In Concert: Sir Jeffrey Tate und die Hamburger Symphoniker in der Laeiszhalle

„Mehr Philharmonisches Staatsorchester Hamburg“, lautete einer meiner Konzertvorsätze für die Saison 2016/17 – so sehr hatte mich das 6. Philharmonische Konzert mit Kent Nagano im Februar letzten Jahres begeistert. Nun kann man mir nicht ganz zu Unrecht vorwerfen, dass ich leicht zu begeistern bin. Was aber an diesem Abend besonders war: Ich saß in der Laeiszhalle, hörte einem Hamburger Orchester zu, auf dem Programm stand unter anderem ein Komponist, nach dessen Stücken es mich nicht zwingend gelüstet und ich brachte dennoch das gesamte Konzert auf der Stuhlkante sitzend zu. Der hinter mir liegende Arbeitstag, der schmerzende Rücken, der laeiszhallentypische Sauerstoffmangel: alles unwichtig, solange Nagano den Taktstock in der Hand hielt.

Ich bin nicht sehr versiert, wenn es um Orchester- und Dirigentenvergleiche geht. Dazu fehlen mir Hintergrundwissen und Hörerfahrung. Wenn ich in Kritiken von „analytischer Durchdringung“ lese oder von „furchterregend stählerner Brillanz“, dann erinnert mich das an Geschmacksbeschreibungen bei Weinproben oder Whisky-Verkostungen. „Goldener Sirup, braunes Brot, Erdnussbutter, Zimt, weißer Pfeffer, Cocktailkirschen“, las ich da unlängst, und aus eigener Kraft wäre ich höchstens auf „goldener Sirup“ gekommen – ganz vielleicht auch noch auf „Erdnussbutter“. Ein schlichtes „Schmeckt mir“- oder „Schmeckt mir nicht“-Urteil ist sehr viel wahrscheinlicher.

Mein Maßstab für Orchesterkonzerte ist daher: Wie sehr fesselt mich das Aufgeführte? „Kriegt“ mich das, selbst wenn ich mit dem Komponisten, dem Werk oder der Musikrichtung wenig anfange? Kent Nagano und die Philharmoniker schafften das mühelos und ich wollte unbedingt mehr davon.

Nur kann ich meinen Vorsatz leider nicht einhalten. Ich bin zwar nicht leer ausgegangen beim Elphi-Vorverkauf, aber den Run hatte ich in dieser Wucht doch unterschätzt und daher keine Karte mehr für ein Philharmoniker-Konzert ergattern können.

Aber schließlich sind da ja noch die Hamburger Symphoniker, die der Laeiszhalle als neues Residenzorchester die Treue halten. „Andere Säle haben auch (noch) schöne Konzerte“, dachte ich, als ich das Plakat zum 5. Symphoniekonzert sah, „und außerdem kannst Du das Ticket im Zweifel noch spontan zwei Wochen vor dem Termin kaufen. Hat auch was für sich.“

Es war schon ein besonderes zeitliches Zusammentreffen. Jeffrey Tate ist erst kürzlich zum „Sir“ geschlagen worden, in Anerkennung der Verdienste um die Musik seines Heimatlandes im Ausland. Es war das erste Konzert, das er nach dieser Auszeichnung dirigierte, und das Programm unter dem Titel „London, my love“ bestand bezeichnenderweise ausschließlich aus britischer Musik: der „Horoscope“-Suite von Constant Lambert, dem Liederzyklus „Sea Pictures“ op. 37 von Edward Elgar, vorgetragen von Mezzosopranistin Jennifer Johnston und der Sinfonie No. 2 („A London Symphony“) von Ralph Vaughan-Williams.

Intendant Daniel Kühnel ließ es sich verständlicherweise nicht nehmen, das Publikum vor Konzertbeginn darauf hinzuweisen. Er konnte sich dabei nur leider eine Spitze Richtung Elbphilharmonie nicht verkneifen. „Schön, dass Sie den Weg hierher gefunden haben“, so seine Begrüßung. „Die Laeiszhalle wird heute Abend ganz wunderbar klingen. So wie schon die letzten 108 Jahre und 15 Tage!“ Mit der Reaktion des Publikums setzte das die Stimmung. „Lass die anderen in dieses neumodische Glas-Ding da rennen, wir haben unsere Laeiszhalle und die Symphoniker!“, klatschte es halb selbstgewiss, halb mürrisch aus dem Parkett.

