London (Part III): Tag 7 & 8

Finale! Es folgen die letzten beiden Tage der London-Nachlese. Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Den Mittwochmorgen lasse ich wieder etwas ruhiger angehen. Das Wetter ist trüb und ich mache mich auf den Weg nach Little Venice.

Winter is coming
Winter is coming

Beim Umsteigen in Paddington entdecke ich eines der „Quote of the Day“-Schilder, die in manchen Tube-Stationen für Erbauung und Erheiterung sorgen. Ich bin keine „Game of Thrones“-Guckerin, aber diese Referenz erkenne ich auch ohne Insiderwissen.

Little Venice
Little Venice

Eigentlich will ich nahe der Lagoon eine weitere London Walks-Führung mitmachen, entschließe mich dann aber spontan, den London Waterbus bis Camden Lock zu nehmen.

Regent's Canal
Regent’s Canal

In Camden Lock und Stables Market ist es zunächst noch ruhig, erst gegen Mittag wird es lebhafter. Bei meinem ersten Besuch, an einem sonnigen Sonntagnachmittag, drängelten sich hier die Massen. Heute haben Amy und ich etwas mehr Luft.

Amy
Amy

Nachmittags bin ich fußläufig zum Market mit meiner Konzertbekanntschaft vom letzten Jahr verabredet. Wir essen, schwatzen und absolvieren anschließend eine Hunderunde um den Primrose Hill. Die Aussicht von dort auf die Stadt ist phantastisch, bleibt aber aus Wettergründen undokumentiert.

Später nehme ich den Bus No. 168 Richtung Waterloo Station. Linienbusfahren ist in London vergleichsweise günstig: Da es für die Oyster Cards keine Lesegeräte an den Haltestellen gibt, kostet die einfache Fahrt nur £1,50. Der Nachteil: Man steckt im Autoverkehr fest. Ich sitze im Doppeldecker oben und freue mich darüber, viel Zeit zu haben. Tägliches Buspendeln stelle ich mir nervtötend vor – sowieso, aber in London noch einmal mehr. Die Route ist immerhin unterhaltsam: Via Roundhouse und Camden Town geht es am Russel Square vorbei weiter zur Euston Station, nach Holborn, über den Strand und schließlich auf die Waterloo Bridge Richtung South Bank.

Dort angekommen, nehme ich mir ausführlich Zeit, das Southbank Centre zu erkunden. Ich stöbere lange bei Foyles und im Festival Terrace Shop und bin kurzzeitig sehr versucht, in diesem eine wunderhübsche Teekanne mit Themsemotiv zu erstehen. Abgesehen von der Preisfrage überwiegen schließlich die Bedenken ob des sicheren Nachhausetransports*).

Der eigentliche Grund, weswegen ich mich am Southbank Centre herumdrücke, ist aber das Konzert von Francesco Tristano in der Royal Festival Hall. Tristano bewegt sich zwischen Klassik, Jazz und Elektronik und will am Abend sein neues Album „Piano Circle Songs“ vorstellen. Die Karte mit festem Sitzplatz hatte ich bereits Mitte Juli gekauft, wurde dann aber zwei Tage vor dem Termin per E-Mail darüber informiert, dass das Publikum nicht im Zuschauerraum, sondern auf und hinter der Bühne sitzen würde – mit Tickettausch an der Abendkasse und freier Platzwahl. Ob das von Anfang an der Plan war oder ein schwacher Vorverkauf die entscheidende Rolle gespielt hat, blieb dabei unklar. So oder so, das frühe Eintreffen sichert mir einen Bühnenplatz in der zweiten Reihe. Der Flügel ist dem rückwärtigen Teil der Bühne zugewandt und die restliche Hall mit ihren rund 2.500 Plätzen bleibt, durch eine Abtrennung abgehängt, im Dunkeln. Ein extrem intimes Setting mit entsprechend nervösen Sicherheitsleuten.

