In Concert: Avi Avital, Hauschka und das vision string quartet in der Rotunde der MuK zu Lübeck

Da ist noch von der Keimzelle meiner Gipfelflucht nach Lübeck zu berichten: das Konzert unter der Überschrift „Avital & Hauschka“ in der Rotunde der Musik- und Kongresshalle (MuK).

Zwei Gründe gab es für diese Wahl: Ich sah und hörte Avi Avital bereits bei der Vorstellung des SHMF-Programms der laufenden Saison in Hamburg und bekam dabei Lust auf mehr. Außerdem hatte ich Volker Bertelmann aka Hauschka, dessen Musik mir zuvor schon ein paar Mal in diversen Compilations und durch den Spotify-Algorithmus ins Ohr geraten war, bisher noch nicht live erlebt. Abgesehen davon reizte mich die Kombination „Mandolinist trifft Klavierverfremder“.

Gar nicht auf dem Schirm hatte ich dabei das vision string quartet, das – überraschenderweise, so zumindest für mich – einen Großteil des Abends bestritt. Der Seitenblick ins Programmheft der Sitznachbarin verriet mir, daß Avi Avital und Hauschka tatsächlich nur für die Dauer eines Stücks leibhaftig aufeinandertreffen würden. Meine anfängliche Enttäuschung legte sich aber rasch, als Avital und die Streicher das erste Stück anstimmten: „Cymbeline“ für Mandoline und Streichquartett von David Bruce. Sowohl die Komposition als auch die vier mir bis dato unbekannten Musiker überzeugten auf Anhieb.

Dieser Eindruck verstärkte sich im weiteren Verlauf. Anders als im Programm vorgesehen wurde das Streichquartett Nr. 1 von Alberto Ginastera gegeben. Für mich kein Verlust, denn ich kannte weder dieses noch die ursprünglich angesetzten „Fünf Stücke für Streichquartett“ von Erwin Schulhoff. Die vier Sätze wurden durch die Pause geteilt – eine unglückliche Entscheidung. Unabhängig davon mochte ich es sehr. Noch eine Neuentdeckung! Die zwei Auftragswerke „Flood“ und „Draught“ von Hauschka für Mandoline und Streichquartett wurden ganz zum Schluss präsentiert, was auch dramaturgisch wunderbar passte.

Der Komponist als Musiker hatte es dagegen sowohl mit seiner Solo-Klavierimprovisation als auch im Zusammenspiel mit Avi Avital nicht ganz so leicht. Die Technik und die Akustik der Rotunde passten nicht optimal zusammen, das Publikum reagierte norddeutsch-spröde. Überhaupt schien mir die Mehrzahl der Anwesenden eher an dem gesellschaftlichen Ereignis Schleswig-Holstein Musik Festival als an der aufgeführten Musik interessiert zu sein. Einige verließen vorzeitig den Saal, nicht wenige Menschen schafften es nicht rechtzeitig zu Beginn des zweiten Teils auf ihre Plätze zurück und das Interesse an der Zugabe hätte ruhig größer ausfallen dürfen. Kein schöner Eindruck.

Ein wenig erstaunt hat mich auch, dass erst auf Veranlassung einer Zuhörerin hin das störende Gebläse abgeschaltet wurde. Schließlich war es nicht die erste Veranstaltung dieser Art an diesem Ort. Da sollte man doch meinen, dass gewisse Erfahrungswerte vorhanden sind.

In meinen Augen (und Ohren) war es trotz der ein oder anderen kleinen Unwucht im Gesamtablauf ein gelungener Konzertabend. Das Lübecker Konzertpublikum aber, so scheint es mir, ist wohl noch nicht bereit für Hauschka. Vielleicht ist es aber auch schlicht nicht sonderlich experimentierfreudig. Schade eigentlich.