Das Konzert schloss sich nahtlos an: Ich war aufnahmewillig und hörbereit, hatte aber Schwierigkeiten, die Konzentration zu halten. Einzig beim zweiten Satz der Vaughan Williams-Sinfonie klappte das vollumfänglich (Wie zauberhaft ist der denn! Team Vaughan-Williams! Hach!). Das mag in Teilen der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass Sir Jeffrey Tate mit einem grippalen Infekt zu kämpfen hatte. Dennoch, es erinnerte mich an frühere Erfahrungen ähnlicher Art bei Symphoniekonzerten und das Erlebnis mit den Philharmonikern hatte mir gezeigt, dass es so nicht sein muss.

Ein kniffliger Zwiespalt: Hätte Kent Nagano mit den Philharmonikern auf dem Podium gestanden, ich hätte zum Gähnen keine Muße gehabt. Andererseits hätte es das Konzert in dieser Zusammenstellung ohne Sir Jeffrey Tate in Hamburg sehr wahrscheinlich gar nicht gegeben.

Wenn mich ein Programm lockt, werde ich daher wohl auch künftig zu den Symphonikern in die Laeiszhalle kommen. Aber die Entscheidung dafür wird zögerlicher ausfallen.

Von allen musikalischen Vergleichen und der Tagesform einzelner Beteiligter abgesehen hat das viel mit dem gestern präsentierten Gesamtbild zu tun. Insbesondere die trotzig-unentspannt wirkende Ansage war alles andere als sexy. Durch solches wird das (Abo-)Publikum weder diverser noch jünger und ganz bestimmt nicht zahlreicher. Da wird eine Philharmonie eröffnet, die ganze Stadt redet über klassische Musik, aber viele, zum Teil erstmals Interessierte haben keine Tickets bekommen – das ist doch super! Nicht schmollen, ausnutzen und abgreifen!

In dem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Webseite der Symphoniker sehr dringend ein Facelift gebrauchen kann. Als ersten Schritt sollte man den „x Jahre, x Tage, x Stunden und x Minuten seit Eröffnung der Laeiszhalle“-Ticker von der Startseite nehmen. Damit gegen die mutmaßlich Tausende Euro schwere „Sounddown“-Kampagne der Elbphilharmonie anstinken zu wollen, riecht nicht nur schwer nach Verzweiflung.

So etwas hat die würdige alte Lady gar nicht nötig.

„Otello“ in der Staatsoper Hamburg

In der Staatsoper Hamburg war ich nun schon ein paar Mal, aber erst als ich im vergangenen Herbst die Liveübertragung der Spielzeiteröffnung 2016/17 am Jungfernstieg sah, fiel mir auf, dass ich dort zwar Ballettvorführungen und Konzerte, aber noch nie eine Oper besucht hatte. In über 11 Jahren in Hamburg nicht. Höchste Zeit, das nachzuholen.

Warum es nun ausgerechnet der „Otello“ wurde, tja. Mag sein, dass die mannshohe Plakatierung im U-Bahn-Durchgang zwischen Rathausmarkt und Jungfernstieg eine Rolle spielte (Print wirkt!). Kann aber auch am Datum gelegen haben.

Wie dem auch sei, ich fand kurzfristig noch einen freien Platz mit halbwegs brauchbarem Blick auf das Bühnengeschehen für äußerst erschwingliche 12 Euro, konsultierte den zuvor entstaubten Opernführer und informierte mich grob über die Inszenierung: zeitgenössisch offenbar, von Buhrufen aus dem Publikum war zu lesen; das versprach Kontroverse.

Ob es in Calixto Bieitos Sinne war, dass sich in meinem Kopf angesichts der italienisch singenden Anzugträger auf der Bühne schon ab der ersten Szene Mafia-Assoziationen festsetzten – ich bin mir da nicht ganz sicher.

Die vorgetragene Version der Geschichte um Intrigen, Eifersucht, Gewalt und Mord erinnerte mich jedenfalls an die klassischen Macho-Machtspiel-Szenarien innerhalb eines Clans. In einer Hafenstadt, des das Bühnenbild beherrschenden orangefarbenen Krans wegen, sei es nun auf Zypern, wie das Libretto es vorgibt, oder sonst irgendwo auf der Welt. Ein testosterongesteuertes Wetteifern, in dem Frauen nur als devote Opfer und Status- bzw. Sexobjekte vorkommen. Selbst die Liebesszenen atmen in dieser Inszenierung Unterdrückung und Missbrauch und das ist soweit stimmig.

Was nicht ganz passte, war der Chor. Ein Heer von abgerissenen, schicksalsergebenen und sich um die Champagnerspritzereien der Herrschenden balgender Gestalten, die Textstellen wie

Mentre all’aura vola,
vola lieta la canzon,
l’agile mandòla
ne accompagna il suon.

