In Concert: Die Elph-Cellisten mit J’nai Bridges in der Elbphilharmonie

Wenn ich jetzt sage, dass das Beste an den Elph-Cellisten die Sängerin war, klingt das nicht nur komisch, es ist auch ziemlich unfair: Unter dem Titel „A Cello Affair“ demonstrierten die Cellisten des NDR Elbphilharmonie Orchesters am vergangenen Montag in der Elbphilharmonie eindrucksvoll die Bandbreite ihres Könnens. Nach anfänglicher Zurückhaltung drehte das Ensemble spürbar auf, was sich insbesondere in den teilweise durch den Einsatz von diversem Schlagwerk aufgepeppten lateinamerikanischen Stücken manifestierte. Der Tango „Bien al Mango“ von Raúl Garello und „La Peregrinación“ von Ariel Ramírez gefielen mir von diesen am besten.

Dennoch, sobald J’nai Bridges die Bühne betrat, schrumpften die Elph-Cellisten beinahe zwangsläufig zur Begleitband. Was für ein Auftritt, was für eine Präsenz, was für eine Stimme! Fünf gemeinsame Stücke standen auf dem Programm, darunter auch Gershwins „Summertime“, was mich besonders bezauberte. Dazu trug ganz wesentlich das wunderschöne, an die Version von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong angelehnte Arrangement von Valentin Priebus bei.

Als schließlich zur zweiten Zugabe ein James Bond-Medley angespielt wurde, blieb nur noch die Frage: „Diamonds are forever“ oder „Goldfinger“? Das Intro und J’nai Bridges‘ Garderobenwechsel gaben die Antwort beinahe simultan.

Golden words he will pour in your ear
But his lies can’t disguise what you fear
For a golden girl knows when he’s kissed her
It’s the kiss of death from

Mister Goldfinger

Und dazu hätte man ihr dann doch – nur ganz kurz, für die Dauer des Songs! – ein großes Orchester gewünscht.

Vermischtes

Ich mache nicht so gerne Sammeleinträge ins Susammelsurium, aber es sind schon wieder drei Veranstaltungen aufgelaufen und es soll nicht in Stress ausarten. Ganz im Gegenteil. Ich bemühe daher ausnahmsweise den Schnelldurchlauf.

Montag

Frau F. und ich waren bei hidden shakespeare im Schmidt Theater! Endlich! Das wollten wir ja, seit wir „Heiligabend mit Hase“ und „Ein Endspiel“ im Abaton gesehen hatten. Es war grandios. Meine Lieblinge: das Lacrosse-Pony und der Galoppflamingo. Wobei ich ein wenig mit dem Publikum fremdelte. Das Prinzip des Verzehrtheaters – was für ein schönes Wort! – scheint doch die ein oder andere Spezies anzulocken, die man in die Kategorie Mädelsabend, Junggesell(-inn-)enabschied oder Betriebsausflug stecken kann. Nicht unbedingt die Atmosphäre, in der ich mich zu Hause fühle. Andererseits war ich ja tatsächlich mal selbst im Rahmen eines Betriebsausflugs, also, das ist Jahre her, bei „Cavemusic“ im Schmidts Tivoli, und da hat es mich gar nicht gestört. Was meiner Erinnerung nach ganz wesentlich mit dem Auftritt Christian von Richthofens zu tun hatte. Für solche Menschen wurde der Begriff „musikalisch“ erfunden. Was für eine Rampensau! Er stahl dem Caveman die Show, nach allen Regeln der Kunst, und man konnte ihm nicht böse sein. Jedenfalls nicht aus der Publikumsperspektive – Kristian Bader mag seinerzeit anders darüber gedacht haben.

Bei Bodo Wartkes „König Ödipus“ vor fast genau acht Jahren war wiederum deutlich mehr Theater spürbar, trotz des Kabarettansatzes. Zwei Gegenstände in meiner Wohnung erinnern mich seither an diesen Abend: das gelbe Reclamheftchen im Buchregal und Carl der Löwe alias die Sphinx („Wie ‚Pfingsten‘ nur mit ‚S‘!“) auf dem Kleiderschrank. Bodo Wartke wird mit gemischten Gefühlen an diese Premiere zurückdenken, er brach sich nämlich während der Vorstellung das rechte Wadenbein.

Wie komme ich jetzt darauf? Ach ja: Theater.

Mittwoch

Nächste Station: „Unwiderstehlich“ im Ernst Deutsch Theater. Im Vergleich zum Montag war das naturgemäß ein komplett anderer Film. Frau F. und ich hatten beide Schwierigkeiten mit dem Stück, wobei mir nicht ganz klar war, ob es am Text selbst oder an der Regie lag oder vielleicht an der Kombination von beidem. Das hat uns aber keineswegs daran gehindert, die schauspielerische Leistung von Anika Maurer und Boris Aljinovic anzuerkennen.

Die Vorstellung war in zwei Teile gegliedert, unterbrochen durch eine Pause. Mir persönlich hat der dritte Teil am allerbesten gefallen. Ich habe mich lange nicht mehr so gründlich und so nett verquatscht. Ganz lieben Dank auch dafür.

Donnerstag

Ein klein wenig Theater gab es auch bei Lambert im resonanzraum und sei es nur des Maskenspiels wegen. Anders als vor anderthalb Jahren auf Kampnagel waren dieses Mal keine Bläser dabei (die Gitarre war OK, hätte aber nicht sein müssen). Dadurch wirkte das Programm ernster, was sich auch in den tendenziell weniger spaßigen Ansagen widerspiegelte. Ich mochte auch diese Variante sehr. Schade nur um das Bundesamt für Notenschutz, das offenbar inzwischen aufgelöst wurde.

Ich hatte mich bewusst so platziert, dass ich Lambert etwas von der Seite sehen konnte. Dadurch saß ich direkt vor dem Schlagzeuger und Perkussionisten, dem ich im Laufe des Konzerts mehr und mehr verfiel. Da bildet sich allmählich ein Muster heraus; man kann durchaus Parallelen zu meiner Faszination für Andrea Belfi (bei Nonkeen) und Fabian Prynn (bei Douglas Dare) ziehen.

Ich behalte das im Auge. Bzw. im Ohr.

In Concert: Colin Currie Group und Synergy Vocals in der Elbphilharmonie

Die Sache mit der Musik von Steve Reich und mir, das ist eine von diesen Spotify-Geschichten. Anfang 2016, nach Bruce Brubaker mit „Glass Piano“ im Birdland, lief das Album bei mir in der Dauerschleife. Prompt schlug mir der Algorithmus ein paar Tage später Steve Reichs „Music for Pieces of Woods“ aus dem Jahr 1973 vor, frei nach dem Motto: „Kunden, die Philip Glass mochten, mögen auch…“ – ihr kennt das.

Im ersten Anlauf reagierte ich auf das Stück allerdings eher ungnädig. Wenn ich morgens auf dem Arbeitsweg in der S-Bahn eine Playlist anwerfe, mag ich es nicht gern hektisch. „Was für ein elendes Geklacker ist das denn, ich will Musik!“, brummelte ich innerlich und bediente genervt die Skip-Taste. Später gab ich dem Titel eine zweite Chance und war fasziniert: Mit jeder Rhythmusverschiebung schien sich in meinem Kopf etwas mitzubewegen; das Gesamtgebilde erzeugte einen nahezu hypnotischen Effekt.

Wie das so ist, wenn man auf etwas gestoßen wird: Plötzlich sieht (bzw. hört) man es überall. NDR Kultur kam wenig später auf die keineswegs abwegige Idee, die Musik von Steve Reich mit der von Kiasmos in einem Konzert zusammenbringen und als ich knapp zwei Monate später im Barbican Centre das „Possibly Colliding“-Programm in Augenschein nahm, so fand ich dort unter anderem auch „Music for Pieces of Woods“ gelistet. Was mich in diesem Moment schon nicht mehr überraschte. Leider passte das Konzert nicht in den eng getakteten Zeitplan meines London-Aufenthalts.

Umso erfreuter war ich, als ich das „Maximal Minimal“-Festival im Programm der Elbphilharmonie entdeckte. Aus reiner Neugier und gegen meine Gewohnheit ließ ich den Klavierpart der Reihe links liegen und erstand ein Ticket für „Steve Reich: Drums“.

Damals wusste ich noch nicht, dass die Parkettebene 12 des Großen Saales nicht zwingend das beste Klangerlebnis gewährleistet. Bei „Music for Pieces of Woods“, aber auch bei „Drumming“ offenbarte sich das erneut: Die Akustik wirkte glashart und gnadenlos, dabei zeitweise hallig und überlaut. Wobei man dazu wissen muss, dass neben dem Vokalensemble nur ein Teil der Instrumente elektronisch verstärkt wurde. Unangenehm war auch das akustische Verhalten mancher Konzertteilnehmer. Ich bin inzwischen soweit: Menschen, die nicht flüstern können, sollte der Eintritt zu (größenteils) unverstärkten Konzerten in der Elbphilharmonie verwehrt bleiben. Dummerweise saßen gleich zwei dieser Exemplare in der Reihe vor mir („Das ist ganz schön laut.“ – „Ja, laut.“). Sie ließen sich auch durch strenges Mienenspiel der Umsitzenden nicht beirren.

Wo wir gerade dabei sind: Die zahlreichen Konzertneulinge in der Elphi hatten zwischenzeitlich eine Diskussion über „richtiges“ und „falsches“ Klatschen ausgelöst. Einige Für- und Gegenargumente wurden vor einiger Zeit im Hamburger Abendblatt veröffentlicht. Wobei auffällt, dass die Künstler sich zu dem Thema wesentlich entspannter äußerten als so mancher erzkonservative Musik“genießer“. „Bitte nicht schon wieder eine falsch verstandene (oder falsch verstehbare) ‚Willkommenskultur'“, du liebe Güte. In nicht wenigen, vornehmlich symphonischen Konzerten scheint dieser Typ des verknöcherten, humorbefreiten und elitär denkenden Klassikkonsumenten immer noch die Mehrzahl des Publikums zu stellen. Weswegen ich zunehmend Veranstaltungen und Veranstaltungsorte aufsuche, bei denen ich ein gemischteres Bild erwarten kann. Es ist auf Dauer ziemlich anstrengend, mit der eigenen Begeisterung zwischen solchen Miesepetern zu hocken.

Abgesehen davon, dass man bei einer hypersensiblen Akustik am besten den Mund hält, solange gespielt wird, steht eines jedoch außer Frage: Wenn ein Weltklasse-Ensemble auf der Bühne steht und der Komponist im Saal anwesend ist, die aufgeführten Stücke oder der Musikstil aber weder der Erwartung noch dem Geschmack entsprechen, dann gibt es genau zwei Optionen:

  1. Drinbleiben und versuchen, sich einzulassen. Mag sein, dass ich mit den Kompositionen auch dann nicht viel anfange, aber ich kann mindestens noch der Virtuosität der Aufführung Anerkennung zollen.
  2. Zur Pause das Konzert verlassen. Das ist vollkommen legitim.

Was absolut gar nicht geht, ist mitten im Stück aus dem Saal zu poltern. Da lasse ich nur medizinische Notfälle oder Blasenschwäche gelten und das hat nichts Dünkel zu tun. Sondern mit Anstand.

Ein Trost bleibt: Steve Reich wird das Verhalten der Abtrünnigen wenig gekratzt haben. Der Mann muss niemandem mehr etwas beweisen und die Fangemeinde jubelte ob des souveränen Auftritts der Colin Currie Group mit den Synergy Vocals zu Recht begeistert.

Ich auch.

