Ostern in der Elbphilharmonie

Ursprünglich hatten ganz andere Stücke auf dem Programm der beiden Konzerttermine von Teodor Currentzis und musicAeterna in der Elbphilharmonie gestanden. Dann aber kam der Ukraine-Krieg und der musicAeterna-Chor konnte nicht aus Russland einreisen.

Was zur Folge hatte, dass am Karfreitag statt Schnittkes „Konzert für Chor“ eine Zusammenstellung aus langsamen Sätzen und Werken verschiedener Komponisten unter der Überschrift „Slow Music“ dargeboten wurde. Die Mehrzahl der Stücke stammte aus Klavierkonzerten, weswegen Alexandre Kantorow als Solist in der Mitte des Orchesters Platz nahm. Mit Blick auf die Liste steckte ich mir sicherheitshalber ein Taschentuch in den Ärmel. Ein weiser Entschluss, es wurde schon beim Mozart sehr knapp und beim Barber noch etwas knapper. Endgültig abgeräumt hat mich schließlich der Schostakowitsch. Ich hatte das Andante aus dem Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 F-Dur op. 102 komplett verdrängt. Völlig unverständlich eigentlich. „So ein Programm kann man nur einmal spielen“, meinte einer der Musiker, mit dem ich nach dem Konzert an der Ampel zur U-Bahn-Haltestelle noch flüchtig ins Gespräch kam. „So ein Programm kann man auch nur einmal hören“, pflichtete ich ihm bei.

Die Überschrift über dem Karsamstag lautete „Trauerklage“. Folgerichtig die Stückauswahl: „Metamorphosen“ von Richard Strauss und Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“ statt Beethovens Neunter mit der „Ode an die Freude“. Das hätte ein weiterer ganz und gar umwerfender Abend werden können, aber leider spielte das Publikum nicht mit. Tags zuvor hatte Intendant Christoph Lieben-Seutter höchstselbst noch ausdrücklich und in zwei Sprachen vor Beginn des Konzerts darum gebeten, dass bitte nicht geklatscht werden möge; nicht am Anfang, nicht zwischendrin und auch nicht zum Schluss. Fast hätte es geklappt. Immerhin verhallten die zaghaften Klatscher der wenigen Unverbesserlichen nach Abgang von Solist, Orchester und Dirigent recht schnell wieder.

Dass Teodor Currentzis auch keinen Applaus zwischen den Sätzen der „Pathétique“ dulden wollte, war seiner Körpersprache nach der Reaktion des Publikums auf den ersten Satz überdeutlich zu entnehmen. Da musste man schon außerordentlich ignorant sein, um das nicht zu kapieren. Allein, der Weinberg kannte keine Gnade und unterbrach folgerichtig zu allem Übel noch die Schweigeminute nach Ende des letzten Satzes. Ich habe mich selten so fremdschämen müssen in der Elbphilharmonie.

Woran es gelegen hat? Möglicherweise daran, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Konzertbesucher die Unterhaltung suchte. Das Besondere zu Ostern, ein Konzert in der Elbphilharmonie eben, vielleicht auch als Krönung eines Hamburg-Aufenthalts über die Feiertage. Dazu passte weder die Karfreitagsmeditation noch die Trauerklage am Karsamstag. Die Programmänderungen wurden zwei Wochen vor den jeweiligen Terminen bekannt gegeben. Man hätte die Tickets sogar zurückgeben können. Einige der dennoch Anwesenden hätten gut daran getan.

 

In Concert: Joep Beving in der Elbphilharmonie

Dass Joep Beving über zwei Meter groß ist, vergisst man ganz schnell, wenn er sich ans Klavier setzt. Die zarten Töne, die er dort produziert, wollen nicht recht zum zotteligen Erscheinungsbild passen.

Ich habe das Konzert am vergangenen Samstag sehr genossen. Zumeist mit geschlossenen Augen, wobei die Herausforderung darin bestand, die Unruhe- und Ungeduldsgeräusche der umgebenden Anwesenden auszublenden. Der nahezu vollbesetzte Kleine Saal der Elbphilharmonie wirkte zu groß für diese Art Auftritt, so einsam auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum. Man wünschte es sich intimer und heimeliger, mit weniger Konzertsaalatmosphäre und weniger Publikum. So wie im Nachtasyl, um ein Beispiel zu nennen.

