London (Part III): Tag 6

Eigentlich gedachte ich, in dieser Woche komplett internetlos zu sein. Aber nun habe ich doch welches, WLAN sogar, was mir ermöglicht, mich um Tag 6 der London-Nachlese zu kümmern. Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Beim Frühstück kann ich beobachten, wie auf dem Queens Lawn der Farmer’s Market aufgebaut wird. In South Kensington finden wöchentlich zwei Märkte statt. Der Dienstagsmarkt auf dem Gelände des Imperial College besteht fast ausschließlich aus Fressständen und so richtig kommt die Sache wohl erst zur Mittagszeit in Fahrt.

Mein erster Weg führt mich danach zur 99 Kensington High Street, um den Besuch der Roof Gardens nachzuholen. Am Dienstag, so hatte uns der London Walks-Guide ein paar Tage zuvor verraten, seien die Gärten öffentlich zugänglich, was auch die Website bestätigt.

The Roof Gardens
The Roof Gardens

Die Kensington Roof Gardens wurden zwischen 1936 und 1938 von Ralph Hancock im Auftrag des damaligen Besitzers und Erbauers des Gebäudes angelegt und sind in drei Themenbereiche aufgegliedert: den spanischen, den Tudor- und den „English Woodland“-Garten. Die Anlage ist im Grundsatz unverändert erhalten. Sieben Bäume stammen sogar noch aus der Erstbepflanzung.

English...
English…
... Woodland
… Woodland

Morgens um halb elf herrscht in den Gärten noch die Ruhe vor dem Sturm, was vortrefflich durch die hier lebenden Flamingos demonstriert wird.

Langschläfer
Langschläfer

Wahrscheinlich keine dumme Strategie: Es bedarf nur wenig Phantasie, sich die rauschenden Feste vorzustellen, die hier oben mutmaßlich zu späten und sehr späten Tageszeiten gefeiert werden. Das dürfte auch Auswirkungen auf den Schlafrhythmus der tierischen Bewohner haben.

Als Nächstes nehme ich mir das Natural History Museum vor. Tags zuvor hatte ich mir dazu bereits die Museums-App aufs Telefon gepackt, in der verschiedene Hausdurchgänge vorgeschlagen werden und mit deren Hilfe die Orientierung in den verwinkelten Räumlichkeiten erheblich leichter fällt. Ich entscheide mich für den „Dinosaur Trail“, will aber zuvor einen Rundgang durch die prächtige Hintze Hall machen.

Hintze Hall

Hintze Hall

Dort werden mittels verschiedener Objekte und kleinerer Schaukästen Geschichte und Arbeitsbereiche des Museums vorgestellt, der dazu in der App abspielbare Audioguide wurde von niemand geringerem als Sir David Attenborough eingesprochen. Als Highlight entpuppt sich hierbei die Cadogan Gallery, in der die Schätze des Hauses versammelt sind, darunter das Fossil eines Archaeopteryx, der erste jemals gefundene Schädel eines Neandertalers, je ein Stückchen Meteorit- und Mondgestein, die Schale eines von Robert Falcon Scott auf seiner Antarktismission höchstpersönlich aufgesammelten Kaiserpinguin-Eis und ein Exemplar der Erstausgabe von Charles Darwins „On the Origin of Species“.

Nach einem spontan eingeschobenen Cream Tea im Central Café widme ich mich schließlich dem Startpunkt des „Dinosaur Trail“, der „Dinosaur Gallery“. Deren Hauptattraktion, der mechanische Tyrannosaurus Rex, hat ausgerechnet heute einen freien Tag.

Under Maintenance
Under Maintenance

Die Gallery, so stelle ich schnell fest, besteht im Wesentlichen aus Abgüssen und Modellen. Die echten Fossilien sind im übrigen Haus verteilt, was ein weiteres Argument dafür ist, die Besucherführung der App zu nutzen. Grob dem Saurierpfad folgend, entdecke ich am Rande noch zwei Preziosen: Die „Images of Nature“ Gallery, in der wechselnde Ausstellungen von Illustrationen und Fotografien gezeigt werden und den Mineralienraum.

Verständlicherweise wird der größte Teil des Museumsbestands in Depots verwahrt. Würde man beispielsweise die Sammlungen der Cook-Reisen dauerhaft dem Besucherstrom aussetzen, wäre das mit dem konservatorischen Auftrag wohl nur schwer vereinbar. Mal abgesehen davon, dass nicht annähernd genügend Fläche zur Verfügung steht. Man kann aber online in diesen und anderen nicht ausgestellten Beständen stöbern. Sehr lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch das Museums-Blog, insbesondere die Einträge der Bibliothek (Kategorie „Library and Archives“).

Nach einer nachmittäglichen Pause im Quartier begebe ich mich erneut ins V&A, um mir die Räume zum Thema „Theatre & Performance“ anzuschauen. Diese sind zwar durchaus sehenswert, gefallen mir aber nicht ganz so gut wie andere Bereiche des Museums. Leider befindet sich die Sonderausstellung „Opera: Passion, Power and Politics“ noch im Aufbau. Sie wird erst am 30. September eröffnen.