Francesco Tristano trägt dessen ungeachtet sein Programm mit großer Konzentration und Präzision vor. Es ist faszinierend, ihm dabei zuzusehen. Die CD muss ich dennoch nicht unbedingt kaufen und drücke mich daher trotz freundlicher Aufforderung durch das Personal vor der anschließenden Signierstunde.

Am Abreisetag begebe ich mich nach Frühstück und Check-out noch einmal in die Kensington Gardens, in der Tasche eine eigens erworbene Portion naturbelassener Cashew-Kerne. Zuerst muss ich meine Gabe mühsam ans Eichhorn bringen. Einige der Nager agieren äußerst vorsichtig und manche haben Schwierigkeiten, sich gegen aggressiv auftretende Krähen und Tauben durchzusetzen.

Kensington Gardens
Kensington Gardens

Erst mit der vorletzten Nuss gerate ich an einen Profi, der mir erst in den Finger zwickt, dann halb den Arm hoch rennt und schließlich äußerst ungehalten reagiert, als ich das leere Tütchen vorzeige.

Ich habe noch ein weiteres Ziel an diesem Morgen: die Sonderausstellung „Diana: Her Fashion Story“. Im letzten Jahr hatte ich bereits die Roben der Queen im Buckingham Palace bewundert. Das diesjährige Programm des Kensington Palace erscheint mir daher als logische Fortsetzung.

Kensington Palace
Kensington Palace

Mit der Idee bin ich nicht allein: Zur Öffnung um 10 Uhr haben sich bereits Schlangen gebildet. Dabei wird sorgsam zwischen Vorverkaufs- und Tageskassenbesuchern unterschieden. Abwicklung und Sicherheitskontrolle gehen dann aber zügig voran und im Gebäude verläuft sich der erste Ansturm schnell.

Queuing up for Diana
Queuing up for Diana

Anders als der Buckingham Palace sind Teile des Kensington Palace ganzjährig für Besucher zugänglich. Die Atmosphäre in den Räumen ist daher ungleich musealer. Neben der Sonderausstellung kann man die ehemaligen State Apartments bewundern. Die anderen Teile der Dauerausstellung widmen sich einerseits Queen Victoria, andererseits den „Enlightened Princesses“ Caroline von Braunschweig-Wolfenbüttel, Augusta von Hannover und Charlotte-Augusta von Wales.

Draußen gibt es noch ein weiteres Juwel zu bewundern: Der im „Sunken Garden“ des Palastes neu angelegte „White Garden“ soll ebenfalls an Prinzessin Diana erinnern. Ihr Todestag hatte sich Ende August zum zwanzigsten Mal gejährt.

The Sunken Garden
The Sunken Garden
The White Garden
The White Garden

Die Sonderausstellung drinnen gerät zur Zeitreise in meine eigene Kindheit und Jugend. An viele der Outfits kann ich mich noch gut erinnern. Zahlreiche Fotos und Zeichnungen dokumentieren neben den ausgestellten Kleidern die modische Entwicklung Dianas. Verglichen mit der Präsentation der Queen-Garderobe im Ballsaal des Buckingham Palace ist es zwar eine kleine, aber ausnehmend feine Sammlung, in Auswahl und Gestaltung.

Bald bunt
Bald bunt

Nach dem obligatorischen Cream Tea im Palace Café ist es Zeit zum Aufbruch. Da die British Airways-App, die bisher immer tadellos funktionierte, mir dieses Mal aus unerfindlichen Gründen keine Bordkarte ausstellen will, muss ich sicherheitshalber etwas mehr Zeit für den Check-in in Heathrow einrechnen.

In der Tube auf dem Weg zum Flughafen stoße ich im Evening Standard auf einen Artikel, der mich daran erinnert, was mich bei meiner Rückkehr nach Hamburg erwartet. Ich nicke bei jedem Satz.