Unabhängig davon mag es jene gegeben haben, denen das Programm zu leise, zu zurückhaltend und ingesamt vielleicht auch zu eintönig war. Mir war es gerade recht so.

In Concert: Antoine Tamestit, Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester in der Elbphilharmonie

Sie lässt ja nicht nach, meine Begeisterung für  Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester. Das sind nicht bloß Konzerte, es sind Ereignisse, Inszenierungen gar, bei denen wenig dem Zufall überlassen zu sein scheint und die doch jedes Mal überraschen. Die in kleinen wie in großen Dingen der allzu starren Ritualisierung des im zweifachen Sinne klassischen Programmablaufs entgegenwirken. Als Liebhaberin von Seitenplätzen – 13 I oder F, wenn ich es mir leisten kann, ansonsten 15 N oder Q, notfalls 16 V – weiß ich es zudem zu schätzen, wenn die Verbeugungen im Großen Saal der Elbphilharmonie auch den seitlichen Rängen gelten. Ich erwähnte es bereits: Think Sportarena, not Schuhkarton. Unverständlicherweise ist das immer noch eine Seltenheit, was bisweilen ein wenig frustrierend sein kann.

Wer es auch kann: Bratschist Antoine Tamestit. Also, sein Fach natürlich, aber eben auch, den Raum zu bespielen. Zugegeben, beim „Konzert für Viola und Orchester“ von Jörg Widmann gehört das zur Regieanweisung. Aber auch die Zugabe ging raus in alle Richtungen.

Apropos Jörg Widmann, wie großartig ist denn bitte dieses Bratschenkonzert! Ich bin jetzt endgültig Fan.

Frühlingserwachen mit Hindernissen

Das erste Märzkonzert (Martin Kohlstedt/Kampnagel) wurde auf April 2023 verschoben.

Das zweite Märzkonzert (Grandbrothers/Kampnagel) wurde auf Oktober 2022 verschoben.

Zum dritten Märzkonzert (City of Birmingham Symphony Orchestra, Sheku Kanneh-Mason, Mirga Gražinytė-Tyla/Elbphilharmonie) hatte es mich hauptsächlich der Dirigentin wegen verschlagen. Die Dirigentin aber hatte Corona und mit dem Ersatz (Vassily Sinaisky) bin ich nicht warm geworden. Ebensowenig mit dem Solisten (Sheku Kanneh-Mason). Letzteres lag zum einen an dem sperrigen Programmpunkt (Dmitri Schostakowitschs Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 126) und zum anderen daran, dass das Cello schlicht schlecht zu hören war. Zumindest von meinem Platz in 15 Q aus.

Das vierte Märzkonzert (vision string quartet/Elbphilharmonie) war eine sichere Bank, selbst mit neuem Primarius, selbst mit Auswechselspieler in der „klassischen“ ersten Programmhälfte und der zweiten Violine als eingespieltem Track in der zweiten „Pop“-Hälfte und ungeachtet der Tatsache, dass ich die gesamte „Pop“-Hälfte mit Stücken aus dem 2021 erschienenen Album „SPECTRUM“ mitsamt der Anmoderationen bereits kannte. Die Jungs sind einfach so gut. Punktum.

Das fünfte Märzkonzert (Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elena Bashkirova, Marzena Diakun/Elphilharmonie) startete verhalten, steigerte sich dann aber mit jedem Programmpunkt: von Eduard Resatschs kurzfristig aufgenommenen Stück „Ukrainia – den Opfern des Krieges“ über Debussy und de Falla bis zur Sinfonie Nr. 3 H 299 von Bohuslav Martinů. Ich werde meinen Aboplatz in 13 F vermissen.

Das sechste Märzkonzert (Bodo Wartke/Laeiszhalle) fand krankheitsbedingt ohne mich statt. Zweimal verschoben und dann doch noch verpasst. Großer Mist.

Das erste Aprilkonzert (SWR Symphonieorchester, Antoine Tamestit, Teodor Currentzis/Elbphilharmonie) kann ich hoffentlich wieder besuchen.

