In Concert: Michael Wollny in der Elbphilharmonie

Ich möchte nichts gegen 2G-Veranstaltungen gesagt haben, grundsätzlich bitte unbedingt mehr davon! Aber erst zwei Tage vor dem Termin darüber zu informieren, ist doch ein wenig knapp, liebe Freunde von Eventim. Vor allem, wenn es prinzipiell schon Wochen vorher abzusehen ist. Mental hatte ich mich nämlich erst zu Anfang November auf ein erstes 2G-Konzert in der Elbphilharmonie vorbereitet.

Wer sich definitiv nicht ausreichend vorbereitet hatte: Das Einlassteam am Fuße des Großen Saals. Plötzlich musste, anders als bisher bei 3G, neben dem 2G-Nachweis ein Ausweisdokument vorgezeigt werden, und natürlich das Ticket. Man kombiniere dies mit nahezu voller Besetzung, einer uninformierten und überforderten Security und praktisch keiner Besucherführung bis unmittelbar vorm Einlassbereich und fertig ist das Chaos. Ich glaube nicht nur, dass das besser geht: Ich weiß es. Kampnagel, Laeiszhalle und das Schauspielhaus machen es vor, zwar bisher nur mit 3G, aber die Einlasskonzepte dort gehen zweifelsohne in die richtige Richtung.

15 Minuten vor Konzertbeginn
15 Minuten vor Konzertbeginn

Fazit: Wer dieser Tage eine 2G-Veranstaltung in der Elbphilharmonie besuchen und vorher entweder ein Getränk zu sich nehmen oder schnell noch eines wegbringen will, sollte etwas mehr Zeit als üblich einplanen. Besser 45-60 Minuten vorher vor Ort sein statt 20-30. Um und bei.

Ich schaffte es im Treppensprint bis vier Minuten vor Anfang des Konzerts an meinen Platz in 13 I (mit Klo!). Bei Etage 15 oder 16 wäre es arg knapp geworden. Und dann erst einmal tief durchatmen und akklimatisieren. Direkt links, rechts, vor und hinter mir: überall Menschen! Und keine Maskenpflicht mehr! Schon toll, aber auch ziemlich gewöhnungsbedürftig nach all der Zeit. Offenbar auch für Michael Wollny, der ein paar Takte länger als üblich benötigte, um in seinen Flow zu kommen und während des Abends mehrfach betonte, wie sehr er sich darüber freue, vor so vielen Menschen in der Elbphilharmonie spielen zu dürfen.

Meine Rechnung bezüglich des Sitzplatzes ging auf: Von meinem Platz aus konnte ich von schräg hinten auf die Tastatur des Flügels schauen und Wollnys Hände entweder direkt oder gespiegelt sehen. Auch die eigenwillige Beinarbeit war gut zu erkennen. Die Pole Position in der ersten Reihe beim Konzert im Mojo Club vor einigen Jahren konnte das zwar nicht toppen, aber es passte schon sehr gut.

Und musikalisch? Ein eigenes Level. Die ausschweifende Langstrecke ist dabei nicht unbedingt mein Favorit, aber die Perlen darin… „Father Lucifer“, beispielsweise, im Original von Tori Amos, wie lange habe ich das nicht mehr gehört. Und so überhaupt ja noch nie. Nichts gegen das Trio oder gegen 4 Wheel Drive. Oder gegen die diversen Kollaborationen, beispielsweise die Zusammenarbeit mit Konstantin Gropper alias Get Well Soon, das war super. Aber Michael Wollny solo, das ist vom anderen Stern. Hätte ich sehr gerne sehr viel öfter.

In Concert: Elbjazz 2019

„Für die einen ist es das Elbjazz-Festival, für die anderen der größte Biergarten Hamburgs!“

Das klingt vielleicht ein wenig gemein, aber den Eindruck konnte man mit Blick auf das Blohm+Voss-Gelände durchaus bekommen. Die Übernahme der Veranstaltung durch Karsten Jahnke ab 2017 mag das Elbjazz finanziell und grundsätzlich gerettet haben, aber angesichts der damit verbundenen Veränderungen frage ich mich nun im Jahr drei, ob ich dort noch richtig bin.

