Ostern in der Elbphilharmonie

Ursprünglich hatten ganz andere Stücke auf dem Programm der beiden Konzerttermine von Teodor Currentzis und musicAeterna in der Elbphilharmonie gestanden. Dann aber kam der Ukraine-Krieg und der musicAeterna-Chor konnte nicht aus Russland einreisen.

Was zur Folge hatte, dass am Karfreitag statt Schnittkes „Konzert für Chor“ eine Zusammenstellung aus langsamen Sätzen und Werken verschiedener Komponisten unter der Überschrift „Slow Music“ dargeboten wurde. Die Mehrzahl der Stücke stammte aus Klavierkonzerten, weswegen Alexandre Kantorow als Solist in der Mitte des Orchesters Platz nahm. Mit Blick auf die Liste steckte ich mir sicherheitshalber ein Taschentuch in den Ärmel. Ein weiser Entschluss, es wurde schon beim Mozart sehr knapp und beim Barber noch etwas knapper. Endgültig abgeräumt hat mich schließlich der Schostakowitsch. Ich hatte das Andante aus dem Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 F-Dur op. 102 komplett verdrängt. Völlig unverständlich eigentlich. „So ein Programm kann man nur einmal spielen“, meinte einer der Musiker, mit dem ich nach dem Konzert an der Ampel zur U-Bahn-Haltestelle noch flüchtig ins Gespräch kam. „So ein Programm kann man auch nur einmal hören“, pflichtete ich ihm bei.

Die Überschrift über dem Karsamstag lautete „Trauerklage“. Folgerichtig die Stückauswahl: „Metamorphosen“ von Richard Strauss und Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“ statt Beethovens Neunter mit der „Ode an die Freude“. Das hätte ein weiterer ganz und gar umwerfender Abend werden können, aber leider spielte das Publikum nicht mit. Tags zuvor hatte Intendant Christoph Lieben-Seutter höchstselbst noch ausdrücklich und in zwei Sprachen vor Beginn des Konzerts darum gebeten, dass bitte nicht geklatscht werden möge; nicht am Anfang, nicht zwischendrin und auch nicht zum Schluss. Fast hätte es geklappt. Immerhin verhallten die zaghaften Klatscher der wenigen Unverbesserlichen nach Abgang von Solist, Orchester und Dirigent recht schnell wieder.

Dass Teodor Currentzis auch keinen Applaus zwischen den Sätzen der „Pathétique“ dulden wollte, war seiner Körpersprache nach der Reaktion des Publikums auf den ersten Satz überdeutlich zu entnehmen. Da musste man schon außerordentlich ignorant sein, um das nicht zu kapieren. Allein, der Weinberg kannte keine Gnade und unterbrach folgerichtig zu allem Übel noch die Schweigeminute nach Ende des letzten Satzes. Ich habe mich selten so fremdschämen müssen in der Elbphilharmonie.

Woran es gelegen hat? Möglicherweise daran, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Konzertbesucher die Unterhaltung suchte. Das Besondere zu Ostern, ein Konzert in der Elbphilharmonie eben, vielleicht auch als Krönung eines Hamburg-Aufenthalts über die Feiertage. Dazu passte weder die Karfreitagsmeditation noch die Trauerklage am Karsamstag. Die Programmänderungen wurden zwei Wochen vor den jeweiligen Terminen bekannt gegeben. Man hätte die Tickets sogar zurückgeben können. Einige der dennoch Anwesenden hätten gut daran getan.

 

Fünf Jahre Elbphilharmonie

Wirklich erst fünf Jahre? Mir kommt es so vor, als sei sie immer dagewesen. „Immer“, das sind in meinem Fall die fast sechzehneinhalb Jahre, die ich mittlerweile in Hamburg lebe. Nicht hilfreich ist, dass mir durch die Pandemie jegliches auch nur halbwegs normale Zeitgefühl abhandengekommen ist. War ich letzten Monat bei einem bestimmten Konzert, in einem Theaterstück oder Kinofilm? Oder war das doch erst letzte Woche? Letztes Jahr? Vor oder während der Pandemie? Zunehmend schwierig.

Jedenfalls, die Elbphilharmonie feierte. Und ich, geboostert und durchgängig FFP2-Maske tragend, schon bevor das verpflichtend auch bei 2G(+) wieder eingeführt wurde, feierte an zwei Terminen mit. Zugegebenermaßen mit einem mulmigen Gefühl. Immerhin, sowohl das 5. Philharmonische Konzert mit Widmann und Beethoven als auch der Auftritt von Jordi Savall und Ensemble mit „Tous les Matins du monde“ erwiesen sich als lohnend und damit segensreich fürs Gemüt. Auch wichtig.