Le Voyage Abstrait im Planetarium Hamburg

Mitte Februar wurde das Planetarium Hamburg nach rund anderthalb Jahren Umbauzeit wiedereröffnet. Meine Stadtpark-Laufrunde führt seitdem wieder um das Gebäude herum und einige Details der Umgestaltung fallen schon von außen ins Auge. Auch die Innenräume neu zu erobern, hatte ich mir jedoch für die erste „le voyage abstrait“ am gestrigen Sonnabend aufgehoben.

Gleich bei den Eingängen, unten am ausgebauten Sockel, betritt man Neuland. Die großzügig gestaltete Eingangshalle mit dem Kassenbereich ist nach oben offen und gibt den Blick auf das erhalten gebliebene Deckengemälde mit den Sternbilddarstellungen aus dem Jahr 1930 frei. Die Treppenaufgänge und der gläserne Aufzug fügen sich wunderbar ein und der Spendentrichter, mittig aufgestellt, bekommt an diesem Platz endlich die Aufmerksamkeit, die er verdient. Wir lernten gestern: Ein Kamelrennen-Chip vom Hamburger Dom ist gerade groß genug, um nicht durch das Loch zu passen. Hat man einen solchen zur Hand, ist unendlicher Spaß garantiert.

Die Gastronomie macht einen guten Eindruck und erst die neuen Toiletten! Wobei die Sache mit der Kindertoilette, nun ja, die wird sich wohl auf Dauer nicht bewähren. Wenn die Kloschlange wächst, hilft auch kein „Blattpapier“ der Reinigungsfirma, dass diese doch bitte nicht von Erwachsenen benutzt werden möge. Wobei bei uns gleich die Frage aufkam, ob es bei den Männern auch ein Kinderklo gibt. Das konnte gestern nicht vollständig aufgeklärt werden. Als weiteren kleinen Kritikpunkt kann man noch den ohrenbetäubend lauten Turbo-Händetrockner aufführen (der alternativ angebotene Papierbehälter war natürlich leer). Dessen Höllenkrach drang nach der kontemplativen ersten „voyage“-Hälfte besonders unangenehm ins Hirn vor. Sehr schön dagegen ist, dass es jetzt Schließfächer gibt. Man braucht keine Münzen, sollte aber nicht mit laptopgroßen Messengertaschen anrücken. Dafür sind die Fächer zu klein.

Die obere Rotunde mit dem Eingang zum Sternensaal erscheint ein wenig unbehaust. Die Globus-Leihgabe hat einen Pixelfehler, ein Sessel und mehrere Touchscreens stehen herum und wirken konzeptlos. Das wird sich sicher bald ändern, wenn dort in Kürze die erste Ausstellung einzieht. Von der ebenfalls aufgestellten „Kuhllegin“ sollte man sich nicht hinters Licht führen lassen: Achtung, Fake Cow! Die echte Stella wacht im Untergeschoss in den Räumen des Planetariumsshops, der noch seiner Eröffnung harrt.

Beim Eintritt in den Sternensaal fallen zwei Dinge sofort ins Auge. Zum einen die neuen Sitzpolster in sattem Rot, worauf sich augenblicklich eine Diskussion entspann: Welche Farbe hatten die Sessel zuvor? „Auch rot!“, behaupteten meine Begleiter. Und ich hätte schwören können, dass… aber sei’s drum, reine Nebensache. Viel wichtiger war der Blick nach oben: Dass sich da gewaltig etwas bei der Auflösung getan hat, verriet uns schon das Kuppelstandbild mit Logo.

Auch bei Rechnerleistung und Software ist aufgerüstet worden und tatsächlich schwenkte der blaue Planet bei Reisebeginn flüssig in und wieder aus dem Bild. Damit taten sich Saturn und diverse andere Visuals im späteren Verlauf deutlich schwerer. Da muss sich wohl noch einiges einspielen. Die Laser hingegen ließen sich nichts anmerken und feuerten, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben.

Zehn!
Zehn!