Das liegt in der Hauptsache daran, dass mich in erster Linie die kleineren Konzerte interessieren, das Festival aber insgesamt auf Masse setzt. So wird bei Blohm+Voss seit letztem Jahr leider nur noch die Alte Schiffbauhalle bespielt, die zweite kleine Bühne in der Schiffbauhalle 3 fehlt. Hinzu kommt, dass viele Veranstaltungen mittlerweile in den Sälen der Elbphilharmonie stattfinden und man sich frühzeitig und lange vor Bekanntgabe des restlichen Spielplans auf eines (!) dieser Konzerte festlegen muss.

Alte Schiffbauhalle
Alte Schiffbauhalle

Und dann ist da noch das Transferproblem zwischen den einzelnen Schwerpunkten, in diesem Jahr verschärft durch die Sperrung der U-Bahnlinie zwischen St. Pauli und Baumwall. Wer bei zeitlich nah aneinander liegenden Auftritten an weit auseinander liegenden Orten einen akzeptablen (Sitz-)Platz ergattern wollte, musste gut zu Fuß sein – auf den Busshuttle konnte man sich da im Zweifel nicht verlassen. Meine neue persönliche Bestleistung auf der Strecke St. Katharinen – Baumwall – Landungsbrücken – Alter Elbtunnel – Blohm+Voss beträgt knapp unter 40 Minuten.

Am zweiten Festivaltag bin ich diese Strecke gleich zweimal gelaufen: einmal, um es von KID BE KID feat. Julia Kadel gerade noch rechtzeitig in die Alte Schiffbauhalle zu Shalosh zu schaffen. Eigentlich hätte ich danach gleich wieder umkehren müssen, zu Hans Lüdemann nämlich. Aber das war mir einfach zu stressig. Stattdessen probierte ich es ersatzweise mit der Hauptbühne, auf der wenig später Sophie Hunger antrat. Mein Fall, so erkannte ich schnell, war die Dame allerdings nicht und der Vorplatz war zu diesem Zeitpunkt schon dermaßen bevölkert, dass ich allein aus diesem Grund schon das Weite gesucht hätte. Nach kurzem Zwischenstop zwecks Verpflegung bin ich daher wieder zurück Richtung St. Katharinen, gerade noch rechtzeitig, um das letzte Stück von Herrn Lüdemann zu hören und im Anschluss satte 1 1/2 Stunden auf den Auftritt von Teresa Bergmann zu warten. Alternativlos, denn die HFMT Young Talents-Bühne war um diese Uhrzeit bereits verwaist, in die Elbphilharmonie kam man ohne Sitzplatzticket nicht hinein, die MS Stubnitz war für einen spontanen Ausflug zu weit entfernt und abgesehen von der noch längeren Wegstrecke zurück zu Blohm+Voss habe ich Tower of Power schon als Jugendliche gehasst.

Gesehen/gehört hatte ich zuvor am ersten Tag: Joja Wendt, ADHD, das Michael Wollny Trio und Kit Downes. Die beiden Klaviateure waren erwartungsgemäß großartig, dazwischen fügten sich ADHD nahtlos ein – meine persönliche Entdeckung der diesjährigen Elbjazz-Auflage!

Für Kit Downes‘ Orgelexpeditionen in der Elbphilharmonie fehlte mir zum Schluss leider die Konzentration. Höchstwahrscheinlich wäre ich bei Jamie Cullum auf der Hauptbühne bei Blohm+Voss besser aufgehoben gewesen. Aber einfach mal eben wechseln ging halt nicht.

Auch der Auftritt von KID BE KID an Tag zwei hat mir gut gefallen. Gesang, Beatbox und Klavier live und gleichzeitig, so etwas funktioniert ja nur, wenn man es kann – sie kann, und wie!

Den anschließenden Sprint zu Shalosh habe ich musikalisch ebenso wenig bereut wie die Wartezeit bis zum Auftritt von Teresa Bergman als Schlusspunkt des Elbjazz-Programms in St. Katharinen.

Wie schon im letzten Jahr habe ich auch diesmal wieder die MS Stubnitz und die HFMT Young Talents-Bühne auslassen müssen. Besonders schade war’s um Glass Museum und die Rocket Men. Ins übrige Elbphilharmonie-Programm habe ich gar nicht mehr geschaut. Um mich nicht ärgern zu müssen.

Am Helgen
Am Helgen

Fazit? Die Perlen sind (immer noch) da, daran liegt es nicht. Allein, die Schale drum herum ist gefühlt deutlich dicker geworden, und mühsamer zu knacken. Auf mich passt wohl einfach das Format nicht mehr.

Ein Abschied also. Oder mindestens ein Aussetzen. Man soll ja niemals nie sagen.

In Concert: 4 Wheel Drive in der Laeiszhalle

Eigentlich hatte ich das Ticket in erster Linie deshalb gekauft, um Michael Wollny zu sehen und zu hören. Aber bei 4 Wheel Drive spielen neben Wollny noch Lars Danielsson (Bass, Cello), Wolfgang Haffner (Schlagzeug) und vor allem Nils Landgren (Posaune, Gesang). Letzterer übernahm auch die Moderation und zumindest nach außen die Führung des All-Star Ensembles und selbst wer das so gar nicht gebucht hatte, widerstehen kann man diesem schwedischen Charmeur kaum. Jedenfalls ich konnte es nicht.

Dabei geholfen hat wohl auch, dass das Programm mit „She’s always a woman“ begann. Ich kann nicht mal sagen, dass mir das 4WD-Cover meines allerliebsten Billy Joel-Songs besonders gut gefällt. Insbesondere des Gesangs wegen, denn Nils Landgren singt mit einer Stimme, die definitiv unter Geschmackssache fällt. Und dennoch oder vielleicht gerade deswegen: Sie hatten mich.

Gleichwohl waren nicht alle Arrangements des gleichnamigen Albums dazu geschaffen, das volle (Jazz-)Potenzial des hochkarätig besetzten Quartetts auszuschöpfen. Geklappt hat das noch am besten bei „Polygon“ von Michael Wollny, „Lobito“ von Wolfgang Haffner und der furiosen 7/8-Version von „Lady Madonna“. Gewissermaßen als Ausgleich erwachten dafür andere, vermeintlich erschöpfend durchgenudelte Popstücke zu völlig neuem Leben, „That’s all“ von Genesis beispielsweise, oder „Another day in Paradise“ von Phil Collins.

Alles in allem also ein lohnenswerter Abend, den ich allerdings aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf meinem Lieblings- sondern einem Ausweichplatz in Loge 1 des zweiten Rangs rechts verbrachte. Die Vogelperspektive noch hinter der Boxenreihe und über der Bühne hatte sich seinerzeit schon bei Ludovico Einaudi bewährt. Nur funktionierte bei 4 Wheel Drive der Bühnensound leider nicht ganz so gut: Das Schlagzeug dominierte und sowohl Lars Danielssons Bass bzw. Cello als auch Nils Landgrens nicht eben kräftige Stimme gingen streckenweise unter. Einerseits verständlich, dass für einen solchen Akt einigermaßen gesalzene Tarife aufgerufen werden. Wenn dann auch noch Siggi Loch und Karsten Jahnke höchstpersönlich im Publikum sitzen! Andererseits bedenklich bis ärgerlich, denn ich hatte zwar mit dem Ticket am oberen Rande meiner (Preis-)Schmerzgrenze noch einen freien Blick (Erfahrungswert aus dem Chilly Gonzales-Konzert), während eine Reihe hinter mir Menschen stolze 35 Euro für einen Hörplatz gezahlt hatten. Ich meine schon, das sich solches etwas stärker im Preis bemerkbar machen dürfte. Zumal offenbar nicht bei allen Buchungswegen das Etikett „sichtbehindert“ auch mitgeliefert wird.

Schnelldurchlauf

Mittwoch

Manchmal reicht ein verschobener Konzerttermin, um eine kulturreiche in eine Kulturstresswoche zu verwandeln. In diesem Fall war es das Konzert von JaKönigJa im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Ich hätte den Auftritt dennoch auf keinen Fall missen mögen, gerade auch wegen der Verstärkung durch Mitglieder der Jungen Symphoniker (Streicher, Holz- und Blechbläser). Das Zusammenspiel war bisweilen zwar nicht perfekt abgestimmt und auch in puncto Sound und Abmischung wollten die klassischen nicht ganz zu den weniger klassischen Instrumenten passen. Dem besonderen Reiz der Kombination tat das keinen Abbruch.

