London (Part IV): Tag 1

Seit Tagen schon will ich mit der Nachlese zu „London (Part IV)“ beginnen, weiß aber nicht so recht, wie.

Vielleicht sollte ich mit der Vorfreude anfangen. Nach den Aufenthalten 2016 und 2017 habe ich 2018 einmal aussetzen müssen, des Jobwechsels wegen. Das ist mir überraschend schwergefallen. Zum Ausgleich nahm ich mir für 2019 einen längeren Aufenthalt auf der Insel vor. Ein paar Tage London, dann vielleicht hoch nach Schottland. Oder in den Lake District. Oder den Peak District. Oder in die Yorkshire Dales. Oder erstmal nach Wales. Aber da war ja auch noch die Sache mit dem Brexit. Man erinnere sich: Im Februar, als ich meinen Urlaub zu planen begann, stand als Austrittstermin noch der 29. März zur Debatte. Einen zwei- bis dreiwöchigen Aufenthalt ausschließlich mit ÖPNV-Transfers mitten ins „Deal or No Deal“-Ungewisse zu verlegen – vielleicht doch keine so gute Idee. Ich verwarf meine Überlegungen, entschied mich per Unterkunftsreservierung zu einem sechstägigen Londonaufenthalt und buchte daneben noch einen zehntägigen Ostsee-Segeltörn.

Ich hätte im Traum nicht gedacht, dass zum Zeitpunkt meines Aufenthalts der Brexit immer noch nicht vollzogen sein würde. Von der Möglichkeit, dass Boris Johnson britischer Premierminister werden könnte ganz zu schweigen.

Die London-Tage mit Inhalt zu füllen, fiel mir angesichts des reichhaltigen Angebots nicht sonderlich schwer. Die BBC Proms waren natürlich gesetzt, außerdem wollte ich als bekennender NT Live-Fan unbedingt auch mal eine National Theatre-Produktion vor Ort besuchen. Das Musical („Jesus Christ Superstar“) im Barbican Centre reizte mich weniger, die Backstage-Führung dafür umso mehr. Und noch während ich über den Kauf eines Tickets für ein Kammermusikkonzert in St Martin in the Fields nachsann, kündigten Erased Tapes zu ebendiesem Datum einen Auftritt von Nils Frahm im Londoner Süden an. Innerhalb kürzester Zeit baute sich so in meinem Terminkalender eine nahezu perfekte Aneinanderreihung von Highlights auf. Die Tage bis zum Abreisedatum zogen und zogen sich…

Die Anreise verläuft ohne jeden Zwischenfall. Bis zum Check In-Zeitfenster meiner Unterkunft habe ich eine knappe Stunde zu überbrücken. Da kommt mir der wöchentliche Farmers Market auf bzw. am Queen’s Lawn sehr gelegen. Bei strahlendem Sonnenschein stärke ich mich mit einem Pulled Lamb-Burger und einem extrem schokoladigen Brownie – ein guter Anfang. Es ist Mittagspausenzeit: Der Markt ist gut besucht, das Publikum überwiegend studentisch und sehr international. Anschließend setze ich mich ein Viertelstündchen in den Innenhof des Beit Quadrangle, einem Gebäudekomplex unmittelbar neben der Royal Albert Hall, in dem auch mein Zimmerchen liegt. Wie schon vor zwei Jahren habe ich mich auch diesmal wieder in eines der Studentenwohnheime des Imperial College eingebucht. Beit Hall ist von außen wesentlich hübscher als Prince’s Gardens. Von innen betrachtet entpuppt sich die historische Substanz jedoch als weniger charmant. Dessen ungeachtet ist das Zimmer sauber und ordentlich und für meine Zwecke vollkommen ausreichend. Ich habe Glück: Das Fenster geht nach hinten raus, zum Hinterhof der Holy Trinity Church. Der Innenhof des Beit Quadrangle mag idyllisch erscheinen, beherbergt aber eine Bar mit Außenplätzen und der beachtliche Lärmpegel sinkt auch nach Beginn der offiziellen Nachtruhe nicht signifikant. Gut zu wissen fürs nächste Mal.

Nach dem Bezug des Zimmers muss ich erst einmal richtig ankommen. Ich laufe um die Albert Hall Richtung Albert Memorial und Kensington Gardens.

Italian Gardens
Italian Gardens

Fast zwei Stunden lang spaziere ich durch den Park und komme schließlich an einem schattigen Plätzchen im „Sunken Garden“ des Kensington Palace zur Ruhe. 2017 noch als „White Garden“ zu Ehren von Diana, Princess of Wales gestaltet, steht hier 2019 der 200. Geburtstag von Queen Victoria im Vordergrund.

Im collegeeigenen Minisupermarkt besorge ich mir anschließend meinen Lieblingstee und ein Sandwich und stimme mich auf den abendlichen Programmpunkt ein: die Prom 44 „Belshazzar’s Feast“ mit Sir Simon Rattle, dem London Symphony Orchestra, Gerald Finley, dem London Symphony Chorus, dem Orfeó Català und dem Orfeó Català Youth Choir.