Albert
Albert
Dem Albert seine Halle
Dem Albert seine Halle

Anschließend geht es in die Royal Albert Hall. Das Konzertangebot ist unmittelbar nach den BBC Proms zwar ziemlich übersichtlich, fußläufig zur Hall zu wohnen – meiner Konzertlocation des Jahres 2016! – und diese nicht zu besuchen, erschien mir dennoch undenkbar. Ich hatte mich im Vorfeld für das Classic FM-Filmmusikkonzert mit dem Bournemouth Symphony Orchestra unter der Leitung von Pete Harrison entschieden. Der Kontrast zu „This is Rattle“ fällt deutlich aus und zieht sich durch die gesamte Veranstaltung. Von der Gestaltung des Programmhefts, der Beleuchtung und den Pyroeffekten (!) über Moderation und Sponsorenpräsentation bis hin zu Auswahl und Vorstellung der Solisten, alles wirkt ein wenig dick aufgetragen. Dazu passt, dass ich mir mit meiner (moderat zusammengestellten) Konzertbekleidung in der aus künstlerischer Sicht wesentlich elitäreren Veranstaltung im Barbican noch „slightly overdressed“ vorgekommen war, für den Classic FM-Abend dagegen problemlos noch ein bis zwei Briketts mehr hätte auflegen können.

Ich sitze im „Rausing Circle“, auf vergleichsweise billigen Plätzen also, die nichtsdestotrotz einen guten Blick auf das Orchester gewähren. Das BSO macht seine Sache sehr ordentlich. Ich schwelge in den John Barry-Stücken, freue mich unter anderem über die „Glohrreichen Sieben“, „Lawrence of Arabia“, „Lord of the Rings“, das John Williams-Medley und die „Indiana Jones“-Zugabe und wünsche mir lediglich bei den „Adagio for Strings“ von Samuel Barber kurzfristig die LSO-Streicher und die Barbican-Akustik zurück. Gerade auf den oberen Rängen merkt man doch, dass die Royal Albert Hall (of Arts and Sciences) im Grunde kein Konzertsaal, sondern eine Mehrzweckhalle ist.

Apropos Konzertsaal: Dem Vernehmen nach betreibt Sir Simon Rattle zurzeit offensiv den offenbar schon seit langem durch die Londoner Musikszene geforderten Bau eines neuen Hauses, welches in unmittelbarer Nachbarschaft des Barbican Centre auf dem jetzigen Gelände des Museum of London entstehen soll. Das wiederum zieht voraussichtlich 2021 in neue Räumlichkeiten am Smithfield General Market. Die Pläne sind durchaus nachvollziehbar: Die Möglichkeiten für das LSO im Barbican sind begrenzt, allein schon vom zur Verfügung stehenden Platz her, die Royal Festival Hall hat bereits vier Residenzorchester, die Albert Hall ist eh außen vor, nicht nur aus akustischen Gründen, und auch die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie wird neue Begehrlichkeiten geweckt haben. Was immer daraus wird: Meine Faszination für die Royal Albert Hall wird davon unberührt bleiben.

Nach dem Konzert bin ich in nur wenigen Schritten bei meiner Unterkunft, was mir ein geradezu unverschämtes Vergnügen bereitet. Es sind die kleinen Dinge!

London (Part III): Tag 4

Eigentlich wollte ich heute meinen Balkongarten winterfest machen, aber draußen tobt Sturm Xavier, es überschlagen sich die Martinshörner, Hoch- und S-Bahn verzeichnen erste Ausfälle und die Feuerwehr Hamburg twittert, man möge sich doch bitte lieber nicht draußen aufhalten. Außerdem, wenn ich mit der London-Nachlese im bisherigen Tempo fortfahre, bin ich noch bis Weihnachten dabei. Es folgt also die Rückschau auf Tag 4! Was zuvor bzw. im letzten Jahr geschah, kann bei Interesse unter dem Schlagwort London nachgelesen werden.

Tatsächlich schaffe ich am vierten Tag, was ich mir vorgenommen habe: Ich stehe später auf, nehme mir gebührend Zeit für das im Übernachtungspreis enthaltene „Full English Breakfast“ im Senior Common Room des Imperial College und breche erst gegen Mittag gen Osten auf. Eine weitere Booking.com-Freifahrt nutzend, fahre ich ab Westminster Pier mit einem Schiff der Circular Cruise Richtung Tower. Die Tour an sich ist unspektakulär, wird aber kurzweilig durch die launigen Kommentare des Bootsmanns, der am Ende statt Hut einen Sektkübel (!) herumgehen lässt.

Am Tower wuseln wie meistens Touristen aus aller Herren Länder bunt durcheinander. Ich bedauere kurz, dass der Eintritt so teuer ist. Gerne hätte ich den Raben einen schnellen Besuch abgestattet. Sie sind mir, seit ich Ravenmaster Chris Skaife auf Twitter und Instagram folge, sehr ans Herz gewachsen. Vielleicht beim nächsten Mal wieder.

Heute habe ich ein anderes Ziel: die Erased Tapes Sound Gallery am Victoria Park.

Sound Gallery
Sound Gallery
Now playing: Ben Lukas Boysen
Now playing: Ben Lukas Boysen

Einmal, weil ich Fan bin und zum Zweiten, weil dort ein ganz besonderes Instrument quasi frei zugänglich ist: das Klavins Una Corda.

Please ask to play our piano
Please ask to play our piano
Una Corda
Una Corda

Seit ich das Teil im Mai 2015 auf der Kampnagel-Bühne zum ersten Mal gesehen und gehört habe, will ich darauf spielen. Damals war es Nils Frahm mit der No. 001, in London hingegen steht die No. 007. Wie es sich gehört.

No. 007
No. 007

Die Gallery ist zunächst leer bis auf die freundliche Dame, die sie bewacht und ich traue mich an die Tasten. Ich spiele drei Stücke, klimpere noch ein bisschen, entferne schließlich die Dämpferschiene und spiele weiter. Es klingt ein klein wenig verstimmt. Vermutlich passiert das bei dieser Bauweise schon, sobald sich der Klavierstimmer auch nur zur Tür dreht. Es erinnert mich – nicht vom Klang, nur vom Prinzip her! – an mein altes Stage Piano von Kawai, das ebenfalls nur eine Saite pro Ton besitzt. Seit ich das „richtige“ Klavier habe, treibt sich das EP608 irgendwo in der weitläufigen Verwandtschaft herum. Vielleicht sollte ich das gute Stück bei Gelegenheit zu mir nach Hamburg holen.

Zurück zum Victoria Park. Eine ausnehmend hübsche Gegend ist das! Und ohne das Una Corda wäre ich da wohl nie hingekommen. Ich schwatze und stöbere noch ein bisschen, kaufe zwei CDs und reiße mich schließlich los.

Abends begebe ich mich erneut ins West End. Im Duchess Theatre wird „The Play That Goes Wrong“ gegeben, und das bereits im dritten Jahr. Erst ein paar Wochen zuvor hatte das Stück auf dem Spielplan des St. Pauli Theaters gestanden. Die Plakatankündigungen dazu hatten mich seinerzeit auf die Idee gebracht, mir das Original anzuschauen. „The Play That Goes Wrong“ besteht im Wesentlichen aus Slapstick pur gepaart mit waschechtem britischen Humor. Was die Londoner Aufführung zum Glanzstück macht: die großartige Besetzung und ihr grandioses Timing. Das Publikum dankt es mit nahezu durchgängigem Gelächter.

Auch bei meinem zweiten Theaterbesuch fällt mir auf, dass dieser einem klassischen (Plüsch-)Kinoabend sehr viel ähnlicher ist, als ich es von Deutschland und Hamburg her gewohnt bin. Man kleidet sich leger, kaum jemand gibt Jacken oder Taschen an der Garderobe ab, Snacks und Getränke (sogar Mitgebrachtes!) sind im Zuschauerraum erlaubt und in der Pause wird dort Eis zum Verkauf angeboten. Auffällig ist außerdem der „Safety Curtain“, der zur Pause die Bühne vom Zuschauerraum trennt. Ich erfahre später, dass es sich um eine Feuerschutzmaßnahme handelt, stammen doch die meisten Theatergebäude im West End aus viktorianischer Zeit und entsprechen daher wohl nur unzureichend den modernen Brandschutzbestimmungen.

Nach dem tosenden Schlussapplaus mache ich mich mit reichlich strapazierten Lachmuskeln auf den Weg zurück nach Kensington.

In Concert: Evgeny Kissin, Thomas Hengelbrock und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Da saß ich also mal wieder in der Elbphilharmonie und wollte mich eigentlich den musikalischen Darbietungen von Evgeny Kissin und dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock widmen.

Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und obwohl ich das Stück bisher nicht kannte und kein besonderer Bartók-Fan bin, bekam ich recht schnell eine Ahnung, warum Evgeny Kissin schon im zarten Alter von Mitte 40 als lebende Legende bezeichnet wird. Diese verfestigte sich durch die Zugabe, der Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff. Einem Stück, mit dem mich einst auch mein Klavierlehrer zu quälen versuchte. Was mir damals sehr geholfen hätte: eine Aufnahme von jemandem zu hören, der das wirklich gut kann. Live ist natürlich noch besser. Nicht obwohl, sondern gerade weil mir Kissins Vortrag an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu geziert erschien – kann man machen, hätte ich aber so nicht.

In der Pause leuchteten im Großen Saal die Smartphone-Bildschirme auf. Überall wurden die ersten Prognosen zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 abgerufen und diskutiert. Es passierte das Unvermeidliche: „13%! Das ist doch schon mal gut“, kommentierte eine Dame in der Reihe direkt vor mir, bevor sie ihren Sitz verließ.

Was macht man da? Ihr übers Kleid kotzen, wie ich spontan auf Twitter vorschlug? Was mir zwar einigen Beifall einbrachte, aber letztlich reichlich albern ist. Das ist, was man an Hilflosigkeiten von sich gibt, wenn man zwar mit dem Einzug einer Nazifraktion ins Bundesparlament gerechnet hat, aber wahrlich nicht in dieser Stärke.

Vor einigen Monaten hatte ich noch laut darüber nachgedacht, Angela Merkel bzw. der CDU meine Stimme zu geben und meine Skepsis gegenüber der SPD-Spitzenkandidatur von Martin Schulz geäußert. Ich habe ersteres dann doch nicht getan und mit letzterem (leider) recht behalten. Aber stärker als noch beim Amtsantritt des 45. Präsidenten der USA beschleicht mich jetzt das Gefühl, dass alle paar Jahre meine Kreuzchen zu machen allein nicht mehr ausreicht. Dass ich tun sollte, was ich bisher kategorisch ausgeschlossen habe: nicht mehr bloß passiver Anhänger der Demokratie zu sein, sondern Mitglied einer ausgewiesen demokratischen Partei zu werden. Mit diesem Gedanken, so stellte ich schnell fest, befinde ich mich in guter Gesellschaft, zumindest innerhalb meiner Filterblase.

