatur im Bereich der Großen und Kleinen Oktave, Dauer ca. 2 Minuten, Dynamik nach Ermessen“ auf dem Notenblatt vermutet. Sprachloses Erstaunen.

Irgendwo auf der Welt gibt es bestimmt ein Publikum, dass es schafft, einer solchen Leistung den gebührenden Respekt zu zollen. Der trotz aller Anstrengungen des Hauses noch immer zu große Pöbelanteil scheiterte daran am vergangenen Donnerstag krachend: Blitzende Kameralichter, blinkende Displays, mittendrin ein laut plärrender Klingelton, dazu ein „peinliches Rudelhusten“ (Zitat eines Mitleidenden) in der kurzen Verschnaufpause und als Krönung neben mir das Pärchen, dass sich während des Konzerts eine Cola Zero teilte (liebe Leute: ja, man hat gehört, dass in der Flasche Kohlensäure drin war! Jedes Mal!) und nicht bis zum Ende des Konzerts damit warten konnte, sich über das Erlebte auszutauschen, sowohl untereinander als auch per WhatsApp mit der Außenwelt.

Ich formuliere es bewusst drastisch: So wird das nichts mit dem Weltklasse-Konzertsaal. Denn nicht nur aufgrund der hypersensiblen Akustik des Raumes kann der leider nur so gut sein, wie auch das Publikum es zulässt.

In Concert: Das vision string quartet in der Elbphilharmonie

„Einem so großartigen und sympathischen Künstler wie Avi Avital die Show zu stehlen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Dem vision string quartet gelang dies allerdings im vergangenen Sommer.“ So ist es im Programmheft des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals zu lesen und genau aus diesem Grund hatte ich mich um ein Ticket für den Auftritt des Quartetts in der Elbphilharmonie bemüht: Nach dem Konzert in Lübeck im letzten Jahr war ich hingerissen, um nicht zu sagen schockverliebt in alle vier Musiker.

Der Abend unter der Überschrift „String Visions“ begann mit Dmitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110, das beinahe nahtlos in György Ligetis Streichquartett Nr. 1 überging. Nach der Pause folgte das Streichquartett Nr. 6 f-Moll op. 80 von Felix Mendelssohn und zwei Zugaben später verließ ein sehr überzeugtes Publikum den Großen Saal. Nicht ein einziges Notenblatt war auf der Bühne zu sehen und bis auf die Bank für den Cellisten auch keine Sitzgelegenheit für die übrigen drei Mitglieder des Ensembles. Spielweise, Auftritt und Repertoire lassen sich in zwei Wörtern zusammenfassen: „Vielseitigkeit“ und vor allem „Dynamik“. Letzteres mit mindestens fünf Ausrufezeichen.

Für das „KammermusikPlus“-Konzert am 1. 2. 2019 im Kleinen Saal gibt es übrigens noch Karten. Ich habe meine schon.