Theater, Theater: „Der Fall Furtwängler“ im Ernst Deutsch Theater

Schuld war mal wieder ein Plakat. „Die beiden kenne ich doch“, denke ich, als mein Auge an einer U-Bahn-Haltestelle daran hängenbleibt. „Boris Aljinovic und der Hamburger Jedermann. Kontrastreiche Besetzung. Und mit Musik hat es auch noch zu tun.“ Dann bin ich nach Hause gefahren und habe eine Karte für die Dernière am vergangenen Sonntag gekauft. Was lehrt uns das? Print ist nicht tot!

Ein paar Tage später hallen das Stück und die Darbietung desselben immer noch nach. Der Kontrast zwischen Dr. Wilhelm Furtwängler (Robin Brosch), dem Kulturmenschen mit Haltung und besten Verbindungen zur Elite des sogenannten Dritten Reichs und Major Steve Arnold (Boris Aljinovic) dem bekennend kulturlosen Versicherungssachbearbeiter, der als Soldat die Zustände im KZ Bergen-Belsen unmittelbar nach der Befreiung durch die amerikanische Armee erleben musste, könnte größer nicht sein. „Taking Sides“, so der treffende Titel der Verfilmung des Stoffes von 2001, ist dennoch keine ganz einfache Sache. Denn die zunehmend fanatisch anmutenden Versuche Arnolds, den „Bandleader“ und „Big Boy“ „dranzukriegen“, stoßen ab. Zumal die Beweislage gegen den Dirigenten einigermaßen dürftig erscheint.

Unwillkürlich fragt man sich beim Fortgang der Ermittlungen und Befragungen, ob es hier wirklich noch um die Entnazifizierung Furtwänglers geht. Oder ob der Amerikaner Arnold nicht vielmehr seine Abneigung gegen den Vertreter einer Kulturelite auslebt, dessen Anspruch und künstlerische Motivation er nicht versteht und dessen Lebensstil und Privilegien er neidet. Was keineswegs die Frage erübrigt: Hat Furtwängler sich korrumpieren lassen? Oder lediglich den bequemeren Weg des geringsten Widerstands gewählt? War seine Entscheidung richtig, in Deutschland zu bleiben und damit durch seine bloße Anwesenheit das Regime zu unterstützen? Kann man Kunst von Politik trennen, zumal unter solchen Umständen? Was können Kunst und Musik ausrichten gegen Aggression, Repression und Entmenschlichung?

Da ist nur eines sicher: Die Übergänge zwischen falsch und richtig können mitunter fließend sein. Das ist heute nicht anders als damals. Umso wichtiger, sich diesen Fragen schon meilenweit vor den Eskalationsstufen „Diktatur“ und „Weltkrieg“ zu stellen.

Theater, Theater: „Hotel Paradiso“ im Ernst Deutsch Theater

Es mag nicht allgemein bekannt sein, aber das Programm des Schleswig-Holstein Musik Festivals beschränkt sich keinesfalls nur auf klassische Musik. Meine diesjährige Auswahl spiegelt diese Tatsache nahezu perfekt wider:

  1. Kammermusikensemble trifft Mandolinist trifft präpariertes Klavier,
  2. Orchesterkonzert,
  3. Theater und
  4. (Minimal) Techno.

Gestern war das Theater dran: Familie Flöz lud ein ins „Hotel Paradiso“. Ich saß in der vorletzten Reihe des vollgepackten Ernst Deutsch Theaters und staunte darüber, dass ich da vor mir auf der Bühne ein Stück ganz ohne Worte und ohne Mienenspiel sah – alle Darsteller trugen Masken – und doch alles verstand. Allein mittels Bühnenbild, Requisiten und Toneinspielungen, aber vor allem durch den körperlichen Ausdruck der jeweils handelnden Personen.

So gut war das, dass ich erst zum Schlussapplaus begriff: Die insgesamt 16 Charaktere*) des Stückes wurden von nur vier Schauspielern verkörpert. Und hinter der Maske der alten Dame war gar keine. Also, eine Dame jetzt.

Einzig das Stück selbst war nicht ganz nach meinem Geschmack. „Nie war Familie Flöz böser und abgründiger“, heißt es in der Beschreibung, „ein Alpen-Traum voll von schwarzem Humor, stürmischen Gefühlen und einem Hauch Melancholie.“ Von mir aus hätte der Melancholieanteil gerne höher und der Humor dafür etwas weniger robust ausfallen dürfen.

Momentan ist Familie Flöz noch mit drei weiteren Produktionen unterwegs: „Haydi!“, „Teatro Delusio“ und „Infinita“. Die vier Aufführungen von „Teatro Delusio“ ab morgen bis zum 21. 7. im Kieler Schauspielhaus sind allerdings bereits restlos ausverkauft.