Es braucht eine Weile, bis ich den richtigen Schalter gefunden habe. Der Check-in selbst ist problemlos und ich komme in Rekordzeit durch die Sicherheitskontrolle. Das verschafft mir genügend Muße, um mein letztes Münzgeld zu verfeuern. Nach gründlicher Suche macht schließlich ein Gläschen „Old English Hunt“-Orangenmarmelade von Fortnum & Mason das Rennen und die allerletzten Pence-Stücke landen in einer Spendenbox.

Der Heimflug ist erfreulich unspektakulär und ja, es wird einen Part IV geben. Es ist nur eine Frage der Zeit.


*) Dieses Modell, das fällt mir beim Schreiben dieser Zeilen erst auf, ist mir zum Glück nirgendwo über den Weg gelaufen.

London (Part III): Tag 4

Eigentlich wollte ich heute meinen Balkongarten winterfest machen, aber draußen tobt Sturm Xavier, es überschlagen sich die Martinshörner, Hoch- und S-Bahn verzeichnen erste Ausfälle und die Feuerwehr Hamburg twittert, man möge sich doch bitte lieber nicht draußen aufhalten. Außerdem, wenn ich mit der London-Nachlese im bisherigen Tempo fortfahre, bin ich noch bis Weihnachten dabei. Es folgt also die Rückschau auf Tag 4! Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Tatsächlich schaffe ich am vierten Tag, was ich mir vorgenommen habe: Ich stehe später auf, nehme mir gebührend Zeit für das im Übernachtungspreis enthaltene „Full English Breakfast“ im Senior Common Room des Imperial College und breche erst gegen Mittag gen Osten auf. Eine weitere Booking.com-Freifahrt nutzend, fahre ich ab Westminster Pier mit einem Schiff der Circular Cruise Richtung Tower. Die Tour an sich ist unspektakulär, wird aber kurzweilig durch die launigen Kommentare des Bootsmanns, der am Ende statt Hut einen Sektkübel (!) herumgehen lässt.

Am Tower wuseln wie meistens Touristen aus aller Herren Länder bunt durcheinander. Ich bedauere kurz, dass der Eintritt so teuer ist. Gerne hätte ich den Raben einen schnellen Besuch abgestattet. Sie sind mir, seit ich Ravenmaster Chris Skaife auf Twitter und Instagram folge, sehr ans Herz gewachsen. Vielleicht beim nächsten Mal wieder.

Heute habe ich ein anderes Ziel: die Erased Tapes Sound Gallery am Victoria Park.

Sound Gallery
Sound Gallery
Now playing: Ben Lukas Boysen
Now playing: Ben Lukas Boysen

Einmal, weil ich Fan bin und zum Zweiten, weil dort ein ganz besonderes Instrument quasi frei zugänglich ist: das Klavins Una Corda.

Please ask to play our piano
Please ask to play our piano
Una Corda
Una Corda

Seit ich das Teil im Mai 2015 auf der Kampnagel-Bühne zum ersten Mal gesehen und gehört habe, will ich darauf spielen. Damals war es Nils Frahm mit der No. 001, in London hingegen steht die No. 007. Wie es sich gehört.

No. 007
No. 007

Die Gallery ist zunächst leer bis auf die freundliche Dame, die sie bewacht und ich traue mich an die Tasten. Ich spiele drei Stücke, klimpere noch ein bisschen, entferne schließlich die Dämpferschiene und spiele weiter. Es klingt ein klein wenig verstimmt. Vermutlich passiert das bei dieser Bauweise schon, sobald sich der Klavierstimmer auch nur zur Tür dreht. Es erinnert mich – nicht vom Klang, nur vom Prinzip her! – an mein altes Stage Piano von Kawai, das ebenfalls nur eine Saite pro Ton besitzt. Seit ich das „richtige“ Klavier habe, treibt sich das EP608 irgendwo in der weitläufigen Verwandtschaft herum. Vielleicht sollte ich das gute Stück bei Gelegenheit zu mir nach Hamburg holen.