BBC Proms 2019
BBC Proms 2019

Ich habe im zweiten Anlauf einen Gangplatz in den Stalls ergattert, Buchstabe M, Reihe 9, mit einem sehr guten Blick auf die Bühne. Schon nach wenigen Minuten vor Ort fällt mir ein Mann auf, der schräg gegenüber sitzt, von zahlreichen Konzertbesuchern persönlich begrüßt wird und mir irgendwie bekannt vorkommt. Das Sitzen fällt ihm schwer. Er wirkt angespannt, springt immer wieder auf und unterhält sich mit einer Reihe von Personen direkt hinter mir, die mit spanischem Akzent sprechen. Offenbar geht es um eine Reise nach Schottland am folgenden Tag. Es dauert eine Weile, bis mir aufgeht, dass dies sich eventuell auf den Gastchor des Abends, dem Orfeó Català, bezieht.

Schließlich beginnt das Konzert und zunächst haben Sir Simon Rattle und das LSO meine volle Aufmerksamkeit. „Les Bandar-Log“ von Charles Koechlin und „Amériques“ von Edgard Varèse gefallen mir gut. Leider fällt die knackige Schärfe einiger Passagen – insbesondere des Stücks von Varèse, bei dem sage und schreibe zehn Schlagwerker zum Einsatz kommen – der halligen Akustik zum Opfer. Was aber durch die sehr spezielle Proms-Stimmung mehr als wettgemacht wird. Insbesondere der Einsatz von Sirenenlauten in „Amériques“ löst beim Publikum Heiterkeit aus. Eine Reaktion wie diese hätte in der Elbphilharmonie bei einem Abokonzert oder einer Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Musikfests vermutlich peinlich gewirkt. Die BBC Proms sind dagegen schon von der Grundidee her kein elitäres Festival und allein deshalb niemals bierernst zu nehmen. Dazu tragen nicht zuletzt die Prommers mit ihren teils bizarr anmutenden Ritualen bei. Wer die „Konzerte für Hamburg“ ins Feld führt, übersieht, dass diese Reihe für ein lokales, wenig klassikaffines Publikum konzipiert ist und im Konzertprogramm eine Nebenrolle spielt. Was man von den BBC Proms nun wirklich nicht behaupten kann. Eine riesige musikalische Bandbreite, Karten in allen Preisklassen, extensive Übertragung in Funk und Fernsehen: „Für alle“ funktioniert hier. Und sei es auch nur auf diesem einen Sektor.

Zurück zur Prom 44. Die Pause beginnt und mein Gegenüber wird zusehends nervöser. Ein Eisverkäufer läuft an mir vorbei, ich stoppe ihn, gönne mir einen Becher und freue mich darüber, den Zuschauerraum dafür nicht verlassen zu müssen. Rund drei Jahre sind vergangen seit meinem ersten und bisher einzigen Proms-Konzert. Eine gefühlte Ewigkeit. Ich will die Atmosphäre in vollen Zügen auskosten.

Der zweite Teil des Konzerts besteht aus „Belshazzar’s Feast“, einer Kantate von William Walton. Ich kannte zuvor weder das Stück noch den Komponisten und komplettiere meine Konzertvorbereitung durch das zwar werbelastige, aber ansonsten gut gestaltete Programmheft. In der Albert Hall werden nun alle Register gezogen: Im Gestühl hinter der Bühne mit dem LSO ziehen rund 300 Sängerinnen und Sänger auf, der Orgelspieltisch wird besetzt. Henry Woods Büste wirkt plötzlich sehr klein. Zwischenzeitlich bin ich mir nicht sicher, ob Orchester und Chöre noch synchron sind, aber auch hier wird die Raumakustik eine Rolle gespielt haben. Der Wirkung tut das keinen Abbruch. Ich bin überwältigt.

Dennoch fällt mein Blick immer wieder auf den nervösen Herrn jenseits des Ganges. Er sitzt wie auf Kohlen, singt, nein, fiebert jeden Choreinsatz mit. Kaum ist der letzte Ton verklungen, springt er auf, rast wie der Blitz aus dem Zuschauerraum, um wenige Minute später neben Sir Simon Rattle auf der Bühne aufzutauchen. Ich zücke mein Smartphone, bemühe Tante Google und finde heraus, dass es sich um Simon Halsey handelt, dem Leiter des London Symphony Chorus und Chordirektor des Orfeó Català. Er darf neben gleich drei Ehrendoktortiteln vor seit 2015 auch ein „CBE“ hinter seinem Namen führen, hat die „Queen’s Medal for Music“ verliehen bekommen und ist obendrein noch Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. Laut Wikipedia hat er in Deutschland u. a. mit den Berliner Philharmonikern und als Berater für das Schleswig-Holstein Musik Festival gearbeitet und war von 2001 bis 2015 Chefdirektor des Rundfunkchors Berlin. Vielleicht habe ich ihn tatsächlich schon einmal auf irgendeiner Bühne stehen sehen.

Nach dem Konzert treibe ich mich noch eine Weile am Künstlerausgang herum, beobachte, wie Musiker mit ihren Instrumentenkoffern die Treppen zur Prince Consort Road hinunterlaufen und lausche dem Stimmengewirr der umher stehenden Chormitglieder. Es ist großartig. Ich bin wirklich da. Und mittendrin.

