The Show must go online (4)

Mein kostenloses Ticket für die Digital Concert Hall ist gestern Abend abgelaufen. Das bedeutet, dass das vorläufig letzte reguläre Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie schon vier Wochen her ist. Vier Wochen, die mir gleichzeitig wie vier Tage und vier Monate vorgekommen sind – Hand hoch, wem es nicht so gegangen ist. Quasi Zeitlupe und Zeitraffer, zeitgleich. Wie war das noch? „It’s more like a big ball of wibbly-wobbly timey-wimey… stuff.“ Q.e.d.

Da kann man schon mal ein Juwel übersehen, wie z. B. dieses hier:

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit einer Küchenversion von „La Traviata“. Köstlich.

Auch die Royal Albert Hall hat inzwischen unter der Überschrift „Royal Albert Home“ eine Reihe mit Wohnzimmerkonzerten aufgelegt. Und bittet um Spenden, denn die Hall erhält sich und ihre Crew fast ausschließlich aus den Einnahmen aus Ticketverkäufen und Sponsoring. Die nun auf unbestimmte Zeit weggebrochen sind. Sogar Programmankündigung und Vorverkaufsstart der diesjährigen BBC Proms sind mittlerweile verschoben worden. Im Jahr des 125. Jubiläums.

Es trifft natürlich nicht nur die Proms und die Albert Hall. Großbritannien bekommt da auf (musik-)kultureller Ebene noch einmal ein ganz anderes Problem als wir hier in Deutschland, stützt sich dort doch der größte Teil auch der etablierten Institutionen, Häuser und Ensembles auf Freischaffende: „Wegen notorischer Probenknappheit gelten britische Musiker als die besten Vom-Blatt-Spieler der Welt: time is money.“ Als ob der drohende Brexit nicht schon genügt hätte, um dieses fragil gewordene System ins Wanken zu bringen.

Unabhängig davon, ein erstes Fazit nach vier Wochen Kultur vom Sofa aus: Wohnzimmerkonzerte und Konzertaufzeichnungen funktionieren bei mir als Ersatzdroge so gut wie gar nicht. Die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker, ich schrieb es schon, ist zweifelsohne super. Aber um das originale Klangerlebnis auch nur ansatzweise in den eigenen vier Wänden simulieren zu können, fehlt mir das Equipment. Nacherleben geht so gerade noch, wie bewiesen durch die „Enigma Variations“ – nobody does them like Sir Simon! -, Neues Entdecken hat dagegen überhaupt nicht geklappt. Nicht einmal mit Pierre-Laurent Aimard und Teodor Currentzis und wenn die zwei es nicht schaffen, dann weiß ich nicht, wer sonst.

Während diese Art Angebot meine technische Ausstattung überfordert, kommt eine Vielzahl der gestreamten Wohnzimmerkonzerte in einer derart grottenschlechten Klangqualität daher, dass ich in den allermeisten Fällen nach kurzer Zeit umschalte.

Ganz anders verhält es sich indes mit dem Theater. Falls aus dem ebenfalls bereits erwähnten „National Theatre at home“ ein dauerhaft verfügbares Bezahlangebot werden sollte, gehöre ich zu den ersten, die ein Abonnement abschließen. Ins Savoy gehe ich dann natürlich trotzdem noch. Versprochen.

„La Traviata“ in der Staatsoper Hamburg

Vor einigen Tagen wurde ich auf die Blogparade des Archäologischen Museums Hamburg in Zusammenarbeit mit Tanja Praske aufmerksam, die Überschrift lautet: „Verloren und wiedergefunden? Mein Kulturblick | #Kultblick“. Nun ist das Susammelsurium in seiner Gesamtheit ein Erfahrungsbericht der Wieder- und Neuentdeckung von allerlei Kulturellem mit musikalischem Schwerpunkt. Darüber eigens einen zusammenfassenden Text zu schreiben, hieße, sich in nicht wenigen Punkten zu wiederholen – etwas, was ich zu vermeiden versuche. Während ich noch darüber grübelte, flatterte mir die Einladung der Staatsoper Hamburg zum InstaWalk mit anschließendem Opernbesuch in den Posteingang. Der daraus entstandene Beitrag beantwortet zwar keine der #KultBlick-Fragen, jedenfalls nicht explizit. Aber das Thema hat viele Facetten. Der (Unter-)Titel für diese lautet: „Mit anderen Augen“.

Dass ich gestern Abend in der Staatsoper Hamburg saß und der Aufführung von „La Traviata“ lauschte, hatte sich kurzfristig ergeben. Es blieb keine Zeit, sich auf Oper und Inszenierung gebührend vorzubereiten. Wobei das im Prinzip nur für letzteres nötig gewesen wäre, denn Alexandre Dumas‘ Geschichte von der Kameliendame und mindestens die Arienhits der Umsetzung von Giuseppe Verdi und Francesco Maria Piave (Libretto) sind mir quasi von Kindesbeinen an bekannt.

Zwei Umstände führten dennoch dazu, dass ich das Gesamtgebilde Oper mit neuen Augen betrachtete.

Zum einen war es die vom Team der Staatsoper angebotene Führung am Nachmittag, die einer kleinen Gruppe Instagrammern, Twitterern und Bloggern Einblicke in Requisitenlager, Maske sowie auf und unter die Bühne gewährte.

Im Requisitenlager
Im Requisitenlager
Aufgetischt
Aufgetischt
Voller Einsatz
Voller Einsatz

Dabei lernten wir unter anderem, dass in den unterschiedlichen Gebäudeteilen nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen der (historischen) Land- und der Stadtseite unterschieden wird, der Bühnenraum 28m hoch ist, der Boden sich 10m absenken lässt und in ihm somit die „Rickmer Rickmers“ Platz hätte, warum es im Altbau, in dem sich Bühne und Künstlergarderoben befinden, keine Aufzüge gibt und dass sich für jede Sängerin und jeden Sänger – Solist oder Chor – ein eigenes Kopfmodell in der Werkstatt befindet, um Perücken nach Maß fertigen zu können.

