Die Opernwerkstatt zu „Norma“ in der Staatsoper Hamburg

Auf den Besuch der Neuinszenierung von Bellinis „Norma“ hatte ich mich am Wochenende auf besondere Weise vorzubereiten versucht, nämlich mit der Teilnahme an der dazugehörigen Opernwerkstatt. Die Opernwerkstatt, so heißt es in der Beschreibung auf der Webseite der Staatsoper Hamburg, „ist ein Kompaktseminar, bei dem die Teilnehmer alle wichtigen Aspekte einer Opernproduktion kennenlernen.“ Geleitet wird sie von Volker Wacker, der im Rahmen dieses Formats seit 1998 an der Staatsoper Hamburg mehr oder weniger lustig Opern erklärt.

Gelernt habe ich tatsächlich in den rund acht Nettostunden: einiges über Bellini, vieles über Belcanto und durch einen episch angelegten „Casta Diva“-Vergleich vor allem, welche Unterschiede es bei verschiedenen Interpretationen zu hören und zu beachten gibt. Mit der Hamburger Neuinszenierung schien sich Volker Wacker dagegen weniger beschäftigt zu haben. Zwar betonte er, wie bedeutsam diese sei, da die Oper in den letzten einhundert Jahren in der Hansestadt nicht mehr szenisch, sondern ausschließlich konzertant aufgeführt worden ist. In der Folge wurden die im Programmheft abgedruckten Fotos und das Interview mit der Regisseurin, das Bühnenbild, die Kostüme, das Verhalten einiger Akteure auf der Bühne in ausgewählten Situationen sowie die musikalische Leitung kurzkommentiert. Wackers Fazit: Die Inszenierung sei zu statisch und beladen mit teils unverständlicher Symbolik und das Dirigat von Matteo Beltrami, der für den erkrankten Paolo Carignani eingesprungen war, viel zu langsam.

So weit, so völlig legitim; niemand muss mögen, auch der oberste Opernwerkstättler nicht. Allein, die Begründungen blieben lapidar und oberflächlich und da ist noch der Ton, der bekanntlich die Musik macht. Auffällig war beispielsweise, dass Wacker die behandelten Sängerinnen und Sänger stets mit vollem Vor- und Nachnamen benannte, ebenso wie Àlex Ollé, den Regisseur der anhand von Videobeispielen präsentierten Londoner Vergleichsinszenierung von 2016, Yona Kim dagegen fast ausnahmslos als „Frau Kim“ bezeichnete, nicht zuletzt in dem oft wiederholten Satz: „Frau Kim ist dazu leider nichts eingefallen.“ Dann waren ihm die Kostüme nicht fraulich genug: Gleich mehrfach hieß es, Marina Rebeka habe doch eine so schöne Figur und niemals könne sie sie zeigen. Dass die von ihm als „Sack und Asche“ und „Eurotrash“ bezeichneten Gewandungen und das spartanische, teils ungemütlich, teils spärlich ausgeleuchtete Bühnenbild sich eventuell auf die harsche, vor Gewaltausbrüchen strotzende Handlung beziehen könnten, schien ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein. „Wenigstens hat sie schöne rote Haare!“, so das abschließende Urteil über das Erscheinungsbild der Hamburger Norma. Ein Blick ins Programmheft hätte genügt, um dieser Illusion jede Grundlage zu rauben:

Out of the ash
I rise with my red hair
And I eat men like air.

so das abgedruckte Zitat aus Sylvia Plaths Gedicht „Lady Lazarus“. Man hätte sich natürlich fragen können (müssen!), warum gerade diese Textstelle ausgewählt wurde und in welchem Zusammenhang sie mit der Inszenierung steht. Für Plath und deren Werke hatte Volker Wacker jedoch lediglich ein paar despektierliche Bemerkungen übrig. Das Wort „Weiberkram“ fiel zwar nicht, die Haltung war dennoch unmissverständlich. Da ist diese Oper über eine verzweifelte, aber nichtsdestotrotz starke Frau, inszeniert von einer Frau, die Premiere am heutigen Weltfrauentag. Alles Gedöns? So oder so, es schien keiner Erwähnung wert.

Lange habe ich während des Vortrags überlegt, an wen mich die oft gönnerhaft wirkende, selbstgefällige, abschweifende und mit höchstens halbironisch ausgeführten Bemerkungen der Sorte „so sind sie halt, die Frauen“ gespickte Redeweise erinnerte. Volker Wacker selbst lieferte das Stichwort, bezogen auf ein mögliches Überziehen der Kurslaufzeit: „Kulenkampff und ich“. Ich habe „Kuli“ und „EWG“ als Kind geliebt, musste aber beim Betrachten der (aus anderen Gründen sehr empfehlenswerten) Dokumentation „Kulenkampffs Schuhe“ erst kürzlich wieder feststellen: Diese Art der Ansprache ist verdammt schlecht gealtert. Kein Mensch würde heute noch so moderieren, ohne völlig zu Recht vom Schirm gejagt zu werden. Das heißt: Kein Mensch außer Volker Wacker, denn die überwiegend weibliche Opernwerkstattgemeinde goutierte es mehrheitlich; kein Raunen war zu vernehmen, keine hochgezogene Augenbraue sichtbar.

Und so blieb auch die Bezichtigung, Yona Kim habe Elemente aus der Londoner Inszenierung übernommen – guckt mal, die Kinder sind ja auch im Schlafanzug! Und haben eine Spielburg! Und der Teddy da, in beiden Produktionen! Ob das noch Zufall ist, na ich weiß nicht! – bis auf eine Gegenmeldung unwidersprochen. Die folgerichtig abgebügelt wurde. Sonia Ganassi als Londonder Adalgisa bekam nebenbei das wenig schmeichelhafte Etikett „verblühte Schönheit“ aufgedrückt, „… und dann läuft da so ein Häschenfilm“. Der „Häschenfilm“ war „Watership Down“, eingeblendet ungefähr ab der Szene, in der die blutbefleckten Zähne des General Woundwort auftauchen. Durch die wiederum dereinst eine ganze Generation von Kindern traumatisiert wurde. Schlagt mich, aber man darf ziemlich sicher davon ausgehen, dass Àlex Ollé sich dabei etwas gedacht hat.

Ich bin und bleibe in Fach (Musik-)Theaterregie zweifelsohne der Dummie, aber für diese Erkenntnis reicht es: Dieser Referent hatte seine Hausaufgaben nicht gemacht. Ob aus mangelndem Interesse an Yona Kim und ihrer Inszenierung oder aufgrund des Bewusstseins, sich ungeachtet der präsentierten Inhalte eines treuen Publikums sicher sein zu können, sei einmal dahingestellt. Der Altersschnitt der Zuhörerschaft von Mitte 60+ wird sich wohl aber nicht in erster Linie aus diesem Grunde in nächster Zukunft kaum senken.

Schade.