Hello London. It’s good to be back.

Internationales Sommerfestival 2019 auf Kampnagel

Und im nächsten Jahr mache ich es wieder richtig. Mit Festivalkarte und so.

Soweit der gute Vorsatz, geäußert in der Nachbetrachtung zum letztjährigen Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel. Den muss ich wohl Anfang des Jahres, die BBC Proms fest im Blick, schon wieder komplett verdrängt gehabt haben. Als ich nämlich die dritte Festivalwoche des Jahres 2019 mit einer Urlaubsabwesenheit überplante. Es rächte sich. Ich sag nur: Chilly Gonzales.

Nun tritt der Mann ja durchaus öfter in Hamburg auf. Unter normalen Umständen also höchstens ein Fall von blödes Timing. Aber: Solo Piano I, II und III. In der Elbphilharmonie. Für mich ist das einer dieser Konzertwünsche, die man gar nicht erst zu denken wagt, geschweige denn zu äußern. Kommt wahrscheinlich auch nicht wieder. Und dann auch noch Kid Koala. Seit „Nufonia must fall“ (2014) bin ich Fan. „Satellite Turntable Orchestra“ findet nun leider ohne mich statt.

Ich fluchte. Sehr, sehr laut.

Aber hilft ja alles nichts, meine Bilanz kommt nun also schon nach zwei von drei Wochen und insgesamt sechs Veranstaltungen. Mit Festivalkarte. Eine Steigerung, immerhin.

Carsten „Erobique“ Meyer & Paul Pötsch & Lea Connert: Wir treiben die Liebe auf die Weide

Nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre entschied ich mich am ersten Festivaltag gegen die „große“ Eröffnung in der K6 („Marry me in Bassiani“) und für die Erforschung der DDR-Musik der 60er und 70er Jahre. Beim Betreten der K1 war ich zunächst verschnupft, denn die vorhandene Bestuhlung reichte bei weitem nicht für alle der knapp 300 Karteninhaber. Der Satz „da haben sie wohl ein paar mehr Tickets verkauft, als hier Platz ist“ schwebte durch den Raum. Offenbar hatte nicht nur ich mit mehr Inszenierung und weniger Konzert gerechnet. Innerlich murrend platzierte ich mich auf dem Boden vor der Bühne, wo sich bereits einige Sitzgrüppchen gebildet hatten. Gegen diese Stimmung anzuspielen erwies sich sowohl für die Band als auch den als Ansager und Einpeitscher beständig vor, auf, neben und hinter der Bühne irrlichternden Bernd Begemann als gar nicht so einfach. Aber spätestens beim Titelsong von Nina Hagen & Automobil hatten sie mich.

Ich kannte aus dem Programm nur „Der blaue Planet“ von Karat. Keine Kunst, zugegeben. Im Ohr behalten habe ich neben „Komm komm (Wir treiben die Liebe auf die Weide)“ insbesondere „He, wir fahr’n mit dem Zug“ von Veronika Fischer (fällt mir bestimmt wieder ein, wenn ich das nächste Mal dienstlich nach Rostock muss), „Sing nur“ von Gjon Delhusa (grandioser Auftritt von Sidney Frenz) und „Mont Klamott“ von Silly. Kurzum: Nicht unbedingt, was ich erwartet hatte, aber musikalisch unbestritten großartig.

Socalled & Friends: Space – The 3rd Season feat. Kiran Ahluwalia

Socalled, das Kaiser Quartett und die Puppen, das musste natürlich. Nach der Erfahrung mit „The 2nd Season“ im vorletzten Jahr lockten mich an „Space“ in erster Linie die Songs und das Puppenspiel als solches. Aber ich wollte auch wissen, wie die Geschichte von Bär, Tami und Tina weitergeht.

Allein, die Story war noch ein wenig dünner als im vorangegangenen Kapitel, der Mitmachteil fürs Publikum zündete nicht und was die von Kiran Ahluwalia verkörperte außerirdische Königin an „Singing in Harmony“ eigentlich so verwerflich findet, hat sich aus sprachlichen Gründen vermutlich auch nicht jedem der Anwesenden erschlossen. Da fehlte ein Twist. Und Raffinesse. Schade.

(La)Horde: Marry me in Bassiani

Während ich auf den Beginn von „Space – The 3rd Season“ wartete, entschied ich mich spontan, „Marry me in Bassiani“ doch noch eine Chance zu geben. Nicht zuletzt des Nachtkritik-Artikels wegen. Wir liegen nicht immer auf einer Wellenlänge, aber wenn Falk sagt: „Diesmal hat mir die Eröffnung wirklich gut gefallen!“ interpretiere ich das als klare Empfehlung.

Und tatsächlich, auch ich mochte es, wenn auch mit kleinen Abstrichen. Ich mochte den (Volks-)Tanz, der aber, über die Gesamtlänge gesehen, zu sehr ausgewalzt und als Selbstzweck zelebriert wurde. Ich mochte das Bühnenbild und die Kostüme, konnte die musikalische Entwicklung nachvollziehen und war fasziniert von einzelnen Szenen (der Brautstrauß!), aber Story und Botschaft des Stücks als Ganzes erschlossen sich mir nicht. In anderen Worten: Viel Tanz und (zu) wenig Theater. Mitreißend aber allemal.

