Hätte, hätte, Infektionskette

Eigentlich wär ich jetzt gerade nicht in Hamburg, sondern auf der Ostsee. Das übliche „Statt Postkarte“-Foto entfällt aus sattsam bekannten Gründen. Aber nicht ersatzlos! Ich biete ein 1A-Symbolbild aus dem nahegelegenen Stadtpark, die Bildunterschrift: „Vandalismus in Zeiten von Corona“. Adam und seine ähnlich verunstaltete Eva (Oskar Ulmer, 1933) wurden mittlerweile wieder gereinigt. Sie sind Kummer gewohnt: „Verzierungen“ kommen mehrfach im Jahr vor, werden aber normalerweise unterhalb der Gürtellinie platziert. Bei Eva gerne auch in Brusthöhe.

Wo ich schon dabei bin, kann ich auch schnell noch zwei neue Lieblings-Splitscreen-Performances und einen Klassiker beisteuern.

Da sind zum einen Manu Delago und Douglas Dare mit „Wherever you are“, aufgenommen im Rahmen des „Sea Change 2020„. Das komplette Festival wurde ins Netz verlegt und ich glaube beinahe, ich muss da nochmal stöbern.

Via Kiki. Vierunddreißig Jahre. Puh. Die Extended Version ist eine der wenigen von mir erworbenen Maxi-Singles aus dieser Zeit, die sich bis heute in meinem Besitz befinden.

Ja, ich weiß: uralt (2009)! Und gar nix mit Corona! Aber hebt zuverlässig die Laune und meine hat es gerade nötig.

Begegnung bei Vollmond

Gegen viertel nach zehn bin ich auf dem Weg vom Planetarium quer durch den Stadtpark nach Hause. Aus Gründen trage ich eine Yogamatte unter dem Arm.

Komischer Typ der Sorte „hoffentlich labert der mich nicht an“ nähert sich von schräg links. Guckt einmal über die Schulter, zögert, geht ein paar Schritte weiter, guckt zweimal. Labert mich an. „Sind Sie Yoga-Lehrerin?“

Ich: „Nö.“
Komischer Typ: „Was machen Sie denn beruflich so?“
Ich: „Ich arbeite im öffentlichen Dienst.“
Komischer Typ: „Das heißt Sie arbeiten in einer Behörde oder so?“
Ich: „Yep.“

Komischer Typ „das ist echt nicht interessant“ in seinen spärlich vorhandenen Bart murmelnd nach links ab.

Ich liebe meinen Job.


Über die neue Show „Best of Deep Space Night“ im Planetarium schreibe ich, wenn ich sie gesehen habe. Die echte „Best of“. Mit den richtigen Zugaben. Nichts gegen Wayne Morris, aber ich steh halt nicht so auf Opa-Rock.

Sonntagsrunde

Inzwischen bin ich bei meinen Laufbemühungen wieder auf dem Stand „15km am Stück sind mühsam, aber machbar“ angelangt. Wenn irgend möglich beschränke ich mich daher sonntagmorgens nicht mehr auf den Stadtpark, sondern trabe an dessen südlichen Rand entlang weiter bis zur Alster, einmal links um ebenjene herum und wieder zurück durch den Stadtpark nach Hause.

Die Alsterrunde ist eine sensationell schöne Strecke, aber zugleich auch Naherholungsgebiet und Laufsteg und entsprechend gut frequentiert. Schlau ist, wer möglichst früh startet. Was heute Morgen leider wieder nicht geklappt hat. Diesmal nicht etwa, weil ich zu spät aus den Federn kam, sondern weil ich es für sicherer hielt, den Durchzug des Gewitters abzuwarten. Zu eindrucksvoll ist mir noch das Bild vom Freitagabend im Gedächtnis: das Rettungssanitätergrüppchen, heftig bemüht um einen kollabierten Jogger. Ein Teil von mir hofft ja immer noch, dass das ein Training war. Da standen verdächtig viele Retter herum, darunter ein hoher Anteil an jungen Leuten. Andererseits hätte ich mich als Übungsobjekt nicht so bearbeiten lassen. Eine Puppe war das jedenfalls nicht.