Zurück zum Victoria Park. Eine ausnehmend hübsche Gegend ist das! Und ohne das Una Corda wäre ich da wohl nie hingekommen. Ich schwatze und stöbere noch ein bisschen, kaufe zwei CDs und reiße mich schließlich los.

Abends begebe ich mich erneut ins West End. Im Duchess Theatre wird „The Play That Goes Wrong“ gegeben, und das bereits im dritten Jahr. Erst ein paar Wochen zuvor hatte das Stück auf dem Spielplan des St. Pauli Theaters gestanden. Die Plakatankündigungen dazu hatten mich seinerzeit auf die Idee gebracht, mir das Original anzuschauen. „The Play That Goes Wrong“ besteht im Wesentlichen aus Slapstick pur gepaart mit waschechtem britischen Humor. Was die Londoner Aufführung zum Glanzstück macht: die großartige Besetzung und ihr grandioses Timing. Das Publikum dankt es mit nahezu durchgängigem Gelächter.

Auch bei meinem zweiten Theaterbesuch fällt mir auf, dass dieser einem klassischen (Plüsch-)Kinoabend sehr viel ähnlicher ist, als ich es von Deutschland und Hamburg her gewohnt bin. Man kleidet sich leger, kaum jemand gibt Jacken oder Taschen an der Garderobe ab, Snacks und Getränke (sogar Mitgebrachtes!) sind im Zuschauerraum erlaubt und in der Pause wird dort Eis zum Verkauf angeboten. Auffällig ist außerdem der „Safety Curtain“, der zur Pause die Bühne vom Zuschauerraum trennt. Ich erfahre später, dass es sich um eine Feuerschutzmaßnahme handelt, stammen doch die meisten Theatergebäude im West End aus viktorianischer Zeit und entsprechen daher wohl nur unzureichend den modernen Brandschutzbestimmungen.

Nach dem tosenden Schlussapplaus mache ich mich mit reichlich strapazierten Lachmuskeln auf den Weg zurück nach Kensington.

In Concert: James Rhodes in der Elbphilharmonie

Bevor es im Londonaufbruch noch untergeht, schnell zwei Worte zum heutigen Konzert von James Rhodes in der Elbphilharmonie: Das war so ungefähr wie damals auf Kampnagel, nur eben in der Elbphilharmonie.

Auf der einen Seite bedeutet das ein wesentlich größeres Publikum und diese ganz andere, besondere Akustik und Atmosphäre des Großen Saales, auf der anderen Seite aber auch gesalzene Ticketpreise. Weswegen ich in luftiger Höhe (16 U, Achtung, wichtiger Hinweis: Dafür muss man wenigstens einigermaßen schwindelfrei sein!) saß. Aufgrund der Dimension war die Veranstaltung zudem nicht annähernd so intim wie seinerzeit in der K2.

Welches Konzert mir besser gefallen hat? Schwierige Entscheidung. Fragt mich morgen nochmal. Ach nein, lieber nächste Woche. Morgen Abend sitze ich nämlich im Barbican Centre und lausche dem Saisoneröffnungskonzert des London Symphony Orchestra. Das ist gleichzeitig das Debüt von Sir Simon Rattle als neuem Chefdirigenten des LSO und – sorry, Mr. Rhodes, Verzeihung, Elphi – das wird ziemlich sicher mein musikalisches Highlight mindestens des Monats werden.

In Concert: Das Tingvall Trio in der FABRIK

Ich erinnere nicht mehr genau, wann die Algorithmen bei Spotify angefangen haben, mir Jazz und -verwandtes in den „Mix der Woche“ zu spülen. Plötzlich war da „Remembering“ von Avishai Cohen, dann kamen zwei, drei Sachen von Ibrahim Maalouf dazu, „Kneel Down“ vom Neil Cowley Trio, „746“ vom Trio Elf und so weiter; nicht auffällig viel, aber es war immer mal wieder etwas aus der Richtung dabei.

So auch geschehen mit „Den Gamla Eken“ vom Tingvall Trio. Das war, und das weiß ich in diesem speziellen Fall genau, Anfang Mai dieses Jahres und traf meine seinerzeit (vorsichtig) optimistische Frühlings-Aufbruchsstimmung auf den Punkt. Zwar wurde diese wenige Tage später brutalstmöglich ausgebremst, doch der Titel verblieb in meiner „Best of ‚Mix der Woche'“-Playlist und der Name Tingvall in meinem Gedächtnis.

Auch aus diesem Grunde saß ich Ende August in der Staatsoper und sah und hörte Martin Tingvall zum ersten Mal live spielen. Es gibt einige Pianisten, die mich beeindrucken, faszinieren, deren Spiel ich bewundere und deren Musik zu meinen Lieblingen zählt. Es gibt aber nur sehr, sehr wenige, in die ich aus dem Stand klavierverliebt bin. Martin Tingvall ist erst der Zweite.

Warum genau, ist schwer zu erklären. Wenn ich schreibe, dass ich bei Martin Tingvall nicht höre, wo der Mann aufhört und der Flügel anfängt und dass ihm das Instrument Stimme ist, ist das nur ein Teil. Die Art des Körpereinsatzes spielt eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass er zu den Menschen gehört, die einem ausgewachsenen Steinway & Sons-Konzertflügel mit all seinen Stärken und Schwächen ganz und gar spielerische, leichte, ja zärtliche Töne entlocken können. Überhaupt, Spielfreude: Wenn es jemanden gibt, auf den dieser Begriff zutrifft, dann auf Martin Tingvall.

Da kommt der Rest des Trios ein bisschen zu kurz, zugegeben. Das ist nicht gerecht, aber ich bin nun einmal hemmungslos pianozentriert. Ich hoffe, Jürgen Spiegel (Drums) und Onar Rodriguez Calvo (Bass) können mir das verzeihen.

Jedenfalls, es war grandios gestern. Die komplett ausverkaufte FABRIK tobte und es wird mit Sicherheit nicht mein letztes Tingvall Trio-Konzert gewesen sein.

In Concert: Lubomyr Melnyk im resonanzraum

Schon bei den ersten Takten, die ich Lubomyr Melnyk spielen hörte – das kam über Spotify oder den Erased Tapes-Newsletter, ich weiß es nicht mehr genau -, war mir klar: Den Mann muss ich live erleben. Das ist die Art Musik, die in aufgezeichneter Form gar nicht vollständig zu erfassen ist.

Seine Klaviertechnik hat Lubomyr Melnyk „Continuous Music“ genannt. Nach eigener Angabe ist er der einzige, der diesen Stil beherrscht. Das ist vor allem eine Frage der Physis und des Trainings: Mit bis zu 19 1/2 Anschlägen in der Sekunde erzeugt Melnyk auf dem Klavier einen Klangteppich, dessen hypnotischer Wirkung sich kaum jemand entziehen kann, der ein Ohr für solches hat. Besonders wichtig ist ihm dabei, dass diese Kompositionen untrennbar verbunden sind mit dem Klang, der „Stimme“ des Klaviers. Er betont in seinen Ausführungen darüber hinaus stets die Authentizität des Livespiels.

Dazu passte weniger, dass ein Großteil der Stücke des Konzertprogramms heute Abend im resonanzraum für zwei Klaviere konzipiert und eine der beiden Klavierstimmen jeweils vor dem Konzert aufgenommen worden waren. Lubomyr Melnyk hat also gewissermaßen mit sich selbst gespielt. Etwas, was ich bei anderen Musikstilen durchaus noch als „live“ bezeichnen würde, aber bei der „Continuous Music“ ging die Rechnung für mich leider nicht ganz auf.

Dennoch: faszinierender Typ, faszinierende Musik! Und im sehr gut gefüllten resonanzraum waren beide perfekt aufgehoben.