Ein Wochenendausflug nach Lübeck (und Travemünde)

Als ich irgendwann im letzten Jahr erfuhr, dass der G20-Gipfel in Hamburg stattfinden und es dort möglicherweise zum ersten Auftritt Donald Trumps in Deutschland kommen würde, war ich wild entschlossen, mich in die Demonstrantenschar einzureihen. Von der Mehrzahl der offenbar unvermeidlichen Aktionen latent militanter Globalisierungsgegner hielt und halte ich zwar wenig (vom sogenannten Schwarzen Block ganz zu schweigen). Aber die Teilnahme an friedlichem, buntem und dabei entschlossenem Protest, mindestens gegen den 45. Präsidenten der USA und seine Politik, erschien mir als unverzichtbarer Beitrag zur Staatsbürgerpflicht.

Je näher das Datum rückte, desto mehr schwand jedoch meine Energie. Das ist vor allem einer seit Monaten andauernden, sich stetig weiter verschärfenden beruflichen Hängepartie geschuldet. Als ich mir schließlich einen Konzerttermin aus dem Programm des Schleswig-Holstein Musik Festivals in der Musik- und Kongresshalle zu Lübeck aussuchte und erst im Nachhinein bemerkte, dass es sich bei dem fraglichen Datum ausgerechnet um das Gipfelwochenende handelte, nahm ich das als Wink mit dem Zaunpfahl. Ich suchte mir eine Übernachtungsgelegenheit und flüchtete ab Freitagmittag vor Chaos, sinnbefreiter Zerstörungswut und Helikopterlärm gen Norden.

Hübsche Giebel
Hübsche Giebel

Lübeck, so stellte ich dabei zum wiederholten Male fest, ist eine Reise wert. Die Highlights der meinen:

Eis-Pavillon am Holstentor
Offiziell ist es zwar kein Softeis, aber es sieht wie welches aus und schmeckt auch so, nämlich sehr cremig. Die Knuspertüte mit allen drei Sorten – ganz klassisch: Schoko, Vanille, Erdbeer – plus Streusel kostet 1,50 Euro. Mjam.

Niederegger
Kaufen musste ich da nichts, denn wer in Hamburg wohnt, muss fürs Niederegger-Marzipan nicht nach Lübeck fahren. Dennoch, es lohnt allein wegen der Atmosphäre. Wenn der Laden nicht gerade bis unters Dach voll ist mit Reisegruppen und Kreuzfahrttouristen.

St. Marien
Touristisch gut erschlossen und sehr beeindruckend, nicht zuletzt durch die als Mahnmal in der ehemaligen Schinkel-Kapelle ausgestellten Reste zweier Kirchenglocken. Sie waren bei einem am Palmsonntag 1942 durch Bombenangriffe ausgelösten Brand in den Südturm gestürzt und geborsten.
Unter anderem ist ein Kunstwerk von Günther Uecker zu sehen, Dietrich Buxtehude liegt dort begraben und dann ist da noch die Sache mit der Steinmaus. Eine freundliche Dame erklärte mir auf Nachfrage, dass die Maus unter Wandergesellen früher als eine Art Geocache galt. Wer wusste, wo sie zu finden ist, konnte so beweisen, in Lübeck gewesen zu sein.

Miera
Ein klein wenig teurer, dafür aber keine Touristenfalle bei leckerstem Essen.
Ich bin ansonsten hemmungslos als Einzelkämpferin unterwegs, vorzugsweise bei Konzerten, aber ich gehe nur ungern allein essen. Es ist mir einfach zu langweilig. Im Miera war das kein Problem: Da das Wetter es erlaubte, setzte ich mich an einen der Straßentische und wurde bestens unterhalten. Augenscheinlich handelt es sich bei der Örtlichkeit um einen Treffpunkt der Lübecker Bussi-Gesellschaft. Höhepunkt des Schaulaufens: Ein Autofahrer, Typ alternder Dandy, brummte im Schritttempo an dem Laden vorbei, hielt vor dem Eingang an, streckte für einen Moment suchend den Kopf aus dem Fenster und fuhr weiter. Aus der Anlage des Fahrzeugs erschallte dazu die sonore Stimme von Barry White.

Miera
Miera

Mein kurzes, aber schallendes Gelächter wurde von den Umsitzenden mit leichter Irritation quittiert.