Man mische das mit der weiterhin ungelösten Arbeitssituation sowie dem mehr als unbehaglichen Gefühl, Bilder vom „eigenen“ Edeka-Markt in den Abendnachrichten zu sehen und die entsprechende Meldung dazu zu hören und erhalte einen sehr verhaltenen Wochenendstart.

We shall overcome

Apropos Edeka. Während ich nach absolviertem Sonntagslauf beim Bäcker schräg gegenüber meine Kuchenbelohnung erstehe, steht vor dem Laden ein buntgemischter Chor und singt „We shall overcome“.

One sincerely hopes so.

Musik liegt in der Luft

Hamburg-Winterhude. Hinter dem Planetarium zerparkt Mousse T. den gerade erst frisch wieder angewachsenen Grünstreifen. Zugegeben, es ist eine schicke Karre – Maserati hat hässlichere Autos gebaut – und der Mann ist in guter (bzw. schlechter) Gesellschaft, wie die zahlreichen Reifenspuren beweisen. Dennoch, nicht sehr gentlemanlike, Herr von und zu! So weit ist der Parkplatz nicht entfernt. Und wer keinen Fahrer hat, darf ruhig auch mal ein paar Schritte zu Fuß laufen.

"DJ, wir wissen, wo Dein Auto steht!"
„DJ, wir wissen, wo Dein Auto steht!“

Damit beende ich die Lästerei, sonst macht es morgen Abend am Ende noch „Meeep!“ bei der Ticketkontrolle und ich werde nicht reingelassen. Das wäre fatal, immerhin steht das erste Mousse T./Schiller/Marionneau nach 3 1/2 Jahren an. Ich schmunzele immer noch ein bisschen über die Veranstaltungsankündigung von heute Morgen, die mir die Facebook-App ungefragt aus dem Französischen übersetzte: „T-Schaum./Schiller/Marionneau“. Immer, wenn ich glaube, dass ich endlich alle Automatismen abgestellt habe, die mir den Newsfeed versauen, denken sich Zuckerbergs Schergen eine neue Finte aus. Wenigstens hat mir diese einen Lacher entlockt.

Auf der anderen Seite des Stadtparks kündigen Fury in the Slaughterhouse einen Konzeptabend an. „30 Jahre Fury, 30 Songs. Ich hoffe, ihr habt Zeit mitgebracht!“ Es erklingt das Intro von „Radio Orchid“. Ich singe die erste Strophe und den Refrain mit, bis ich außer Hörweite bin.

Osterlauf

Heute habe ich es vor den Osterspaziergängern in den Stadtpark geschafft. Am Karfreitag war mir das nicht gelungen, und so wurde ich dank meines immer noch sehr langsamen Lauftempos Zeugin zahlreicher kleinerer (Familien-)Dramen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der tags zuvor vom Fräulein Read On berichteten Gründonnerstags-Szenerie war nicht von der Hand zu weisen. Ein klein wenig Schadenfreude erzeugt solches bei mir ebenfalls, ja, doch, ich gebe es zu. Aber vor allem: Erleichterung. Das ist nicht mein Problem, jenes auch nicht, und das da drüben erst recht nicht. Vielleicht nicht sehr nett von mir. Aber manchmal muß das sein.

Jetzt ist alles ruhig. Vereinzelte Gassigeher wechseln sich mit Joggern und Walkern ab. Noch eine Stunde, vielleicht auch nur eine halbe, dann kommen die Flaneure. Am Modellboot-Becken sitzen zwei ältere Herren, sich lebhaft unterhaltend. Einer von beiden steuert einen Zweimastgaffelschoner, seine Hände und die Fernsteuerung sind mit einer wasserdichten Hülle bedeckt. Vom weiten sieht es aus, als trage er einen Muff.

Das Stadtparksee-Schwanenpaar steht augenscheinlich sehr gut im Futter, möglicherweise als Nebenwirkung des verlängerten Winterquartiers. Der Schwanenmann wagt sich dennoch weit aus dem Wasser, bis über den Weg und zur Bank, der raschelnden Brottüte entgegen.

Auf dem gesamten Gelände grünt und blüht es derzeit um die Wette. Dennoch fällt an einer Stelle ein gänzlich anderes Bunt ins Auge.