Es ist kompliziert: eine Klaviergeschichte

Bevor ich an dieser Stelle endgültig neue Seiten aufschlage, möchte ich noch einen älteren Beitrag nachreichen bzw. wieder aufnehmen. Es ist gewissermaßen die Vorgeschichte zu allem, was meine (fortgesetzt nicht ganz unproblematische) Beziehung zum Klavierspielen betrifft. Es erklärt auch, warum die Sache mit Nils Frahm und „Sheets Zwei“ in London für mich nicht nur einfach etwas Besonderes, sondern quasi die ultimative Mutprobe war – ein Teil von mir fasst ja immer noch nicht, dass ich da tatsächlich hingefahren bin.

Der Text erschien am 26. 5. 2015 auf Facebook und einen Tag später als Gastbeitrag bei „Is a Blog“.

„Es ist kompliziert“: Dieser Satz beschreibt die Beziehung zwischen mir und meinem Klavier wohl immer noch am besten. Wir arbeiten daran, dass es weniger kompliziert wird und deswegen geht es diese Woche in die Werkstatt.

In der Zwischenzeit kann ich die Geschichte dazu erzählen.

Klavierunterricht war in meinem Falle eine freiwillige Angelegenheit. Ein ausdrücklicher Wunsch sogar. Der erste Unterrichtsversuch war zwar eine Katastrophe und das erste Instrument kein Klavier, sondern ein Zustand in Form einer elektronischen Heimorgel. Aber irgendwann stiegen meine beiden Schwestern mit ein, ein echtes Klavier kam ins Haus und wir zu einem richtigen Lehrer.

Das ging so bis zur Oberstufe. Dann, nach dem Abitur, kam ein großes, schwarzes Loch. Kein Klavier mehr, kein Unterricht mehr; keine nennenswerte Verbindung mehr zum aktiven Musizieren. Zehn Jahre lang.

Bis zu dem Tag, an dem ein Freund zu mir diesen Satz sagte: „Ich finde, in jedem Haushalt sollte ein Instrument stehen.“ „Klick!“, machte es bei mir, und von jetzt auf gleich wollte ich wieder ein Klavier haben.

Grotrian(-Steinweg)
Grotrian(-Steinweg)

Ich fing an zu suchen und fand. Es war Liebe auf den ersten Ton. Aber es war kompliziert, denn etwas war unterbrochen zwischen meinem Kopf und meinen Händen. Ich konnte nicht spielen, was ich hören wollte. Das hatte nichts mit übertriebenem Ehrgeiz zu tun. Alles, was ich wollte, war mich ausdrücken können und mir selbst nicht wehtun dabei. Das klappte nicht. Egal was ich versuchte.

Über lange Zeit blieb das so und es gab immer wieder Phasen, in denen ich monatelang keinen Ton spielte. Dennoch, nie wäre mir in den Sinn gekommen, das Klavier wieder wegzugeben. Ich ahnte: Es ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts und es fehlt noch etwas. Eines Tages finde ich es vielleicht.

"Do androids wish upon electric stars?"
„Do androids wish upon electric stars?“

Und dann, am 30. Jahrestag des Starts der Voyager 1-Mission, saß ich im Planetarium und sah einer nicht ganz unprominenten Dame dabei zu, wie sie am Flügel mein Lieblingsklavierstück zerholzte. Ich hatte das Stück lange nicht gehört und noch länger nicht versucht, es zu spielen. Trotzdem sprang während dieser fragwürdigen Performance ein ebenso ketzerischer wie absurder Satz in meinen Kopf: „Das könntest du besser!“ Technisch nie, aber vom Gefühl her.