Fünf Jahre Elbphilharmonie

Wirklich erst fünf Jahre? Mir kommt es so vor, als sei sie immer dagewesen. „Immer“, das sind in meinem Fall die fast sechzehneinhalb Jahre, die ich mittlerweile in Hamburg lebe. Nicht hilfreich ist, dass mir durch die Pandemie jegliches auch nur halbwegs normale Zeitgefühl abhandengekommen ist. War ich letzten Monat bei einem bestimmten Konzert, in einem Theaterstück oder Kinofilm? Oder war das doch erst letzte Woche? Letztes Jahr? Vor oder während der Pandemie? Zunehmend schwierig.

Jedenfalls, die Elbphilharmonie feierte. Und ich, geboostert und durchgängig FFP2-Maske tragend, schon bevor das verpflichtend auch bei 2G(+) wieder eingeführt wurde, feierte an zwei Terminen mit. Zugegebenermaßen mit einem mulmigen Gefühl. Immerhin, sowohl das 5. Philharmonische Konzert mit Widmann und Beethoven als auch der Auftritt von Jordi Savall und Ensemble mit „Tous les Matins du monde“ erwiesen sich als lohnend und damit segensreich fürs Gemüt. Auch wichtig.

Eigentlich hätte zum 5. Philharmonischen Konzert Jörg Widmanns Oratorium „ARCHE“ aufgeführt werden sollen, jenes Auftragswerk, mit dessen Uraufführung Kent Nagano und die Hamburger Philharmoniker vor fünf Jahren zur Eröffnung des Konzerthauses an der Elbe beitrugen. Aus Pandemiegründen verzichtete man auf die Einstudierung eines Werks mit monumentaler Besetzung. Ersatzweise standen diverse andere Widmann-Stücke sowie eine Beethoven-Sinfonie auf dem Programm.

Die „Fanfare“ für zehn Blechbläser vermochte es noch nicht, mich zu begeistern. Dann aber trat der Komponist selbst mit den „Drei Schattentänzen für Solo-Klarinette“ auf die Bühne.

Faszinierend, vor allem der „(Under)Water Dance“ und der „Danse africaine“. Was für Töne man außer der handelsüblichen Bandbreite noch aus diesem Instrument holen kann. Ich hatte ja keine Ahnung!

Bisher persönlich unbekannt war mir auch die Glasharmonika, die bei „Armonica“ maßgeblich zum Einsatz kam. Auch dieses Stück hat mir sehr gut gefallen. Jetzt möchte ich bei Gelegenheit schon gerne auch noch die „ARCHE“ nachholen. Hoffentlich bald! Zum Abschluss folgte die Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93 von Ludwig van Beethoven. Sehr motiviert dargeboten und daher ebenso mitreißend.

Mit der Viola da Gamba, der Theorbe und der Barockgitarre traf ich ein paar Tage später auf weitere Instrumente, mit denen ich zuvor höchstens halbbewusst Bekanntschaft gemacht hatte.

Den Film „Die siebente Saite“ hatte ich zwar schon gesehen, damals allerdings in Unkenntnis der Besonderheit der musikalischen Ebene. Jordi Savalls Einführung in das Programm, welches mit dem französischen Originaltitel des Films überschrieben war, änderte das mit wenigen Sätzen. Ich werde den Film nun mindestens noch ein zweites Mal ansehen müssen.

Vor Ort im Kleinen Saal der Elbphilharmonie brauchte ich eine Weile, bis ich mich in das Zusammenspiel der vier Musiker des Ensembles eingehört hatte. Sie ist ja doch ziemlich leise, die Viola da Gamba. Man muss schon die Ohren spitzen, um Feinheiten mitzubekommen. Der Sitzplatz der Preisklasse 1, relativ nahe an der Bühne gelegen, zahlte sich dabei aus. Gegeben wurde Musik von Jean-Baptiste Lully, François Couperin und natürlich von den beiden Hauptfiguren des Films, Monsieur de Sainte-Colombe und Marin Marais.