Love is on the egg
Love is on the egg
Das Haiop-Ei
Das Haiop-Ei

Die Haiopeis als Ostermotiv sind mir zwar neu, aber nun. Jeder wie er mag.

Frohe Ostern!
Frohe Ostern!

Vorsicht, Kamikazemütter

An die Mutter mit dem SUV-großen Kinderwagen, die mich mit Leidensbittermiene und radikaler Entschlossenheit zu einem kurzfristigen Ausweichmanöver durch eine große Matschpfütze zwang: Ich freue mich schon darauf, wenn dein Nachwuchs mich einst an der Alster auf Fahrrad, Long- oder Hoverboard ohne Federlesens vom Gehweg fegt.

Nicht.

Gut erzogen

Auf der Laufrunde. Die Spaziergängergruppe bestehend aus Mutter mit Kinderwagen, Kleinkind an der Hand und Golden Retriever nebendran erreicht die Wiese vorm Planetarium. Der Retriever dreht sich um und fixiert das Kleinkind in vorfreudiger Erwartungshaltung, angereichert mit einer Prise „Ich war doch auch immer soooo lieb!“ im Blick.

Das Kind wendet sich zur Mutter: „Ball!“

Klassischer Fall von gut erzogen.

Lage, Lage, Lage!

Auf der Laufrunde. Hinter mir joggt ein frisch gebackener Vater mit Kumpel, beide offenbar in der Versicherungsbranche. Es geht um Kitaplätze, wann und in welcher Form die Frau wieder zu Arbeiten anfangen will (und vor allem, wie der frisch gebackene Vater es gerne hätte) und um Immobilienerwerb im Hamburger Umland. Die Hauptvokabeln: „Safe“, „Anzapfen“ und „Am Ende des Tages“.

„Lage, Lage, Lage!“, denkt derweil Specht 3 und hämmert weiter an seinem Eigenheim in Sichtweite des Planetariums.

Resonanzort

Wenn ich meine 15km-Strecke laufe, bewege ich mich immer möglichst lange am Stadtpark, bevor ich Richtung Maria-Louisen-Straße und Außenalster abbiege.

Ich komme dann an einem Platz vorbei, der kaum diesen Namen verdient. Er ist unbefestigt und am Rande gelegen, ein paar Parkbänke und die verwitterte Sandsteinskulptur eines Eisbären von Hans Martin Ruwoldt stehen darauf herum. Ich musste eine Weile suchen, bis ich auf die Bezeichnung „Südring/Bouleplatz“ gestoßen bin.

Boulespieler habe ich dort noch nie gesehen. Aber vor meinem inneren Auge läuft eh ein ganz anderer Film ab, wenn ich diesen Ort passiere: Er erinnert mich an einen Platz in Berlin. Das ist mir unheimlich. Es gibt da nämlich keine einzige Gemeinsamkeit.

Resonanzort

Der Berliner Resonanzort, so nenne ich ihn, liegt mitten in Mitte. Niemand käme auf die Idee, dort Boule spielen zu wollen. Es gibt auch keine Eisbärsandsteinskulptur, stattdessen einen Springbrunnen, drei Denkmäler und eine große, halbrunde Bank aus rotem, poliertem Granit. Das ist ein Stein, der sich gegen Ende eines heißen Sommertages anfühlt, als würde er von innen beheizt. Und an diese Wärme erinnere ich mich schlagartig jedes Mal, sobald ich mich dem namenlosen Bouleplatz am Hamburger Stadtpark auch nur bis auf Sichtweite nähere.

Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen: Ich schätze diese spezielle Resonanz nicht besonders. Sie trifft einen immer noch sehr wunden Punkt. Es kommt mir andererseits aber auch lächerlich vor, meine Laufstrecke deswegen zu ändern. Weil das alles bar jeder Logik ist. Zugegeben, das hier klingt nicht danach; aber ich gebe ansonsten viel auf Logik.

Dass ich zuletzt in Berlin war, ist nun anderthalb Jahre her. Übernächstes Wochenende fahre ich wieder hin. Vielleicht probiere ich dann aus, ob die Resonanz in beide Richtungen funktioniert. Vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen.