The Show must go online (7)

Elbphilharmonie und Laeiszhalle haben verlängert: Bis wenigstens 31. August 2020 wird es keine Konzerte geben. Damit fällt auch der diesjährige Elbphilharmonie Sommer flach. Keine Überraschung mehr – nichtsdestotrotz frustrierend. Die Programmvorstellung der Spielzeit 2020/21 sollte Mut und Hoffnung machen, so Intendant Christoph Lieben-Seutter. Fürs erste wohl nicht mehr als das, denn niemand weiß, ob und wie es ab September weitergehen kann. Was natürlich bei weitem nicht nur für diese beiden Spielstätten gilt…

Auch das New Bedford Whaling Museum musste umdisponieren: Der diesjährige „Moby-Dick Marathon“ findet online statt. Die ersten 14 Episoden stammen aus dem Archiv, ab Episode 15 lesen zufällig ausgewählte Freiwillige in ihren jeweiligen vier Wänden.

Ebenfalls ins Netz verlegt wurde das Berliner Theatertreffen, inklusive einer Grundsatzdebatte über Sinn und Unsinn des Streamens von Theaterproduktionen. Das Theatertreffen ist eine Veranstaltung, die mich unter normalen Umständen nicht sonderlich interessierte. Aber jetzt, wo ich es kann, zappe ich höchstwahrscheinlich mal rein – soweit mein Diskussionsbeitrag zum Thema „Stoppt das Streaming!“. Die sechs Stücke sind jeweils nur für 24 Stunden „on Demand“ verfügbar. Mit Ausnahme des Bochumer „Hamlet“, den es noch bis Ende Juli in der ZDF Mediathek im Rahmen der Reihe „Starke Stücke“ zu sehen gibt.

Ganz anderes Genre: Die (Corona-)Zeichnungen von Chaz Hutton sind sicher dem einen oder der anderen bekannt. Nein? Auch nicht diese? Ich mag ja auch den hier. Und ganz besonders den. Bislang fehlt die neue Kategorie im Shop. Mal sehen, wie lange noch.

Zur Musik.

Überwiegend eher nicht meine Baustelle, aber wem es gefällt: Die Telekom organisiert zusammen mit Rolling Stone, Musikexpress und Metall Hammer #DaheimDabei-Konzerte mit Künstlern wie Sasha, Doro, Rage, Nik West, Eric Fish und Gavin Rossdale, gestreamt auf der Plattform MagentaMusik 360. Dort ist übrigens noch immer das Geisterkonzert von James Blunt in der Elbphilharmonie abrufbar. Am 11. März war das, quasi zwei Minuten vor dem Lockdown, in der Woche, in der es endgültig Ernst wurde. „Kein Fan von @JamesBlunt, aber schwer beeindruckt davon, wie der Mann das gerade durchzieht vor leerem Haus. Vollprofi. Respekt“, twitterte ich an jenem Abend. Gilt noch.

Deutlich ein paar Nummern kleiner, dafür persönlicher: Bei den SofaConcerts kann man personalisierte Musikbotschaften und Live-Musik per Videochat buchen.

Noch viel persönlicher weil wahrhaftig live sind die 1:1 Concerts mit Mitgliedern des SWR Symphonieorchesters, des Staatsorchesters Stuttgart und der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Ein verständlicherweise regional stark begrenztes Angebot. Aber vielleicht finden sich ja Nachahmer.

Apropos wahrhaftige Livemusik, es soll in Hamburg Straßenzüge geben, in denen regelmäßig (semi-)professionelle Balkonkonzerte stattfinden. Nur liegt das mir bekannte Beispiel dummerweise in einer Wohngegend weit jenseits meiner Preisklasse. (Ja, ich bin neidisch!)

Einen habe ich noch (via Alex Ross): Katzenmusik im Wortsinne. Der zieht euch die Schuhe aus. Versprochen.

Theater, Theater: Der Schimmelreiter im Thalia

„Erzählt, erzählt nur, Schulmeister“, riefen ein paar der jüngeren aus der Gesellschaft.