Eigentlich hätte zum 5. Philharmonischen Konzert Jörg Widmanns Oratorium „ARCHE“ aufgeführt werden sollen, jenes Auftragswerk, mit dessen Uraufführung Kent Nagano und die Hamburger Philharmoniker vor fünf Jahren zur Eröffnung des Konzerthauses an der Elbe beitrugen. Aus Pandemiegründen verzichtete man auf die Einstudierung eines Werks mit monumentaler Besetzung. Ersatzweise standen diverse andere Widmann-Stücke sowie eine Beethoven-Sinfonie auf dem Programm.

Die „Fanfare“ für zehn Blechbläser vermochte es noch nicht, mich zu begeistern. Dann aber trat der Komponist selbst mit den „Drei Schattentänzen für Solo-Klarinette“ auf die Bühne.

Faszinierend, vor allem der „(Under)Water Dance“ und der „Danse africaine“. Was für Töne man außer der handelsüblichen Bandbreite noch aus diesem Instrument holen kann. Ich hatte ja keine Ahnung!

Bisher persönlich unbekannt war mir auch die Glasharmonika, die bei „Armonica“ maßgeblich zum Einsatz kam. Auch dieses Stück hat mir sehr gut gefallen. Jetzt möchte ich bei Gelegenheit schon gerne auch noch die „ARCHE“ nachholen. Hoffentlich bald! Zum Abschluss folgte die Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93 von Ludwig van Beethoven. Sehr motiviert dargeboten und daher ebenso mitreißend.

Mit der Viola da Gamba, der Theorbe und der Barockgitarre traf ich ein paar Tage später auf weitere Instrumente, mit denen ich zuvor höchstens halbbewusst Bekanntschaft gemacht hatte.

Den Film „Die siebente Saite“ hatte ich zwar schon gesehen, damals allerdings in Unkenntnis der Besonderheit der musikalischen Ebene. Jordi Savalls Einführung in das Programm, welches mit dem französischen Originaltitel des Films überschrieben war, änderte das mit wenigen Sätzen. Ich werde den Film nun mindestens noch ein zweites Mal ansehen müssen.

Vor Ort im Kleinen Saal der Elbphilharmonie brauchte ich eine Weile, bis ich mich in das Zusammenspiel der vier Musiker des Ensembles eingehört hatte. Sie ist ja doch ziemlich leise, die Viola da Gamba. Man muss schon die Ohren spitzen, um Feinheiten mitzubekommen. Der Sitzplatz der Preisklasse 1, relativ nahe an der Bühne gelegen, zahlte sich dabei aus. Gegeben wurde Musik von Jean-Baptiste Lully, François Couperin und natürlich von den beiden Hauptfiguren des Films, Monsieur de Sainte-Colombe und Marin Marais.

Das waren sie auch schon, die zwei Konzerte im Januar. Für Februar steht noch eines im Kalender, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es tatsächlich stattfinden wird: The Notwist in der FABRIK. Weiter ginge es dann erst Anfang März mit Martin Kohlstedt und den Grandbrothers auf Kampnagel. Es hätten mehr Termine sein können, aber ich will es nicht provozieren. Auch deshalb, weil ich in den vergangenen Wochen für insgesamt drei Tage mit Veranstaltungsbesuch im Großen Saal der Elbphilharmonie Warnungen in der Corona-Warnapp bekam, zwei davon in roter Farbe. Zugegeben, das kann auch die Bahnfahrt zum Event gewesen sein oder eine Begegnung zuvor im Testzentrum. Die wahrscheinlichere Quelle ist aber wohl doch der vermeintlich sichere Kulturort.

Genauer werde ich es nicht erfahren, solange keine Zeitfenster zu den Warnungen ausgegeben werden. Bis dahin bleibt mir nur, zu reduzieren. Nicht auf null, das schaffe ich nicht (mehr). Aber signifikant.

In Concert: François Leleux und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in der Elbphilharmonie

Hui, was für ein Wirbelwind! „Der Dirigent und Oboist François Leleux ist bekannt für seine unbändige Energie und Leidenschaft“, so das Programmheft zum 3. Philharmonischen Konzert. Das kann wohl jeder bestätigen, der bei einem der beiden Konzerttermine anwesend war. Jeder Zentimeter des Dirigentenpodests wurde ausgenutzt. Leleux‘ Körpersprache ist dabei derart plakativ, dass es bei jedem anderen übertrieben bis unfreiwillig komisch gewirkt hätte. Aber ihm nimmt man das ab.