Buddenbrookhaus
Ja, doch, das musste. Und es lohnt sich. Bisher habe ich ständig die Namen der Geschwister, Kinder und Kindeskinder von Thomas Mann durcheinander gekriegt. Kein Wunder bei der Weitläufigkeit der Familie. Das passiert mir nach dem zweistündigen Aufenthalt in Dauer- und Sonderausstellung künftig nicht mehr. Sehr schön sind auch die beiden als begehbarer Roman zurechtgemachten Buddenbrook-Zimmer im zweiten Stock.

Buddenbrookhaus
Buddenbrookhaus

Im Museumsshop gibt es Bücher, Hörbücher, DVDs und einige hübsche, leckere und praktische Dinge bei erfreulich wenig Kitsch zu kaufen. Neben einer großen Auswahl an Primär- und Sekundärliteratur von den und über die Manns lagen übrigens auch Titel wie „Mein schwarzer Hund“ von Matthew Johnstone in den Regalen. Das ist geschickt platziert und keineswegs ohne Bezug, wenn man bedenkt, wie viele Familienmitglieder durch Selbstmord aus dem Leben gegangen sind.

St. Jakobi
Ein Pflichttermin schon aus nautischen Gründen.
An der prachtvollen großen historischen Orgel sind mir die Gesichter auf einigen der Orgelpfeifen aufgefallen. Was es damit auf sich hat, konnte ich leider nicht ausfindig machen und auch die Webseite schweigt sich dazu aus. Man rennt überhaupt ein wenig orientierungslos durch das Gebäude; es fehlt an Hinweisen vor Ort. Diesbezüglich schneidet St. Marien deutlich besser ab.

Hüxstraßenfest
Bunt und fröhlich und voll. Fischbrötchen bei Krützfeld (No. 23) gegessen und erwartungsgemäß bei MaKULaTUR hängengeblieben.

Hüxstraßenfest
Hüxstraßenfest

Lübecker Schulgarten
Die botanische Oase am Wakenitzufer. Der perfekte Kontrast nach dem Trubel der Altstadt an einem Samstagnachmittag. Mit Café!

Im Schulgarten
Im Schulgarten

Gänge und Höfe
Da gibt es noch viele, viele mehr als die auf der Webseite der Stadt Lübeck gelisteten Beispiele. Man sollte beim Erforschen allerdings stets beachten, dass dort Leute wohnen und man im Zweifel Privatgelände betritt.

Glandorps Hof
Glandorps Hof

Travemünde
An einem sonnigen Sonntag nehme man den Zug gegen halb 11 eintreffend, wenn möglich früher, und trete spätestens um kurz nach halb 4 auf gleichem Wege den Rückzug an. Dann klappt’s auch mit der Erholung.

Ruhe vor dem Sturm
Ruhe vor dem Sturm
Seebrücke
Seebrücke
Steilküste (unten)
Steilküste (unten)
Steilküste (oben)
Steilküste (oben)
Hic sunt Dracones
Hic sunt Dracones

Nicht geschafft habe ich (das Wetter war zu gut):

In letzterem bin ich zwar schon einmal gewesen, aber das ist über 15 Jahre her und ich kann mich gerade noch erinnern, wie fasziniert ich davon war. Außerdem läuft momentan eine Sonderausstellung über das Figurentheater und Paul Maar („Sams & Co. im Rampenlicht“). Es werden sogar Führungen mit dem Sams und Herrn Taschenbier angeboten.


Durch sachdienliche Hinweise haben zum Gelingen des Projekts „Gipfelflucht“ beigetragen: ellipsefeine_bildstoerung, HansW_MetzgerKellerblume, LButcherMaximilian, _Cluny_ und nicht zuletzt Anja, meine zauberhafte Airbnb-Gastgeberin. Vielen Dank euch allen!

In Concert: DenManTau im Knust

Es kommt nicht oft vor, dass ich auf der Straße eine Band mit eigenen Songs höre, die mich vom Fleck weg begeistert. Genau genommen ist das erst zweimal passiert. Das erste Mal ist ziemlich lange her, 1995 oder 1996 muss das gewesen sein. Die Truppe hieß Tonic (später Woodhall Four), stammte aus Großbritannien und gewisse Anklänge an die frühen Beatles waren nicht zu überhören. Der Bassist trug eine Brille im Stile der 60er, sah immer äußerst lässig aus und stand nicht neben, sondern auf seinem kleinen Verstärker. Bei den Konzerten in der Kölner Innenstadt drängelten sich die Menschen. Ich kaufte den Jungs eine CD ab; der Song „6:45am“ wurde zu meinem persönlichen Sommerhit. Bald gab es auch überdachte Auftritte, eine zweite Scheibe erschien. Leider verschwanden die vier kurz danach plötzlich von der Bildfläche. Später habe ich eine Hälfte des Quartetts wieder auf der Straße spielen sehen.

Das zweite Mal war im Januar 2014. Nach einem langen Elbspaziergang stieß ich an den Landungsbrücken zufällig auf DenManTau. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich andere Dinge im Kopf und völlig andere Musik auf den Ohren, aber an DenManTau konnte man nicht vorbeilaufen. Das Durchschnittsalter der Bandmitglieder konnte höchstens um die Mitte 20 betragen, dennoch standen da ganz eindeutig Profis auf dem Pflaster.

Ich hielt die Augen offen, verpasste aber in der Folge jeden weiteren Auftritt in Hamburg und Umgebung. Als DenManTau wenig später in die USA auswanderten, um „die erste Band auf dem Mond“ zu werden, ärgerte ich mich mächtig. „Die siehst Du nie wieder“, dachte ich, „außer, Du fliegst nach Kalifornien.“

Umso erfreuter war ich, als ich Anfang der Woche und somit gerade noch rechtzeitig von der Deutschlandtour unter anderem mit Station im Knust erfuhr.

Ich sag’s mal so: Zum Mond werden die fünf es wohl nicht schaffen. Aber alles andere drunter wär schon drin.

In Concert: Abschied von Sir Jeffrey Tate

Eigentlich mache ich das nicht.

Wenn ich auf dem Lotsenschoner No. 5 Elbe als Crew eingeteilt bin, bin ich als Crew eingeteilt. Das heißt unter anderem: Mindestens zwei Stunden vor Abfahrt an Bord zu sein und nach dem Anlegemanöver gemeinsam aufzuklaren. Noch vor dem Anlegebier und ohne sich ordentlich zu verabschieden fluchtartig das Schiff zu verlassen, war nach etwas mehr als 11 Jahren Vereinszugehörigkeit ein Novum und soll auch die Ausnahme bleiben. Ebenso nach einem schweißtreibenden Segeltag ungeduscht und nur notdürftig zurechtgemacht mit der großen Tasche unterm Arm in neuer persönlicher Bestzeit für die Strecke Sandtorhafen – Johannes-Brahms-Platz die Laeiszhalle zu entern.

Wäre da nicht das Abschiedskonzert für Sir Jeffrey Tate gewesen.

Nach zwei Orchesterkonzerten des damals noch NDR Sinfonieorchesters auf Kampnagel trieb es mich im September 2014 erstmalig zu den Hamburger Symphonikern. Zunächst des Programmes wegen: „Die Planeten“ von Gustav Holst hatte ich zuvor schon in Auszügen gehört und war nun darauf erpicht, das Werk in seiner Gesamtheit genießen zu können. Ich buchte einen Platz vorne rechts im 1. Rang und erwarb dadurch einen ungeahnten Nebeneffekt: Man kann von dort zwar nicht das Orchester in seiner Gesamtheit, dafür aber dem Dirigenten ins Gesicht sehen.

Was man während eines Konzerts in Sir Jeffrey Tates Mienenspiel erkennen konnte, hat Daniel Kühnel in seiner Trauerrede heute Abend besser in Worte gefasst, als ich es zu tun vermag. Insbesondere dieses erste Konzert bleibt für mich unvergesslich: Ich überwand die mittelschwere Befremdung ob der damals für mich noch ungewohnten Konzertsaal-Atmosphäre und des jedes denkbare Klischee erfüllenden Abo-Publikums um mich herum und war vollkommen fasziniert. Knapp zwei Monate später war ich wieder vor Ort. Dann nochmal (der Holmboe! der Sibelius!). Und wieder. Schließlich auch bei den Philharmonikern und den Stummfilmkonzerten. Als nächstes entdeckte ich das Schleswig-Hostein Musik Festival und mittlerweile sind Symphonie- und andere Orchesterkonzerte aus meinem musikalischen Jahreskalender nicht mehr wegzudenken.

Bei meinem letzten Konzertbesuch in der Laeiszhalle hatte mich die anfängliche und in der Hauptsache umgebungsbedingte Befremdung zwar wieder eingeholt. Dieser Umstand schmälert indes weder meine Bewunderung noch meinen Respekt und erst recht nicht meine Dankbarkeit gegenüber einer herausragenden Künstlerpersönlichkeit.

Fair winds, Sir Jeffrey. See you on the other side.

Die Sache mit den Elphi-Tickets

Zugegeben, es gibt im Moment bedeutend wichtigere Dinge, über die es sich aufzuregen lohnt. Aber was mich trotz allem so richtig auf die Palme bringt: die Elphi-Ticketabzocke von Wiederverkäufern auf ebay, viagogo & Co.

So werden beispielsweise zwei zusammenhängende Tickets für den Konzertabend „Philip Glass zum 80.“ am 9. 7. 2017 mit Daniel Hope und dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Hugh Wolff zu Preisen von bis zu 379,98 Euro angeboten. Im konkreten Falle: Bereich 15 J, Reihe unbekannt; regulär bis zu 74,00 Euro pro Karte (Preisklasse 1).

Jetzt kann man natürlich, falls vorhanden, das Geld ausgeben. Und dann Pech haben wie seinerzeit bei Lang Lang, der krankheitsbedingt absagen musste. Dumm gelaufen für die, die zu Mondpreisen zugeschlagen hatten: Ersetzt wurde nur der reguläre Betrag – mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Man kann aber auch beim Veranstalter des fraglichen Events nachforschen. Im Falle von „Philip Glass zum 80.“ ist es das Schleswig-Holstein Musik Festival. Während das Konzert im Elbphilharmonie-Ticketshop als „ausverkauft“ gemeldet ist, kann man sich auf der SHMF-Webseite in eine Warteliste eintragen.

Die größten Chancen hat man dabei übrigens als Einzelticket-Jägerin. Für euch (erfolgreich) getestet.

BookCrossing im Plöner Schlossgarten

Wo man ganz unbedingt mal hinfahren sollte: nach Plön. Insbesondere, wenn das alljährliche Picknick im Schlossgarten ansteht.

Noch mehr Bücher
Noch mehr Bücher
Crepes & Coffee (& more)
Crepes & Coffee (& more)
Alle meine Entchen...
Alle meine Entchen…
... fliegen hoch!
… fliegen hoch!
Kann denn Liegen Sünde sein?
Kann denn Liegen Sünde sein?
Melonenmord
Melonenmord

In Concert: Elbjazz 2017

Zum Elbjazz-Festival kam ich sehr spät – nämlich erst 2014 – und sehr spontan. So spontan, dass zunächst keine Gelegenheit blieb, sich vorab mit dem Programm zu beschäftigen. Ohnehin stand der Jazz als Genre zu dieser Zeit auf meiner Liste nicht sehr weit oben. Ich ließ mich also mitziehen, ganz ohne Erwartung, und wurde positiv überrascht. Entsprechend angefixt war ich im Jahr darauf wieder dabei. Ich erinnere zahlreiche Highlights aus dem Programm, scheiterte aber – abgesehen vom Wetter, für das keiner etwas kann – an einer überambitionierten „Möchte ich unbedingt sehen“-Wunschliste in Kombination mit dem zeitweise stockenden Barkassen- und Busshuttle zwischen den verstreuten Veranstaltungsorten. Insbesondere das Hafenmuseum erwies sich als Sackgasse; effektives Pendeln zum Werftgelände von Blohm+Voss und retour war praktisch unmöglich.