Kris Verdonck: SOMETHING (out of nothing)

„Eine synästhetische Theaterüberwältigung in Zeiten des Klimawandels“, hatte ich im Programmheft über „SOMETHING (out of nothing)“ gelesen und mich folglich auf einiges gefasst gemacht. Leider war das einzige, was mich während der rund 85 Minuten Laufzeit überwältigte, eine bleierne Langeweile. Zwar gefielen mir die Kostüme, der (Cello-)Sound und die Skulpturen, man sah und hörte aber ansonsten viele Worte bei wenig Tanz, noch weniger Handlung und so gut wie gar keinem Schauspiel. Das Publikum in der K2 reagierte verhalten. Eine „4th Season“ von Socalled würde ich mir trotz der oben beschriebenen Defizite noch anschauen, Kris Verdonck habe ich dagegen fürs Erste von meiner Liste gestrichen. Eine waschechte Niete.

Agnieszka Polska/Metahaven/Robert Lippok & Lucas Gutierrez: The New Infinity 2019

Sommerfestival goes Planetarium – warum auch nicht! Mit „Immersion – The New Infinity“ der Berliner Festspiele wehte zur Abwechslung mal ein anderer Wind in der ansonsten edutainment- und altstarrocklastigen Programmstruktur unter der Kuppel. Gezeigt wurden drei Werke: „Elektra“ von Metahaven, „Non-Face“ von Robert Lippok & Lucas Gutierrez und „The Happiest Thought“ von Agnieszka Polska.

Davon hat mir „Non-Face“ am besten gefallen, der Grafik wegen. Mit „The Happiest Thought“ konnte ich dagegen wenig anfangen und obwohl ich planetarisch erfahren bin, hat mir die 360°-Wackelkamera bei „Elektra“ ziemlich zu schaffen gemacht.

Richard Reed Parry presents Quiet River of Dust

Im Anschluss lud Richard Reed Parry zu seinem Fulldome-Unterwassertrip „Quiet River of Dust“.

Das war mir persönlich zwar ein klein wenig zu psychedelisch. Aber herrlich erfrischend verglichen mit den regelmäßigen Konzert- und Musikshows des Hauses: Pink Floyd, Queen, DJ Jondal, Tabaluga…

Sommerfestival

Und sonst so? Über den Avant-Garten kann ich diesmal nichts schreiben – es gab nämlich keinen. Das Eis war lecker, die Playlist hilfreich, der Codo-Buchstand wie immer stöbernswert und ganz hinten in der Ecke, hinter den Klos nahe dem Eingang zur kmh, habe ich sogar ein Stückchen Festivalvorhang entdeckt. Leider hatte ich darüber hinaus viel zu wenig Gelegenheit, neben dem Hallenprogramm Festivalluft zu schnuppern. Das muss dringend wieder anders werden.

Nächstes Jahr. Ganz bestimmt.

Klavier hoch zwei

Hier fehlt noch etwas, nämlich wenigstens ein Kurzbericht über zweimal Klavier.

Schon vor einer Woche präsentierte Martin Tingvall sein neues Soloalbum „The Rocket“ im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, zum ersten Mal live und obendrein vor heimischen Publikum, und gestand ganz offen seine Nervosität ob dieser Kombination ein. Die man auch tatsächlich hören konnte, da war noch nicht alles im Flow. Was zugegebenermaßen Jammern auf sehr hohem Niveau ist und sich zudem mit der Zeit von selbst erledigen wird. Auf alle Fälle hätte ich gerne mehr Soloauftritte von Martin Tingvall.

Womit ich aber ausdrücklich nichts gegen das Trio gesagt haben will! Wir merken uns schon einmal den 18.12.2019, da gibt’s nämlich wieder ein Jahresabschusskonzert in der Fabrik.

Tags zuvor hatte ich noch bei Martha Argerich und den Hamburger Symphonikern in der Laeiszhalle gesessen. Ich hatte mir aus den diesjährigen Festivalkonzerten ganz bewusst eines mit Sylvain Cambreling ausgesucht, wohl wissend, dass der Star des Abends und des Festivals vermutlich wieder nur einen kleinen Teil des Programms bestreiten würde. Die Rechnung ging auf: Von der ersten bis zur letzten Note war das alles ganz phantastisch. Und dass Martha Argerich aufgrund einer gerade erst überstandenen Bronchitis und der stickigen Luft in der so gar nicht klimatisierten Laeiszhalle etwas angeschlagen wirkte, konnte man zwar ahnen, aber nicht hören.

Das nächste Klaviervergnügen wird wieder ein ganz anderes, nämlich eins mit Bodo Wartke im Thalia Theater.

Reflektor Nils Frahm

Die Frage „Was machen an Pfingsten?“ hatte sich für mich spätestens mit der Durchsicht der diversen Kulturprogrammhefte für die Saison 2018/2019 erledigt. Nils Frahm kuratiert ein Mini-Festival in der Elbphilharmonie? Kauf ich. Blind!

Naja, so blind dann letztlich doch nicht. Auch mein Kulturbudget ist begrenzt und eine Flatrate gab es leider nicht. Es reichte immerhin für

sowie als Beifang

  • die Fotoausstellung „Fourth Wall – Stages & Cages“ von Klaus Frahm (wann kommt endlich der Bildband?!) und
  • den Kurzfilm „Ellis“ mit Robert de Niro.

Gerne hätte ich auch den Workshop „Polyrhythmus verstehen und umsetzen“ von Sven Kacirek besucht, aber da war ich leider nicht fix genug beim Vorverkauf. Und eigentlich hatte ich auch noch eine Karte für die After-Show-Party am Samstag auf der MS Stubnitz, aber dazu später.

Die Gentleman Losers waren mir schon mehrfach über den Weg gelaufen. Der Spotify’sche Algorithmus machte mich bereits vor Jahren mit dem Track „Ballad of Sparrow Young“ aus dem Album „Dustland“ bekannt, eine Empfehlung der ich gerne gefolgt bin. Es hätte ruhig ein klein wenig mehr live und weniger „vom Band“ sein können beim Auftritt des Duos am frühen Samstagabend, aber sei’s drum. Die stimmige Kombination aus Musik und filmischer Collage gefiel.

Martyn Heyne freute sich als gebürtiger Hamburger im Anschluss ganz besonders über den lokalen Premierenort seines Soloprogramms. Nichts gegen die Kantine am Berghain, aber gegen den kleinen Elphi-Saal kommt der Laden nicht an. (Vorausgesetzt man kann ohne Rauchwerk.)

Überhaupt, die Freude. Nils Frahm hüpfte bei seinem Auftritt geradezu über die Bühne und Arthur Jeffes und seine Mitstreiter von Penguin Café strahlten tags drauf im Großen Saal um die Wette darüber, im Selbstversuch die Unterschiede der Akustik von Royal Albert Hall und Elbphilharmonie erforschen zu dürfen. Was dem Tour-Trailer übrigens noch fehlt: Termine auf dem Kontinent.

Fröhliche Gesichter gab es auch im Publikum, insbesondere bei Nils Frahm am Samstagabend. Ich sah und hörte „All Melody“ zum insgesamt vierten Mal: Köln war ganz am Anfang, Hamburg gut eingespielt und München Routine – Anekdoten wie Noten in nahezu perfekter Wiederholung dessen, was ich schon kannte. Ich will nicht von Enttäuschung sprechen, aber ernüchtert war ich doch. Glücklicherweise war beim Reflektor-Konzert das Spielkind wieder da. Hurra!

Den Abschluss des Festivals bildeten Erlend Øye und la Comitiva mit stargaze. Dass der Norweger mit seiner tiefenentspannten Grundhaltung noch jeden Saal zum Tanzen bringt, wurde in der Elbphilharmonie nicht widerlegt – ganz im Gegenteil. Als Ergänzung des Quartetts wären mir stargaze nicht als erstes eingefallen, aber das funktionierte geradezu zauberhaft gut. Und was machte die aufgezählte Versammlung mit dem Weinberg? Sie stellte sich im Kreis auf der Bühne auf. Großes Lob auch dafür. Zur letzten Zugabe gesellte sich noch Nils Frahm am Flügel dazu und da war es endlich wieder, das „Possibly Colliding“-Gefühl.

Zu gern hätte ich diesen Reflektor in vollen Zügen genossen. Leider war mein Vergnügen ziemlich eingetrübt, denn am Samstag ist in der Schwingemündung ein Schiff gesunken, welches mir sehr am Herzen liegt.

No. 5 Elbe
No. 5 Elbe
No. 5 Elbe
No. 5 Elbe

Die After-Show-Party auf der Stubnitz habe ich daher ausgelassen.

In Concert: Elbjazz 2019

„Für die einen ist es das Elbjazz-Festival, für die anderen der größte Biergarten Hamburgs!“

Das klingt vielleicht ein wenig gemein, aber den Eindruck konnte man mit Blick auf das Blohm+Voss-Gelände durchaus bekommen. Die Übernahme der Veranstaltung durch Karsten Jahnke ab 2017 mag das Elbjazz finanziell und grundsätzlich gerettet haben, aber angesichts der damit verbundenen Veränderungen frage ich mich nun im Jahr drei, ob ich dort noch richtig bin.

Das liegt in der Hauptsache daran, dass mich in erster Linie die kleineren Konzerte interessieren, das Festival aber insgesamt auf Masse setzt. So wird bei Blohm+Voss seit letztem Jahr leider nur noch die Alte Schiffbauhalle bespielt, die zweite kleine Bühne in der Schiffbauhalle 3 fehlt. Hinzu kommt, dass viele Veranstaltungen mittlerweile in den Sälen der Elbphilharmonie stattfinden und man sich frühzeitig und lange vor Bekanntgabe des restlichen Spielplans auf eines (!) dieser Konzerte festlegen muss.