Und musikalisch? Uns Hardcore-Fans, die wir über Monate mit schlimmen Entzugserscheinungen zu kämpfen hatten, hätte man auch eine schlichte Wiederholung vorlegen können. Aber derlei sieht dem Soundpiloten Raphaël Marionneau nicht ähnlich und so war die „voyage“ nicht gar mehr so „abstrait“, wie wir es kannten. Es gefiel uns, ebenso wie der neue Schlusstrack – mit A Winged Victory for the Sullen kriegt man mich ja immer.

Das Warten hat sich also gelohnt: Planetariumsum- und -ausbau gelungen! Demnächst probiere ich noch, ob der Kuchen im Café Nordstern etwas taugt. Ob ich dabei draußen sitzen oder eines der gemütlich aussehenden Sofas testen werde, entscheidet das Wetter.

In Concert: GoGo Penguin im Uebel & Gefährlich

Kennt ihr diese Konzerte, die mit „Joah!“ und leichtem Fußwippen anfangen und sich dann stetig weiter steigern? Bei denen die Songs immer ausgefeilter werden, die leisen Töne differenzierter, die Crescendi gewaltiger, bis zum Schluss der ganze Saal tobt und einem die eine Zugabe gewaltig unterdimensioniert erscheint?

So ungefähr lief das vorhin bei GoGo Penguin im Uebel & Gefährlich. Sehr gerne wieder.

In Concert: Anna Depenbusch im Thalia Theater

Die Musik von Anna Depenbusch lernte ich um und bei 2010 durch das Stück „Heimat“ auf dem Sampler „Genau meine Musik“ kennen. Das mochte ich so sehr, dass ich mir das Album „Ins Gesicht“ kaufte. Um dann festzustellen, dass mir aus diesem schon ein weiteres Stück begegnet war („Streichholz“), und zwar knapp drei Jahre zuvor.

Es dauerte unverständlicherweise noch drei weitere Jahre, bis ich Anna zum ersten Mal live auf einer Bühne sah: solo an Klavier, Gitarre und Ukulele bei der IGS 2013 in Wilhelmsburg. Fan war ich da längst und entzückt ab dem ersten Ton, aber dann setzte sie mit „Der Mann für mich“, einer deutschsprachigen Version von Billy Joels „She’s always a woman“*), meiner Begeisterung noch die Krone auf.

„Gehen Sie zu Anna Depenbusch“, brachte es Dr. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, unlängst bei der Programmvorstellung 2017 in Hamburg auf den Punkt: „Ich verspreche Ihnen, Sie werden am Ende des Abends unsterblich in sie verliebt sein. Und Ihre Frau auch!“

Das Konzert heute im Thalia Theater war restlos ausverkauft. Wer nicht zum Zuge gekommen ist, dem bietet sich am 8. Juli 2017 eine zweite Chance: Für den SHMF-Termin im Lokschuppen der S-Bahn Hamburg gibt es noch Karten. Außerdem für Düsseldorf, Nürnberg, Karlsruhe, Mannheim, Osnabrück, Würselen, Ingelheim, Dreieichenhain, Dresden, Leipzig, Ribbeck und Lübeck.

Hin da!


*) siehe auch „#30DayMusicChallenge (2)“, No. 20

In Concert: Jarvis Cocker & Chilly Gonzales auf Kampnagel

„Wie war denn nun das Konzert? Hast Du die Zottelrinder getroffen?“

Anders als in meinem Traum über die Premiere von „Room 29“ mit Chilly Gonzales und Jarvis Cocker auf Kampnagel verlief mein Konzertbesuch am Sonntag vor einer Woche (fast) ohne besondere Vorkommnisse. Ich war am richtigen Tag zur richtigen Stunde da, hatte mein Ticket nicht an der Küchenpinnwand vergessen, fand den regulären Eingang und traf weder auf Viehzeug noch auf rheinische Bekannte.

Nur den Zimmerschlüssel aus der „Work in Progress“-Vorstellung von vor knapp einem Jahr hatte ich an der Klavierleuchte hängen lassen. Dabei wollte ich doch schauen, ob er noch passt. Aber offenbar ist „Room 29“ seither nicht nur renoviert worden, es wurde auch das Schloss ausgetauscht. Schade – das kleinere, altmodische Exemplar erschien mir irgendwie passender.