Für den diesjährigen Neustart nach der Festivalpause nahm ich mir daher vor, größere Zeitpuffer einzubauen, bevorzugt shuttleunabhängige Transfermöglichkeiten zu nutzen, mich am Hallenprogramm (und nicht an den Headlinern) zu orientieren und im Zweifel konsequent vom vorgefassten Plan abzuweichen – alles unter dem Motto „Weniger ist mehr“.

Tag eins

Ich startete am Freitagabend mit Beady Belle & Bugge Wesseltoft. Der Mann an den Tasten hielt sich vornehm zurück, was in der vorliegenden Konstellation zwar nachvollziehbar, für mich jedoch ein wenig enttäuschend war. Nichts gegen die Dame – phantastische Stimme! -, nur trafen die Songs nicht ganz meinen Geschmack. Aber dann kam Joshua Redman für ein Stück mit auf die Bühne. Highlight-Alarm! Ich schmiss auf der Stelle meine Planung um, um ihn eine Stunde später mit seinem Trio an gleicher Stelle erleben zu können. Eine sehr gute Entscheidung.

Eingedenk der Wegstrecke entschied ich mich anschließend, Richtung St. Katharinen aufzubrechen, um dort noch rechtzeitig zum Konzert von ALA.NI einzutreffen – gewissermaßen die Zwischenstation vor dem fest reservierten Mitternachtstermin in der Elbphilharmonie. Es half dabei sehr, gut zu Fuß und obendrein ortskundig zu sein. Über die Künstlerin wusste ich nichts und der Billie Holiday-Vergleich in der Ankündigung hatte bei mir reflexartig Skepsis ausgelöst. Im Falle von ALA.NI komplett unnötig. Diese Stimme vergisst man nicht so leicht – Gänsehaut pur! Die Akustik des Kirchenschiffs tat das Übrige hinzu, überhaupt, St. Katharinen! „Klug, mutig, schön“ – eine traumhafte Location. Was mich ein wenig abgelenkt hat, war das kleinmädchenhafte Gehabe der Dame. Das nervt mich tendenziell, bei solchen Gelegenheiten frage ich mich immer: Ist das Masche, gehört das zur Marke oder ist die wirklich so?

Aber dann stimmte sie auch schon den nächsten Song an und das ganze Drumherum wurde ganz und gar nebensächlich.

Der Weg von St. Katharinen zur Elbphilharmonie ist kurz und so hatte ich genügend Muße, mich zum Abschluss des ersten Festivaltages auf mein mittlerweile siebtes Konzert im Großen Saal einzustimmen.

Dass die Elphi-Konzerte des Elbjazz nur über Vorreservierung zugänglich waren, ist einerseits verständlich, widerspricht aber auf der anderen Seite dem Grundgedanken des Festivals. Die Tickets gab es nur über den sehr rechtzeitig zu tätigenden Vorverkauf, man musste sich weit vor Termin festlegen und viele der angekündigten Künstler traten ausschließlich dort auf. Ich hatte mich also im Vorfeld nicht nur für Christoph Spangenberg entscheiden müssen, sondern auch gegen Jan Garbarek. Immerhin, als „Early Bird“-Ticketkäuferin konnte ich alle Optionen nutzen und hatte dann auch noch Losglück bei der Platzverteilung: Bereich 13 I bedeutet noch nicht hinter, sondern seitlich von der Bühne und ziemlich nahe dran zu sitzen.

Spangenberg spielt Nirvana – nicht der erste Programmpunkt, bei dem man sich fragen kann: Was hat das mit Jazz zu tun? Wobei es letztlich auf das musikalische Ergebnis ankommt, unabhängig davon, ob es sich um originäre Jazzstücke oder -standards handelt oder eben nicht. Spangenbergs Interpretationen hingen an der Grenze, aber doch, es passte schon. Von mir aus hätten sie im Schnitt noch ein bis zwei Stufen dreckiger sein können. Vielleicht war die relative Zuckrigkeit doch der Tatsache geschuldet, dass Spangenberg im Gründungsjahr von Nirvana (1989) gerade ein Jahr alt war und sich den Grunge gewissermaßen nachträglich erarbeiten musste. Der besonderen Atmosphäre des Konzerts zur Geisterstunde tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil.