*) Die Seniorchefin, der Sohn, die Tochter, der Seniorchef;
der Koch, das Zimmermädchen, der rotlivrierte Bellboy;
der Dieb, der Kommissar, der Assistent;
der Hotelkritiker;
die aufgetakelte Frau, die Frau mit dem Fotoapparat,
der Jogger, der Erleuchtete, der Gast, der dann doch keiner wurde und ich habe bestimmt noch jemanden vergessen.

Vermischtes

Ich mache nicht so gerne Sammeleinträge ins Susammelsurium, aber es sind schon wieder drei Veranstaltungen aufgelaufen und es soll nicht in Stress ausarten. Ganz im Gegenteil. Ich bemühe daher ausnahmsweise den Schnelldurchlauf.

Montag

Frau F. und ich waren bei hidden shakespeare im Schmidt Theater! Endlich! Das wollten wir ja, seit wir „Heiligabend mit Hase“ und „Ein Endspiel“ im Abaton gesehen hatten. Es war grandios. Meine Lieblinge: das Lacrosse-Pony und der Galoppflamingo. Wobei ich ein wenig mit dem Publikum fremdelte. Das Prinzip des Verzehrtheaters – was für ein schönes Wort! – scheint doch die ein oder andere Spezies anzulocken, die man in die Kategorie Mädelsabend, Junggesell(-inn-)enabschied oder Betriebsausflug stecken kann. Nicht unbedingt die Atmosphäre, in der ich mich zu Hause fühle. Andererseits war ich ja tatsächlich mal selbst im Rahmen eines Betriebsausflugs, also, das ist Jahre her, bei „Cavemusic“ im Schmidts Tivoli, und da hat es mich gar nicht gestört. Was meiner Erinnerung nach ganz wesentlich mit dem Auftritt Christian von Richthofens zu tun hatte. Für solche Menschen wurde der Begriff „musikalisch“ erfunden. Was für eine Rampensau! Er stahl dem Caveman die Show, nach allen Regeln der Kunst, und man konnte ihm nicht böse sein. Jedenfalls nicht aus der Publikumsperspektive – Kristian Bader mag seinerzeit anders darüber gedacht haben.

Bei Bodo Wartkes „König Ödipus“ vor fast genau acht Jahren war wiederum deutlich mehr Theater spürbar, trotz des Kabarettansatzes. Zwei Gegenstände in meiner Wohnung erinnern mich seither an diesen Abend: das gelbe Reclamheftchen im Buchregal und Carl der Löwe alias die Sphinx („Wie ‚Pfingsten‘ nur mit ‚S‘!“) auf dem Kleiderschrank. Bodo Wartke wird mit gemischten Gefühlen an diese Premiere zurückdenken, er brach sich nämlich während der Vorstellung das rechte Wadenbein.

Wie komme ich jetzt darauf? Ach ja: Theater.

Mittwoch

Nächste Station: „Unwiderstehlich“ im Ernst Deutsch Theater. Im Vergleich zum Montag war das naturgemäß ein komplett anderer Film. Frau F. und ich hatten beide Schwierigkeiten mit dem Stück, wobei mir nicht ganz klar war, ob es am Text selbst oder an der Regie lag oder vielleicht an der Kombination von beidem. Das hat uns aber keineswegs daran gehindert, die schauspielerische Leistung von Anika Maurer und Boris Aljinovic anzuerkennen.

Die Vorstellung war in zwei Teile gegliedert, unterbrochen durch eine Pause. Mir persönlich hat der dritte Teil am allerbesten gefallen. Ich habe mich lange nicht mehr so gründlich und so nett verquatscht. Ganz lieben Dank auch dafür.

Donnerstag

Ein klein wenig Theater gab es auch bei Lambert im resonanzraum und sei es nur des Maskenspiels wegen. Anders als vor anderthalb Jahren auf Kampnagel waren dieses Mal keine Bläser dabei (die Gitarre war OK, hätte aber nicht sein müssen). Dadurch wirkte das Programm ernster, was sich auch in den tendenziell weniger spaßigen Ansagen widerspiegelte. Ich mochte auch diese Variante sehr. Schade nur um das Bundesamt für Notenschutz, das offenbar inzwischen aufgelöst wurde.

Ich hatte mich bewusst so platziert, dass ich Lambert etwas von der Seite sehen konnte. Dadurch saß ich direkt vor dem Schlagzeuger und Perkussionisten, dem ich im Laufe des Konzerts mehr und mehr verfiel. Da bildet sich allmählich ein Muster heraus; man kann durchaus Parallelen zu meiner Faszination für Andrea Belfi (bei Nonkeen) und Fabian Prynn (bei Douglas Dare) ziehen.

Ich behalte das im Auge. Bzw. im Ohr.