Und dann noch das Oboenkonzert. Noch mehr Energie, und diese buchstäbliche Spielfreude. Mitreißend!*)

Als Zugabe folgte die Champagner-Arie aus „Don Giovanni“ – „weil die Luft hier drin so trocken ist“. Zwischendrin habe ich mich gefragt, ob François Leleux wohl schon einmal bei den BBC Proms aufgetreten ist. Irgendetwas sagt mir, dass die Prommers ihn lieben würden. Ich hatte direkt Bilder im Kopf…

Jedenfalls war das vorgestern Abend eine rundum gelungene Veranstaltung. Umso mehr, als dass beim Einlass inzwischen nicht nur die Ausweise mit kontrolliert, sondern digitale Impfnachweise per Scan verifiziert werden. Und niemand mokiert sich, wenn man trotz 2G die Maske aufbehält. So – und nur so! – wird ein Schuh draus. Eins rauf mit Mappe, Elbphilharmonie und Philharmoniker-Publikum!


*) Nicht meine bevorzugte Wortwahl, aber „ansteckend“ ist dieser Tage wieder so ungünstig konnotiert.

In Concert: Jordi Savall und Le Concert des Nations in der Laeiszhalle

Nein, ich war leider nicht beim Reflektor Max Richter. Aus Gründen. Aber zu Jordi Savall und Le Concert des Nations in die Laeiszhalle habe ich es geschafft. Und das war gut so! Beethoven auf zeitgenössischen Instrumenten und in zeitgenössischer Orchesterbesetzung, das sollte man wirklich gehört haben.

Für mich als weniger versierte Hörerin manifestierte sich der Kontrast zur inzwischen gängigen Interpretation vor allem in den Tempi und, bezogen auf die Klangfarben, in den Blasinstrumenten und den Pauken. Wahrscheinlich liegen auch zwischen Kunststoff- beziehungsweise Stahl- und Darmsaiten bei den Streichinstrumenten Welten, aber um diesen Unterschied ausreichend wertschätzen zu können, hätte es zuvor des direkten Vergleichs bedurft. Dieses Experiment kann ich indes noch nachholen, denn erstens existieren einige der Savall’sche Varianten auch auf Tonträgern – die Sinfonien 6 bis 9 folgen im Dezember – und zweitens wird es noch eine weitere Beethoven-Aufführung in Hamburg geben, die, so das Programmheft, aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt auf www.elbphilharmonie.de als Stream zu sehen sein wird. Am 17. Oktober sind es dann nicht nur die 6. und 7., sondern auch die 8. und 9. Sinfonie. Das große Finale also. Freude, schöner Götterfunken!

Vielen Dank übrigens auch für die Ablösung meines vorherigen Ohrwurms. „Tea for Two“ wurde allmählich lästig. Der zweite Satz der 7. Sinfonie ist als Hintergrundsound wesentlich alltagstauglicher. Und nein, das Stück ist eben nicht von Alexandre Desplat!

Hätte, hätte, Infektionskette

Eigentlich wär ich jetzt gerade nicht in Hamburg, sondern auf der Ostsee. Das übliche „Statt Postkarte“-Foto entfällt aus sattsam bekannten Gründen. Aber nicht ersatzlos! Ich biete ein 1A-Symbolbild aus dem nahegelegenen Stadtpark, die Bildunterschrift: „Vandalismus in Zeiten von Corona“. Adam und seine ähnlich verunstaltete Eva (Oskar Ulmer, 1933) wurden mittlerweile wieder gereinigt. Sie sind Kummer gewohnt: „Verzierungen“ kommen mehrfach im Jahr vor, werden aber normalerweise unterhalb der Gürtellinie platziert. Bei Eva gerne auch in Brusthöhe.

Wo ich schon dabei bin, kann ich auch schnell noch zwei neue Lieblings-Splitscreen-Performances und einen Klassiker beisteuern.

Da sind zum einen Manu Delago und Douglas Dare mit „Wherever you are“, aufgenommen im Rahmen des „Sea Change 2020„. Das komplette Festival wurde ins Netz verlegt und ich glaube beinahe, ich muss da nochmal stöbern.

Via Kiki. Vierunddreißig Jahre. Puh. Die Extended Version ist eine der wenigen von mir erworbenen Maxi-Singles aus dieser Zeit, die sich bis heute in meinem Besitz befinden.

Ja, ich weiß: uralt (2009)! Und gar nix mit Corona! Aber hebt zuverlässig die Laune und meine hat es gerade nötig.