Alte Schiffbauhalle
Alte Schiffbauhalle

Und dann ist da noch das Transferproblem zwischen den einzelnen Schwerpunkten, in diesem Jahr verschärft durch die Sperrung der U-Bahnlinie zwischen St. Pauli und Baumwall. Wer bei zeitlich nah aneinander liegenden Auftritten an weit auseinander liegenden Orten einen akzeptablen (Sitz-)Platz ergattern wollte, musste gut zu Fuß sein – auf den Busshuttle konnte man sich da im Zweifel nicht verlassen. Meine neue persönliche Bestleistung auf der Strecke St. Katharinen – Baumwall – Landungsbrücken – Alter Elbtunnel – Blohm+Voss beträgt knapp unter 40 Minuten.

Am zweiten Festivaltag bin ich diese Strecke gleich zweimal gelaufen: einmal, um es von KID BE KID feat. Julia Kadel gerade noch rechtzeitig in die Alte Schiffbauhalle zu Shalosh zu schaffen. Eigentlich hätte ich danach gleich wieder umkehren müssen, zu Hans Lüdemann nämlich. Aber das war mir einfach zu stressig. Stattdessen probierte ich es ersatzweise mit der Hauptbühne, auf der wenig später Sophie Hunger antrat. Mein Fall, so erkannte ich schnell, war die Dame allerdings nicht und der Vorplatz war zu diesem Zeitpunkt schon dermaßen bevölkert, dass ich allein aus diesem Grund schon das Weite gesucht hätte. Nach kurzem Zwischenstop zwecks Verpflegung bin ich daher wieder zurück Richtung St. Katharinen, gerade noch rechtzeitig, um das letzte Stück von Herrn Lüdemann zu hören und im Anschluss satte 1 1/2 Stunden auf den Auftritt von Teresa Bergmann zu warten. Alternativlos, denn die HFMT Young Talents-Bühne war um diese Uhrzeit bereits verwaist, in die Elbphilharmonie kam man ohne Sitzplatzticket nicht hinein, die MS Stubnitz war für einen spontanen Ausflug zu weit entfernt und abgesehen von der noch längeren Wegstrecke zurück zu Blohm+Voss habe ich Tower of Power schon als Jugendliche gehasst.

Gesehen/gehört hatte ich zuvor am ersten Tag: Joja Wendt, ADHD, das Michael Wollny Trio und Kit Downes. Die beiden Klaviateure waren erwartungsgemäß großartig, dazwischen fügten sich ADHD nahtlos ein – meine persönliche Entdeckung der diesjährigen Elbjazz-Auflage!

Für Kit Downes‘ Orgelexpeditionen in der Elbphilharmonie fehlte mir zum Schluss leider die Konzentration. Höchstwahrscheinlich wäre ich bei Jamie Cullum auf der Hauptbühne bei Blohm+Voss besser aufgehoben gewesen. Aber einfach mal eben wechseln ging halt nicht.

Auch der Auftritt von KID BE KID an Tag zwei hat mir gut gefallen. Gesang, Beatbox und Klavier live und gleichzeitig, so etwas funktioniert ja nur, wenn man es kann – sie kann, und wie!

Den anschließenden Sprint zu Shalosh habe ich musikalisch ebenso wenig bereut wie die Wartezeit bis zum Auftritt von Teresa Bergman als Schlusspunkt des Elbjazz-Programms in St. Katharinen.

Wie schon im letzten Jahr habe ich auch diesmal wieder die MS Stubnitz und die HFMT Young Talents-Bühne auslassen müssen. Besonders schade war’s um Glass Museum und die Rocket Men. Ins übrige Elbphilharmonie-Programm habe ich gar nicht mehr geschaut. Um mich nicht ärgern zu müssen.

Am Helgen
Am Helgen

Fazit? Die Perlen sind (immer noch) da, daran liegt es nicht. Allein, die Schale drum herum ist gefühlt deutlich dicker geworden, und mühsamer zu knacken. Auf mich passt wohl einfach das Format nicht mehr.

Ein Abschied also. Oder mindestens ein Aussetzen. Man soll ja niemals nie sagen.

In Concert: „The Rake’s Progress“ in der Elbphilharmonie

„Diese neue Oper da, an der Elbe“, so wird die Elbphilharmonie gelegentlich von orts- und/oder kulturunkundigen Menschen beschrieben. Aber manchmal stimmt es eben doch, so z. B. gestern: Eine konzertante Aufführung von Strawinskys Oper „The Rake’s Progress“ bildete den Abschluss des 4. Internationalen Musikfests Hamburg, und keine Geringere als Barbara Hannigan dirigierte die diversen Ensembles, die dazu zusammen gekommen waren (Ludwig, Cappella Amsterdam und sechs Solisten aus den Reihen der Equilibrium Young Artists).