Zurück zum Konzertabend. Es folgte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur (in der Hamburger Fassung, aber ohne den 2. Satz „Blumine“). Mir war durch die aktuellen Ereignisse und eine leichte Ermattung als Nachwirkung der Londonwoche leider ein wenig die Konzentration abhandengekommen, aber eines kann ich erneut durch Erfahrung bestätigen: Ganz oben, auf den billigen Plätzen, ist der Elphi-Sound grandios. Und das NDR Elbphilharmonie Orchester kennt sich mittlerweile sehr gut aus in seinem neuen Zuhause.

In Concert: Sir Simon Rattle und das London Symphony Orchestra im Barbican Centre

Meine diesjährige Londonwoche (aka „London (Part III)“) hat ganz hervorragend angefangen: eine reibungslose Anreise, die perfekt gelegene Unterkunft und abends gleich los ins Barbican Centre.

Barbican Kitchen
Barbican Kitchen

Das LSO feierte dort nicht nur Saisoneröffnung, sondern auch den Einstand des neuen Chefdirigenten, Sir Simon Rattle. Und das ordentlich: Unter dem Titel „This is Rattle“ begann damit ein zehntägiges Programm mit Konzerten, Ausstellungen, Filmvorführungen und weiteren Veranstaltungen zu Person und bisheriger Laufbahn des 62-jährigen Briten. BBC Radio 3 hatte seine Zelte im Foyer aufgeschlagen, ein Kinderchor sang und die Firma Chapel Down, einer der LSO-Sponsoren, spendierte jedem Konzertbesucher zur Feier des Tages ein Gläschen Perlwein. Auch denen in der Holzklasse, wohlgemerkt. Leckeres Tröpfchen.

Complimentary
Complimentary
Ganz schön was los
Ganz schön was los

Das Eröffnungskonzert war mit „New Britain“ überschrieben, womit zum überwiegenden Teil neue britische Musik der letzten zwanzig Jahre gemeint war, darunter die Weltpremiere eines für den Abend eigens kommissionierten Stücks der schottischen Komponistin Helen Grime. Dieses und die Namen und Werke von Thomas Adès, Sir Harrison Birthwistle (ein Violinkonzert, als Solist war Christian Tetzlaff geladen) und Oliver Knussen waren allesamt komplettes Neuland für mich und bis auf die Grime’sche „Fanfare“ und „Asyla“ von Thomas Adès eher nicht mein Fall.

Zum Abschluss hatte Sir Simon Rattle aber die „Enigma Variations“ von Edward Elgar gewählt. Elgar live in London, gespielt vom London Symphonic Orchestra – allein die Vorstellung verursachte mir im Vorwege schon Gänsehaut. Und völlig zu Recht: Insbesondere den „Nimrod“ werde ich so schnell nicht vergessen.

Den Rest des Aufenthalts werde ich wohl nach meiner Rückkehr kompaktverbloggen. Da steht noch einiges an, ich werde mit dem Schreiben kaum nachkommen. Hach, London!

In Concert: James Rhodes in der Elbphilharmonie

Bevor es im Londonaufbruch noch untergeht, schnell zwei Worte zum heutigen Konzert von James Rhodes in der Elbphilharmonie: Das war so ungefähr wie damals auf Kampnagel, nur eben in der Elbphilharmonie.

Auf der einen Seite bedeutet das ein wesentlich größeres Publikum und diese ganz andere, besondere Akustik und Atmosphäre des Großen Saales, auf der anderen Seite aber auch gesalzene Ticketpreise. Weswegen ich in luftiger Höhe (16 U, Achtung, wichtiger Hinweis: Dafür muss man wenigstens einigermaßen schwindelfrei sein!) saß. Aufgrund der Dimension war die Veranstaltung zudem nicht annähernd so intim wie seinerzeit in der K2.

Welches Konzert mir besser gefallen hat? Schwierige Entscheidung. Fragt mich morgen nochmal. Ach nein, lieber nächste Woche. Morgen Abend sitze ich nämlich im Barbican Centre und lausche dem Saisoneröffnungskonzert des London Symphony Orchestra. Das ist gleichzeitig das Debüt von Sir Simon Rattle als neuem Chefdirigenten des LSO und – sorry, Mr. Rhodes, Verzeihung, Elphi – das wird ziemlich sicher mein musikalisches Highlight mindestens des Monats werden.

Internationales Sommerfestival 2017 auf Kampnagel

Ich bin seit 2014 großer Fan des Internationalen Sommerfestivals. Seinerzeit lockte mich Chilly Gonzales mit „The Shadow“ auf das Kampnagel-Gelände. Von der Festivalatmosphäre angefixt, hangelte ich mich im Anschluss von einem Highlight zum nächsten, darunter „Nufonia must fall“ von Kid Koala und mein allererstes Orchesterkaraoke mit den Jungen Symphonikern.

Da ist die Sommerstimmung, der jährlich neu formierte Avant-Garden und das große Foyer, in dem Künstler, Mitarbeiter und Besucher bunt durcheinander wuseln – bisweilen derart bunt, dass man sich trotz Verabredung verpassen kann -; alle Sorten Kunst kommen vor, mit vielen Sorten Mensch von überallher und die Kollegen von cohen + dobernigg offerieren die dazu passende Literatur. Mit einem Wort: Es ist großartig.