Dazu kam das surreale Element. Als das Nirvana-Album „Nevermind“ in den Charts stand, war ich kurz vorm Abitur. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich 26 Jahre später im Großen Saal einer nach allen Regeln der Kunst neu erbauten Hamburger Philharmonie sitzen und diesen Songs in einer Version für Konzertflügel lauschen würde, ich hätte wohl ohne Umschweife mit „Was hast Du denn geraucht?!“ gekontert.

Tag zwei

Ich schaffte es gerade rechtzeitig zurück aufs Gelände, um noch ein halbes Stündchen der Band Mörk zuhören zu können. Sehr dynamisch, aber hier bleibe ich streng: Mit Jazz hatte das wenig gemein. Wie übrigens abends zuvor auch die Musik von Agnes Obel, deren Auftritt auf der Hauptbühne ich zugunsten von ALA.NI ausgelassen hatte.

Beim zweiten Konzert des Tages hatte ich mich glücklicherweise an der Elbjazz-App orientiert: Der einstündige Auftritt von Vincent Peirani & Émile Parisien auf der neuen NDR Info Radio Stage wurde zwar sowohl dort als auch auf der Webseite angepriesen, war aber nicht im Programmheft abgedruckt. Aus dem Bauch heraus entschied ich, mir bereits vierzig Minuten vor Beginn einen Sitzplatz zu sichern. Keine dumme Idee, wie sich bereits rund zwanzig Minuten später herausstellte. Und was für ein sensationeller Auftritt war das! Vincent Peirani am Akkordeon und Émile Parisien am Sopransaxophon demonstrierten eindrucksvoll mit Witz und Können, dass miteinander zu musizieren im Idealfall eine ausnehmend intensive Kommunikationsform darstellt. Insbesondere Parisien zeigte dabei vollen Körpereinsatz. Mein persönlicher Elbjazz-Höhepunkt.

In der Schiffbauhalle 3 wurde nebenbei bewiesen, dass man nicht nur bei klassischen Stücken an den falschen Stellen klatschen kann. Eine kleine Herausforderung für die Radiocrew, denn ein Großteil der Interaktion zwischen Künstlern und Publikum an diesen Stellen kommt im Mitschnitt naturgemäß unter die Räder.

Mein nächstes Ziel war der Auftritt von Dhafer Youssef in der Alten Maschinenbauhalle. Auch hier sicherte ich mir sehr rechtzeitig einen guten Stehplatz nahe der Bühne, denn leider war dort für den Festivalsamstag die Bestuhlung abgebaut worden. Stilistisch kam ich zwar nicht ganz mit, aber der Gesang! Beeindruckend.

Blieb nur noch eine halbe Stunde bis zum Konzert von Greogry Porter & Band auf der Hauptbühne. Der Headliner bekam anders als die übrigen Künstler einen anderthalbstündigen Slot ganz am Ende des zweiten Festivaltags – zu Recht. Das ist schon amtlich, was der Mann da abliefert. Unterstützt wurde Porter vom Kaiser Quartett, welches ich aus der Ferne allerdings kaum hören konnte. Überhaupt schien der Sound gedrosselt zu sein. Von den seitlichen Rändern der Bühne aus war der Auftritt akustisch so gut wie nicht zu verfolgen, ganz anders als noch bei Mörk am Nachmittag. Aufgrund des Gedränges im Vordergrund sicherte ich mir einen halbwegs akzeptablen Hörplatz in einem der NDR Info-Liegestühle, um mich dann knapp vor Konzertende aus dem Staub zu machen, dem Massenaufbruch erfolgreich zuvorkommend. Ich hätte noch Lust gehabt, zu Mousse T. in den Mojo Club zu gehen, aber der tote Punkt erwischte mich auf halber Strecke zwischen dem alten Elbtunnel und der Reeperbahn.