Das mit dem Gesang in der Elbphilharmonie ist ja bekanntermaßen eine knifflige Sache. Ich kann diese Kritik nicht teilen: Auf meinem Platz schräg hinter der Bühne konnte ich alle Sänger gut hören (und streckenweise sogar verstehen), die mir nicht oder zumindest nicht ständig den Rücken zudrehten. Das waren insbesondere die männlichen Stimmen der Cappella Amsterdam, aber auch viele der Solisten. Die Übrigen waren gegenüber dem Orchester immerhin noch passabel hörbar. Zwar ist es leider noch immer nicht bei allen angekommen, dass „frontal“ im Großen Saal ein relativer Begriff ist, aber das scheint mir tatsächlich das Hauptproblem zu sein. Zumindest, wenn man den Raum und seine Akustik im Griff hat. Und das hat Barbara Hannigan zweifelsohne.

Apropos Oper und frontal, dazu noch ein Hinweis ans Haus: Die Übertitel auf zwei von vier Seiten zu projizieren ist schon einmal sehr löblich, aber wenn zusätzlich zu vorne und hinten auch links und rechts ginge, müssten alle, die seitwärts sitzen, sich die Köpfe nicht so verdrehen. Bei fast drei Stunden Spielzeit geht das in meinem Alter schon ein klein wenig auf die Nackenwirbelsäule.

An dieser Stelle unerwähnt blieb übrigens bisher das Konzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters unter der Leitung von Paavo Järvi am 17. Mai 2020, bei dem ich ausnahmsweise in Begleitung war und noch ausnahmsweiser in der ersten Preiskategorie saß. Noblesse oblige: Immerhin handyfilmte man dort minimalinvasiv – gewissermaßen aus der Hüfte – und konsumierte stilles (!) Wasser statt Cola.

In Concert: Pierre-Laurent Aimard in der Elbphilharmonie

Eines muss man dem Elbphilharmonie-Marketing lassen: Es kümmert sich um seine Stammgäste und man bemüht sich zumindest darum, anspruchsvolle Programmpunkte und wertschätzende Zuhörer zusammenzubringen. So erhielt ich beispielsweise nur wenige Tage nach dem Konzert von Pierre-Laurent Aimard im Oktober 2018 eine Empfehlung per E-Mail:

Wenn Sie genauso begeistert waren, haben wir hier eine gute Nachricht für Sie: Am 2. Mai 2019 ist der Ausnahmepianist erneut im Großen Saal der Elbphilharmonie zu erleben. Bei seinem Auftritt widmet er sich einem weiteren Klassiker der Klaviermusik des 20. Jahrhunderts: György Ligetis fantastischen Klavieretüden. … Wir freuen uns sehr, wenn Sie uns bei dieser musikalischen Entdeckungsreise mit Neugier und offenen Ohren begleiten.

Dieser Aufforderung bin ich gerne gefolgt, obwohl ich in diesem Leben wohl kein Ligeti-Fan mehr werde. Auch Aimards Vortrag konnte daran nichts ändern.

Warum ich trotzdem maßlos fasziniert war und jederzeit wieder ein Ticket kaufen würde? Virtuosität um ihrer selbst willen interessiert mich nicht, aber Pierre-Laurent Aimard vermag auch noch solchen Passagen Ausdruck zu verleihen, bei denen das Ohr des Laien die Anweisung „wildes Eindreschen auf die Klaviatur im Bereich der Großen und Kleinen Oktave, Dauer ca. 2 Minuten, Dynamik nach Ermessen“ auf dem Notenblatt vermutet. Sprachloses Erstaunen.

Irgendwo auf der Welt gibt es bestimmt ein Publikum, dass es schafft, einer solchen Leistung den gebührenden Respekt zu zollen. Der trotz aller Anstrengungen des Hauses noch immer zu große Pöbelanteil scheiterte daran am vergangenen Donnerstag krachend: Blitzende Kameralichter, blinkende Displays, mittendrin ein laut plärrender Klingelton, dazu ein „peinliches Rudelhusten“ (Zitat eines Mitleidenden) in der kurzen Verschnaufpause und als Krönung neben mir das Pärchen, dass sich während des Konzerts eine Cola Zero teilte (liebe Leute: ja, man hat gehört, dass in der Flasche Kohlensäure drin war! Jedes Mal!) und nicht bis zum Ende des Konzerts damit warten konnte, sich über das Erlebte auszutauschen, sowohl untereinander als auch per WhatsApp mit der Außenwelt.

Ich formuliere es bewusst drastisch: So wird das nichts mit dem Weltklasse-Konzertsaal. Denn nicht nur aufgrund der hypersensiblen Akustik des Raumes kann der leider nur so gut sein, wie auch das Publikum es zulässt.

Dreierlei Musikalisches

Dass es nicht immer die beste Idee ist, aus Sentimentalität Konzertkarten zu kaufen, bemerkte ich zuletzt am Gründonnerstag auf Kampnagel. Die Musik von Apparat war mir in den vergangenen Jahren mehrfach bei unterschiedlichen Anlässen begegnet, liegt aber inzwischen nicht mehr im Mittelpunkt meines Interesses. So erschien mir der Auftritt in der K6 wie ein kontinuierliches Dröhnen, ein nahezu übergangslose Aneinanderreihung von minimalen Variationen eines einzigen Sound- und Kompositionsthemas. Es mag auch mit meiner durch akute Urlaubsreife etwas abgestumpften Aufnahmefähigkeit an diesem Abend zu tun gehabt haben, aber das allein kann es nicht gewesen sein. Gut zu wissen – und hiermit abgehakt.