Schlüsselvergleich
Schlüsselvergleich: oben die „Work in Progress“-, darunter die finale Version

„Room 29“ als „Song Cycle“, also „Liederzyklus“ zu bezeichnen, ist einer der zahlreichen genialen Einfälle des Duos Cocker/Gonzales: Nicht auf ein enger definiertes Format festgelegt zu sein, eröffnet maximalen Spielraum. Den beide weidlich nutzen, insbesondere Cocker in der Rolle als (Ich-)Erzähler und Moderator. Wobei „Room 29“ dadurch in Teilen auszufransen droht – die Episode „Jarvis im Fernseher“ hätte man beispielsweise auslassen können und der an sich großartige Song zum Epilog („Ice Cream As Main Course“) wirkte mühsam angebaut.

Aber das ist letztlich Rosinenpickerei. Unabhängig von Konzept und Inszenierung bleibt es ein ausgemachtes Vergnügen, Jarvis Cocker singen und erzählen und Chilly Gonzales (und das Kaiser Quartett) spielen zu hören. Eine Talentkombination, die sich gesucht und gefunden hat.

Übrigens, wem bei „Room 29“ musikalisch einiges bekannt vorkommen sollte, der hat richtig gehört. Der Song „Clara“ beispielsweise basiert auf „Armellodie“ („Solo Piano“). Den Rest konnte ich nicht dingfest machen, aber es war nicht das einzige akustische Déjà-vu des Abends.

Bleibt noch, eine kleine Warnung auszusprechen: „Room 29“ setzt an einigen Stellen auf Publikumsbeteiligung. Drüben im Soul Stew Blog erzählt Martin, wie es ihm dabei ergangen ist. Insbesondere Jarvis Cocker zeigt trotz seines betont britischen Auftretens keinerlei Berührungsängste. So tauchte er nach dem Kurzausflug in die Flimmerkiste mitten in den Rängen wieder auf und bahnte sich durch das Publikum den Weg zurück auf die Bühne. Aufgrund meines Randplatzes in Reihe 13 kam ich auf diese Weise in den Genuss, eine Zeile lang „angesungen“ zu werden. Ich widerstand dabei nur mit großer Mühe dem absurden Impuls, dem Mann an der Krawatte zu zupfen. „Das kannst Du nicht bringen, der singt doch hier gerade“, warf mein Verstand eben noch rechtzeitig ein.

Ob es mir gelungen wäre, steht auf einem anderen Blatt. Aber mittlerweile ärgert es mich, die Gelegenheit ausgelassen zu haben, Mr. Jarvis Cocker aus dem Konzept zu bringen. Hat man ja schließlich auch nicht alle Tage.

In Concert: Gustavo Dudamel und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar in der Elbphilharmonie

Gustavo Dudamel und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar haben Beethoven durchgespielt, und zwar im Wortsinne: Unter der Überschrift „¡Viva Beethoven!“ standen in der Elbphilharmonie in den vergangenen fünf Tagen alle neun Sinfonien auf dem Programm.

Wem der Name Dudamel nichts sagen sollte, der möge sich doch kurz das folgende Video anschauen:

Gut, ganz so turbulent wie Leonard Bernsteins „Mambo“ war es dann doch nicht bei der Neunten. Aber südamerikanisches Feuer in Kombination mit Beethoven, holla, ich sage es euch. Da geht was! Sogar in Hamburg. Standing Ovations, Begeisterung, Jubel!

Gustavo Dudamel, das weiß ich nun also auch aus eigener Anschauung, ist ohne Frage eine Ausnahmeerscheinung. Und zwar eine mit Suchtpotential. Ich habe bisher noch keinen Dirigenten erlebt, der ohne Partitur auskommt, dessen Musikleidenschaft in einem solchen Ausmaß mitreißt und dessen Körpersprache derart im Einklang mit dem dirigierten Stück steht. Dudamel führt Musiker per Schulterzucken präziser und eindeutiger als andere mittels ausladender Armbewegungen. Selbst jemand ohne (klassische) Konzerterfahrung hätte diese Verbindung sehen und hören können.