Wenige Minuten später sahen wir eine Projektion der Voyager 1-Sonde an der Sternenkuppel und hörten dazu ein Musikstück, das absolut perfekt dazu passte und mir anschließend tagelang nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich bemühte meinen damaligen Kontakt beim Planetarium, bekam Interpret und Titel genannt und begab mich auf die Suche. Ich stellte sehr schnell fest, dass die gehörte Version des Stücks mit dem treffenden Titel „Numero Uno“ offenbar nur auf einer CD enthalten war. Ein Blick auf die Tracklist: OK, Du hast mich. Es gibt mehr davon? Sogar noch mehr? Gekauft.

Lieferung abwarten. Anhören. Nochmal anhören. Und nochmal. Und wieder. Dabei bei einem der Stücke wieder einen Satz im Kopf haben. Einen, den ich jahrelang nicht gedacht hatte. „Ob es dazu wohl Noten gibt?“

Es gab. Rund drei Wochen nach dem Abend im Planetarium versuchte ich mich zum ersten Mal an Ludovico Einaudis „Le Onde“.

Dann hat es, und hier muss ich abkürzen, noch einmal 5 Jahre und 10 Monate gedauert, bis der letzte Knoten platzte, ich es endlich mit Schwung durchspielen konnte und bis aus Tastengestolper so etwas wie Musik wurde. Diesmal mit einem „Klick“, der, wenn es dort ein Ohr dafür gibt, vermutlich irgendwann noch im interstellaren Raum zu hören sein wird. Da ist Voyager 1 nämlich gerade.

Dummerweise ist es genau deshalb immer noch ziemlich kompliziert. Aber wir arbeiten dran, mein Klavier und ich, und wenn es aus der Werkstatt kommt, geht das auch endlich 24/7. Den Nachbarn zum Trotze.

Fortsetzung folgt.

In Concert: James Rhodes auf Kampnagel

Der heutige Abend auf Kampnagel wurde allenthalben als „musikalische Lesung“ angekündigt und da die Autobiographie von James Rhodes in diesem Frühjahr auf Deutsch erschienen ist, erwartete ich eine Veranstaltung im Stile einer klassischen Buchvorstellung mit ein wenig musikalischer Garnitur.

James Rhodes hat einiges hinter sich – als Kind missbraucht worden, Depressionen, Drogen, Klinikaufenthalte, das ganze Programm – und musste vor Gericht dafür streiten, das Buch mit dem Titel „Der Klang der Wut“ in dieser Form überhaupt veröffentlichen zu dürfen. Seine Ex-Frau war der Meinung, das sei dem gemeinsamen Sohn nicht zuzumuten.

Ich stellte mich also auf schwere Kost ein, die dann komplett ausblieb: James Rhodes hat über Musik gesprochen! Fast ausschließlich! Über Chopin, Beethoven, Rachmaninoff und die Stücke, die er gespielt hat. Sprühend, ansteckend, angetan mit einem Sweatshirt mit der Aufschrift „BACH“ und in der Körperhaltung eines begeisterten Kindes. Mit einem verschmitzt-schüchternen Lächeln, welches mich so sehr an einen Herrn erinnerte, in den ich mich einst gar furchtbar verliebte, dass ich ein paar Mal heftig blinzeln musste, um mich daran zu erinnern, dass den beiden (optisch) ansonsten nichts gemein ist.

Das Manuskript
Das Manuskript

Sprechen müsse man über klassische Musik, sagt James Rhodes. Nicht nur abliefern und vom Publikum verlangen, dabei auch ja ganz still und andächtig zu sein. Das dockt bei mir 100%ig an. Klavier verläuft bei mir nämlich in Schüben, die nicht selten dadurch ausgelöst werden, dass ich mich jemandem über Musik unterhalte, der mehr davon weiß als ich.

Und Klavier spielen kann der Mann auch.

If I were a rich girl

Nachdem die Firma Steinway & Sons Hamburg mir unlängst beim „Hamburger Pianosommer“ per Gewinnspielteilnahme erfolgreich die E-Mail-Adresse entlockte, folgte ich heute einer Veranstaltungseinladung an den Rondenbarg – aus reiner Neugier, wie ich gerne zugebe.