Zur Mandola klingen
Soll der Freude Lied,
Das auf leichten Schwingen
Durch die Lüfte zieht.

singen, während Desdemona mit einem Blumenstrauß im Arm sich unter ihnen bewegt – das lässt sich meines Erachtens höchstens mittels Ironie in Einklang bringen.

Vermutlich habe ich also auch hier wieder nicht in Gänze begriffen, was der Regisseur dem Publikum mit seiner Inszenierung sagen wollte. Es hat mir trotzdem sehr gut gefallen.

Die musikalischen Gewinner des Abends waren Claudio Sgura als Jago und Svetlana Aksenova als Desdemona – großartig. Und überhaupt, Verdi! Nicht kaputtzukriegen. Schlimmstenfalls hätte das auch mit geschlossenen Augen noch funktioniert.

Apropos, ich merke mir fürs Ohr: Die Staatsoper-Akustik funktioniert sehr gut auch in der Holzklasse auf den günstigen Plätzen (und ist gnadenlos zu klappernden Streichern).

Den dramatischen Abend mit einem doppelten Grappa ausklingen zu lassen, erschien mir im Anschluss nur recht und billig. Wobei das wiederum ganz bestimmt auch dem Datum geschuldet war. Und der anderen Oper da, jenseits des großen Teichs.

Salute.

Das Jeansproblem

Onlineversandhandel kann eine praktische Sache sein. Man hat die größtmögliche Auswahl, bestellt unabhängig von Ladenöffnungszeiten bequem von zu Hause aus und bekommt, wenn alles glatt läuft, das Gewünschte binnen weniger Tage ins Haus geliefert. Ich bestelle viel und gerne online und möchte diesen Einkaufsweg nicht missen.

Manche Dinge erscheinen mir aber schlicht zu banal, um deswegen einen Bringdienst zu bemühen. Oder ich benötige sie jetzt und sofort und habe daher keine Muße, Lieferfristen abzuwarten. Kleidung und Schuhe online zu kaufen, empfinde ich gar als unpraktisch und umständlich. Für die allermeisten Dinge mache ich mich also weiterhin auf den Weg in den Einzelhandel, um dieser Tage vermehrt enttäuscht zu werden.

Ein Beispiel.

Über Weihnachten hatte ich die Gel-Wärmflasche meiner Mutter in der Mikrowelle zum Platzen gebracht. In der Benutzung dieses Geräts ungeübt, hatte ich versehentlich eine zu hohe Wattzahl eingestellt. Es galt, Ersatz zu besorgen. Das erschien mir nicht als sonderlich herausfordernd. Ich begab mich also zunächst auf die Barmbeker Einkaufsmeile und danach in die Hamburger Innenstadt. Zwei Drogeriemärkte, ein Kaufhaus und zwei Apotheken später gab ich das Vorhaben auf und bestellte online. Wir reden hier von Hamburg, wohlgemerkt. Nicht von Hintertupfingen. Sehr erstaunlich.

Noch erstaunlicher: Eine der besuchten Apotheken gehört zu einer Kette, der auch ein Webshop angegliedert ist. In diesem war das von mir gewünschte Produkt als lieferbar gelistet, vor Ort war die Wärmflasche allerdings nicht am Lager. „In Ihrem Webshop haben Sie so etwas!“, erwähnte ich noch bei der Nachfrage. Das sei gut möglich, erhielt ich zur Antwort, aber man könne eben nicht das gesamte Sortiment in der Filiale bevorraten. Soweit absolut verständlich. Nur bot man mir weder an, die Ware für mich zu besorgen noch wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich – wie ich im Nachhinein herausfand – die Wärmflasche im Webshop auch zur Abholung vor Ort hätte bestellen können.

Da möchte ich nun keine Klagen mehr über den bösen Onlinehandel hören, der dem Einzelhandel das Wasser abgräbt. Im vorliegenden Fall muss man leider sagen: selbst Schuld.

Die Sache mit der Wärmflasche ist indes ein zu vernachlässigendes Ärgernis. Viel nachhaltiger trifft mich die Einschränkung des Jeanssortiments in den Hamburger Filialen der Firma CECIL. Im Gespräch mit den Mitarbeiterinnen meiner Lieblingsfiliale wurde ich ausdrücklich aufgefordert, mich diesbezüglich persönlich bei CECIL zu beschweren. Sie hätten schon so oft um entsprechende Ware gebeten, da die Nachfrage bestehe. Leider ohne Erfolg. Ich verfasste daraufhin das folgende Schreiben.