Apropos hören können, es stimmt, was inzwischen allgemein Verbreitung gefunden hat: Auf den billigen Plätzen bekommt man den besten Elphi-Sound. Wobei es auch unterm Dach noch reichlich gläsern klingt, was ich weiterhin gewöhnungsbedürftig finde. Ein gewisser Herr, den ich einst besser kannte, würde vermutlich etwas in Richtung „untere Mitten… ausbaufähig“ gemurmelt haben. Aber geschenkt. Meine Ohren können da mit.

Die 16. Etage
Die 16. Etage

Das Programmheft hielt zu alledem noch eine Überraschung bereit, denn aus luftiger Höhe und nach mehr als 25 Jahren hätte ich ihn ansonsten wohl nicht erkannt: Neben Orchester, Dirigent und den vier Solisten trat der Chor der Europa Chor Akademie Görlitz an, gegründet und geleitet von Joshard Daus. Unter ihm habe ich auch schon einmal singen dürfen, damals, im Konzertchor des Städtischen Musikvereins in Lippstadt. Die „Schöpfung“ war’s. Und beinahe auch die „Carmina Burana“, hätte ich nicht damals unmittelbar vor Konzertbeginn ganz spontan mein Abendessen im hinteren Bereich der Bühne… aber so genau will das sicher niemand mehr wissen. Viel wichtiger ist eh die Frage, wie ich den „Freude, schöner Götterfunken“-Ohrwurm je wieder losbekommen soll.

¡Muchas Gracias, Maestro!

#30DayMusicChallenge (3)

Finale! Hier ist der dritte und letzte Teil der #30DayMusicChallenge.

Day 21: A favorite song that has a person’s name in its title

Sorry, could not resist.

Day 22: A song that moves you forward
Das nehme ich jetzt mal wörtlich: Mit dem Ding im Kopf habe ich im September 2014 den Alsterlauf (10km) in 56:18 (Minuten) absolviert. Das ist bis heute meine beste offiziell gemessene Zeit auf dieser Strecke.

Day 23: A song that you think everybody should listen to
Eine harte Nuss! Musikalisch konnte ich das nicht lösen, also bin ich die Aufgabe über den Text angegangen.

Die Version von Marc Lanegan kratzte beim ersten Hören beträchtlich, aber mittlerweile mag ich sie nicht mehr missen.

Day 24: A song by a band you wish were still together
Ach, da gibt es so viele.

Day 25: A song by an artist no longer living
„Life on Mars“ war das erste Stück auf der Setlist eines der besten Konzerte, die ich bisher erleben durfte. Unvergesslich.

Day 26: A song that makes you want to fall in love
Das Video ist fünf Jahre alt. Enno Bunger spielt den Song mittlerweile mit etwas mehr Ruhe, was ihn auf das Level „garantierte Ganzkörpergänsehaut“ hebt. (Den Song jetzt.)

Day 27: A song that breaks you heart
Gar nicht so einfach: Musik kann per se mein Herz zwar zum Schmelzen bringen, aber nicht brechen. Das schafft ein Song nur in Verbindung mit schmerzhaften Erinnerungen…

… oder über den Text.

Day 28: A song by an artist with a voice that you love

Day 29: A song that you remember from your childhood
Die UNICEF-Benefizplatte „All-Star Festival“ meiner Mutter hat mich als Kind ungeheuer fasziniert. Das dritte Lied auf der zweiten Seite mochte ich besonders gern.

Day 30: A song that reminds you of yourself
Siehe auch „So long, Mr. Cohen“.

Das hat großen Spaß gemacht! An sich müsste man die Liste alle fünf bis zehn Jahre neu angehen und die Ergebnisse miteinander vergleichen. Aber ob ich in fünf Jahren noch blogge? Ob es Twitter dann überhaupt noch gibt?

Wir werden sehen.