Das waren sie auch schon, die zwei Konzerte im Januar. Für Februar steht noch eines im Kalender, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es tatsächlich stattfinden wird: The Notwist in der FABRIK. Weiter ginge es dann erst Anfang März mit Martin Kohlstedt und den Grandbrothers auf Kampnagel. Es hätten mehr Termine sein können, aber ich will es nicht provozieren. Auch deshalb, weil ich in den vergangenen Wochen für insgesamt drei Tage mit Veranstaltungsbesuch im Großen Saal der Elbphilharmonie Warnungen in der Corona-Warnapp bekam, zwei davon in roter Farbe. Zugegeben, das kann auch die Bahnfahrt zum Event gewesen sein oder eine Begegnung zuvor im Testzentrum. Die wahrscheinlichere Quelle ist aber wohl doch der vermeintlich sichere Kulturort.

Genauer werde ich es nicht erfahren, solange keine Zeitfenster zu den Warnungen ausgegeben werden. Bis dahin bleibt mir nur, zu reduzieren. Nicht auf null, das schaffe ich nicht (mehr). Aber signifikant.

In Concert: Teodor Currentzis und musicAeterna in der Elbphilharmonie

Ja, ich weiß. Kontakte einschränken und so. Aber ich wusste auch, dass dieser Auftritt von musicAeterna unter der Leitung von Teodor Currentzis gestern Abend in der Elbphilharmonie sehr wahrscheinlich dazu beitragen würde, mich über die nächsten aller Voraussicht nach livekultur- und kontaktarmen Wochen zu bringen. Also klar bei Schnelltest, Maske auf und hin.

Das Konzert war ursprünglich als 3G-Veranstaltung konzipiert und nachträglich auf 2G umgestellt worden. Im Ergebnis bedeutete das eine reduzierte Besucherzahl in Kombination mit ordentlichen 2G-Kontrollen und vielen freiwilligen Maskenträgern. Fühlt sich schon noch einigermaßen sicher an. Inzidenzen hin, neue Variante her.

Davon abgesehen behielt ich Recht mit meiner Vermutung: Es war ein mitreißender, ein grandioser Abend. Eine derartige Dynamikbandbreite habe ich in einem unverstärkten Konzert auch noch nicht erlebt. Von sehr zart bis extrem laut – und ich meine wirklich extrem, im Sinne von: die Bühne vollgepackt mit Musikern und Instrumenten und alles raus, was geht! Fast ein wenig zu viel des Guten, es erschlug einen doch ziemlich auf den Plätzen nahe beim Orchester. Dynamisch war auch die Präsentation, nämlich überwiegend stehend. Auch ein eher ungewöhnliches Bild. Da ließ sich problemlos verschmerzen, dass Schostakowitschs vierte Sinfonie in ihrer Gesamtheit nicht unbedingt zu meinen Lieblingsstücken zählt.

Nachhaltig beeindruckt hat mich auch die Uraufführung von „parting of the waters into heavens and seas“ des serbischen Komponisten Marko Nikodijević. Der übrigens anwesend und augenscheinlich sehr angetan war von Ort und Art der Darbietung. So etwas hebt zuverlässig die Laune.

Ansonsten steht dieser Tage zum wiederholten Male die Frage im Raum: wie lange noch? Es ist schon arg deprimierend, alles zusammen.

In Concert: Mirga Gražinytė-Tyla und das City of Birmingham Symphony Orchestra in der Elbphilharmonie

Das ist ja immer so eine Sache mit konzertant aufgeführten Opern. Eher schwierig, so finde ich, wenn man das Stück nicht schon kennt. Dazu kommt die besondere Herausforderung der Akustik des Großen Saals der Elbphilharmonie, in der viele Sänger:innen es schwer haben, sich gegenüber einem Orchester Gehör zu verschaffen. Schon aus diesem Grunde hatte ich mich für einen Platz vor der Bühne entschlossen, nicht dahinter, auch nicht daneben. Meiner Erfahrung zufolge denken die meisten Sänger:innen nicht Sportarena, sondern Schuhkarton. Das Problem dabei: Wo sie nicht hinsingen, sind sie kaum hörbar. Es gibt löbliche Ausnahmen, Barbara Hannigan beispielsweise, die aber die Regel bestätigen. Bis heute.