„Nun freilich“, sagte der Alte, sich zu mir wendend, „will ich gern zu Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwischen und eine Kunst, es ohne diesen zu erzählen.“

„Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen“, erwiderte ich; „traut mir nur zu, daß ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!“

Theodor Storm: Der Schimmelreiter

Das Theater und ich, wir sind bisher nicht so recht warm geworden miteinander. Insbesondere, wenn es um zeitgenössische Inszenierungen und Formate geht. Wie ich neulich bei einer lebhaften Facebook-Diskussion über die von Jette Steckel inszenierte „Zauberflöte“ lernte, kann man das, mit dem ich in der Hauptsache fremdele, unter dem Begriff „Regietheater“ zusammenfassen.

Da nimmt also ein Regisseur ein Stück bzw. einen Stoff, transportiert ihn in einen anderen Zeitrahmen oder Zusammenhang und baut eigene Elemente ein. Im Falle der „Zauberflöte“ hinterließ mich das mit großen Fragezeichen, denn da tauchten Dinge auf, die sich meines Erachtens in keiner Weise mit der im Libretto erzählten Geschichte in Einklang bringen ließen. Was mich zu der Frage brachte: Wenn jemand eine neue/andere Geschichte erzählen will, warum gibt er nicht einfach ein neues Stück oder eine neue Oper in Auftrag? Oder: Warum heißt es dann „Wolfgang Amadeus Mozart: ‚Die Zauberflöte‘, Inszenierung: Jette Steckel“ und nicht „Jette Steckels ‚Zauberflöte'“? Das wäre für mich als unbelecktes Element jedenfalls deutlich übersichtlicher.

Ich mag außerdem keine Stücke, bei denen schauspielerische Leistung darin besteht, scheinbar zusammenhanglos herumzulaufen und zu schreien und in denen Blut, Sex, Exkremente, Gewalt und Nacktheit um ihrer selbst willen zum Einsatz kommen. Das mag für manche Menschen Theater sein, aber damit fange ich nichts an. Für mich ist das blanker Unsinn. Auf einem meiner neu entdeckten Lieblingssender, dem Deutschlandfunk, hörte ich unlängst zufällig die Sendung „Zwischentöne“, in der der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier zu Gast war. Der nannte diese Art von Darstellung „Blut-und-Hoden-Theater“ und brachte überhaupt ziemlich genau auf den Punkt, was mich an solcherlei Ausprägungen dieser Kunstform so irritiert. Womit ich mich vermutlich als stockkonservativ oute, aber dazu stehe ich, zumindest in diesem Zusammenhang, uneingeschränkt.

Trotz dieser Voraussetzungen wagte ich mich also gestern ins Thalia zur Premiere des „Schimmelreiters“ unter der Regie von Johan Simons. Der, wie in seiner Biografie zu lesen ist, im Alter von 7 Jahren die Flutkatastrophe von 1953 miterlebte. Wie geht so jemand mit dem Schimmelreiter um?

Die Antwort: Erstaunlich puristisch. Der Deich war ein Deich, die Glocke eine Glocke und der (tote) Schimmel ein (toter) Schimmel. Eine halbe Stunde verging und immer noch passierte nichts Ungeheuerliches. Ich war beinahe ein bisschen enttäuscht, genoss dann aber bald, mich nur auf das Spiel konzentrieren zu können (Barbara Nüsse! Jens Harzer!), auf den zyklischen Aufbau und die feinen, aber signifikanten Änderungen an der Konstellation des Ensembles, gerade bei den Wiederholungen. Erst ganz zum Schluß gab es einen Ausfallschritt, den man als Bruch werten kann. Ich möchte ungern spoilern und daher nur sagen: Ich meine das nicht, weil sich da kurz vor Dunkeltuten tatsächlich noch jemand auszieht. An dieser Stelle war Nacktheit sehr schlüssig und wurde zudem durch geschickte Beleuchtung abstrahiert.

Das Publikum wirkte am Ende ermattet: Dafür, dass außer dem Schimmelreiter nichts passierte, war’s dann doch arg lang. Vielleicht hätte man etwas straffen können. Aber als (Wieder-)Einstiegsdroge war das alles gar nicht so verkehrt.

Nachtrag: Neben mir saß übrigens jemand, der sich hauptberuflich mit der Materie beschäftigt. Was er zum Stück zu sagen hatte, kann man im „Hamburger Abendblatt“ nachlesen. Aber Achtung: Spoiler!