Prädikat unterm Strich: Gelungene Wiederaufnahme! Diesmal spielte sogar der Himmel mit. Wenn nichts dazwischenkommt, bin ich 2018 wieder dabei.

Wetterchen
Wetterchen

Einen Wunsch habe ich fürs nächste Mal: Früher war mehr Klavier beim Elbjazz. Da geht doch sicher noch was – looking at you, Karsten Jahnke!

Meanwhile on the Balcony

  • Rucola „Wild West“,
  • Ringelblumen,
  • Pflücksalat „Drunken Woman“,
Drunken Woman
Drunken Woman
  • Erbeeren: 3x „Ostara“, 3x „Mieze Schindler“,
  • Tomaten: 2x „Harzfeuer“, 1x „Namenlos“ „Micro Cherry“,
Strawberry Fields
Strawberry Fields
Harzfeuer
Harzfeuer
  • Paprika „Orange Bell“
  • Thymian
  • Schnittlauch,
Sgt. Pepper
Sgt. Pepper
Schnittlauch
Schnittlauch
  • rotes Basilikum,
  • Kapuzinerkresse,
  • Borretsch,
  • Rosmarin und
  • anderthalb Hibiskusse.

In Concert: Die Elph-Cellisten mit J’nai Bridges in der Elbphilharmonie

Wenn ich jetzt sage, dass das Beste an den Elph-Cellisten die Sängerin war, klingt das nicht nur komisch, es ist auch ziemlich unfair: Unter dem Titel „A Cello Affair“ demonstrierten die Cellisten des NDR Elbphilharmonie Orchesters am vergangenen Montag in der Elbphilharmonie eindrucksvoll die Bandbreite ihres Könnens. Nach anfänglicher Zurückhaltung drehte das Ensemble spürbar auf, was sich insbesondere in den teilweise durch den Einsatz von diversem Schlagwerk aufgepeppten lateinamerikanischen Stücken manifestierte. Der Tango „Bien al Mango“ von Raúl Garello und „La Peregrinación“ von Ariel Ramírez gefielen mir von diesen am besten.

Dennoch, sobald J’nai Bridges die Bühne betrat, schrumpften die Elph-Cellisten beinahe zwangsläufig zur Begleitband. Was für ein Auftritt, was für eine Präsenz, was für eine Stimme! Fünf gemeinsame Stücke standen auf dem Programm, darunter auch Gershwins „Summertime“, was mich besonders bezauberte. Dazu trug ganz wesentlich das wunderschöne, an die Version von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong angelehnte Arrangement von Valentin Priebus bei.

Als schließlich zur zweiten Zugabe ein James Bond-Medley angespielt wurde, blieb nur noch die Frage: „Diamonds are forever“ oder „Goldfinger“? Das Intro und J’nai Bridges‘ Garderobenwechsel gaben die Antwort beinahe simultan.

Golden words he will pour in your ear
But his lies can’t disguise what you fear
For a golden girl knows when he’s kissed her
It’s the kiss of death from

Mister Goldfinger

Und dazu hätte man ihr dann doch – nur ganz kurz, für die Dauer des Songs! – ein großes Orchester gewünscht.

Barmbek bleibt bunt

Liebe Nachbarn, die ihr mit skeptischer Miene am Straßenrand oder in den Fensterrahmen standet und zugeschaut habt: Selbst wenn euch die Demonstrationen wegen „der ganzen Chaoten“ suspekter sind als es der Thor Steinar-Laden in der Fuhlsbütteler Straße 257 ist, lauft bitte trotzdem mit beim nächsten Mal. Denn: Je mehr Menschen mitmachen, desto schneller verschwindet der Laden. Und dann ist auch wieder Ruhe in eurer kleinen Welt. Vorher nicht.

Barmbek bleibt bunt
Barmbek bleibt bunt

Andererseits, die „Lautis“ von heute mögen doch bitte ihren Soundtrack und auch die Lautstärke überdenken. Es mag den einen oder die andere abgeschreckt haben und das ist schließlich so ganz und gar nicht Sinn und Zweck der Übung.