Große Auswahl
Große Auswahl
Von Haupt- und anderen Haaren
Von Haupt- und anderen Haaren
Parsifal
Parsifal

Bevor man sich als Teil des Publikums lässig in seinen Sitz fallen lässt, um sich wahlweise berieseln, verzücken, verstören oder auch verärgern zu lassen, sollte man sich kurz vergegenwärtigen, wie viele Arbeitsschritte und helfende Hände, wie viel Handwerkskunst, Kommunikation, Koordination und Konzentration in jeder einzelnen Aufführung stecken. Die Ticketpreise relativieren sich damit sehr schnell und der Respekt vor der Leistung aller Beteiligter bleibt auch dann noch erhalten, wenn einem die Inszenierung nicht zusagt oder einer der Sänger einen schlechten Tag erwischt hat.

Soufflierplatz
Soufflierplatz
Auf der anderen Seite
Auf der anderen Seite

Zum anderen befand sich in der geführten Gruppe jemand, der noch nie im Theater war, bisher kein einziges klassisches Konzert besucht hat, am gestrigen Abend zum allerersten Mal eine Oper sah und daher mit einigen Fragezeichen in die Pause ging.

Ist das echter Text, singen die da wirklich Italienisch? Die Frage mag den Opernkenner bass erstaunen, aber wer neu in der Materie ist, die Story nicht kennt und versucht hat, aus den deutschen Übertiteln auf die jeweils gesungene italienische Textzeile zu schließen, stand streckenweise auf verlorenem Posten. Zumal die Bühnenhandlung inszenierungsbedingt nicht immer zu einhundert Prozent dem Libretto entsprach.

Ob das normal sei, diese ständigen Wiederholungen? Ganz schön anstrengend, der Gesang, insbesondere der hochfrequente Sopran. Meine Schwestern und ich, das fiel mir dabei ein, haben Koloraturen früher gerne als „Gejoller“ bezeichnet und zugegeben, ganz meine Stimme war das auch nicht. Rätselhaft waren dem Neuling zudem die auf geisterhaft getrimmten Gauklerfiguren, von Regisseur Johannes Erath mutmaßlich eingesetzt, den Andersweltcharakter des gewählten Schauplatzes zu betonen. Und dann war da noch das Violetta-Double, Teil des (übrigens ausnehmend schönen) Rahmenbildes zu Anfang und Ende der Inszenierung. Den Verlauf des 4. Bildes versteht nur, wer die Unterschiede zwischen literarischer Vorlage und Libretto kennt (bzw. wenigstens das Programmheft gelesen hat) oder entsprechend phantasiebegabt ist. Wobei: „Doch, doch das hab ich kapiert: eine zum Sterben und eine zum Singen!“ Genau.

Sterben dauert in der Oper ja prinzipiell ewig. Besonders anschaulich brachte das einst Herman van Veen mit dem Stück „Erstochen“ auf den Punkt. Die Augen des Opernnovizen schielten mehrfach auf die Uhr. Kaum verwunderlich, denn „La Traviata“ ist auch in dieser Hinsicht ein Extrembeispiel: Violetta benötigt zum Ableben gleich einen ganzen Akt. Die „wenigen Stunden“, von denen Dottore Grenvil am Anfang des Bildes spricht, werden gefühlt in Echtzeit ausgewalzt. Keine ganz leichte Einstiegskost also für jemanden, der ansonsten vorzugsweise elektronische Musik hört. Da hatte es Julia Roberts als Vivian Ward etwas leichter, damals in „Pretty Woman“. Gerade auch thematisch. Bravo fürs Durchhalten!

Ja, doch, so lautete das Fazit, ziemlich herausfordernd, aber interessant. Bestimmt nochmal Oper, wohl nicht sehr bald, aber irgendwann. Zu denken gab mir der Satz „Das ist doch eher etwas für ältere Leute, wenn ich mir das Publikum so ansehe.“ Dass wir den Schnitt gestern Abend gesenkt haben, war leider nicht zu leugnen. Ebenso wenig, dass es unter anderem dieser Umstand war, der mich selbst so lange mit der Staatsoper und symphonischen Konzerten hat hadern lassen. Was man dagegen tun kann? Sich öffnen, zum Beispiel mit Instagram & Co., und damit – wie geschehen! – neue Augen ins Haus locken.

Abgesehen von diesen Beobachtungen und Einsichten: Ich mochte die Kostüme, ebenso das Bühnenbild – nicht trotz, sondern wegen seiner Schlichtheit -, mir gefiel die Inszenierung und was die Gesangsparts angeht, fielen meine Eindrücke in etwa mit dem des Applausometers zusammen. Besonders viel Zuspruch ernteten Dinara Alieva als Violetta Valery (das war schon gut, nur halt knapp nicht meine Frequenz), Liparit Avetisyan als Alfredo Germont (ein Hauch zu viel Geschluchze für meinen Geschmack, aber andererseits: wo, wenn nicht bei „La Traviata“ und in dieser Rolle!) und vor allem Juan Jesús Rodríguez als Giorgio Germont (ich bin ja doch irgendwie ein Bariton-Mensch).

Übrigens, wer selbst einmal hinter die Kulissen der Staatsoper schauen möchte, kann sich einer öffentlichen Führung anschließen, eine private buchen oder aber das hauseigene Blog durchstöbern. Lieblingsbeispiele: im Schnelldurchlauf zur Parsifal-Hauptprobe und der #KopfdesFigaro.

Der #KopfdesFigaro
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