Abgesehen davon, dass der Abend musikalisch ganz wundervoll war – es spielten Hilmar Jacobs, Karsten Flohr und Bernd Klosterfreund als J-F-K „The Autumn Leaves“ – fühlte ich mich schon durch den Einladungstext gut unterhalten, war in diesem doch als Unkostenbeitrag die stolze Zahl von 15.000,00 (statt 15,00) Euro zu lesen. Das habe, so die sehr nette Dame bei der telefonischen Anmeldung, zu nicht wenigen amüsierten Reaktionen geführt. Erst nach Beenden des Gesprächs fiel mir auf, dass mein launig gemeinter Satz „Ich wollte den Flügel ja nicht kaufen!“ exakt an dieser Stelle eventuell etwas deplatziert war.

Wobei man, auf die Flügel bezogen, mit der Summe bei Steinway & Sons nicht sonderlich weit kommt – hier bitte ein mattes Ächzen einsetzen.

Und noch einmal: „If I were a rich girl…“

London (Part II): Tag 5

Buckingham Palace, Hyde Park und Harrods.

Buckingham Palace
Buckingham Palace
Cream Tea at the Garden Café
Cream Tea at the Garden Café
Royal Geese
Royal Geese

Jetzt weiß ich, warum der Besuch des Buckingham Palace mit dem Slogan „A Royal Day Out“ beworben wird: Für den Besuch der State Rooms mit der sagenhaften „Fashioning a Reign“-Ausstellung, der „Garden Highlights Tour“, den Cream Tea im Garden Café und das ausführliche Stöbern im Palace Shop brauchte ich insgesamt gut viereinhalb Stunden. Dabei hatte ich die „Queen’s Gallery“ und die „Royal Mews“ noch ausgelassen. Prädikat: für Eilige (und Spontanbucher) ungeeignet! Das ist ein ausdrückliches Kompliment.

Corgis looking for a new home at the Palace Shop
Corgis looking for a new home at the Palace Shop

Den anschließenden Spaziergang durch den Hyde Park kürzte ich dafür drastisch ab, um mir dann bei Harrods die totale Reizüberflutung zu geben. Im zweiten Stock, bei den Luxusstehrumchen & -staubeinchen, steht dort ein alter Bechsteinflügel nebst Klavierbank, beide von Baldi in Lapislazuli und Blattgold dekoriert. Der Flügel soll £250,000 kosten, die Klavierbank immerhin noch schlappe £15,499. Mein Interesse blieb nicht unbemerkt und man bot mir an, das gute Stück anzuspielen. Das war ernüchternd: It was badly out of tune. Tatsächlich ein reines Dekoobjekt.

Harrods
Harrods
Walk like an Egyptian
Walk like an Egyptian

Klaviere werden bei Harrods ansonsten übrigens nicht mehr verkauft; die Abteilung, eine der ältesten des Hauses, wurde 2013 nach 118 Jahren geschlossen. Es rentierte sich nicht mehr.

In Concert: „Hamburger Pianosommer“ in der Staatsoper Hamburg

Was passiert, wenn Joja Wendt, Axel Zwingenberger, Martin Tingvall und Sebastian Knauer zum „Hamburger Pianosommer“ in die Staatsoper Hamburg einladen?

Vier grandiose Mini-Sets unterschiedlicher Stilrichtungen, diverse Duette sowie musikalische Staffelläufe, von denen einer in einem achthändigen Boogie Woogie nach Rachmaninoff auf zwei Konzertflügeln mündete. Sowas glaubt man ja auch erst, wenn man es sieht und hört.

Das war eine äußerst gelungene, hochklassige und sehr unterhaltsame Werbeveranstaltung für Steinway & Sons! Wobei das Product Placement, nun ja, die Viecher stehen eh überall in der Welt immer dann auf den Bühnen, wenn es darauf ankommt. Von daher: passt schon, gerne wieder!