Der gestrige Lambchop-Auftritt hätte theoretisch in die gleiche Kategorie fallen können. Es ist doch schon ziemlich lange her, dass das Album „Is a Woman“ bei mir rauf- und runterlief. Bei Kurt Wagner und seiner 2019er Bandzusammensetzung funkte es nichtsdestotrotz, wenn mir auch die aktuelle Stimmverfremdungsmarotte des Frontmans nicht so sehr liegt. Ein besonderes Lob gebührt den Tonmeistern: Selbst schräg hinter und nahe der Bühne kam der zumeist leise und differenzierte Lambchop-Sound in all seinen Facetten gut an. Davon abgesehen schienen anders als beim ersten Elbphilharmonie-Konzert der Band im Februar 2017 die allermeisten Zuhörer zu wissen, wen sie da vor sich hatten. Gerade im Großen Saal trägt das sehr zum Gelingen eines Konzerts bei.

Nun zu etwas ganz anderem: meinem dritten „Blind Date“ im Kleinen Saal der Elbphilharmonie nämlich. Da hatte mich das Losglück in die erste Reihe mitten vor die Bühne gesetzt. Eigentlich nicht so mein Ding, das ist mir zu nah, ich sitze grundsätzlich lieber im Rang als im Parkett und überhaupt nicht so gern auf dem Präsentierteller. Bei „Beyond Thrace“ entpuppte sich der Platz allerdings als Glückstreffer. Das Quartett besteht aus Jean-Guihen Queyras (Cello), Sokratis Sinopoulos (Lyra) und Bijan und Keyvan Chémirani (Daf, Zarb), und während Queyras eine klassische Ausbildung genossen hat und sowohl mit großen Orchestern als auch in der Kammermusik zu Hause ist, sind Sinopoulos und die beiden Chémirani-Brüder der türkischen bzw. persischen Musiktradition zuzurechnen. Allen vieren ist jedoch gemein, dass sie herausragende Musiker sind.

Wer angesichts dieser Zusammensetzung mit einem typischen „West trifft Ost“-Act in der Art „westliche Musik auf orientalischen Instrumenten“ erwartet hat, wurde enttäuscht. Der Bogen spannte sich von Nordgriechenland und dem Balkan über die Türkei bis nach Armenien, Persien und Indien und die in dieses Programm eingebauten zeitgenössischen Cellosolostücke dienten dabei lediglich als ergänzende Brückenschläge. Dabei outete sich der Cellist Queyras als „der einzige Analphabet“ des Quartetts, da er anders als seine Mitstreiter zumindest streckenweise auf die Unterstützung durch Notenblätter angewiesen war.

Das Publikum war begeistert und ich war es auch. Obwohl ich zugegebenermaßen niemals aus eigener Motivation ein Ticket für diese Veranstaltung gekauft hätte. Auch für den Fall, dass ich mich wiederhole: Was für ein großartiges Format!

Vor ein paar Tagen startete der Vorverkauf für die Elbphilharmonie-Abos (Stand 30. 4. 2019: Es gibt fast überall noch Plätze!), die neben klassischen auch Angebote „für Einsteiger“, „für Abenteurer“ und „für Kenner“ enthält. Ich habe mich für eine der vier klassischen Reihen entschieden, aber wenn es ein „Blind Date“-Abo gäbe, ich wäre sofort dabei.

In Concert: Rufus Wainwright auf Kampnagel

Mein Besuch des gestrigen Auftritts von Rufus Wainwright in der K6 fällt fraglos unter „mal sehen, was andere Leute so hören“. Aufgefallen war mir der Mann zwar erstmals und durchaus nachdrücklich durch die Aufnahme einer Coverversion von Leonard Cohens „Hallelujah“, verblieb dann aber jahrelang im Hintergrund meines Bewusstseins. Bis zu dem Konzert in der Elbphilharmonie im Sommer 2017, das wohl ziemlich spektakulär gewesen sein muss. Spektakulär genug jedenfalls, um meine Neugier zu wecken.

Sagen wir so: meine Musik war das gestern mehrheitlich nicht, aber man sollte diese Stimme wirklich einmal live gehört haben. Konsequenterweise gefielen mir die Songs mit viel Stimme und wenig Band am besten, unbestrittener Höhepunkt (auch nach Applausometer): „Both sides now“ von Joni Mitchell.

Davon abgesehen war es sehr unterhaltsam, zur Abwechslung mal eine Vollblut-Diva auf der Bühne zu erleben. So jemanden mit „Musical Director“, der nicht nur musikalisch keine Götter neben sich duldet und folglich seiner gut geölten Backgroundband nicht einmal ein paar Solomomente gönnt, der mit Glitter und Federkleid verzierte Bühnenkostüme zur Schau trägt, sich Instrumente und Accessoires von bis zu zwei Hiwis gleichzeitig reichen und abnehmen lässt und der neben der Band, der Crew, dem Licht und dem Ton auch seinem „Costume designer“ dankt. That’s entertainment, too. Faszinierend!