#Juan2017: Mit Sicherheit unsicher

In diesem Jahr hatte das Sommerfestival ein Gesicht: Unter dem Hashtag #Juan2017 und mit dem Slogan „Mit Sicherheit unsicher“ dominierte das Konterfei des Kampnagel-Spitzenkandidaten Juan Dominguez das Gelände und gefühlt auch die halbe Stadt. Ein schönes Lehrstück darüber, wie man mittels massiver Plakatierung in kürzester Zeit gesichtsbekannt werden kann.

Notausgang freihalten

Spiegelspiele

Der Festival Avant-Garden, gestaltet vom Studio für Experimentelles Design der HFBK Hamburg, glich einem Spiegelkabinett: Hinter den großen Wänden war unter anderem auch die Gastronomie versteckt, was einige Orientierungsprobleme mit sich brachte.

Orientierungshilfe

Glotz nicht

Nicht im Bild: Die splitternackten Skulpturendarsteller, die wetterbedingt zu zeitweisen Ausflügen in die Innenräume gezwungen waren. Die Aktion irritierte und amüsierte gleichermaßen. Den Ausruf „Huch, die sind ja echt!“ hörte ich mehr als einmal.

Meine Programmauswahl ist zwar auch nach vier Jahren immer noch sehr musiklastig, ich meide konsequent Performances mit (un-)freiwilliger Zuschauerbeteiligung und suche in erster Linie nach Unterhaltung und nicht nach Auseinandersetzung oder gar Provokation. Aber ganz allmählich verschiebt sich der Schwerpunkt von Musik Richtung Tanz und Theater. Es hilft dabei enorm, dass sich viele Festivalveranstaltungen nicht an gängige Genregrenzen halten.

Michael Clarke Company: To a Simple, Rock ’n‘ Roll… Song

Wer wie ich ein Ticket für die Deutschlandpremiere am ersten Festivaltag ergattert hatte, konnte als Nebeneffekt ein Gläschen Sekt zu den Eröffnungsredebeiträgen im Avant-Garden genießen. Gut zu wissen! Ich merke es mir fürs nächste Jahr.

Im Vorfeld war viel von einer Hommage an David Bowie die Rede. Tatsächlich wurde nur der letzte von insgesamt drei Akten mit der Musik Bowies untermalt. Die einzelnen Akte wurden durch eine kurze und eine lange Pause unterbrochen, obwohl das Stück mit einer knappen Stunde Nettolaufzeit nicht sonderlich lang war. Das war der Konzentration auf das Gesamtkunstwerk nicht förderlich. Mir ist es nicht gelungen, dem roten Faden zu folgen, der dem Projekt zweifelsohne zugrunde liegt. Dazu kamen verwirrende Informationen im Programmheft, bestes Beispiel: Dafür, dass der zweite Akt aus drei Teilen bestehen sollte, war er meines Erachtens viel zu kurz. Ist jetzt schon die große Pause oder kommt da noch was? Ich war mit diesem Fragezeichen nicht allein und die Begeisterung, die die Weltpremiere im Londoner Barbican Centre ausgelöst hatte, konnte ich nicht teilen. Mir war es zu glatt, zu streng und trotz der (kalkulierten?) Wackler im ersten Teil zu perfekt – um das böse Wort „langweilig“ zu vermeiden.

Socalled & Friends: The 2nd Season featuring Fred Wesley

Von Langeweile konnte bei „The 2nd Season“ dagegen nicht die Rede sein. Dafür sorgte allein schon das Bühnenbild: Auf zweieinhalb Ebenen waren Puppenspieler, Tänzer und Musiker untergebracht, wobei dem Posaunisten Fred Wesley als Darsteller und Star des Abends ein herausgehobenes Plätzchen gewissermaßen zwischen den Welten reserviert war. Die Story hatte keine sonderliche Tiefe, aber Umsetzung und musikalisches Level verdienten das Prädikat Weltklasse.

Unter den Musikern war unter anderem das Kaiser Quartett anzutreffen, bekannt durch die Auftritte mit Chilly Gonzales (siehe oben) und dieser Tage auch anderweitig viel beschäftigt. Zumindest in einem Punkt mussten sich die vier Streicher auf Kampnagel nicht umgewöhnen, saß doch mit Josh Dolgin aka Socalled ebenfalls ein Kanadier am Flügel und gab den Ton an.

Philippe Quesne: Die Nacht der Maulwürfe

Es hilft beim Genuss eines Theaterabends ungemein, wenn man von vorneherein weiß, dass das Stück keine Handlung hat. „The Night of the Moles“ ist simpel, derb und grotesk, aber darüber ließ sich gut hinwegsehen: Bühnenbild, Requisite, Beleuchtung, Projektionen und vor allem Kostüme sowie die schauspielerischen und musikalischen Darbietungen (das Theremin!) boten ausreichend Faszination.

Neben den Auftritten in der K6 machten die Maulwürfe im Rahmen einer Parade außerdem noch Teile der Hamburger Innenstadt und die Elbphilharmonie-Plaza unsicher.