Donnerstag

Anders als die Elbphilharmonie kann die Laeiszhalle nicht mit klimatisierten Räumen aufwarten. Bei den Temperaturen der letzten Maitage geriet das Stummfilmkonzert der Hamburger Symphoniker unter der Leitung von Stefanos Tsialis zur Herausforderung – am Ende der Veranstaltung war nicht nur der Dirigent gut durch. Sei’s drum, Charlie Chaplin („Der Zirkus“, „Die feinen Leute“) geht einfach immer und unter allen Bedingungen.

Freitag

Irgendwie war es abzusehen: Seit Anfang der Woche waren Gewitter und Regenfälle bereits angekündigt, aber alles Unwetter beschrieb bis einschließlich Donnerstag einen eleganten Bogen um die Hansestadt. Punktgenau, gewissermaßen zur besten Sendezeit am ersten Tag des Elbjazz-Festivals, öffneten sich schließlich die Schleusen über Blohm & Voss und spülten unter anderem den Auftritt des Michael Wollny Trio über Bord. Zuvor hatte ich immerhin schon die von Kinga Głyk und dem Omer Klein Trio bewundern dürfen. Mein Glück im Unglück: In einer der kurzen Regenlücken zwischen 20 und 22 Uhr sprintete ich zum Alten Elbtunnel, um dann an den Landungsbrücken einem Bus der Linie 111 quasi in die Arme zu laufen, der schnellsten (und trockensten!) Verbindung von dort zur Elbphilharmonie. Dadurch war ich zwar eine gute Stunde zu früh, hatte dafür aber das feste Plaza-Dach über dem Kopf, was den Unterhaltungswert der letzten Gewitterausläufer erheblich steigerte.

Meine Reservierung hatte ich ursprünglich für „Michael Wollny & Friends“ (Samstag, 23 Uhr) getätigt, dann aber bei der Ticketausgabe versehentlich eine Karte für „Michael Wollny & Konstantin Gropper“ (Freitag, 23 Uhr) erhalten. Einerseits ärgerlich, verpasste ich doch dadurch den gemeinsamen Auftritt Wollnys mit Vincent Peirani und Émile Parisien. Andererseits stehen Termine des Duos Wollny/Gropper noch seltener auf den Spielplänen. Die beiden präsentierten ihre ganz eigene Form eines Liederabends, inspiriert durch Schuberts „Winterreise“, und kombinierten Stücke aus diesem Zyklus mit Liedern und Songs u. a. von Richard Strauss, Madonna, Pulp und den Flaming Lips. Ungestraft, möchte ich hiermit betonen. Ein Ereignis.

Samstag

Als ein ähnlich magisches Erlebnis entpuppte sich die Darbietung von Kat Frankie tags darauf in der Hauptkirche St. Katharinen. Frankie trat zunächst solo mit Gitarre an, um zum zweiten Teil ein fünfköpfiges Vokalensemble mit auf die Bühne zu bitten. Wer die Akustik des Gebäudes kennt, bekommt bei der bloßen Beschreibung Gänsehaut. Phantastisch.

Gar nicht so einfach, danach auf GoGo Penguin umzuschalten. Aber da ich es sehr rechtzeitig zur Bühne am Helgen geschafft hatte, konnte ich den Auftritt, von Schiffsgetute und Feuerwerk in der unmittelbaren Nachbarschaft eingeläutet, aus der ersten Reihe verfolgen. Das half.

Dann wurde es auch schon wieder Zeit für das leichte Vollzeug nebst Südwester. Den lege ich den Veranstaltern hiermit wärmstens als potenziellen Merchandising-Artikel ans Herz – ich sag nur: Festivalkonzerte und Festivalbesucher mit Schirmen… nun ja. Ich beendete mein Elbjazz-Programm mit einem Stündchen bei Kamasi Washington und einer kurzen Stippvisite bei der Aftershowparty in der Schiffbauhalle.

Sonntag

Erlend Øye auf Kampnagel, akustisch, zusammen mit italienischen und chilenischen Musikern – eine solch tiefenentspannte Fröhlichkeit habe ich lange nicht auf einer Bühne gesehen. Oder überhaupt sonst wo. Es war fast unmöglich, sich dem zu entziehen und so ließ sich die K6 mehrheitlich anstecken.

Und gerade als ich dachte, ich hätte jetzt ein paar Tage Pause bis Max Richter kamen mir die „Hamburg Sounds“ dazwischen. Stay tuned!