Liebe Firma CECIL,

ich bin seit Jahren großer „Toronto“-Fan. Jeans kaufen war bisher so einfach: In den CECIL Store (…) gehen, nach einer „Toronto“ in der Größe irgendwo zwischen 26 bis 28 [gemeint ist die Bundweite in Inches] in 34er Länge suchen, anprobieren, kaufen, glücklich sein.

Nun wurde die Filiale in der Europapassage kürzlich geschlossen – kein großer Verlust, denn außer „meiner“ Jeans habe ich dort schon länger nichts rechtes mehr für mich finden können. Aber auch mein Lieblingsstore (…) bekommt kaum noch Hosen in 34er Länge, obwohl die Nachfrage besteht.

Wohl oder übel bestellte ich also drei lange „Torontos“ über den Webshop. Was ich hasse, denn ich will bei Klamotten anprobieren, entscheiden, was ich kaufe und fertig. Nicht bestellen, in Vorleistung treten, warten, bis das Paket kommt (was u. U. noch beschädigt und verzögert geliefert wird, wie jetzt geschehen), anprobieren, merken, daß „Toronto“ vom Schnitt nicht mehr zwingend „Toronto“ ist, ahnen, daß ich bei diesen beiden Fällen jetzt eine oder zwei Nummern größer anprobieren müßte, diese Größen aber nicht mitbestellt haben, sehr laut fluchen, zwei von drei Jeans wieder einpacken und zurückschicken, auf die Gutschrift warten und mich ärgern.

Liebe Firma CECIL, wissen Sie, was als nächstes passieren wird? Ich werde mich auf die Suche nach einer neuen Lieblingsjeans machen. Woanders.

Sehr schade.

So long,
Susanne Dirkwinkel

Ein paar Tage später erhielt ich eine Textbaustein-Antwort. „Diese direkte Rückmeldungen unserer Kunden“, „sehr wichtig“, „an die zuständige Abteilung weitergeleitet“, „unseren Service und unsere Leistungen stetig optimieren“; ihr kennt das. Weiter passierte nichts und bei den letzten Besuchen in der Lieblingsfiliale stellte ich keine Bewegung fest.

Das Modell „Toronto“ ist, was im Fashionsprech mit „Straight leg, high rise, regular fit“ (gerades Bein, hohe Taille, bequeme Passform) bezeichnet wird. Ich bevorzuge dunkle bis sehr dunkle Blautöne, bin aber auch für andere Farbvarianten offen und vermeide generell bei meiner Kleidung jeglichen Tüdelüt (Motivstickereien, Strass-Steinchen, lustige Metallnupsis etc.).

Hat eventuell jemand eine heiße Empfehlung für mich?

The Elphi is open

Nun ist sie endlich eröffnet, unsere Elphi, und es gibt kaum jemanden, der keine Meinung oder wenigstens Meldung dazu hat.

Der komplette NDR und nicht nur die Lokalpresse überschlugen sich tagelang, der (klassische) Musikbetrieb kannte kaum ein anderes Thema und auch meine Timelines mischten kräftig mit: Falk schrieb über Kunst, die kein bürgerliches Vergnügen sei, Torsten berichtete vom fotografischen Scheitern und bei „Hamburg unter sich“ gab „die Neue“ bereits im vergangenen November ihren Einstand.

Am Nachmittag fiel mir auf Twitter dann noch ein Beitrag des Kunstmagazins „art“ ins Auge, geteilt von Anke Groener. „In Hamburg sagt man Philli“, so lautet die Überschrift. Der Spitzname ist auch Thema des letzten Artikelabsatzes:

Was sagt der Volksmund? „Elbphilharmonie“ ist als Rufname definitiv zu lang, da war man sich einig. „Elphi“ johlte es deshalb vorschnell auf großgedruckten Überschriften, so solle das Wahrzeichen von nun an heißen. Derweil hatte sich unmittelbaren Nachbarschaft längst das bedeutend mondänere „Philli“ als Abkürzung für das Schmuckstück durchgesetzt. Also Vorsicht: Wer in Hamburg weiterhin von der „Elphi“ spricht, outet sich unfreiwillig als Pinneberger.

Ist das so? Seltsam nur, dass sämtliche Social Media-Kanäle der Elbphilharmonie höchstselbst mit „Elphi“ arbeiten, ebenso der Eigentümer, die Stadt Hamburg, sowie das Residenzorchester und überhaupt: alle, die ich kenne, ob in Hamburg oder außerhalb. Als Verballhornung der Verniedlichung ist vielerorts auch vom „Elbvieh“ zu hören und zu lesen.

Also, liebe Kollegen von „art“: Guten Morgen! Der Drops ist längst gelutscht.

Ich freue mich derweil auf meinen ersten Konzertbesuch im Großen Saal: Am 10. Februar ist es endlich so weit.