Wolfgang Voigt presents GAS live

Apropos Elbphilharmonie. Als ich am zweiten Festivalsonntag einen nahezu verwaisten Avant-Garden vorfand, hatte ich kurzzeitig die terminliche Überschneidung mit dem MS Dockville in Verdacht. Dann erst fiel mir wieder ein, dass die Elbphilharmonie in diesem Jahr erstmals Spielstätte des Sommerfestivals war. Normalerweise hätten zu diesem Zeitpunkt endorphinbeglückte Besucher des Orchesterkaraokes das Kampnagel-Foyer geflutet. Stattdessen herrschte dort gähnende Leere, denn das Karaoke fand in der Elphi statt und von der Schwierig- bzw. Unmöglichkeit, an die Tickets zu kommen, möchte ich erst gar nicht anfangen. Künftig werde ich also wohl nicht nur die Kampnagel-Konzerte des NDR Elbphilharmonie Orchesters schmerzlich vermissen müssen. Sehr schade.

Wolfgang Voigt präsentierte sein Musikprojekt GAS in der kleinen K2, die trotz der Konkurrenzveranstaltung am prominenteren Ort einigermaßen gut gefüllt war. Die Mischung aus Projektionen und Liveelektronik war grundsätzlich stimmig und stimmungsvoll, aber ein bisschen weniger Wumms in der Anlage hätte den Ohren gutgetan. Ich wankte anschließend weniger narkotisiert als gerädert aus dem Saal.

Eisa Jocson: Your Highness

Mein Beweggrund für den Besuch von „Your Highness“ war reine Neugier: Welche Form erhält ein zeitgenössisches Projekt, das sich mit Ballett- und Disneyprinzen bzw. -prinzessinnen beschäftigt? Die Antwort: Eine überraschend klassische, aber als Mittel zum Zweck. Die fünf Tänzerinnen und Tänzer tanzten und ironisierten gleichzeitig Standards aus klassischem Ballett und Versatzstücke der Disney-Welt im fließenden Übergang und das in einer technisch nahezu perfekten Ensembleleistung. Beklemmend und faszinierend. Kostüme und Bühnenbild taten das Übrige dazu. Einziger Kritikpunkt: Etwas kürzer hätte es ausfallen können. Es gab einen natürlichen Schlusspunkt, der dann doch keiner war. Das mag als taktische Publikumsverwirrung gedacht gewesen sein, schmälerte aber die Wirkung des Stücks ein wenig.

Presse

Verpasst habe ich neben dem Orchesterkaraoke und dem Konzert von Rufus Wainwright (Ach! Elphi!) leider auch Mocky and Friends. Wenn ich geahnt hätte, dass Chilly Gonzales dort als Gastmusiker… Aber es wird wohl nicht sein letzter Auftritt an der Jarrestraße gewesen sein. Und der nächste Sommer kommt bestimmt.

In Concert: Das Avishai Cohen Trio in der Elbphilharmonie

Ich war gerade beim Avishai Cohen Trio in der Elbphilharmonie und kann’s kurz machen:

  1. Mehr Bass geht nicht – zumindest, was die akustische Variante angeht,
  2. mehr Jazz beinahe auch nicht,
  3. der Sound war diesmal hervorragend,
  4. ich habe einen neuen Lieblingsplatz. Leider teuer, aber heute jeden Cent wert.

In Concert: GoGo Penguin mit „Koyaanisqatsi“ in der Elbphilharmonie

Als ich den Großen Saal der Elbphilharmonie im Februar dieses Jahres zum ersten Mal betrat, schoss mir durch den Kopf: „Filmkonzerte werden wohl weiterhin in der Laeiszhalle stattfinden. Das geht hier ja höchstens mit einem Videowürfel.“ Als dann aber das Programm des Elbphilharmonie Sommers veröffentlicht wurde, standen sehr wohl Filmvorführungen mit Livemusikbegleitung auf der Agenda, gleich mehrfach sogar. Umso gespannter war ich auf die Umsetzung.

Filmkonzert in der Elphi
Filmkonzert Elphi-Style

Die Lösung des Dilemmas: Hinter der Leinwand und da, wo man sie nicht wenigstens in Teilen einsehen kann, werden schlicht keine Plätze besetzt. Das war mir schon beinahe zu profan. Und ein bisschen schade war es auch für die, denen es genügt hätte, GoGo Penguin spielen zu hören. Man hätte sicher noch einige Hörplatztickets verkaufen können.

Koyaanisqatsi

Wobei deren Inhabern dann verborgen geblieben wäre, wie brillant das Trio den Film von Godfrey Reggio musikalisch untermalt hat. Nicht nur bezüglich der Klangfarben und des Charakters der jeweiligen Stücke, sondern insbesondere des in nahezu jeder Szene perfekten Timings. Schade nur, dass man den Sound nur als blechern bezeichnen konnte. Ein ganz und gar gläsernes Klangbild, ja, kann man machen, vielleicht war es als Stilmittel sogar so gewollt. Aber klingt dann halt bescheiden.

Bei meinem zehnten Elphi-Konzert wird es ein anderes Jazztrio sein, ohne Film und dafür hoffentlich mit mehr Wärme. Ich werde berichten.

A Summer’s Tale 2017

Da musste ich also stolze 44 Jahre alt werden, um das erste Mal „so richtig“ ein Festival zu besuchen. „So richtig“ im Sinne von alle Tage morgens bis abends da sein und auf dem Gelände campen – das eine, inzwischen eh verjährte MS Dockville-Tagesticket kann man wohl nicht dazuzählen. Mit „A Summer’s Tale“ bin ich gleich von null auf Zweihundertfünfzig gegangen und da liegt die Latte jetzt: ziemlich weit oben.