In Concert: Emmanuel Ax, Herbert Blomstedt und das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie

Beethoven und Brahms mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester – das klingt erst einmal unspektakulär. Ist es aber nicht, denn das Konzert fand im Großen Saal der Elbphilharmonie statt und wenn ich auch inzwischen fast überall reinkomme, aber an der Kartenbeschaffung für sinfonische (NDR Elbphilharmonie Orchester) bzw. philharmonische (Philharmoniker Hamburg) Konzerte scheitere ich in den allermeisten Fällen immer noch krachend. Dabei habe ich letzten Sommer sogar versucht, ein kleines Philharmoniker-Abo zu ergattern – vergebliche Liebesmüh! In der Rückschau betrachtet hätte ich das vielleicht schon festklopfen sollen, bevor die Philharmoniker in die Elbphilharmonie umgezogen sind. Aber in den Saisons davor saß mir das Geld nicht so locker. Wie es halt ist, wenn man einen sich anbahnenden Jobverlust schon drei Meilen gegen den Wind riechen kann.

Abgesehen davon waren es natürlich auch Herbert Blomstedt und Emmanuel Ax, die diesen Abend zu einem besonderen machten. Herbert Blomstedt dirigierte in der vergangenen Woche vier Konzertabende hintereinander, drei davon in Hamburg und einen in Lübeck, und das im zarten Alter von 91 Jahren. Falls ich im Jahr 2064 dieses Pensum auch nur als Zuhörerin schaffen sollte, werde ich mich sehr glücklich schätzen können. Vorausgesetzt, die Elphi ist dann nicht längst schon unbespielbar. Weil abgesoffen.

Aber zurück zum Programm. Wenn mir demnächst jemand die Frage stellen sollte: „Lieben Sie Brahms?“ werde ich antworten: „Wenn er von Herbert Blomstedt dirigiert wird: auf alle Fälle.“

In Concert: Gustavo Dudamel und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar in der Elbphilharmonie

Gustavo Dudamel und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar haben Beethoven durchgespielt, und zwar im Wortsinne: Unter der Überschrift „¡Viva Beethoven!“ standen in der Elbphilharmonie in den vergangenen fünf Tagen alle neun Sinfonien auf dem Programm.

Wem der Name Dudamel nichts sagen sollte, der möge sich doch kurz das folgende Video anschauen:

Gut, ganz so turbulent wie Leonard Bernsteins „Mambo“ war es dann doch nicht bei der Neunten. Aber südamerikanisches Feuer in Kombination mit Beethoven, holla, ich sage es euch. Da geht was! Sogar in Hamburg. Standing Ovations, Begeisterung, Jubel!

Gustavo Dudamel, das weiß ich nun also auch aus eigener Anschauung, ist ohne Frage eine Ausnahmeerscheinung. Und zwar eine mit Suchtpotential. Ich habe bisher noch keinen Dirigenten erlebt, der ohne Partitur auskommt, dessen Musikleidenschaft in einem solchen Ausmaß mitreißt und dessen Körpersprache derart im Einklang mit dem dirigierten Stück steht. Dudamel führt Musiker per Schulterzucken präziser und eindeutiger als andere mittels ausladender Armbewegungen. Selbst jemand ohne (klassische) Konzerterfahrung hätte diese Verbindung sehen und hören können.

Apropos hören können, es stimmt, was inzwischen allgemein Verbreitung gefunden hat: Auf den billigen Plätzen bekommt man den besten Elphi-Sound. Wobei es auch unterm Dach noch reichlich gläsern klingt, was ich weiterhin gewöhnungsbedürftig finde. Ein gewisser Herr, den ich einst besser kannte, würde vermutlich etwas in Richtung „untere Mitten… ausbaufähig“ gemurmelt haben. Aber geschenkt. Meine Ohren können da mit.

Die 16. Etage
Die 16. Etage

Das Programmheft hielt zu alledem noch eine Überraschung bereit, denn aus luftiger Höhe und nach mehr als 25 Jahren hätte ich ihn ansonsten wohl nicht erkannt: Neben Orchester, Dirigent und den vier Solisten trat der Chor der Europa Chor Akademie Görlitz an, gegründet und geleitet von Joshard Daus. Unter ihm habe ich auch schon einmal singen dürfen, damals, im Konzertchor des Städtischen Musikvereins in Lippstadt. Die „Schöpfung“ war’s. Und beinahe auch die „Carmina Burana“, hätte ich nicht damals unmittelbar vor Konzertbeginn ganz spontan mein Abendessen im hinteren Bereich der Bühne… aber so genau will das sicher niemand mehr wissen. Viel wichtiger ist eh die Frage, wie ich den „Freude, schöner Götterfunken“-Ohrwurm je wieder losbekommen soll.

¡Muchas Gracias, Maestro!