Es passt halt rein räumlich auch nicht immer. Mit dem Orchester und dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor war die Bühne bereits gut gefüllt. Da blieb nur wenig Platz für die Solisten. Wenn man dann – der Atmosphäre wegen – noch wenigstens ein bisschen Szenerie mit einschließen will, schränkt das den Spielraum zusätzlich ein.

So blieben mir Libretto und Story zwar weitgehend ein Rätsel, aber musikalisch ist „Das schlaue Füchslein“ definitiv innerhalb meines Beuteschemas. Ich vergebe außerdem ein Extra-Sternchen für die szenische Umsetzung unter den eingeschränkten Bedingungen. Unter den Darsteller:innen besonders gut gefallen haben mir Elena Tsallagova als Füchsin, William Thomas als Dachs, Pfarrer und Harašta, der Frosch (Ben Fletcher), die Grille (Joshua Webb) und der Heuschreck (Christopher Bergs).

Meine Hauptmotivation jedoch war, das CBSO und Mirga Gražinytė-Tyla im dritten Anlauf endlich einmal live zu erleben. Und das lohnt sich uneingeschränkt.

Ein klein wenig bedauert habe ich, nicht etwas mehr Geld ausgegeben zu haben für einen Platz näher am Geschehen. Ich merke es mir fürs nächste Mal.

In Concert: François Leleux und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in der Elbphilharmonie

Hui, was für ein Wirbelwind! „Der Dirigent und Oboist François Leleux ist bekannt für seine unbändige Energie und Leidenschaft“, so das Programmheft zum 3. Philharmonischen Konzert. Das kann wohl jeder bestätigen, der bei einem der beiden Konzerttermine anwesend war. Jeder Zentimeter des Dirigentenpodests wurde ausgenutzt. Leleux‘ Körpersprache ist dabei derart plakativ, dass es bei jedem anderen übertrieben bis unfreiwillig komisch gewirkt hätte. Aber ihm nimmt man das ab.

Und dann noch das Oboenkonzert. Noch mehr Energie, und diese buchstäbliche Spielfreude. Mitreißend!*)

Als Zugabe folgte die Champagner-Arie aus „Don Giovanni“ – „weil die Luft hier drin so trocken ist“. Zwischendrin habe ich mich gefragt, ob François Leleux wohl schon einmal bei den BBC Proms aufgetreten ist. Irgendetwas sagt mir, dass die Prommers ihn lieben würden. Ich hatte direkt Bilder im Kopf…

Jedenfalls war das vorgestern Abend eine rundum gelungene Veranstaltung. Umso mehr, als dass beim Einlass inzwischen nicht nur die Ausweise mit kontrolliert, sondern digitale Impfnachweise per Scan verifiziert werden. Und niemand mokiert sich, wenn man trotz 2G die Maske aufbehält. So – und nur so! – wird ein Schuh draus. Eins rauf mit Mappe, Elbphilharmonie und Philharmoniker-Publikum!


*) Nicht meine bevorzugte Wortwahl, aber „ansteckend“ ist dieser Tage wieder so ungünstig konnotiert.

Im Rückstand

Ich wage es kaum zu erwähnen, aber ich bin schon wieder im Rückstand. Die Schreiberei kommt einfach nicht in Gang und flüssig ist auch etwas anderes. Aber eine Kurzfassung der letzten drei Kulturereignisse muss wenigstens sein!

Den Anfang macht das erste „Blind Date“ der Saison, welches sich als ein Auftritt des GrauSchumacher Piano Duos entpuppte. Gegeben wurden ausnahmslos Musikstücke, die für vier Hände komponiert beziehungsweise arrangiert wurden, teils an einem, teils an zwei Flügeln. Die Instrumente wurden erst kurz vor dem Konzert auf die Bühne gerollt, sodass sich auch noch bei Betreten des Kleinen Saals der Elbphilharmonie keinerlei Anhaltspunkt für das Folgende ergab – Spannung bis buchstäblich zur letzten Minute. Mir haben die Stücke von Ravel („Rapsodie espagnole“), Messiaen (eine Auswahl aus „Visions de l’Amen“) und Debussy („Nuages“ und „Fêtes“ aus „Nocturnes“, für Klavier arrangiert, wiederum von Maurice Ravel) ausnehmend gut gefallen. Nur der Schubert dazwischen wollte nicht recht dazu passen.

Gefallen haben mir auch die Erläuterungen zu den einzelnen Stücken. Allerdings hätten die beiden Künstler dabei bedenken sollen, dass das „Blind Date“-Publikum in der Regel ziemlich bunt und nicht zwingend formal musikalisch vorgebildet ist. Ich habe mindestens zwei Konzertbesucherinnen beobachtet, die augenscheinlich eher abgeschreckt als angesteckt waren.

Zu „The Nose“ von Jessica Nupen kam ich zufällig. Da war eine Karte übrig, das nimmt man doch gern mit! Beschrieben war die Veranstaltung in der K6 auf Kampnagel als hybride Filminstallation, weswegen ich zunächst etwas enttäuscht war, dass neben einigen Musikern nur eine einzige darstellende Person tatsächlich auf der Bühne zu sehen war (und das auch nur sehr sporadisch). Der Clou des gezeigten und live musikalisch begleiteten Films war die Projektion desselben auf vier Bühnenbildelemente, die in immer neue Konstellationen bewegt wurden.

Weitere Erhellung brachte das Künstlergespräch mit Jessica Nupen nach der Aufführung. Wenn man um die Umstände der Produktion und die zeitliche Abfolge bis zur tags zuvor stattgefundenen Uraufführung weiß, begreift man die Darstellung als ein reines Wunder. Hut ab vor so viel Kreativität, Energie, Flexibilität und Nervenstärke! Vielleicht findet sich ja doch noch ein Opernhaus, das sich dieser Inszenierung annimmt. Im Gespräch erwähnte Nupen übrigens auch das Ringen mit Josh Dolgin aka Socalled um Libretto und Musik für „The Nose“, genauer: um die Überwindung der Diskrepanz zwischen einem weißen, jiddischen, kanadischen Musiker und der schwarzen, südafrikanischen Nase in Nupens Choreographie. Für mich hatte sich diese Diskrepanz nicht nur nicht aufgelöst, ich empfand sie auch als unschlüssig und störend. Was aber an meiner grundsätzlichen Wertschätzung der künstlerischen Leistung nichts ändert.

Und dann war da noch Anne-Sophie Mutter und ihr Stipendiaten-Ensemble Mutter’s Virtuosi. Mutter stand schon lange auf meiner „muss ich unbedingt live gesehen/gehört haben“-Liste. Ich hatte sogar schon eine Karte für ein Konzert zusammen mit Martha Argerich in der Laeiszhalle ergattert, aber, ach, die Pandemie. Ohne den ebenfalls pandemiebedingt gestaffelten Vorverkauf von ProArte wäre es mir aber vermutlich auch nicht gelungen, ein erschwingliches Ticket für das Konzert am 1. November im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erstehen. Zumal dieses noch im 3G-Modus stattfand, also mit weniger buchbaren Plätzen, dafür aber viel Beinfreiheit und einer deutlich verringerten Störgeräuschkulisse. Letzteres war für den Genuss der Darbietungen von Mutter und ihren Virtuosi zweifelsohne von Vorteil.

Das Vivaldi-Concerto, die „Gran Candeza“ von Unsuk Chin und der Mozart, das war alles schon ziemlich erstklassig. Aber dann, nach der Pause, kamen die „Vier Jahreszeiten“.

Eigentlich möchte ich die „Quattro Stagioni“ nun nie mehr anders hören als in der Interpretation von Anne-Sophie Mutter und mit kleinem Streichensemble (das Cembalo natürlich nicht zu vergessen – Knut Johannessen!). Uneigentlich auch nicht. Ebenso hin- wie mitreißend und keine Sekunde lang abgedroschen. Bei einem überbekannten, inflationär oft gespieltem Stück ist das nicht nur keine Kleinigkeit, sondern schlicht eine Meisterleistung. An sich erwartet man nicht weniger von einer Ausnahmegeigerin, aber eine solche Erwartung derart grandios erfüllt zu sehen, ist meiner Erfahrung nach alles andere als selbstverständlich.

Was kommt als nächstes, wie geht es weiter? Die Corona-Inzidenzen steigen und steigen und immer mehr Veranstalter stellen auf das 2G-Modell um. Im November werde ich wohl dennoch noch zwei Konzerte im 3G-Modus erleben. Das hoffe ich zumindest sehr. Weil, wegen Mirga Gražinytė-Tyla und Teodor Currentzis!

In Concert: Michael Wollny in der Elbphilharmonie

Ich möchte nichts gegen 2G-Veranstaltungen gesagt haben, grundsätzlich bitte unbedingt mehr davon! Aber erst zwei Tage vor dem Termin darüber zu informieren, ist doch ein wenig knapp, liebe Freunde von Eventim. Vor allem, wenn es prinzipiell schon Wochen vorher abzusehen ist. Mental hatte ich mich nämlich erst zu Anfang November auf ein erstes 2G-Konzert in der Elbphilharmonie vorbereitet.

Wer sich definitiv nicht ausreichend vorbereitet hatte: Das Einlassteam am Fuße des Großen Saals. Plötzlich musste, anders als bisher bei 3G, neben dem 2G-Nachweis ein Ausweisdokument vorgezeigt werden, und natürlich das Ticket. Man kombiniere dies mit nahezu voller Besetzung, einer uninformierten und überforderten Security und praktisch keiner Besucherführung bis unmittelbar vorm Einlassbereich und fertig ist das Chaos. Ich glaube nicht nur, dass das besser geht: Ich weiß es. Kampnagel, Laeiszhalle und das Schauspielhaus machen es vor, zwar bisher nur mit 3G, aber die Einlasskonzepte dort gehen zweifelsohne in die richtige Richtung.

15 Minuten vor Konzertbeginn
15 Minuten vor Konzertbeginn

Fazit: Wer dieser Tage eine 2G-Veranstaltung in der Elbphilharmonie besuchen und vorher entweder ein Getränk zu sich nehmen oder schnell noch eines wegbringen will, sollte etwas mehr Zeit als üblich einplanen. Besser 45-60 Minuten vorher vor Ort sein statt 20-30. Um und bei.

Ich schaffte es im Treppensprint bis vier Minuten vor Anfang des Konzerts an meinen Platz in 13 I (mit Klo!). Bei Etage 15 oder 16 wäre es arg knapp geworden. Und dann erst einmal tief durchatmen und akklimatisieren. Direkt links, rechts, vor und hinter mir: überall Menschen! Und keine Maskenpflicht mehr! Schon toll, aber auch ziemlich gewöhnungsbedürftig nach all der Zeit. Offenbar auch für Michael Wollny, der ein paar Takte länger als üblich benötigte, um in seinen Flow zu kommen und während des Abends mehrfach betonte, wie sehr er sich darüber freue, vor so vielen Menschen in der Elbphilharmonie spielen zu dürfen.

Meine Rechnung bezüglich des Sitzplatzes ging auf: Von meinem Platz aus konnte ich von schräg hinten auf die Tastatur des Flügels schauen und Wollnys Hände entweder direkt oder gespiegelt sehen. Auch die eigenwillige Beinarbeit war gut zu erkennen. Die Pole Position in der ersten Reihe beim Konzert im Mojo Club vor einigen Jahren konnte das zwar nicht toppen, aber es passte schon sehr gut.

Und musikalisch? Ein eigenes Level. Die ausschweifende Langstrecke ist dabei nicht unbedingt mein Favorit, aber die Perlen darin… „Father Lucifer“, beispielsweise, im Original von Tori Amos, wie lange habe ich das nicht mehr gehört. Und so überhaupt ja noch nie. Nichts gegen das Trio oder gegen 4 Wheel Drive. Oder gegen die diversen Kollaborationen, beispielsweise die Zusammenarbeit mit Konstantin Gropper alias Get Well Soon, das war super. Aber Michael Wollny solo, das ist vom anderen Stern. Hätte ich sehr gerne sehr viel öfter.