Natürlich hätte ich von Hamburg aus auch pendeln können. Grundsätzlich erschien mir das Shuttlebuskonzept schlüssig, nur erweitert leider weder die Deutsche Bahn noch der metronom seinen Takt, bloß weil irgendwo am buchstäblichen Arm der Heide ein Festival stattfindet. Was dumm ist für die, die auch den letzten Musikact des jeweiligen Tages sehen wollen. Das ist mit den Zugabfahrtzeiten leider gar nicht kompatibel. Also organisierte ich kurz entschlossen ein Leihzelt, buchte ein Kombiticket mit Komfort-Camping und bekam glücklicherweise obendrein noch eine Mitfahrgelegenheit angeboten.

Insbesondere den Campern sei empfohlen, die Gepäckbestimmungen genau zu studieren. Der Veranstalter hat unter anderem ein striktes Glasverbot verhängt, was sich keineswegs nur auf Wein-, Bier- und andere Flaschen bezieht. An der Kontrolle mussten beispielsweise auch Marmeladen- und Pestogläser abgegeben werden. Einerseits verständlich: Niemand möchte Glasscherben auf den Plätzen haben, weder die Festivalteilnehmer noch die, die das Gelände ansonsten nutzen. Andererseits ist Nachhaltigkeit ein großes Thema bei „A Summer’s Tale“ und zur Plastikmüllvermeidung trägt eine solche Strategie wenig bei.

Andere Tücken im Detail waren schwieriger zu recherchieren. So manches Angebot entpuppte sich erst vor Ort als kostenpflichtig und teilweise auch recht kostspielig.

Kräuterwanderung
Kräuterwanderung

Knifflig war auch die Sache mit den Workshops. Ein Teil der Plätze konnte online gebucht werden und um eines der übrigen Tickets zu ergattern, musste man sich mit einer Vorlaufzeit von zwischen einer halben und einer Dreiviertelstunde in die sich zuverlässig bildende Schlange einreihen. Das Prinzip fand auch bei Programmpunkten Anwendung, die zwar keiner Anmeldung bedurften, für die es aber sehr wohl eine maximale Teilnehmerzahl gab. Die Information darüber hätte so manchem Besucher Frustration erspart, fehlte aber sowohl auf der Webseite als auch in der (ansonsten fabelhaften) Festival-App.

Mäh

Zugvögel

Dass die Abgewiesenen dennoch zumeist gelassen blieben, sagt eine Menge über die Grundatmosphäre des Festivals aus. „Entspannt“ ist wohl das am häufigsten genannte Adjektiv, wenn es darum geht, „A Summer’s Tale“ in einem Wort zu beschreiben. Ich habe noch keine Veranstaltung mit Familien, Grüppchen, Paaren und Einzelbesuchern in derart friedlicher Koexistenz erlebt. Für kleine und kleinste Festivalteilnehmer gab es eine große Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten, ohne dass der Eindruck entstand, dass es sich um ein reines Familienevent handelte. Bei den Konzerten bis spät in die Nacht tobten Kinder durch die Menge, zumeist mit knallbuntem Gehörschutz bestückt, und niemand störte sich daran – ganz im Gegenteil.

Mut zur Farbe
Mut zur Farbe

Heile Welt in der Heide also und tatsächlich wurde sogar gebatikt. Darüber hinaus war ein Großteil des Programms jedoch erfreulich handfest. Auch beim kulinarischen Angebot standen zwar Bio und regional im Vordergrund, aber fleischlos oder gar vegan musste sich niemand ernähren, der das nicht wollte. Es wäre insbesondere schade gewesen um die Sandwiches von Frau Dr. Schneider’s Grilled Cheese Wonderland, die sauleckeren Gnocchi von Santa Mamma (mit extra viel Parmesan) und den Don Caramello-Becher aus der Quarkerei.

Give Cheese a Chance
Frau Dr. Schneider’s Grilled Cheese Wonderland: Give Cheese a Chance

Da das leibliche Wohl auf diese Weise gesichert war, blieb umso mehr Zeit, sich in der Vielfalt des Angebots treiben zu lassen. Ich fabrizierte Sommerrollen mit Nina Sonntag vom Hamburger Herdgeflüster, begab mich auf Kräuter-, Wald- und Barfußwanderungen, lernte die Line sowie fünf verschiedene Moves beim Madison-Workshop, scheiterte beim Massenkaraoke kollektiv an „Bohemian Rhapsody“, besuchte Lesungen von Heinz Strunk und Stevan Paul und hörte unter anderem Bernd Begemann & die Befreiung, Die Sterne, Dan Croll, PJ Harvey, Pixies, Conor Oberst, Birdy, The Notwist, Franz Ferdinand, Rocko Schamoni, den Electric Swing Circus, Judith Holofernes, Element of Crime, die Stereo MC’s und Feist.

Chillaxed
Alles chillaxed an der Konzertbühne
Zeltraum
Zeltraum
An der Waldbühne
Blick auf die Waldbühne

Dabei lernte ich zum einen, dass ich weder Rocko Schamoni noch Heinz Strunk lustig finde, mir die Pixies zu anstrengend sind und ich mich für Franz Ferdinand immer noch nur mäßig begeistern kann. Auf der anderen Seite entdeckte ich zu meiner großen Freude, dass The Notwist tatsächlich auch live funktionieren (Und wie! Hammer!). Zu den Highlights zähle ich außerdem die Auftritte von Dan Croll, PJ Harvey, dem Electric Swing Circus, Judith HolofernesElement of Crime und vor allem Leslie Feist, die den perfekten Abschluss eines nahezu perfekten Festivals bildete.

Ein neuer Sommertag
Morgendämmerung über Luhmühlen

Sogar die Wettergötter hatten ein Einsehen: Bis auf leichte Niederschläge in der Nacht zum Donnerstag, ein paar stärkere Windböen am Freitag, einem Schäuerchen am Samstagnachmittag und einem kräftigen Platzregen am frühen Samstagabend war es tatsächlich Sommer. Vier Tage lang.

Nächstes Jahr sehr gerne wieder.

In Concert: Die SHMF Klub-Nacht in der S-Bahn-Station Hamburg Airport

Dass ich mir zuletzt zu 50% wegen Ólafur Arnalds eine Nacht um die Ohren geschlagen habe, ist etwas über ein Jahr her. Dieses Mal war die Anreise nicht so lang – bis zum Airport sind es von meiner Wohnung aus nur drei Stationen mit der S1 – und bei der anderen Hälfte handelte es sich nicht um Nils Frahm, sondern um Janus Rasmussen.

Unter dem Namen Kiasmos präsentierten die beiden ein weiteres Mal ihre minimalistisch-experimentelle Version des Techno und wurden dabei unterstützt durch DJ-Sets von Melbo und Aparde. Das Außergewöhnliche bei diesem Auftritt war sowohl der Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals als auch der Veranstaltungsort, die S-Bahn-Station des Hamburger Flughafens. Zwei Sonderzüge brachten die Ticketinhaber auf den Bahnsteig, auf dem bereits Licht- und Tontechnik sowie ein DJ-Pult aufgebaut war. Die S-Bahn-Züge dienten während des Konzerts als Sitzgelegenheit und Bar und im Anschluss als Rücktransportmittel.

Laut Veranstalterangabe war die Klub-Nacht ausverkauft. Dafür befanden sich für mein Empfinden erstaunlich wenige Menschen in den Sonderzügen und auf dem Bahnsteig, der obendrein ungefähr zur Hälfte abgesperrt war. Der Stimmung tat das keinen Abbruch, wozu das longdrink- und shotlastige Getränkeangebot sicher beigetragen hat. Der Altersdurchschnitt lag erwartungsgemäß deutlich unter dem der Mehrzahl der übrigen Programmteile des Schleswig-Holstein Musik Festivals, wobei ich einige Besucher sah, die sich unter „SHMF Klub-Nacht“ möglicherweise etwas anderes vorgestellt hatten. „‚Klub‘ wie Rave, nicht das mit den Zweireihern“, wollte man Ihnen nachträglich zuraunen.

Den Anfang machte Melbo, eine gelungene Wahl. Gegen halb zwei übernahmen Kiasmos das Ruder. An dieser Stelle machte sich erneut ein Phänomen bemerkbar, welches mir zunehmend auf den Senkel geht: das Partyvolk unter den Konzertbesuchern, das in erster Linie daran interessiert ist, sich selbst zu feiern. Da betritt der Hauptact die Bühne und die gehen erst einmal Getränke holen. Ist irgendwie Krach da vorne, groovt auch gut, aber wer da steht und was wir da hören – who cares! Selfiesmile! Noch’n Wodka-Red Bull? Ups, ahahaha, Drink verschüttet, der Tante direkt auf die Füße! Lustig!

Zugegeben, ich setze da wohl zu strenge Maßstäbe an, zumal bei einer Veranstaltung, die offensiv als Party beworben wurde. Es führte jedenfalls dazu, dass ich mich nach wenigen Minuten aus der Menge an den seitlichen Rand des DJ-Pults verzog. Da war die Luft besser, ich hatte Platz, mich zu bewegen und außerdem konnte ich den Akteuren aus etwa drei Metern Entfernung direkt auf die Finger gucken.

Ólafur Arnalds und Janus Rasmussen agierten verhalten. Ein wenig mehr Animation Richtung Publikum hätte dazu beitragen können, die Aufmerksamkeitsrate zu erhöhen und die Stimmung trotz der vergleichsweise übersichtlichen Menge anzuheizen. So blieb es bei dem Eindruck, dass Publikum und Künstler während des rund 1 1/2-stündigen Sets nicht ganz zueinander fanden.

Um kurz nach drei Uhr löste Aparde das Duo ab, Schlag vier erklangen die letzten Beats und das Licht wurde angeschaltet. Binnen weniger Minuten waren Reinigungsfahrzeuge auf den Bahnsteigen im Einsatz. Die Bahnen füllten sich, die Besucher mussten allerdings noch geschlagene zwanzig Minuten auf die Abfahrt der Züge warten. Das alles hatte sicherlich gute und auch sicherheitsrelevante Gründe, erzeugte aber nichtsdestotrotz das Gefühl einer ziemlich brachialen Rückbeförderung in die Realität. Ich behalte die SHMF Klub-Nacht am Hamburger Airport daher als eine unterhaltsame und perfekt organisierte, aber auch irgendwie sterile Veranstaltung in Erinnerung.

Und was die Stimmung betrifft: Vielleicht sollte ich irgendwann mal einen Kiasmos-Gig außerhalb von Hamburg besuchen. Da ist eindeutig noch Luft nach oben.